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Politischer Kommentar
Der G20-Gipfel in Hamburg aus russischer Sicht

Autor: Jan Dresel

In Moskau wurden Geschäftstermine unterbrochen und Besprechungen kurzzeitig ausgesetzt, um die Nachricht zu verkünden: Trump und Putin hatten am Rande des G20-Gipfels in Hamburg statt der angesetzten halben Stunde zwei Stunden und fünfzehn Minuten zusammengesessen. Was für die meisten internationalen Beobachter zwar bemerkenswert, aber doch eher eine Randnotiz war, stellte aus der Sicht so mancher russischer Medienvertreter eine kleine Sensation dar.

Der G20-Gipfel brachte Ernüchterung statt Erfolgsnachrichten.

Der G20-Gipfel brachte Ernüchterung statt Erfolgsnachrichten.

Bluesnap; CC0; Pixabay

Persönlichkeiten wichtiger als Inhalte

So verständlich die positive Reaktion auf das lange erwartete erste persönliche Treffen der beiden Präsidenten auch war, so wenig kann sie darüber hinwegtäuschen, dass die inhaltlichen Ergebnisse des G20-Gipfels auch aus russischer Sicht ernüchternd sind. Dass Trump sich mit Putin zunächst auf die Einsetzung einer Cyber-Arbeitsgruppe einigte, nur um tags darauf wieder zurück zu rudern, dürfte in Moskau trotz der gelassenen Reaktion des Kremls (Trump stehe eben unter Druck) nicht gut angekommen sein. Die Unberechenbarkeit des US-Präsidenten trifft die Russen umso härter, als ihr eigener Staatspräsident in der Vergangenheit immer wieder mit seiner eigenen Unberechenbarkeit kokettiert und damit aus russischer Sicht durchaus Erfolg hatte, wie das Vorgehen auf der Krim sowie in der Ost- und Südukraine zeigt. Dabei spielt es für Russland keine Rolle, ob der Rückzieher Trumps eher auf seine Unerfahrenheit als US-Präsident oder auf die politischen Zwänge zurückzuführen ist, die ihm das politische System der Vereinigten Staaten von Amerika mit der gegenseitigen Kontrolle von Regierung, Parlament, Gerichtswesen und Medien auferlegt.

In Hamburg schienen Trump und Putin, aber auch die Präsidenten anderer G20-Staaten wie Recep Erdoğan oder Emmanuel Macron mehr Wert auf bilaterale Treffen zu legen als auf konkrete Ergebnisse in den Kernbereichen Handel, Klimaschutz, Migration, Kampf gegen den Terror, Entwicklungspolitik, Gesundheit, Digitalisierung und Frauenrechte. Das russische Staatsfernsehen und die wichtigsten russischen Print- und Onlinemedien berichteten am Wochenende des G20-Gipfels fast ausschließlich über Putins Pressekonferenz gegen Ende des Treffens und über die bilateralen Gespräche des Kremlchefs am Rande des Gipfels. Auch Wladimir Putin selbst äußerte sich vornehmlich zu bilateralen Themen. Trump habe ihm seine Erklärung abgenommen, dass Russland sich nicht in die US-Präsidentschaftswahlen 2016 eingemischt habe. Das einzige konkrete Ergebnis des Gesprächs zwischen Putin und Trump dürfte derweil die Waffenstillstandsvereinbarung für den Südwesten Syriens bleiben, die bereits im Vorfeld des G20-Gipfels von Vertretern der USA, Russlands und Jordaniens ausgehandelt worden war. Die Umsetzung dieser Vereinbarung wird auch in Russland von manchen als sehr schwierig eingeschätzt. So bezeichnet die russische Tageszeitung Wedomosti die Vereinbarung als „Schau-Waffenstillstand“¹, dessen Stabilität maßgeblich von der Regionalmacht Iran abhänge.

Der Westen und Russland werden weiter im Gespräch bleiben.

Der Westen und Russland werden weiter im Gespräch bleiben.

tpsdave; CC0; Pixabay

Kein Durchbruch, aber Gesprächsbereitschaft

Abgesehen von Syrien sprachen Trump und Putin in Hamburg auch über den Ukrainekonflikt, ohne allerdings konkrete Ergebnisse zu erzielen. Bei der bereits erwähnten Pressekonferenz zeigte sich der russische Präsident eher unversöhnlich und sprach von „Russlandfeindlichkeit“ der ukrainischen Behörden. US-Außenminister Rex Tillerson wiederum unterstützte bei seinem Besuch in Kiew unmittelbar nach dem G20-Gipfel die Haltung der ukrainischen Regierung, die von Russland den ersten Schritt zur Lösung des Konflikts erwarte. Gegenseitiges Verständnis sieht freilich anders aus. Und auch das Verhältnis zwischen Russland und der NATO bleibt angespannt. In einem Kommentar für die Nesawissimaja Gaseta schreibt Wladimir Muchin, dass der Westen auch nach dem G20-Gipfel Russland für einen „potenziellen Aggressor“² hält und dass die NATO und die Ukraine ihre Ostgrenze zusätzlich verstärken würden. Dementsprechend gedämpft waren bereits in Hamburg die Erwartungen an das jüngste Treffen des NATO-Russland-Rats gewesen, das am 13. Juli tatsächlich ohne greifbare Ergebnisse in der Ukraine-Frage zu Ende gegangen ist.

Auch wenn ein echter Durchbruch in Hamburg ausblieb, waren sich die Mitglieder des Normandie-Formats einig, dass eine neue Agenda für das Format ausgearbeitet werden soll. Der Westen und Russland werden also weiter im Gespräch bleiben – nicht mehr als ein Minimalkonsens, aber nach dem eisigen Verhältnis von Putin und Obama vielleicht die Grundlage für einen etwas vertrauensvolleren Umgang zwischen den USA und Russland. Und was eine mögliche Konfliktlösung in der Ukraine betrifft, so scheinen die Beobachter auf russischer Seite sowieso eher auf die Vermittlung der Europäer zu setzen als auf die der USA; nicht wenige in Russland vertrauen darauf, dass sich der neue französische Präsident ungleich mehr im Normandie-Format einbringen wird als sein Vorgänger. Passenderweise hat Macron bereits nach zwei Monaten im Amt ein hervorragendes Verhältnis zu Angela Merkel, das sich nach außen hin durch die vielzitierte Begrüßung mit Küsschen manifestiert. Auch Trump schätzt Macron als charismatischen Erneuerer und Reformer und scheint ihm noch nicht einmal übelzunehmen, dass er nach Trumps Aufkündigung des Pariser Klimaabkommens dessen ehemaligen Wahlkampfslogan öffentlichkeitswirksam paraphrasierte und daraus „Make our planet great again“ machte. Sollte es Putin nun gelingen, sich endgültig aus seiner gefühlten Isolation bei den letzten G20-Treffen vor Hamburg zu lösen und die frisch geknüpften Kontakte zu Trump, Merkel und Macron nachhaltig auszubauen, so wäre dies eine ausgezeichnete Basis für die weitere Arbeit des Normandie-Formats.

Normandie-Format

Zum Normandie-Format gehören die Regierungschefs aus Deutschland, Frankreich, Russland und Ukraine. Das erste Mal trafen sie sich anlässlich des Jahrestages der Landung der Alliierten in der Normandie (D-Day 1944), im Juni 2014, um über Fragen im Ukraine-Konflikt zu beraten. Seitdem begleitet diese Kontaktgruppe die Konfliktlösung in der Ostukraine auf politischer Ebene.

Perspektiven für das deutsch-russische Verhältnis

Aus russischer Sicht spielen die konkreten Ergebnisse des G20-Gipfels ebenso eine untergeordnete Rolle wie die gemeinsame Abschlusserklärung. Damit wurden die Prioritäten der deutschen G20-Präsidentschaft für die russische Delegation zu Nebenschauplätzen. In der Sache unterstützte Russland die deutsche Agenda aber weitgehend, weil sich beide Seiten bereits im Vorfeld des Gipfels detailliert abgestimmt hatten. Selbst die Proteste gegen das G20-Treffen und die Reaktion der Sicherheitskräfte wurden von den russischen Medien nicht durchgängig negativ beurteilt. Während die Tageszeitung Rossijskaja Gaseta als Amtsblatt der russischen Regierungvon der „Hamburger Hölle“³sprach und der Polizei die Verantwortung für die Eskalation der Gewalt zuwies, äußerte sich die Nowaja Gaseta differenzierter und lobte den Einsatz der Polizei, da nur solche Demonstranten festgenommen worden seien, die tatsächlich randaliert hätten.4

Welche Perspektiven ergeben sich nun für die deutsch-russischen Beziehungen? Der G20-Gipfel hat gezeigt, dass eine Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern auch dann möglich ist, wenn beide Seiten ihre eigenen Prioritäten verfolgen. Letztendlich konnte die deutsche G20-Präsidentschaft in zentralen Fragen eher auf russische Unterstützung bauen als auf amerikanische. Darüber hinaus hat sich in den Tagen nach dem G20-Treffen beim informellen OSZE-Außenministertreffen im österreichischen Mauerbach einmal mehr das gemeinsame Interesse der deutschen und der russischen Regierung gezeigt, eine Schwächung der Rolle der OSZE speziell im Ukraine-Konflikt verhindern zu wollen. Und nicht zuletzt wird das vor Kurzem ausgerufene Jahr der kommunalen Partnerschaften zwischen Deutschland und Russland neue Möglichkeiten der zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit eröffnen. Der Dialog zwischen den beiden Ländern wird trotz der Problemfelder des Ukrainekonflikts und der Sanktionen fortgesetzt werden – und in ihm liegt die Konstante, die das Verhältnis der beiden Länder seit Langem prägt.

Jan Dresel, Regionalprojekt Frieden und Demokratie in Osteuropa
Jan Dresel
Projektleiter
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