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Der Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina im Interview
"Es gibt eine Perspektive für das Land"

Autor: Maximilian Witte

Christian Schmidt wusste, dass keine einfache Aufgabe vor ihm lag, als er 2021 das Amt des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina übernahm. Seitdem hat er viel erreicht, um die Region zu stabilisieren und besonders den sozialen Frieden innerhalb des Kosovo zu fördern. Es gab viel Lob für seine Arbeit, aber auch Kritik. Wie sieht Christian Schmidt selber seine bisherige Amtszeit?

Christian Schmidt lächelt verhalten in die Kamera.

Als "Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina" arbeitet Christian Schmidt, CSU, seit 2021 daran, vor Ort die Umsetzung der Vereinbarungen des Dayton Abkommens zu sichern. Mit dem Abkommen konnte der Krieg in Bosnien und Herzegowina 1995 beendet werden.

©HSS

HSS: Herr Schmidt, Sie haben gerade auf dem Europa-Dialog der Hanns-Seidel-Stiftung über Interessen und Werte auf dem Westbalkan gesprochen. Seit Dezember vergangenen Jahres ist Bosnien-Herzegowina offiziell Beitrittskandidat für die EU. Was für einen Einfluss erwarten Sie sich aus diesem Schritt auf die internen Spannungen im Land?

Christian Schmidt, CSU: Es ist ein sehr wichtiges Signal an die Menschen hier. Es gibt eine Perspektive für das Land, einen Weg aus dem Dauerstillstand. Es stimmt, es gibt politische Spannungen, aber wir haben da oft eine verzerrte Perspektive in Bezug auf Bosnien-Herzegowina. Die Rhetorik der politischen Klasse, die mit gefühlter Dauererregung den Status Quo erhalten möchten, in dem sie sich gut eingerichtet haben ist eine Sache. Die andere Sache ist der Alltag der Menschen hier. Und da ist das große Thema nicht der vorgebliche Konflikt zwischen den Volksgruppen, sondern Auswanderung. Es findet ein regelrechter Exodus statt. Jedes Jahr verlassen zehntausende meist junger, gut ausgebildeter Leute das Land in Richtung EU. In einem Land mit wahrscheinlich nicht einmal mehr drei Millionen Einwohnern ist das eine existenzielle Herausforderung. Das ist das wahre Problem in Bosnien-Herzegowina. Und der Kandidatenstatus als Symbol für Fortschritt in Richtung EU-Integration ermutigt hoffentlich viele im Land zu bleiben und es nach vorne zu bringen.

HSS: Sie arbeiten als Hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft für Bosnien – Herzegowina daran, dem Dayton Abkommen Geltung zu verschaffen und so den Frieden in der Region zu sichern. Was waren die größten Herausforderungen dabei seit Ihrem Amtsantritt im August 2021?

Mittlerweile stelle ich fest: das Amt ist eine einzige Herausforderung. Angefangen mit den Versuchen der Republika Srpska, einer der beiden Entitäten in Bosnien-Herzegowina, mir gleich bei meinem Amtsantritt am 1. August 2021 zu erklären, dass es mich gar nicht gäbe, bis hin zu den Blockaden in der Politik im Zusammenhang mit dem Streit um die Reformen des Wahlgesetzes. Über Jahre hatte die ethnisch ausgerichtete kroatische Partei HDZ versucht ihre Vorstellungen mit Blockade durchzusetzen. Seit den Wahlen kämpft auch die ethnisch bosniakische Partei SDA darum, Einfluss zu behalten.
Die bislang schwierigste Entscheidung war eine Änderung in der Verfassung und im Wahlgesetz der Föderation, eine der zwei Entitäten in Bosnien-Herzegowina. Damit habe ich die Dauerblockade in der Föderation aufgelöst. Die Föderation hatte zuvor eine komplette Wahlperiode über eine geschäftsführende Regierung, ein stillstehendes Parlament und ein handlungsunfähiges Verfassungsgericht. Die Verlierer der Wahl haben die Schuld für ihre Wahlergebnisse dann nicht bei sich selbst gesucht, sondern bei Dritten, auch bei mir oder den USA oder der EU.
Die von den Parteien kontrollierten Medien in Bosnien-Herzegowina und die eine oder andere Lobbygruppe im Ausland haben hier Stimmung gemacht und auch mich mit einer teilweise unakzeptablen Rhetorik persönlich angegriffen. Zum Glück lernt man im Gespräch mit den Menschen im Alltag, dass die Wahrnehmung anders ist als das verbreitete Bild. Auf dem Balkan darf man nicht aus Zucker sein. Der Vorsitzende der Islamischen Gemeinde sagte zu mir: „Herr Schmidt, nehmen Sie das nicht persönlich. Vergessen Sie nicht: hier ist der Balkan“.

HSS: Was für eine Rolle spielen die erneut eskalierten Spannungen zwischen Serbien und dem Kosovo in dieser Gemengelage für Ihre Arbeit?

Alles hängt auf dem Balkan mit allem zusammen. Spannungen auf dem Kosovo sind schlecht für die Stabilität der gesamten Region. Die Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo fallen nicht in meine Zuständigkeit, aber es ist klar, dass ein stabiles und vernünftiges Verhältnis zwischen dem Kosovo und Serbien für den gesamten Westbalkan entscheidend ist. Deswegen hoffe ich, dass die Vernunft siegt. Vielleicht darf ich darauf hinweisen, dass die Verantwortung für die derzeit schwierige Situation nicht ausschließlich auf einer Seite zu suchen ist. Es gibt auf dem Balkan zwischen Schwarz und Weiß hunderte von Grautönen. Was Bosnien-Herzegowina betrifft, war der serbische Präsident Aleksandar Vucic bislang ein recht verlässlicher Ansprechpartner, das muss ich sagen. Er ist, soweit ich das beurteilen kann, auch kein großer Anhänger der Rhetorik und des Verhaltens des Präsidenten der Republika Srpska, Milorad Dodik, der konstant mit Abspaltungsphantasien hantiert.

HSS: Im Oktober haben Sie das Wahlgesetz ändern lassen. Von den USA und westlichen Stimmen haben Sie ja viel Zuspruch dafür bekommen. Was haben Sie damit bezweckt und warum war der Zeitpunkt der Bekanntgabe so brisant?

Die Föderation war seit Jahren blockiert, das musste enden, darin waren sich alle einig, auch die lokalen Akteure. Aber es war keine Lösung in Sicht, also musste ich aktiv werden. Am Wahltag das Wahlgesetz zu ändern ist naturgemäß sensibel. Andererseits: ich hatte nicht viele Optionen. Es musste etwas geschehen, insbesondere mit Blick auf die Chance den Kandidatenstatus der EU zu erhalten.  Den heimischen Politikern ist es trotz langwieriger Verhandlungen und internationaler Assistenz nicht gelungen sich auf Reformen zu einigen – obwohl bis zuletzt beteuert wurde, ein Durchbruch stünde kurz bevor. Das geht übrigens seit insgesamt gut 15 Jahren so. Als klar war, dass es keine Lösung geben wird, war es Sommer, kurz vor dem Wahlkampf. Das hätte aber bedeutet, die Entscheidungen des Hohen Repräsentanten wären das einzige Wahlkampfthema geworden und andere Sachthemen hätten keine Chance gehabt. Nach dem Wahltermin am 2. Oktober aktiv zu werden war ebenfalls keine Option. Es hätte ausgesehen, als wäre ich mit dem Wahlergebnis unzufrieden und wollte nachträglich korrigieren. Der einzig mögliche Termin war also Wahltag, der 2. Oktober nach Schließung der Wahllokale und vor den ersten Hochrechnungen.

HSS: Ihre Aufgabe ist ja nicht erst seit Beginn von Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine sehr komplex. Hat seit Kriegsbeginn die russische Einflussnahme in der Region zugenommen und wie sehen Sie die Rolle des Wahlgewinners vom Oktober 2022, Milorad Dodik von der national eingestellten SNSD?

Wie viel und was genau Putin in Bosnien-Herzegowina macht ist Gegenstand vieler Spekulationen. Sicher ist: die Destabilisierung europäischer Staaten durch Unterstützung radikaler Kräfte ist ein strategisches Ziel, das er seit langem verfolgt. In Bosnien-Herzegowina, das ist mein persönlicher Eindruck, hat der Ukraine-Krieg dieses Ziel durchkreuzt. Die Menschen hier und zwar überall im Land, wissen, was Krieg bedeutet und haben nicht die geringste Neigung, das noch einmal zu erleben. Offenkundig hat Putin Einfluss auf Milorad Dodik, aber der hat sich möglicherweise verrechnet. Der Bündnispartner Vladimir Putin ist nicht mehr viel wert, seit dem Ukraine-Krieg und trotz massiver Propaganda ist es Dodiks Partei nicht gelungen, die Menschen in der Republika Srpska für Putins Sache zu begeistern. Die Menschen schicken ihre Kinder nicht als Freiwillige an die Front an den Dnjepr sondern nach München, Wien, Dublin oder Stockholm, um dort ein besseres Leben zu finden. Dodik hat alle Chancen verpasst sich eine Hintertür offen zu lassen. Wir werden sehen wohin ihn sein Weg führt. Womöglich überschätzt er sich und seine Optionen.

HSS: Blicken wir auf das neue Jahr. Was sind Ihre größten Aufgaben für 2023 in Ihrem Amt?

Bosnien Herzegowina hat mit dem Erhalt des EU-Kandidatenstatus eine einmalige Chance – die muss es nutzen. Es gibt viele Reformen, die angegangen werden müssen und ich werde helfen, wo ich kann. Die Menschen hier haben eine Perspektive, ein besseres Leben verdient. Was den Menschen hilft und ich leisten kann, werde ich tun.

HSS: Herr Schmidt, haben Sie vielen Dank für Ihre Zeit.

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: Susanne Hornberger
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Susanne Hornberger
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