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Sturm auf das Kapitol
Angriff auf Amerikas Demokratie

Welche Folgen hat der historische Angriff auf das Herz der amerikanischen Demokratie durch gewaltbereite Trumpisten? Die internationalen Reaktionen sind eindeutig aber wie bewertet die US-amerikanische Gesellschaft die Ereignisse und könnte Trump sich um seine Chancen auf eine erneute Kandidatur 2024 gebracht haben? Die GOP jedenfalls hätte jetzt die Freiheit, sich neu zu erfinden.

  • Die Schockbilder vom Sturm auf das Kapitol gingen um die Welt. Das globale Ansehen der USA sinkt weiter und geopolitische Antagonisten sprechen Washington jedwede demokratische Führungsrolle ab.
  • Amerikas Institutionen haben jedoch auch diesen Test bestanden. Joe Biden wurde vom Kongress als neuer Präsident bestätigt.
  • Donald Trump entlarvte sich endgültig als gefährlicher Extremist und Demagoge. Seine Aktionen sind als Aufwiegelung zum Umsturz zu werten, auch wenn den gewaltsamen Protesten der Trump-Anhänger die strategische Tiefe fehlte. Die Bilanz der Präsidentschaft Trumps wird durch diese Gewalteskalation geprägt bleiben.
  • Führende Köpfe der Republikaner wenden sich von Trump ab und sehen eine Zukunft der republikanischen Partei nur ohne Trump. Die Millionen Trump-Wähler bleiben aber ein politisches Pfund, mit dem man wuchern kann.
  • Angesichts der Dramatik in Washington wurde das historische Wahlergebnis in Georgia kaum beachtet. Bei den Senatsnachwahlen gewannen die Demokraten beide Sitze und verfügen jetzt auch über die Mehrheit im Senat.
  • Das eklatante Versagen der Polizei wirft Fragen auf und muss untersucht werden. Der Verdacht steht im Raum, dass Trump interne Anweisungen gab, seine Anhänger sanft zu behandeln und den Protesten ihren Lauf zu lassen.
Demonstranten mit USA-Flaggen vor dem Kongress.

Trumps Handeln war auf einen politischen Umsturz ausgerichtet. Auf diesen Vorwurf gründet sich auch das neue Impeachment-Verfahren der Demokraten: Incitement of Insurrection / Aufruf zum Umsturz, also Putschversuch.

Tyler Merbler; ©2.0; Overall

Bilder von gewaltsamen Stürmen auf das Parlament und öffentlichen Protesten gegen die politische Klasse kennt man von anderen Orten. Boris Jelzin stieg 1991 auf einen Panzer und wickelte die Sowjetunion ab, 1993 ließ Jelzin das Parlament beschießen, um die letzten Hard-Core-Kommunisten in die Knie zu zwingen. In Kiew ging man 2014 auf die Straße, um gegen Misswirtschaft und Korruption und für demokratische Werte zu protestieren. Der Blutzoll war hoch in Kiew. Über 100 Freiheitskämpfer wurden erschossen. Jetzt also Washington, an Heiligdreikönig 2021, unter umgekehrten Vorzeichen. Die Guten sitzen im Parlament, der Mob wütet auf der Straße und randaliert sich den Weg in den Kongress. Absperrungen und Sicherheitskräfte werden überrannt, die Abgeordneten schützen sich in besonders bewachten Räumen, die Kongress-Sitzung zur Bestätigung des Wahlsieges von Joe Biden wird unterbrochen und erst spät in der Nacht nach Räumung des Parlaments fortgesetzt. Die Gewalteskalation fordert fünf Todesopfer. Washington, Amerika und die Welt sind geschockt. Die Bilder der Proteste gehen um die Welt. Verrückte Kostüme und skurrile Szenen mischen sich mit unberechenbarer Gewalt und politischem Fanatismus. Trumps Anhänger senden globale Schockwellen aus. Letztlich wird der Angriff auf Amerikas Demokratie abgewendet, doch die Wirkung ist verheerend, national und international. Amerika stürzt als politisches und demokratisches Vorbild ab, Donald Trump entlarvt sich auf der Zielgeraden seiner Präsidentschaft vollends als gefährlicher Extremist und Demagoge. Die Republikaner spielen mit dem populistischen Feuer, das Trump schürt. Es ist ein politischer Ritt auf des Messers Schneide.

Mit den Ereignissen vom 6. Januar erreicht Donald Trumps Unterminierung der politischen Institutionen Amerikas einen neuen Höhepunkt. Trump erkennt gerichtlich überprüfte Wahlausgänge nicht an, er fordert Behördenleiter zur Wahlfälschung und seinen Vize Mike Pence zum Verfassungsbruch auf. Seine Anhänger, zu Tausenden nach Washington gereist, ermuntert er zum Sturm des Kapitols, als dort gerade die Wahlergebnisse aus den Bundesstaaten beglaubigt werden. Mag der Besetzung des Parlaments auch die strategische Tiefe gefehlt und eine faktische Regierungsübernahme durch die Trump-Anhänger in keiner Weise gedroht haben. Donald Trump hatte offensichtlich das Kalkül, durch die Gewalt der Straße Joe Biden als neuen Präsidenten zu verhindern und sich im Amt zu halten. Dieses unerhörte Verhaltens- und Denkmuster diskreditiert Donald Trump vollends – und mit ihm die Trump-Bewegung, die jetzt als unkontrollierter und gewaltbereiter Mob gilt. Trumps Handeln war auf einen politischen Umsturz ausgerichtet und auf diesen Vorwurf gründet sich auch das neue Impeachment-Verfahren der Demokraten: Incitement of Insurrektion / Aufruf zum Umsturz, also Putschversuch.

Tödlicher Parlamentssturm prägt die Bilanz der Präsidentschaft  

Trumps erratisches, verfassungswidriges und gefährliches Verhalten nach der Wahlniederlage drückt seiner Präsidentschaft den Stempel auf. Man wird nicht mehr sagen, Trump war mehr Symptom als Ursache von Fehlentwicklungen. Trump erweist sich als gefährlicher Brandbeschleuniger, der sich, seine Bewegung, die Republikanische Partei und Amerika in den Abgrund zu reißen droht. Trumps Präsidentschaft war umstritten, nicht nur wegen kontroverser und erratischer Amtsführung, auch inhaltlich. An der Grenze zu Mexiko wurden zur Abschreckung Kinder von ihren Eltern getrennt, Umweltauflagen wurden aufgehoben, multilaterale Organisationen ausgehöhlt und paralysiert, internationale Verträge gekündigt. Republikaner hingegen gewannen der Präsidentschaft viel Gutes ab. Doch jetzt wird die Bilanz der Trump -Administration durch den 6. Januar geprägt, nicht durch die historischen Abraham-Vereinbarungen zwischen Israel und arabischen Staaten, nicht durch die Steuerreform, nicht durch die Benennung von drei neuen konservativen Richtern am Obersten Gericht, nicht durch florierende Wirtschaft und hohe Aktienkurse, nicht durch Strafrechtsreformen, die Minderheiten zu Gute kamen, und nicht durch die Schaffung von Sonderwirtschaftszonen zur Ansiedlung von Unternehmen in Problemregionen. Donald Trump hinterlässt verbrannte Erde. Sollte er mit einem politischen Comeback liebäugeln, international ist er geächtet und ein nationaler Außenseiter. Trump missbraucht das politische Vertrauen von Millionen seiner Wähler und trägt maßgebliche Verantwortung, dass die beiden Senatswahlen im traditionell republikanischen Georgia für die GOP verloren gingen und die Demokraten jetzt über die Mehrheit im Senat verfügen. Trump machte nicht Wahlkampf für die republikanischen Kandidaten und sendete keine politische Botschaft aus, sondern lamentierte wochenlang über angeblichen Wahlbetrug oder korrumpierte Wahlprozesse. Trump demobilisierte anstatt zu mobilisieren. Während die Demokraten ihre Wähler, darunter auch weite Teile der afro-amerikanischen Minderheit, an die Urne bringen konnten, blieben Republikaner vielfach zu Hause. Diese Stimmen fehlten den Republikanern und machen bundespolitisch einen gewaltigen Unterschied. Trotz einer knapper als erwarteten Präsidentschaftswahl und trotz des starken Abschneidens der Republikaner im Repräsentantenhaus sowie in den Regionen haben die Demokraten jetzt die Mehrheit im Kongress und stellen die Regierung. Unified Government bzw. Unified Congress, also geeintes Regieren bzw. Regieren aus einer Hand nennt man diese Konstellation. Auch wenn von Durchregieren nicht die Rede sein kann, da einfache Mehrheiten nicht für große Gesetzgebungsprojekte ausreichen; die Demokraten sitzen jetzt an den Hebeln der Macht, sie bestimmen die Agenda und nutzen die Geschäftsordnung für sich, sie stellen Minister, Parlamentspräsidentin, Senatsführer und Ausschussvorsitzende. Aus einer knappen Wahl am 3. November wurde dank Trump ein großer Sieg der Demokraten.

Strategisches Dilemma der Republikaner

Die Republikaner stehen vor einem strategischen Dilemma. Mit der Trump-Bewegung diskreditiert man sich, verschreckt Teile der konservativen Wählerschaft und gewinnt keine Wahlen. Ohne die Trumpisten gewinnt man aber auch keine Wahlen, da dann wichtige republikanische Wählerstimmen fehlen. Den Republikanern stehen schwere innere Debatten ins Haus. Sie müssen republikanische Werte wie bürgerliche Freiheiten, liberale Marktwirtschaft, Freihandel und internationale Verantwortung neu definieren und überzeugende politische Positionen in der Steuer-, Migrations- und Gesundheitspolitik beziehen. Die politische Kunst liegt darin, auf Distanz zu Trump zu gehen, aber die Frustrierten, Protestwähler und vom System Enttäuschten im Boot zu halten. Auf dem Spiel steht die Überlebensfähigkeit der Republikaner ohne Trump. Wer extreme Verschwörungstheoretiker von QAnon und gewaltbereite Radikale von ProudBoys in seinen Reihen duldet, gräbt sich die politische Glaubwürdigkeit ab. Die Millionen Trump-Wähler sind ein Pfund zum Wuchern, aber es ist eine politische Gratwanderung, bei der man abstürzen kann. Die aufstrebenden und ambitionierten Senatoren Josh Hawley aus Missouri und Ted Cruz aus Texas drohen bei diesem Spagat zu scheitern. Trotz der Gewaltexzesse am Kapitol hielten sie zum Trump-Lager und verweigerten die Anerkennung des Biden-Siegs. Sie werden jetzt zu abschreckenden Beispielfiguren, die zeigen, wie man es nicht macht: nämlich indem man in Vasallentreue Donald Trump die Stange hält.

Die Republikaner sind jetzt in der Opposition, aus der sie durch kluges Agieren, vernünftige Positionen und überzeugendes Personalangebot schneller als heute gedacht auch wieder herauskommen können. Die Haus-Mehrheit 2022 ist durchaus in Reichweite, bedenkt man, dass die Partei des Präsidenten bei den Mid-Terms meist einen Dämpfer bekommt und Sitze verliert. Da Joe Biden von sich als Übergangspräsident spricht, könnte seine Vize Kamala Harris die sich öffnende Lücke sehen und selbst das höchste Amt anstreben. Sie würde antreten mit dem Ziel, Geschichte zu schreiben: First female asian-african-american President / erste asiatisch-afroamerikanische Frau an der Spitze Amerikas. Jünger, weiblicher, bunter geht es nicht bei den Demokraten. Doch einem Land, das 2016 noch den Populisten Donald Trump wählte, könnte dies zu weit gehen. Der Kandidat oder die Kandidatin der Republikaner, denkt man an Nikki Haley, würde vom Gegensog gegen Kamala Harris profitieren. Das Trauma Trump wäre überwunden, die Republikaner hätten ihre Lektion gelernt und wären wieder an der Macht. Es muss nicht so kommen, aber es kann so kommen. Es kann aber auch so kommen, dass die republikanische Partei zerfällt, in ein Trump-Lager aus Populisten und Nationalisten und in ein Lager gemäßigter Konservativer. Vor zehn Jahren ließ sich die Spaltung in radikale Tea Party und Establishment noch verhindern. Eine Gewähr, dass dies jetzt wieder gelingt, gibt es nicht. Es geht jetzt um die Zukunft der Republikaner. Nach dem 6. Januar 2021 sollte jedem klar sein, dass es diese Zukunft mit Donald Trump nicht gibt. Unter den Republikanern gibt es viele kluge Köpfe und politische Talente, Gouverneure wie Larry Hogan aus Maryland und Charlie Baker aus Massachusetts gehören dazu, auch die Senatoren Tom Cotton aus Arkansas, Marco Rubio aus Florida und Ben Sasse aus Nebraska. Auch Paul Ryan, bis 2018 Parlamentspräsident und 2012 Running Mate von Mitt Romney, ist ein Comeback zuzutrauen. Mit ihrer wenngleich späten, aber dafür konsequenten Abwendung von Donald Trump haben Vizepräsident Mike Pence und Mitch McConnell, der republikanische Mehrheitsführer im Senat, die politische Richtung vorgegeben. Das strategische Dilemma der Republikaner ist damit nicht aufgelöst, aber man kann diesen Weg weitergehen.

Versagen der Polizei

Der Sturm auf das US-Parlament wirft berechtigte Fragen zum Sicherheitskonzept auf. Es war bekannt, dass sich Tausende Trump-Anhänger zu Protesten in Washington, DC treffen würden. Sie hatten sich in Chat-Foren wie Parler, Rumble, MeWe, Telegramm und Discord verabredet. Sie wurden weder vorab bei der Anreise kontrolliert noch wurde von der Polizei ein präventives Sicherheitsmanagement umgesetzt. Am Tag selbst waren die Sicherheitsdienste, insbesondere die für den Schutz des Parlaments verantwortliche U.S. Capitol Police, überfordert. Verstärkungen waren im Vorfeld von der Trump-Administration abgelehnt worden, es gab keine nicht-sichtbare Polizeipräsenz in Nebenstraßen, die bei Bedarf hätte hinzugezogen werden könnten. Eine Bannmeile wurde nicht verhängt. Donald Trump verfolgte die zugespitzte Lage ungerührt vor dem Fernseher. Es war Mike Pence vorbehalten, das Krisenmanagement zu übernehmen und zusätzliche Sicherheitskräfte anzufordern. Es gelang am Abend, das Kapitol zu räumen und die Kongress-Sitzung fortzusetzen. Die Nacht und die nächsten Tage in Washington blieben ruhig. Die Chefs der Parlamentspolizei nehmen ihren Hut und Ermittlungen in den nächsten Wochen werden das Versagen der Polizei aufrollen. Im Raum steht der schwerwiegende Verdacht, dass Präsident Trump interne Anweisungen gab, seine Anhänger sanft zu behandeln und die Proteste polizeilich nicht zu blockieren. Hinweise auf Doppelstandards in der öffentlichen Sicherheit scheinen auch nicht unbegründet. Während man auf linke Proteste der Black Lives Matter-Bewegung mit martialischer Sicherheitspräsenz reagierte, wurden die Demonstrationen gewaltbereiter Trumpisten wohlwollend geduldet. 

Internationaler Ansehensverlust Amerikas

Die skurrilen Bilder des Angriffs auf die US-Demokratie gingen um die Welt. Sie verstärken den globalen Ansehensverlust Amerikas, wirken sie doch wie Aufnahmen aus einer Bananenrepublik. In Moskau und Beijing, den geopolitischen Antagonisten einer regel- und wertebasierten freiheitlichen Weltordnung, spricht man Washington die Legitimation ab, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu vertreten. Zweifellos waren die Ereignisse vom 6. Januar ein Rückschlag für Amerikas globale Führungsrolle. Doch letztlich ist festzuhalten: Amerikas Institutionen haben auch diese Krise bestanden, trotz Putschversuch von Donald Trump, trotz überforderter Sicherheitskräfte, trotz Gewalt im Kapitol. Der Verfassungsweg nahm seinen Gang, Recht wurde gesprochen, Joe Bidens Wahlsieg wurde bestätigt. Amerikas Demokratie ist geschwächt, aber sie lebt.

Leiter Institut für Europäischen und Transatlantischen Dialog

Dr. Wolf Krug