Afrika als schnell wachsender Kontinent und geographischer Nachbar mit hohem Entwicklungspotential wird immer wichtiger für Europa. Die Herausforderungen sind gewaltig: Während teilweise anti-westliche Militärregierungen nach Umstürzen jüngst zugenommen haben, und es an stabilen Governance-Strukturen mangelt, die für effektive Wirtschaftshilfe und private Investitionen unerlässlich sind, droht die Migration nach Europa trotz Abkommen mit nordafrikanischen Staaten zu explodieren. Europa braucht Afrika. Es geht nicht nur um faire Rohstoffsicherung, sondern auch um grüne Energie für Europa und daraus resultierend Klimapartnerschaften. Doch überall befindet sich Europa im Wettbewerb mit der global ausgreifenden Wirtschaftsmacht China und dem für Destabilisierung sorgenden Aggressor Russland. Welche Antworten findet Europa in dieser geopolitischen Konstellation auf die mannigfaltigen Herausforderungen in der Zusammenarbeit mit dem afrikanischen Kontinent, wie kann eine strategische und gleichberechtigte Partnerschaft mit Entwicklungschancen für beide Kontinente entstehen?
Treffen der HSS-Delegation mit dem HSS-Vorsitzenden Markus Ferber MdEP (v.l.n.r. Dr. Thomas Leeb, Julia Stanyard, MdEP Markus Ferber, Ottilia Maunganidze, Dr. Jakkie Cilliers, Hanns Bühler)
Mit Zukunftsszenarien für Afrika und Russlands dortigen Einfluss beschäftigte sich die Think-Tank-Delegation des Stiftungsbüros Südafrika, die zu einem vertieften Austausch mit Europas Politik und Institutionen nach Brüssel und später nach Berlin reiste. Dabei setzen Dr. Jakkie Cilliers und Ottilia Maunganidze vom Institute for Security Studies und Julia Stanyard von der Global Initiative Against Transnational Organized Crime den bereits im Februar in Brüssel begonnenen Dialog mit dem Stiftungs-Vorsitzenden Markus Ferber, MdEP, fort.
Einig war man sich darin, dass Europa von der französischen Einflusspolitik abrücken und eine echte, gemeinsame EU-Politik und Afrika-Strategie entwickeln müsse. Eingangs wies Markus Ferber deutlich auf die Problemlage für Europa hin. Der nach den jüngsten Umstürzen vergrößerte „Gürtel instabiler Staaten, der vom Indischen bis zum Atlantischen Ozean reicht, wird zu mehr Instabilität in der gesamten Region und damit zu vermehrter Migration nach Europa führen“. Daher gelte es weiterhin, mit jenen nordafrikanischen Regierungen zusammen zu arbeiten, die zwar (noch) nicht westlichen Standards entsprechen, aber aufgrund ihrer stabilen staatlichen Strukturen Vertragsverpflichtungen, wie aus dem mit Tunesien abgeschlossenen Memorandum of Understanding, umsetzen könnten. Zum Thema der für die wirtschaftliche Entwicklung Afrikas so wichtigen Handelsabkommen mit Europa äußerten sich die Gesprächsteilnehmer in ähnlicher Weise. Bei 55 heterogenen Staaten in Afrika sei ein pan-afrikanischer Kooperationsansatz nicht möglich, besser sei es, mit jenen Staaten, die können und wollen, Abkommen zu schließen. Immer wieder wurde die Wichtigkeit von verlässlichen Regierungsstrukturen für die Entwicklung des afrikanischen Kontinents hervorgehoben, der auch private Investitionen in Afrika ermögliche und gleichzeitig den Abfluss immenser Geldanlagen ins nicht-afrikanische Ausland verhindere.
Auf einer öffentlichen Konferenz setzten die Experten zusammen mit Rita Laranjinha vom Europäisches Auswärtigen Dienst und Prof. Dr. Nina Wilén vom Egmont Royal Institute for International Relations ihre Diskussion zusammen mit rund 150 Interessierten fort. Dabei wurden folgende Inhalte thematisiert: der russische Einfluss in Afrika, Afrikas Entwicklungspotenziale und die EU-Afrika-Beziehungen.
Podiumsdiskussion am 5. September 2023 in Brüssel zum Thema „Afrika zwischen West und Ost - Globale Machtverschiebungen, die Wagner-Gruppe und eine europäische Antwort“
Die Wagner-Gruppe ist ein wichtiges Instrument für Moskau seine Einflussnahme in Afrika zu stärken. Wagner agiert nicht nur im militärischen Bereich, sondern nimmt auch propagandistisch, politisch und wirtschaftlich Einfluss. Dabei bewegen sie sich im „Graubereich“ zwischen legalen und illegalen Aktivitäten. Mit dem Tod des Wagner-Chefs Jewgeni Prigoschin ist die Zukunft der Söldnertruppe ungewiss. Bisher lasse sich jedoch, laut Julia Stanyard, nicht erkennen, dass Wagner-Truppen aus afrikanischen Ländern abziehen. Daher sei es vorstellbar, dass Wagner in ähnlichen Formen wie bisher weiter agieren wird.
Russland nutzte auch den zweiten Russland-Afrika-Gipfel, der am 27. und 28. Juli 2023 in St. Petersburg stattfand, um sein Narrativ zu festigen. Mit ihrer Teilnahme signalisierten die afrikanischen Vertreter dem Westen, dass Afrika sich nicht vorschreiben lässt, mit wem es zusammenarbeitet. Trotzdem solle man die russische Rolle nicht überschätzen. So nahmen nur 17 von 54 Staatchefs an dem Gipfel-Treffen teil.
Dr. Jakkie Cilliers zeigte während der Konferenz verschiedene Szenarien über die Entwicklungsaussichten und die Potenziale Afrikas auf. Das größte Potenzial liege dabei in der Unterstützung des innerafrikanischen Handels, der aktuell weniger als ein Fünftel des afrikanischen Handels ausmacht, und in der Modernisierung landwirtschaftlicher und industrieller Produktion. Digitalisierung sowie die Erschließung von mehr Finanzmitteln und günstigeren Schulden seien ebenfalls essenziell.
Afrika ist ein wichtiger Partner für die EU. Die „EU-Afrika-Strategie“ von 2020 verfolgt das Ziel, eine „Partnerschaft auf Augenhöhe“ zu schaffen und gemeinsame Interessen in den Mittelpunkt einer vertieften Kooperation zu stellen. Außerdem unterstützt Brüssel die afrikanischen Staaten durch öffentliche Entwicklungshilfe und dabei, ihre Stimmen im internationalen System, wie bei G20, zu stärken.
Aktuelle Dynamiken, wie der Tod von Prigoschin, die Erweiterung der BRICS-Staaten und den Putsch in Niger, müssen bei der EU Außen- und Entwicklungspolitik noch stärker Berücksichtigung finden. Die jüngsten Entwicklungen zeigen, dass auch wenn Russland von einigen Autokraten und Militärjuntas durchaus als attraktiver Partner wahrgenommen wird, Russland Afrika als Ganzem bei den Themen Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung langfristig kein echtes Angebot unterbreiten kann. Dies sind die Bereiche, in denen die EU zukünftig verstärkt anknüpfen sollte durch eine systematische Integration der Entwicklungs- und Wirtschaftsaußenpolitik und eine angemessene Kommunikationsstrategie.