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Wahlen in Südafrika
Eine Richtungsentscheidung

Bei der Wahl am 8. Mai stehen die Bürger Südafrikas vor der Entscheidung: Sollen sie den ANC für Korruption und Misswirtschaft bestrafen, für die Opposition stimmen oder der Wahl ganz fern bleiben? Oder sollen sie Cyril Ramaphosa mit einem gestärkten Mandat versehen, um ihn in die Lage zu versetzen, die korrupten Netzwerke im der Partei auszutrocknen und angekündigte Reformen erfolgreich durchzuführen? Die HSS in Südafrika wagt eine Wahlprognose.

Südafrika wird seit Ende der Apartheid vor 25 Jahren vom African National Congress (ANC) mit absoluter Mehrheit regiert. Daran werden voraussichtlich auch die Parlamentswahlen am 8. Mai 2019 nichts ändern. Trotzdem wird der Wahlausgang für die zukünftige Ausrichtung des Landes entscheidend sein.

30 Meter breites Wahlplakat, an dem gerade ein Auto vorbeifährt.

Der ANC hat seine Wahlkampf ganz auf Präsident Ramaphosa ausgerichtet.

©HSS

Denn ob Südafrika das schwere Erbe der beinahe neunjährigen Präsidentschaft von Jakob Zuma überwinden kann, die gezeichnet war von Korruption, Misswirtschaft, Polarisierung zwischen den Bevölkerungsgruppen und einem wirtschaftlichen Abstieg, wird davon abhängen, inwieweit die neue Regierung bereit ist, wirtschaftspolitische Reformen umzusetzen und Vertrauen in den Rechtsstaat wiederherzustellen. Der Wahlkampf findet zwar vor allem zwischen dem African National Congress (ANC) und der größten Oppositionspartei, der Democratic Alliance, statt. Von ähnlich großer Bedeutung für die Zukunft des Landes ist jedoch auch der zunehmend öffentlich ausgetragene Richtungsstreit innerhalb der Regierungspartei. Dieser spielt sich zwischen den reformorientierten Kräften, denUnterstützern des ANC-Parteivorsitzenden und Präsidenten Cyril Ramaphosa, und den „Traditionalisten“ und in korrupten Netzwerken verstrickten ANC-Politikern ab.

Aus Sicht des ANC ist Präsident Cyril Ramaphosa ist Glücksfall und Rettungsanker. Er gilt international als angesehene Persönlichkeit und ist in Südafrika mit Abstand der beliebteste Politiker. Viele Wähler sehen sich damit einem Dilemma gegenüber: Sollen sie die ANC-Regierungspartei für Korruptionsskandale, Veruntreuung öffentlicher Gelder und Misswirtschaft, die sich in den landesweiten Stromengpässen, dem niedrigen Wirtschaftswachstum (1,3 Prozent) und einer Arbeitslosenquote von fast 30 Prozent spiegelt, an der Wahlurne bestrafen? Oder sollen sie Cyril Ramaphosa mit einem gestärkten Mandat versehen, um ihn in die Lage zu versetzen, kriminelle Netzwerke innerhalb des ANC austrocknen und seine angekündigten Reformen erfolgreich umzusetzen?

Ebenso spannend ist die von vielen Experten diskutierte Frage, ob die linksradikalen und populistischen Economic Freedom Fighters (EEF), die für eine umfassende Landenteignung und Verstaatlichung von Privatbesitz eintreten, unter ihrem Vorsitzenden Julius Malema an Stimmen hinzugewinnen können.

Die Wahlprognosen der verschiedenen Umfrageinstitute fallen enorm unterschiedlich aus. Mit jedem weiteren Korruptionsskandal und je näher der Wahltermin rückt, scheint es schwieriger zu werden, eine valide Wahlvorhersage zu treffen. Wir wagen es aber trotzdem.

Verhältniswahlrecht – keine Direktmandate

In Südafrika finden Wahlen auf nationaler und Provinzebene alle fünf Jahre gleichzeitig statt. Am 8. Mai wählt Südafrika zum sechsten Mal seit dem Ende des Apartheidregimes im Jahr 1994 ein demokratisches Parlament. Es gilt das reine Verhältniswahlrecht, das heißt Kandidaten ziehen je nach ihrem Listenplatz und dem Wahlergebnis der Partei in die Parlamente ein. Im Unterschied zur kommunalen Ebene ist damit eine Direktwahl von Kandidaten bei den nationalen und Provinzwahlen nicht möglich. Dies führt dazu, dass Parlamentarier sich ihrer Partei oftmals mehr verbunden fühlen als dem Wähler selbst. Eine Reform hin zu einem gemischten Wahlsystem, die in Südafrika von vielen Experten gefordert wird, war auch durch die von der Mbeki-Regierung eingesetzte Slabbert-Kommission bereits 2003 empfohlen worden. Auch in Bezug auf die endemische Korruption auf staatlicher Ebene könnte ein Mischsystem zwischen Direktmandaten und Verhältniswahlrecht einen Lösungsansatz bieten. Eine Reform scheitert bisher jedoch vor allem am Widerstand des ANC.

26,7 Millionen Wähler, 22 924 Wahllokale

Zu den größten Herausforderungen zählt die Wählerregistrierung, die vor allem in den Townships und informellen Siedlungen, in denen Millionen Südafrikaner 29 Jahre nach der Entlassung Nelson Mandelas aus dem Gefängnis noch immer leben, eine Mammutaufgabe darstellt. Ein Eintrag ins Wählerverzeichnis ist Voraussetzung für jeden volljährigen Südafrikaner seine Stimme am 8. Mai abzugeben. 26.77 Millionen Südafrikaner haben sich registrieren lassen.

Somit haben sich etwa 9.8 Millionen Wahlberechtigte, darunter 6 Millionen Südafrikaner, die jünger als 30 Jahre sind, nicht in das Wahlregister eintragen lassen. Mindestens 50 Prozent der unter 30-jährigen werden damit nicht an den Wahlen teilnehmen (64 Prozent waren bei den Wahlen 2014 noch registriert). Bei den 18 bis 19-Jährigen sieht es noch düsterer aus. Hier haben sich nur 16 Prozent registrieren lassen.

Gerade junge Südafrikaner könnten politische Durchschlagskraft entfalten. Sie machen 21,4 Prozent aller Wähler aus. Es wäre jedoch ein Fehler, jungen Leute aufgrund ihrer mangenden Wahlbeteiligung politisches Desinteresse zu unterstellen. Im Gegenteil. Untersuchungen des Institutes for Security Studies (ISS) zeigen, dass Jugendliche über politische Vorgänge informiert und daran interessiert sind.

Viele junge Menschen haben jedoch das Vertrauen in Politiker und Staat verloren und somit auch in den Wahlgang. Sie sind frustriert darüber, dass die Probleme der Jugend, wie etwa eine Jugendarbeitslosigkeit von über 50 Prozent, ungleiche Bildungschancen, Korruption und schlechte Infrastruktur von keiner Partei adäquat aufgenommen und mit ihnen gemeinsam besprochen werden. Doch gerade jungen Menschen kommt die schwierige Aufgabe zu, die demokratischen Errungenschaften zu verteidigen und weiterzuentwickeln. Umso wichtiger wäre es, wenn sie ein Kreuz auf dem Stimmzettel machen würden.

Die Unzufriedenheit vor allem der armen Bevölkerung ist in den vergangenen Jahren gewachsen und vielfach deutlich zum Ausdruck gekommen. Gewalttätige Proteste aufgrund schlechter Serviceleistungen haben besorgniserregend zugenommen und sind zu einem fragwürdigen Mittel der Jugend geworden, um Aufmerksamkeit von der Politik zu bekommen. Im Zuge des Wahlkampfs haben Bewohner von Townships bereits gedroht, den Wahlgang mit gewalttätigen Protesten verhindern zu wollen.

In Südafrika gibt es keine Sperrklausel für den Einzug ins Parlament. Damit besteht auch für sehr kleine Parteien die Möglichkeit, Abgeordnete zu entsenden. Hierfür benötigt die Partei den Zuspruch von nur 0,25 Prozent der gesamten Wählerstimmen. Für Südafrikaner ist dies von besonderer Bedeutung, nachdem unter dem Apartheidregime der mehrheitlich schwarzen Bevölkerung das Stimmrecht verweigert worden war. Es existiert die unglaubliche Zahl von 285 Parteien, von denen sich 48 für die Wahlen bei der IEC haben registrieren lassen. Bei den vorausgegangenen Wahlen im Jahr 2014 stellten sich 29 Parteien zur Wahl, von denen 13 schließlich ins Parlament einzogen – davon allerdings nur drei mit mehr als zehn Sitzen.

400 Abgeordnete vertreten die Bürger in der Nationalversammlung, dem südafrikanischen Parlament, und wählen den Präsidenten, der zugleich Regierungschef ist. Die zweite Kammer, der Nationalrat der Provinzen (National Council of Provinces - NCOP) besteht aus 90 Mitgliedern, zehn aus jeder der neun Provinzen, die von den jeweiligen Provinz-Parlamenten entsandt werden, darunter auch die Premierminister.

Der African National Congress (ANC)

Ermittelt man den Durchschnitt zwischen den Ergebnissen der verschiednenen Umfrageinstitute, so lässt sich ein Trend deutlich ablesen: Der ANC wird die Wahlen gewinnen und voraussichtlich auch künftig das Land mit absoluter Mehrheit regieren. Angesichts des inzwischen bekannt gewordenen Ausmaßes der Korruption unter der von Jacob Zuma geführten Regierung, die gerade der armen Bevölkerungsmehrheit stark und auf schmerzhafte Weise geschadet hat, dürfte dies den deutschen Leser überraschen. Der ANC genießt als ehemalige Befreiungsbewegung besonderen Zuspruch, der sich vor allem aus dem langwierigen und erfolgreichen Kampf gegen das Apartheidregime erklären lässt. Gerade unter der älteren und ländlichen Bevölkerung wird die historische Rolle des ANC bei der Wahl daher nochmals eine Rolle spielen. Hinzu kommt, dass die stärkste Oppositionspartei, die Democratic Alliance, sich bisher nicht als vielversprechende Alternative für die schwarze Bevölkerungsmehrheit präsentiert.

Und trotzdem: Seit 2004 (69,7 Prozent) verliert der ANC stetig an Zuspruch. Während 2009 noch 65,9 Prozent der Bevölkerung die Partei wählten, waren es 2014 nur noch 62,1 Prozent. Dramatischere Verluste musste die Partei bei den Kommunalwahlen 2016 hinnehmen, bei denen nur 53,9 Prozent der Südafrikaner für die ehemalige Befreiungsbewegung stimmten und in den wirtschaftsstärksten Städten Johannesburg, Port Elisabeth sowie in Pretoria erstmals die Oppositionsparteien die Regierungsgeschäfte übernahmen. In einem Land, in dem es bislang sozusagen zur staatsbürgerlichen Pflicht gehörte, die Partei der ehemaligen Freiheitskämpfer zu wählen, waren diese Entwicklungen bis dato undenkbar.

Wird der Präsident ein Gefangener seiner eigenen Partei bleiben?

Vor diesem Hintergrund muss auch der 54. Parteitag im Dezember 2017 bewertet werden. Cyril Ramaphosa setzte sich mit einer hauchdünnen Mehrheit von nur 51,9 Prozent gegen die Exfrau Jacob Zumas, Nkosazana Dlamini-Zuma, durch und wurde an die Spitze der Regierungspartei gewählt. Die Sorge, dass unter einer Parteivorsitzenden und Präsidentin Dlamini-Zuma die absolute Mehrheit verloren gehen könnte, spielte sicher eine Rolle für den Ausgang der Wahl. Im Februar 2018 wurde Cyril Ramaphosa nach dem erzwungenen vorzeitigen Rücktritt Jacob Zumas auch Präsident des Landes.

Der knappe Ausgang der Wahl zum ANC-Parteivorsitzenden zeigt, wie tief die Regierungspartei in Reformer und „Traditionalisten“ gespalten ist. Er erklärt auch, warum Ramaphosa aus Sicht vieler Beobachter Reformen bisher nur zögerlich angestoßen hat und Zuma-Anhänger weiterhin im Kabinett und in zentraler Funktion innerhalb des ANC vertreten sind.

Es wird nun darauf ankommen, ob und inwieweit der ANC bereit ist, sich hinter dem Reformkurs des Präsidenten zu versammlen. Um glaubhaft zu bleiben, muss der Präsident nach den Wahlen dringend erforderliche und angekündigte Reformen umsetzen, sein Kabinett von den Günstlingen seines Vorgängers befreien und Strafverfolgungsmaßnahmen gegen kriminelle Parteimitglieder unterstützen. Nur dadurch wird der Staat Vertrauen der Bevölkerung und von Investoren zurückgewinnen – Grundvoraussetzung für eine positive wirtschaftliche Entwicklung und Reduzierung der enorm hohen Arbeitslosenquote von über 27 Prozent.

Der von Ramaphosa initiierte Dialog zwischen Politik und Wirtschaftsvertretern hat dem Staat deutlich vor Augen geführt, in welchen Bereichen dringend Reformen nötig wären. Dies betrifft unter anderem das restriktive Visaregime, die Reform der Staatsunternehmen und Schaffung effektiver staatlicher Institutionen. Das Werben um ausländische Investitionen unter anderem beim Weltwirtschaftsforum und einem nationalen Investmentgipfel im letzten Jahr zeigt erste Erfolge. Die zuletzt stark zurückgegangenen Direktinvestitionen aus dem Ausland konnten 2018 um über 400 Prozent gesteigert werden. Dies reicht aber bei Weitem nicht, um die am Boden liegende Wirtschaft wiederaufzurichten.

Hinzu kommt, dass in den vergangenen Monaten eine teilweise populistisch aufgeladene Debatte um Landenteignungen ohne Kompensation geführt wurde. Zwar gelang es Ramaphosa, den linksradikalen Economic Freedom Fighters, die den ANC mit der Debatte getrieben hatten, den Wind etwas aus dem Segel zu nehmen. Laut ANC-Wahlprogramm sollen Enteignungen zwar möglich gemacht werden, jedoch nur dann, wenn Nahrungsmittelproduktion und Wirtschaftswachstum nicht beeinträchtigt werden. Jedoch wird der ANC daran gemessen werden, inwieweit er nun Enteignungen ohne Kompensation zukünftig zulassen wird. Eine Änderung der Verfassung wurde angekündigt. Während eine effektive Landreform für Südafrika dringend nötig wäre, ist die emotional geführte Diskussion für das Investitionsklima pures Gift.

Obwohl Südafrikas Präsident versucht, mit Korruption und Misswirtschaft aufzuräumen, gelingt ihm dies bisher nur bedingt. So wurden unter anderem die von seinem Vorgänger eingesetzten und unter Korruptionsverdacht stehenden Leiter der Generalstaatsanwalt, der Steuerbehörde und der Anti-Korruptionseinheit bei der Polizei durch frisches Personal ersetzt. Gleichzeitig finden sich jedoch auf den Wahllisten des ANC eine Vielzahl Kabinettsmitglieder und verschiedene hohe Funktionäre, denen Korruption und andere kriminelle Machenschaften vorgeworfen werden.

Viele hoffen trotzdem auf den Erfolg der von Präsident Ramaphosa angestrebten Reformen in Partei und Staat. Eine solches Wahlverhalten mag insgesamt nicht ganz so irrational sein, wie es auf den ersten Blick erscheint  – umso mehr, wenn man sich die Geschichte des Landes und den Zustand der Oppositionsparteien vergegenwärtigt.

Die Democratic Alliance – gute Bilanz, schlechte Außenwirkung

Selbst wohlmeinende Beobachter vermuten, dass die stärkste Oppositionspartei Democratic Alliance (DA) es unter ihrem Vorsitzenden Mmusi Maimane derzeit nicht schafft, sich insbesondere der schwarzen Bevölkerungsmehrheit als vielversprechende Alternative zu präsentieren. Sie wurde in jüngster Zeit immer wieder von öffentlich ausgetragenen Streitigkeiten erschüttert, die mangelnde Einigkeit selbst in der obersten Parteiführung zu belegen scheinen. Die Partei hat sich über viele Monate hinweg einen oft ungeschickt ausgetragenen Machtkampf mit der langjährigen DA-Bürgermeisterin von Kapstadt, Patricia de Lille, geliefert. De Lille gründete daraufhin ihre eigene Partei „Good“, die der DA im Westkap schaden könnte.

Obwohl die DA in der Provinz Westkap, die sie seit zehn Jahren regiert, zweifellos deutliche Erfolge aufzuweisen hat, gelingt es ihr nicht, diese Erfolge auch auf nationaler Ebene hinreichend in Wählerstimmen umzuwandeln. Premier Helen Zille macht auch immer wieder Schlagzeilen durch kontroverse Aussagen; Kritiker werfen ihr vor, das koloniale Erbe zu verharmlosen.

Das kürzlich vorgestellte Wahlprogramm der DA setzt auf einen marktwirtschaftlichen Kurs. Die DA spricht sich gegen entschädigungslose Enteignung aus. Die Partei bezeichnet sich selbst als liberal.

Die Economic Freedom Fighters (EFF) – Eine Gefahr für Südafrikas Demokratie?

Die Economic Freedom Fighters, die mit großem Abstand zur DA drittgrößte Partei im südafrikanischen Parteienspektrum, wird vom ehemaligen Vorsitzenden der ANC-Jugendorganisation Julius Malema geführt und verfolgt ein linksradikales, populistisches Programm, welches unter anderem eine Verstaatlichung der Minen, der Banken und privaten Grundbesitzes vorsieht. Sie fällt durch aggressive Rhetorik auf, die oft anti-weiß ist und sich in den vergangenen Monaten auch wiederholt gegen Südafrikaner indischer Abstammung richtete. Julius Malema, einem Strategen und exzellenten Redner, wird vorgeworfen, die Stimmung im Land anzuheizen und zur Polarisierung zwischen den Bevölkerungsgruppen beizutragen. Im EFF-Wahlprogramm finden sich zahlreiche völlig unrealistische und zum Teil kuriose Versprechungen, die bis zu einem Spezialzahnarzt für jede Schule reichen – in einem Land, das mit einem dramatischen Ärztemangel kämpft. Die EFF fordert außerdem eine Verdopplung der Sozialhilfezahlungen, obwohl die Staatskassen schon gefährlich überstrapaziert sind und fast ein Drittel der Bevölkerung auf diese Zahlungen angewiesen ist.

Die Partei hatte mit ihrer kompromisslosen Haltung gegenüber Präsident Zuma einen wichtigen Beitrag zu dessen Rücktritt geleistet. Enthüllungen der vergangenen Wochen scheinen jedoch zu belegen, dass auch prominente EFF-Führer massiv von Korruption profitiert haben. Hinzu kommen weitere Warnsignale: Abgeordnete der EFF haben kürzlich einen Journalisten und in einem anderen Fall einen Sicherheitsbeamten auf dem Parlamentsgelände tätlich angegriffen, gefolgt von äußerst halbherzigen Entschuldigungen. Kritiker mahnen, die latente Gewaltbereitschaft der Partei, die immer wieder auch in Malemas Reden durchklingt, nicht zu unterschätzen. Für viele Beobachter wäre es ein Worst-Case-Szenario, wenn die EFF zum Königsmacher würde. Unwahrscheinlich, aber theoretisch möglich, wären zukünftig auch Verbindungen zwischen den Traditionalisten innerhalb des ANC und der EEF, nicht zuletzt um Präsident Ramaphosa zu schwächen – oder gar zu stürzen. Die EEF findet gerade unter armen, schwarzen und jungen Menschen viele Unterstützer. Jedoch haben sich viele dieser potentiellen Wähler entweder nicht registriert, oder sie tendieren dazu nicht zur Urne zu gehen. 

Bei den vergangenen Parlamentswahlen im Mai 2014 hatte der African National Congress (ANC) 62 Prozent der Stimmen erhalten, die Democratic Alliance (DA) 22 Prozent und die damals neu gegründeten Economic Freedom Fighters (EEF) etwa 6,3 Prozent (siehe Schaubild 1). Bei der im Januar 2019 veröffentlichten Ipsos-Umfrage gaben 61 Prozent der Befragten an, den ANC wählen zu wollen, 14 Prozent würden sich für die DA entscheiden und 9 Prozent für die EFF, während auf die kleineren Parteien insgesamt 4 Prozent der Stimmen entfielen. Eine am 19. März publizierte weitere Ipsos-Umfrage sieht den ANC bei nach wie vor 61 Prozent, die DA nun bei 16 Prozent und die EFF noch immer bei 9 Prozent. Umfragen des bekannten Institutes of Race Relations prognostizieren derzeit jedoch 22 Prozent für die DA. Das angesehene Afrobarometer sah den ANC im letzten Jahr zeitweise bei nur 48 Prozent, während mehr als ein Viertel der Befragten angaben, noch unentschieden zu sein.

Dies zeigt wie stark die Umfragewerte schwanken und wie schwierig es ist, ein Ergebnis vorherzusagen. Drei Szenarien sind vorstellbar:

  1. Der ANC gewinnt die Wahlen mit überwältigender Mehrheit (über 62 Prozent, klarer Sieg der Reformer – eher unwahrscheinlich)
  2. Der ANC gewinnt die Wahlen und hält die absolute Mehrheit (weniger als 62 Prozent, Reformer gewinnen leicht an Unterstützung, müssen sich aber weiterhin mit den „Traditionalisten“ arrangieren – wahrscheinlich)
  3. Der ANC gewinnt die Wahlen, wird jedoch in eine Koalition mit den EFF gezwungen („Traditionalisten“ übernehmen im ANC – unwahrscheinlich)

Sollte der ANC weniger als 55 Prozent gewinnen, könnte dies parteiintern als Niederlage der Reformer innerhalb des ANC gesehen werden. Ramaphosa würde dann möglicherweise von der eigenen Partei als Präsident in Frage gestellt.

Vermutlich wird das tatsächliche Ergebnis irgendwo dazwischen liegen. Die HSS stellt folgendes mögliches Szenario vor: Der ANC gewinnt 58 Prozent, die DA 21 Prozent und die EFF 9 Prozent der Wählerstimmen. Damit würde der ANC 232 Sitze, die DA 84, die EFF 36 und die kleineren Parteien 48 Sitze in der Nationalversammlung erringen.

  • Ramaphosa würde mit einem derartigen Ergebnis zwar als Gewinner aus der Wahl hervorgehen, der Negativtrend des ANC würde sich jedoch fortsetzen. Der Präsident würde voraussichtlich auch weiterhin Kompromisse mit den „Traditionalisten“ innerhalb des ANC eingehen müssen, was für die weitere Entwicklung des Landes nicht förderlich wäre. Eine umfassende Reform des ANC bliebe in diesem Szenario aus. Die Besetzung und Auswahl seines Kabinetts würde die Machposition Ramaphosas wiederspiegeln.   Langfristig würde Ramaphosa seine Machtposition jedoch festigen können.  
  • Die DA bliebe stärkste Oppositionspartei. Innerparteiliche Streitigkeiten und Führungsprobleme haben der Partei geschadet. Sie hat es bisher nicht geschafft, das Image als Partei der „Weißen“ abzulegen. Daher gelingt es ihr, trotz der von Skandalen geschüttelten Regierungspartei, wahrscheinlich nicht, ihr Ergebnis von 2014 zu verbessern.
  • Das von vielen vermutete und von der Partei selbst angekündigte zweistellige Wahlergebnis der EFF wird, unserer Einschätzung nach, vermutlich ausbleiben. Die radikale Partei wird wohl ganz knapp unterhalb der ZehnProzent-Marke bleiben. Trotz einer zu erwartenden Enttäuschung der Anhänger würde Julius Malema das Wahlergebnis der EFF als Erfolg verkaufen. Sollte es der Partei gelingen, den ANC in einer der neun Provinzen in eine Koalition zu zwingen, könnte er sich als Gewinner fühlen. Die Populisten würden vermutlich die einzige der drei größeren Parteien sein, die ein Wachstum verzeichnet.

Der Kampf um die wirtschaftsstärkste Provinz Gauteng

Während die DA voraussichtlich weiterhin die Provinz Westkap regieren wird, könnte der Kampf um die reichste und wirtschaftsstärkste Provinz Gauteng spannend werden. In Gauteng leben beinahe 25 Prozent der südafrikanischen Wähler, viele „Born-frees“, wie man die nach der Apartheid geborenen jungen Erwachsenen gerne nennt, sowie Menschen aus der Mittelklasse.

2014 wählten in Gauteng 54 Prozent der Wähler ANC, 31 Prozent DA und 10 Prozent die EEF. Aus Frust über die Politik von Präsident Zuma blieben viele „Gautenger“ den Kommunalwahlen 2016 fern. Bei dieser Wahl konnte der ANC nur 46 Prozent, die DA jedoch 37 Prozent und der EEF 11 Prozent der Stimmen holen.

Da die DA-Anhänger traditionell zahlreich wählen gehen, könnte eine niedrigere Wahlbeteiligung bei den anstehenden Nationalwahlen vor allem dem ANC schaden. Gelingt es der DA, wie schon bei den Kommunalwahlen 2016 in den wichtigen Metropolen Pretoria und Johannesburg genug Wähler für sich zu gewinnen und eine absolute Mehrheit des ANC zu verhindern, wäre die Bildung einer Koalitionsregierung eine ernsthafte Option.

Sollte der ANC Gauteng verlieren, würde dies einen historischen Einschnitt für die Regierungspartei bedeuten. Realistischer scheint es jedoch, dass der ANC entweder mit der DA oder den EFF eine Koalition eingehen und somit auch zukünftig in Gauteng regieren wird. Damit würde der ANC voraussichtlich auch weiterhin acht der neun Provinzen regieren.

Die Aufarbeitung von State-Capture: Grundvoraussetzung für Vertrauen in den Staat und wirtschaftliches Wachstum

Das Erbe der Zuma-Jahre ist für Ramaphosa, den ANC und das Land eine enorme Belastung. Dies verdeutlichen nicht zuletzt die täglichen, schockierenden Enthüllungen der sogenannten Zondo-Kommission. Zähneknirschend und nur auf richterliche Anweisung hin hatte Jacob Zuma im Januar 2018 die Untersuchungskommission noch selbst eingesetzt, die seit August 2018 in Johannesburg tagt und die zahlreichen Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit der systematischen Untergrabung staatlicher Institutionen (State capture) untersucht. Benannt nach ihrem Vorsitzenden, dem Vize-Präsidenten des südafrikanischen Verfassungsgerichts, Raymond Zondo, sollte sich das Gremium vornehmlich mit der Aufarbeitung der staatszersetzenden Einflussnahme der reichen indisch-stämmigen Unternehmerfamilie Gupta auf den Ex-Präsidenten, dessen ANC-Regierung und die Führung staatlicher Unternehmen beschäftigen. Präsident Zuma war von der ehemaligen Ombudsfrau, Thuli Madonsela, in ihrem „State-Capture“-Report vorgeworfen worden, öffentliche Ausschreibungen und Ministerposten sowie Führungspositionen in staatlichen Unternehmen wie Eskom, dem staatlichen Energieversorger und Transnet, der staatlichen Eisenbahngesellschaft, an die  umstrittene  indische Unternehmerfamilie Gupta vergeben zu haben.

Beginnend mit den Aussagen des Whistleblowers Angelo Agrizzi haben sich inzwischen noch weit tiefere Abgründe aufgetan. Schenkt man den Aussagen des ehemaligen Chief Operation Officers der Firma Glauben, sicherte sich das Firmenkonglomerat Bosasa (heute African Global Operations) in 15 Jahren Staatsaufträge im Wert von circa 10 Milliarden Rand (ca. 625 Millionen Euro) mittels Zahlung hoher Schmiergelder. Dutzende ANC-Funktionäre und Minister auf Landes- und Provinzebene sollen monatliche Zahlungen von insgesamt mehr als 40 Millionen Rand (ca. 2,5 Millionen Euro) erhalten haben. Selbst Ex-Präsident Zuma seinen über Spenden an seine Stiftung wohl monatlich 300.000 Rand (ca. 20.000 Euro) zugesteckt worden.

Laut Agrizzi habeNomvula Mokonyane, derzeit amtierende Umweltministerin in Ramaphosas Kabinett, nicht nur monatlich 50.000 Rand in bar (ca. 3100 Euro) kassiert, sondern im Rahmen von Wunschlisten darüber hinaus regelmäßig teuren Whisky, Fleisch und Schmuck bei Bosasa angefordert.

Bei prominenten ANC-Mitgliedern wie dem jetzigen Bergbau-Minister Gwede Mantashe sollen teure Sicherheitssysteme in deren Privathäuser eingebaut worden sein. Eine veröffentlichte Foto-Reihe belegt zudem, dass auch die Finanzierung luxuriöser Golfreisen und ausschweifender Geburtstagsparties, wie die von Jacob Zuma im Jahre 2015, zum täglichen Geschäft der Firma gehörten.

Manager der Flughafenbetreibergesellschaft Acsa, der südafrikanischen Post, der Steuerbehörde sowie Gewerkschaftsführer haben sich wohl ebenfalls über regelmäßige Zuwendungen gefreut.

Dass der ANC jahrelang Millionen-Spenden von Bosasa für Wahlkampagnen und die Ausstattung von Wahlstudios akzeptierte, gab nunmehr der ehemalige Kassenwart der Partei, Zweli Mkhize, zu.

Im Mittelpunkt der Geschäfte Bosasas stand das staatliche Gefängniswesen. Für dessen Ausbau bekam die Sicherheitsfirma jährlich lukrative Aufträge, oftmals ganz ohne öffentliche Ausschreibung. Der ehemalige Leiter des Strafvollzugswesens, Linda Mti, und der ehemalige Finanzchef des Departments für Strafvollzug, Patrick Gillingham, seien, laut Agrizzi, „regelmäßig geschmiert“ worden. Dieses sogenannte „Monopoly Money“ soll in einem Tresor neben den Geschäftsräumen der Firmenleitung verwahrt und bei Gelegenheit von Bosasa-Chef Gavin Watson selbst abgezählt und verpackt worden sein.

Um Betrügereien wie Doppelabrechnungen zu vertuschen, sei schließlich auch die Staatsanwaltschaft bestochen worden. Unter anderem soll die stellvertretende leitende Staatsanwältin, Nomgcobo Jiba, eine bekennende Unterstützerin Zumas, monatliche Zuwendungen in bar erhalten haben. Auch die südafrikanische Polizei steht immer wieder im Rampenlicht spektakulärer Korruptionsskandale, die auch im Zusammenhang mit der Regierungspartei stehen.

Dass es der Zuma-Administration nicht um eine effektive Strafverfolgung ging, sondern vor allem um den Schutz des Präsidenten und dessen Verbündeter, belegte die permanente Führungskrise bei der Staatsanwaltschaft, der Polizei und den entsprechenden Sondereinheiten für Korruptionsbekämpfung. Zwei weitere hochrangige Kommissionen wurden zur Aufklärung von Unregelmäßigkeiten bei der Steuerbehörde und der staatlichen Pensionskasse eingesetzt.

Der Ausgang der Wahlen ist wichtig. Noch wichtiger ist jedoch, ob das demokratische System den Rechtsstaat verteidigen kann

Weder Firmenchef Watson noch der ehemalige Präsident Zuma oder die involvierten Minister und Staatsanwälte mussten sich bislang wegen ihrer korrupten und kriminellen Machenschaften mit Bosasa vor Gericht verantworten. Aktuell steht mit dem mächtigen Generalsekretär Ace Magashule ein weiterer hochrangiger ANC-Funktionär im Rampenlicht eines unglaublichen Korruptionsskandals. „Gangster State – Unravelling Ace Magashule`s Web of Capture“ ist der Titel eines derzeit viel diskutierten Buches in Südafrika. Darin wird beschrieben, wie Ace Magashule in seiner Funktion als Ministerpräsident der Provinz Free State mittels illegaler Ausschreibungen im Bauwesen Millionen von Rand unterschlagen und korrupte Strukturen zum Machterhalt genutzt haben soll. Auch Beteiligung an Gewaltverbrechen werden genannt.

Vor diesem Hintergrund wird der Fokus zukünftig vor allem auf den Strafverfolgungsbehörden, konkret auf der Polizei und der nationalen Staatsanwaltschaft, liegen. Nur durch Anklagen und entsprechende Verurteilungen werden die staatlichen Institutionen das Vertrauen der Südafrikaner sowie nationaler und internationaler Investoren zurückgewinnen können.

Ohne die mutigen, investigativen Journalisten, die lebendige südafrikanische Zivilgesellschaft und größtenteils unabhängige Justiz, die Jacob Zuma letztlich zum Rücktritt gezwungen haben, würde Südafrikas Politik auch heute noch von den Guptas und Watsons diktiert werden. Ramaphosa wäre nie Präsident geworden. Die Aufdeckung und Aufarbeitung der Vereinnahmung des Staates durch korrupte Politiker und Wirtschaftsvertreter zeigt, wie wichtig eine freie Presse und aktive Zivilgesellschaft für die Verteidigung der Demokratie sind.

Ausblick:

Der ANC wird auch aus diesen Wahlen als Sieger hervorgehen. Teile der Bevölkerung sehen Ramaphosa als neuen Hoffnungsträger und werden daher trotz allem wieder für die Regierungspartei stimmen. Viele Kommentatoren verweisen jedoch darauf, dass dies der letzte Sieg mit absoluter Mehrheit sein könne. Ein Vierteljahrhundert nach den ersten demokratischen Wahlen und dem Amtsantritt Nelson Mandelas könnten die diesjährigen Wahlen den Anfang vom Ende der Alleinregierung des ANC einläuten. Experten behaupten gerne, dass eine Koalitionsregierung Land und Demokratie ab 2024 sicherlich guttun würde. Jedoch wird dabei oft vergessen, dass gerade diese Koalitionsregierungen in Südafrika auf kommunaler Ebene oft scheitern oder zu instabiler und ineffektiver Regierungsarbeit führen. Zukünftig tatsächlich vorstellbar wäre jedoch eine Koalition aus dem ANC, in dem die Reformer dominieren, und der DA.

Wie immer die Wahlen ausgehen, vor Cyril Ramaphosa liegt die schwierige und fast unmögliche Aufgabe, die Lebensbedingungen der armen Bevölkerung schnell und spürbar zu verbessern. Als der Präsident kürzlich betonte, die neuerliche Zusammenarbeit seiner Regierung mit der Wirtschaft und der angestrebte „soziale Pakt“ könnten das hierfür notwendige Wachstum von 5 bis 7 Prozent ermöglichen, sprach daraus wohl neben Entschlossenheit auch die Hoffnung auf ein Wunder.

Südafrikas Entwicklung ist für die Region und Europa relevant

Der Wahlkampf und die Wahlprognosen werden nicht nur in Südafrika, sondern auch den Nachbarländern mit großem Interesse verfolgt. Südafrikas traditionelle Rolle als Stabilitätsanker in der Region hat sich in den vergangenen Jahren reduziert.

Trotzdem gilt das Schwellenland weiterhin als Schwergewicht in der Afrikanischen Union (AU), einer der stärksten afrikanischen Wirtschaftsstandorte und Zielort von Millionen afrikanischer Flüchtlinge. Regionaler Handel und die damit verbundene Schaffung von Arbeitsplätzen im südlichen Afrika erfordern ein wirtschaftlich und vor allem auch politisch stabiles Südafrika.

Die Krisen in Simbabwe und in der DRC Kongo werden langfristig wohl ebenfalls nur mit einer Beteiligung Südafrikas zu lösen sein. Die demokratischen Rückentwicklungen in Sambia und Tansania bedürfen ebenfalls der Aufmerksamkeit der südafrikanischen Regierung. Damit ist der Wahlausgang am 8. Mai am Kap auch für die Region und Europa relevant.

Autoren: Hanns Bühler, Regionaler Auslandsmitarbeiter, Südliches Afrika; 
Karin April, Büroleiterin, Johannesburg; 
Marlene Barnard, Projektkoordinatorin, Kapstadt

Südafrika
Hanns Bühler
Projektleiter