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Belarus
Der schwierige Kampf für die Freiheit

In Belarus kommt es seit den vermutlich manipulierten Wahlen vom 9. August zu landesweiten Massenprotesten und Streiks. Das Lukaschenko-Regime geht mit unverhältnismäßiger Härte gegen die Protestierenden vor. Russland sieht Belarus als seinen Einflussbereich an und warnt die EU, die das Wahlergebnis nicht anerkennt, vor einer Einmischung.

Seit 26 Jahren ist Präsident Alexander Lukaschenko – häufig auch als “letzter Diktator Europas“ bezeichnet – in Belarus an der Macht. Seit den höchstwahrscheinlich gefälschten Wahlen vom 09. August 2020 (nach offiziellen Angaben der staatlichen Wahlleitung gewann Lukaschenko mit 80,2%, auf seine Oppositionsgegnerin Swetlana Tichanowskaja entfielen 9,9%) kommt es zu anhaltenden friedlichen Massenprotesten und Streiks. Diese sind weder als anti-russisch noch als dezidiert pro-europäisch einzustufen. Russland sieht Belarus als seinen Einflussbereich an und warnt die EU, die das Wahlergebnis nicht anerkennt, vor einer Einmischung. Das Regime geht derweil mit unverhältnismäßiger Härte gegen die Protestierenden vor. Mittlerweile gab es über 10.000 Verhaftungen – einige der Festgenommenen sind bis heute verschwunden, viele werden in den Gefängnissen misshandelt, einige starben. Im Kontext der Gewalt ist es nicht verwunderlich, dass sich Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja nach der Wahl aus Sicherheitsgründen ins benachbarte Litauen absetzte. Am 23. September ließ sich Lukaschenko überraschend erneut als Präsident vereidigen. Die Opposition erkennt die Rechtsmäßigkeit der Amtseinführung nicht an.

Eine unüberblickbar große Menschenmenge mit vielen Flaggen der belarussischen Opposition. Gedränge, Dynamik, Masse

Die belarussische Opposition hat einen Nationalen Koordinierungsrat (KR) gegründet, der versucht die Streiks und Proteste zu koordinieren und mit dem Regime zu verhandeln. Forderungen des Rates sind: Anerkennung Tichanowskajas als Siegerin der Wahlen, Rücktritt Lukaschenkos, Freilassung politischer Gefangener und: freie und faire Neuwahlen.

A_Matskevich; ©0; Pixabay

EU-Sondergipfel und der Einfluss der Oststaaten

Der Europäische Rat erkennt nach seinem Sondergipfel vom 19. August das Wahlergebnis in Belarus nicht an und bereitet Sanktionen gegen etwa 40 Verantwortliche und Lukaschenko-Vertraute vor. Aufgrund der Uneinigkeit der EU-Mitgliedstaaten untereinander steht die Inkraftsetzung der Sanktionen noch aus.  

Maßgebliche Befürworter der Sanktionsforderungen sind vor allem die Visegrád-Gruppe sowie die baltischen Staaten. Vor allem die EU-Oststaaten sind stark mit der belarussischen Zivilgesellschaft verbunden und pochen auf eine baldige Lösung des Konflikts. Im Zuge dessen verhängten die baltischen Staaten als unmittelbare Anrainer ein Einreiseverbot für Lukaschenko sowie für 29 seiner Unterstützer. Weiterhin ist geplant, das belarussische Atomkraftwerk in Astravets zu boykottieren, sobald dieses ans Netz geht. Unter Federführung Polens plant die Viségrad-Gruppe, auf einem der nächsten EU-Gipfel einen “Marshall-Plan für Belarus“ vorzustellen. Das Abkommen zur Unterstützung des Landes soll eine Milliarde Euro umfassen und zur Verfügung stehen, sobald demokratische Wahlen im Land abgehalten werden.

Die belarussische Opposition

Die belarussische Opposition hat einen Nationalen Koordinierungsrat (KR) gegründet, der versucht die Streiks und Proteste zu koordinieren und mit dem Regime zu verhandeln. Primäre Forderungen des Rates sind die Anerkennung Tichanowskajas als Siegerin der Präsidentschaftswahlen, der Rücktritt Lukaschenkos, die Freilassung politischer Gefangener sowie freie und faire Neuwahlen. Maria Kolesnikowa, eine Vertreterin des Oppositionstrios, kündete die Gründung der Oppositionspartei Wmestje (Miteinander) an. Gerade dieser Vorschlag verdeutlicht leider die sehr unterschiedlichen Positionen der Opposition. Tichanowskaja lehnt die Parteigründung mit dem Argument ab, weil dies von der eigentlichen Forderung der Opposition – nämlich Neuwahlen – ablenken würde.

Lukaschenkos Regime

Um sich an der Macht zu halten, ist das Regime bemüht, eine effektive Koordination und Abstimmung zwischen der Oppositionsspitze und den Präsidiumsmitgliedern des KR zu verhindern. Mittlerweile wurden alle Präsidiumsmitglieder des Rates gezwungen, ihre Arbeit vor Ort einzustellen – drei wurden ins Ausland getrieben; vier sitzen in Haft. Der Versuch, Kolesnikowa zwangsauszuweisen, scheiterte. Sie befindet derzeit in Untersuchungshaft.

Lukaschenko verweigert weiterhin jede Form des Dialogs und jedes Vermittlungsangebot, zeigte sich aber formal offen für Verfassungsänderungen und daran anschließende Wahlen. Gegen den KR ermittelt derzeit die Staatsanwaltschaft, da er aus Sicht des Regimes eine Gefährdung für die nationale Sicherheit darstellt. Der von der Opposition gegründete Solidaritätsfonds wurde ebenfalls als gesetzwidrig eingestuft.

Die Polizei hat die Aufgabe sämtliche rot-weißen-Fahnen – das omnipräsente Symbol der oppositionellen Kräfte – zu entfernen. Auf diese Weise versucht das Regime die Spuren seiner Gegner in den Städten zu verwischen. Weiterhin wird Druck auf die eigene Bevölkerung ausgeübt, indem beispielsweise Eltern gedroht wird, ihnen, im Falle der Partizipation an den Protesten, ihre Kinder wegzunehmen. Durch die Verbreitung von Angst und die Eliminierung oppositioneller Insignien aus dem öffentlichen Raum soll jegliche Hoffnung auf einen Wandel vermieden werden. Dazu wurde die Staatsspitze „KGB-isiert“, indem die Posten des Leiters der Präsidialverwaltung und des Sicherheitsrates mit Geheimdienstvertretern besetzt wurden.

Historisch bedingt ist die belarussische Wirtschaft immer noch zu großen Teilen vom Staat abhängig. Die jahrelange wirtschaftliche Stagnation des Landes und die zusätzliche ökonomische Belastung durch die Corona-Pandemie könnten dem Staat erhebliche Liquiditätsprobleme bereiten. Zudem unterhält Lukaschenko ein klientelistisches Machtsystem. Gesetzt dem Falle, dass der Regierung das Geld ausgeht, könnte es sein, dass sich einige Unterstützer von ihm abwenden. Bei einem Treffen zwischen Putin und Lukaschenko am 14. September in Sotchi, wurde dem belarussischen Machthaber ein Überbrückungskredit von über $1,5 Milliarden in Aussicht gestellt. Dadurch ist der Machterhalt Lukaschenkos zumindest finanziell kurzfristig gesichert.

Die Rolle Russlands

Aufgrund historischen und ökonomischen Verflechtungen sieht Russland Belarus als seinen unmittelbaren Einflussbereich an und stützt das Lukaschenko-Regime, unter anderem durch die Entsendung von Medienexperten. Überdies warnte Moskau die EU bereits mehrfach vor einer Einmischung. Um den Einfluss Russlands in Belarus auszubauen, führten beide Länder am 22. September das zweite gemeinsame Militärmanöver im westlichen Belarus durch. Geplant ist ein monatlicher Turnus dieser Übungen. Experten befürchten, dass die Manöver zu einem schleichenden Aufbau einer russischen Militärpräsenz in Belarus führen könnten. Taktisch scheint es jedoch unklug, wenn Putin Lukaschenko offen militärisch unterstützen würde. Die Wahrscheinlichkeit, dass er damit den Unmut der belarussischen Bevölkerung auf sich zieht, wäre groß.

Moskau steht weiterhin vor einem Dilemma: Erstens könnte es sein, dass aufgrund des mangelnden Rückhalts innerhalb der belarussischen Bevölkerung Lukaschenko nicht mehr lange zu halten ist. Zweitens gilt es - aus Putins Sicht - eine pro-westliche Regierung in Belarus zu verhindern. Tichanowskaja als geopolitisch neutrale Nachfolgerin zu installieren, wäre für Putin zu riskant, da er sich nicht sicher sein kann, welchen politischen Kurs sie einschlagen würde. Tendenzen für einen pro-europäischen Kurs lassen sich zumindest erahnen, da sie in das EU-Land Litauen flüchtete. Um dies zu verhindern könnte Moskau unter Umständen versuchen, Belarus in eine quasi russische Verwaltungszone zu verwandeln. Dadurch könnte einerseits ein möglicher pro-europäischer Einfluss verhindert, aber andererseits auch der bereits 1990 vertraglich beschlossene Unionsstaat endgültig vollzogen werden.

Die Frauen in Weiß

Bei den Massenprotesten handelt es sich um eine in starkem Maße durch Frauen getragene und von Frau Tichanowskaja inspirierte Anti-Lukaschenko Bewegung. Die Frauen kleiden sich in Weiß, bilden Menschenketten und fordern ein friedliches Ende des gewaltsamen Niederschlagens der Proteste. Gerade der Widerstand der belarussischen Frauen at das Regime in jeder Hinsicht überrascht. Beobachter sprechen im Zuge dessen von einer weiblichen Revolution. Seit dem 15. September geht das Lukaschenko-Regime jedoch dazu über, auch Frauen zu verhaften. Dies ist seit den ersten Massenprotesten Anfang August eine Neuheit.

Autorin: Christiane von Czettritz und Neuhaus, HSS

Leiter Institut für Europäischen und Transatlantischen Dialog

Dr. Wolf Krug