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Herausforderungen in Zeiten von Brexit und schwierigen transatlantischen Beziehungen
Die Verteidigung Europas

Wie kann Europa seine Sicherheit garantieren? In der Nähe von Oxford hat das erste Treffen der "High-Level Study Group on the Future Defence of Europe" stattgefunden. Trotz Brexit-Chaos arbeiten hinter den Kulissen Briten und Kontinentaleuropäer weiter effizient und professionell zusammen. Als Europäer geht es für alle um den Erhalt der gemeinsamen Sicherheit und die Fähigkeit zur kollektiven Verteidigung.

Die Herausforderungen für die europäische Sicherheit sind in den letzten Jahren zahlreicher und vielfältiger geworden, besonders an Europas südlichen und östlichen Grenzen. Gleichzeitig verschlechtert sich das transatlantische Verhältnis zunehmend, die Forderungen der US-Regierung nach größerer Lastenteilung werden immer lauter, und Präsident Trump hat mehrfach das Prinzip der kollektiven Sicherheit in Frage gestellt beziehungsweise höhere Verteidigungsausgaben als Bedingung für Amerikas Beistandspflicht erklärt. Die Entscheidung der Briten, die Europäische Union zu verlassen, bedeutet, dass die EU demnächst einen ihrer erfahrensten und militärisch stärksten Mitgliedsstaaten verliert. Von Deutschland wird mehr Führungsstärke gefordert, doch eine sicherheitspolitische Debatte findet in der breiten Öffentlichkeit nur begrenzt statt.

Drei Männer vor HSS-Stellwand

Stellvertretender HSS-Vorsitzender, Christian Schmidt, MdB, mit Thomas Silberhorn, MdB und Minister Tobias Ellwood, MP.

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Vor diesem Hintergrund lud die Hanns-Seidel-Stiftung in Kooperation mit dem Internationalen Institut für Strategische Studien (IISS) Anfang März 2019 zu einer 2-tägigen Konferenz in die Grafschaft Buckinghamshire westlich von London ein. Fernab der Hauptstädte diskutierte eine hochrangige Expertengruppe aus führenden britischen und deutschen Verteidigungspolitikern und Wissenschaftlern die aktuelle Bedrohungslage für den Kontinent sowie die europäischen Fähigkeiten und Engpässe im Bereich der Verteidigungspolitik. Dabei teilten beide Seiten die Sorge über einen möglicherweise schleichenden Rückzug der USA aus Westeuropa und die zunehmende Untergrabung der multilateralen Strukturen durch die Trump-Administration. Auch der bevorstehende Brexit und dessen Auswirkungen speziell im Bereich der Sicherheitskooperation waren Teil der Debatte.

So wies der stellvertretende Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung und Bundesminister a.D., Christian Schmidt, MdB, gleich in seiner Eröffnungsrede darauf hin, dass sich die deutsch-britischen Beziehungen an einem crunch point befänden, es jedoch deshalb besonders in politisch herausfordernden Zeiten wichtig sei, fernab von medienwirksamen Gipfeltreffen den Fachdialog aufrecht zu erhalten und sich über wichtige Themen wie die Sicherheit und Verteidigung Europas offen und regelmäßig auszutauschen. Auch britische Vertreter stimmten zu, dass informelle Treffen im kleineren Rahmen die formalen Strukturen nicht unterminierten sondern sinnvoll ergänzten und die sicherheitspolitische Debatte dynamischer machten.

Zwei Männer geben sich vor einer HSS-Stellwand lächelnd die Hand.

Daniel Drake, Chef für Europäische-Atlantische Sicherheit im britischen Außenministerium und Björn Seibert (rechts), der Leiter des Leitungsstabes BMVg, haben sich intensiv über die deutsch-britische Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich besprochen.

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Risikofaktor Russland

Das in den letzten Jahren immer wieder debattierte Konzept der „strategischen Autonomie“ Europas hielten viele der Diskutanten für nicht zielführend, da es dabei oftmals mehr um den zu erreichenden Grad der Unabhängigkeit von den USA ginge und weniger um die militärischen Anforderungen, die eine Verteidigung der NATO Mitgliedsstaaten gegen einen ernstzunehmenden Aggressor bedeutete. Konsens bestand darüber, dass Russland momentan die größte Bedrohung für Europas Sicherheit darstelle, auch wenn Uneinigkeit darüber herrschte wie wahrscheinlich beispielsweise ein russischer Einmarsch im Baltikum tatsächlich sei.

Klar ist jedoch, dass Europa sich ohne die USA, die sie hauptsächlich für die Satellitenaufklärung und zur militärischen Abschreckung brauchen, nur unzureichend verteidigen kann. Es sei daher verständlich, dass sich einige besorgte osteuropäische Staaten durch bilaterale Verträge mit den USA absichern wollten. Solch bilaterale Absicherungen untergrüben jedoch das Prinzip der kollektiven Sicherheit nach Artikel 5 des NATO-Vertrags.

Insgesamt waren sich die Diskutanten einig darüber, dass Europa mehr tun müsse und es nicht nur bei Zusagen zu höheren Verteidigungsausgaben belassen könne. Dass die Budgetforderungen mittlerweile auch so eng mit der Person Trump verbunden seien, mache erhöhte Militärausgaben in Deutschland sowieso politisch schwer vermittelbar.

Zwei MÄnner an einem Konferenztisch

General Heinrich Brauss, stellvertretender Generalsekretär der NATO a.D. und Botschafter Sir Adam Thomson (rechts)

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Man könne der amerikanischen Regierung beispielsweise dadurch entgegenkommen, indem Europa die USA in Asien und dem Pazifik unterstütze und damit die Bereitschaft für ein globales Engagement signalisiere. Eine umfangreiche Fähigkeitsanalyse würde zeigen, dass die Europäer durchaus viele der durch einen möglichen amerikanischen Rückzug entstehenden Diskrepanzen selbst überwinden könnten. So wies auch der parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Thomas Silberhorn, MdB, in einer Rede auf Deutschlands militärischem Engagement in Mali hin. Sein britischer Amtskollege, der parlamentarische Staatssekretär, Rt. Hon. ("the Right Honourable") Tobias Ellwood, MP, fügte hinzu, dass es nicht zielführend sei, sich nur an Zahlen aufzuhalten, sondern die Allianz aufwachen und sich neuen Gefahren jenseits der NATO-Grenzen und im Bereich des Cyberspace stellen müsse.

Der Tenor der Diskussionen war wiederholt, dass wenn die Europäer es ernst meinen mit ihren verteidigungspolitischen Ambitionen, sie nicht nur einen stärkeren politischen und militärischen Willen zeigen sollten, sondern zunächst eine umfassende Gefahren- und Fähigkeitsanalyse stattfinden müsse, eine Art Reality-Check, bevor man eine gemeinsame Strategie entwickeln könne, sich den USA als strategischen Partner auf Augenhöhe zu nähern. Dass dabei die breitere Öffentlichkeit stärker eingebunden werden muss, macht die Aufgabe nicht leichter, ist jedoch unerlässlich.  Hierzu möchte die Hanns-Seidel-Stiftung einen Beitrag leisten und daher beim nächsten Expertentreffen Politikempfehlungen und Lösungsansätze im Bereich der Verteidigungspolitik erarbeiten.

Autor: Anja Richter, HSS-London

Leiter Institut für Europäischen und Transatlantischen Dialog

Dr. Wolf Krug