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Emmanuel Macron gewinnt Stichwahl
Ein schwieriger Sieg

Autor: Dr. Philipp Siegert

Emmanuel Macron gewinnt die Stichwahl um die französische Präsidentschaft und Europa atmet auf. Trotzdem: Die Politikverdrossenheit im Land bleibt hoch, die Wahlbeteiligung gering und Marine Le Pen feiert ihr Abschneiden als Sieg, die Parlamentswahlen im Juni fest im Blick.

Am Sonntag hat Emmanuel Macron die Wiederwahl ins Präsidentenamt geschafft. Seine rechts-außen-Herausforderin Marine Le Pen erreichte ein Rekordergebnis, der Anteil der Nichtwähler stieg auf etwa 28%. Neben Le Pen konzentriert sich auch der drittplatzierte Jean-Luc Mélenchon (links-außen) jetzt auf die Parlamentswahlen im Juni, um doch noch Teile des eigenen Programms gegen Macron durchsetzen zu können.

Der Eifelturm mit einer französischen Flagge

Obwohl Emmanuel Macron mit 58,5 % der Stimmen erneut zum franzäsischen Präsidenten gewählt wurde hat er mit gesellschaftlichen Trends zu kämpfen: die Politikverdrossenheit ist hoch und was in den Parlamentswahlen wichtig wird: um die 60% der Stimmen gingen an Kandidaten, die als "Anti-Establishment" gesehen werden.

Alxey Pnferov; ©HSS; IStock

Das Wahlverhalten im Überblick

Macron hat die Stichwahl mit 58% der abgegebenen Stimmen gewonnen; auf die Gesamtzahl der Wahlberechtigten gerechnet stellt das aber nur etwa 41% der Bevölkerung dar. Und die 28% der für Macron abgegebenen Stimmen in der ersten Runde entsprechen nur 21% der Wahlberechtigten. Die Hälfte der Stimmen, die Macron in der Stichwahl zum Sieg verholfen haben, wurden also nicht für ihn, sondern gegen Le Pen abgegeben. Er startet seine zweite Amtszeit also mit einer Hypothek.

Blickt man auf die etwa 35.000 Gemeinden in Frankreich, um zu sehen, wer dort am in der ersten Wahlrunde am 10. April am besten platziert war, zeigt sich in etwa folgendes Bild: In ungefähr 3.000 Gemeinden war Jean-Luc Mélenchon der erfolgreichste Kandidat, meistens in Ballungszentren wie der Île-de-France oder auf dem „Land der roten Bauern“ im Südwesten. Emmanuel Macron war in circa 11.800 Gemeinden der bestplatzierte, besonders im Nordwesten des Landes, etwa in der Bretagne. Marine Le Pen ihrerseits lag in etwa 20.500 Gemeinden an der Spitze, mit einer traditionellen Stärke im Süden und vor allem Nordosten des Landes.

Aufschlussreich ist eine Analyse der Wählersoziologie für diese drei Kandidaten. Während bei den meisten anderen Herausforderern bestimmte Schwerpunkte erkennbar waren – für die konservative Valérie Pécresse z.B. bei den überdurchschnittlich Wohlhabenden –, konnten die drei Hauptkandidaten Emmanuel Macron, Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon relativ gleichmäßig verteilt Wähler in allen Schichten für sich mobilisieren. Die Verteilung der Wählerpräferenzen auf die drei Hauptströmungen, die diese Kandidaten verkörpern, ist also ein gesamtgesellschaftliches Phänomen und nicht etwa eines, das primär milieubezogen oder geographisch bedingt wäre (jedenfalls in Kontinentalfrankreich, die Überseegebiete sind ein eigenes Thema). Allerdings ist der Altersdurchschnitt ein gewisser Marker, mit einer merklichen Präferenz für ökologische und sozialpolitische Themen in der Lesart, die La France insoumise zu diesen Themen präsentiert.

Neben diesen drei Hauptströmungen, die gesellschaftlich einigermaßen gleichverteilt sind, gibt es noch eine vierte Gruppe: die Nichtwähler und die Protestwähler, die einen „vote blanc“ vollzogen haben, d.h. einen leeren Stimmzettel abgegeben haben. Es gibt darunter auch einige schlichtweg Desinteressierte; ein Großteil von ihnen fühlt sich vom Staat zurückgelassen und ist in einer Stimmungslage, die man als systemverdrossen bezeichnen kann.

Der Preis der „en même temps“-Taktik?

Emmanuel Macron und En Marche hatten es 2017 geschafft, das Wählerpotenzial der mitte-links-Volkspartei Parti socialiste auf 6% zu drücken – der PS war immerhin die Partei, welcher der damals amtierende Präsident François Hollande entstammte. Jetzt hat dasselbe Schicksal offenbar die mitte-rechts-Volkspartei Les républicains (LR) ereilt, deren Kandidatin Valérie Pécresse wider Erwarten unter 5% geblieben ist. Anne Hidalgo, die diesjährige Kandidatin des PS, kam auf nicht einmal 2%. En Marche hat, jedenfalls auf der nationalen Ebene, das Wählerpotenzial von mitte-links bis mitte-rechts zusammengefasst – dafür aber auch verringert. Das heißt: Von 1958 bis 2017 fand die politische Alternierung zwischen mitte-links und mitte-rechts statt. Aus diesen zwei Machtpolen sind nun drei geworden. Mit En Marche verläuft die Trennlinie nicht mehr durch die Mitte (zwischen links und rechts), sondern durch die gemäßigte Linke einerseits und die gemäßigte Rechte andererseits durch – zwischen links-außen, mitte, und rechts-außen. Es gibt jetzt also zwei Trennlinien und damit drei Machtpole.

Die früheren Wähler von PS und LR mussten sich entscheiden zwischen Macron und einem seiner doch etwas radikaleren Herausforderer. Das hat Macron 2017 ein Ergebnis von 66% beschert, jetzt noch von 58%. Wenngleich diese Taktik für die Präsidentschaftswahl erfolgreich war, so ist der Preis dafür hoch. Der Anteil der Bevölkerung, der für „anti-establishment“-Kandidaten gestimmt hat, ist im Vergleich zu 2017 um mehr als zehn Prozentpunkte gestiegen und ist jetzt mit etwa 60% in der Mehrheit.

Aussicht auf die Parlamentswahlen im Juni

Bei so viel Unzufriedenheit werden die Parlamentswahlen am 12. und 19. Juni besonders interessant. Eine eins-zu-eins-Übertragung des Wahlverhaltens von den Präsidentschaftswahlen auf die Parlamentswahlen wird es nicht geben. Gleichwohl haben Mélenchon und Le Pen bewiesen, dass ihr Wählerreservoir bedeutsam ist. Beide haben nun ein neues Ziel ausgerufen: Das Erreichen einer eigenen Parlamentsmehrheit. Das ist allerdings ein hochgradig unwahrscheinliches Szenario: Sie bräuchten eine Koalition aus mindestens 289 Abgeordneten. Mélenchons La France insoumise hat derzeit keine 20, der Rassemblement national von Le Pen keine zehn Abgeordneten. Das liegt vor allem am französischen Mehrheitswahlrecht, das sehr wahrscheinlich in der neuen Legislaturperiode reformiert wird.

Der neue alte Präsident hingegen ist direkt wieder handlungsfähig, und die Periode von jetzt an bis zu den Wahlen im Juni werden Macron und seine Mannschaft nutzen, um ihr europapolitisches Programm weiter abzuarbeiten – die französische EU-Ratspräsidentschaft geht ja noch bis zum 30. Juni. Und dann wird die Frage interessant sein, welches Kräfteverhältnis sich in der Assemblée nationale einstellen wird: Wie wird En Marche abschneiden? Mit wem können oder müssen sie dann koalieren? Welches Kräfteverhältnis wird sich im bürgerlichen Spektrum einstellen zwischen der neugeformten Partei Horizons (geleitet vom ehemaligen Premierminister Édouard Philippe), den Républicains und den Parteien jeweils links und rechts davon, d.h. den Zentristen und den Souveränisten?

Macrons politische Konkurrenz legt es darauf an, ihm eine cohabitation aufzuzwingen. Die politische Landschaft Frankreichs bleibt weiter in Bewegung.

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