Die bürgerliche Opposition nutzte die Gunst der Stunde: Eine geschwächte Regierung nach dem Bruch mit dem Koalitionspartner ALDE, hervorragende Umfragewerte für Präsident Johannis wenige Wochen vor der Präsidentschaftswahl, schlechte Ergebnisse der Sozialdemokraten bei der Europa-Wahl und die Schockwellen der Verhaftung des Vorsitzenden der PSD, Liviu Dragnea, spielten der PNL in die Hände.
Das Ergebnis des Misstrauensantrags ist ein wichtiger Schritt für die Normalisierung der politischen Landschaft Rumäniens. Seit Jahren treibt sie unter einem bürgerlichen Präsidenten und einer sozialdemokratischen Regierung von einer Krise in die nächste. Die PSD-Regierung hatte dabei in der Vergangenheit mehrfach einen entspannten Umgang mit Verfassungsvorschriften an den Tag gelegt.
Obwohl die Regierung Dăncilă nach dem Verlust der Regierungsmehrheit gemäß der rumänischen Verfassung ohnehin die Vertrauensfrage hätte stellen müssen, ging die Opposition auf "Nummer sicher" und leitete Anfang Oktober das entsprechende Verfahren ein.
Nach der Annahme des Misstrauensantrags wird Viorica Dăncilă zusammen mit allen Ministern der Regierung entlassen. Präsident Klaus berief bereits am 12. Oktober die Führungsgremien der Parlamentsparteien zu Konsultationen ein, um eine Regierungsbildung vorzubereiten. Die Gespräche werden bis Dienstag, den 15. Oktober andauern – danach will Johannis seinen ersten Vorschlag über einen Premierminister unterbreiten, der "nicht von der PSD" sein werde. Gute Chancen werden dem PNL Vorsitzenden und ehemaligen Verkehrsminister Ludovic Orban zugeschrieben.
Der designierte Ministerpräsident hat danach 10 Tage Zeit, im Parlament die Abstimmung über das von ihm vorgeschlagene Kabinett zu beantragen.
Wenn das Parlament die neue Regierung nicht innerhalb von 60 Tagen nach dem ersten Antrag bestätigt und/oder nachdem bei mindestens zwei Abstimmungen keine Mehrheit erreicht wurde, dann kann das Parlament durch den Präsidenten aufgelöst werden.
Davon ist allerdings nicht auszugehen, da Zweckbündnise in der rumänischen Politik an der Tagesordnung sind und kaum ein Parlamentarier bereit ist, früher als unbedingt notwendig auf sein Mandat zu verzichten. Höchstwahrscheinlich wird eine neue Koalitionsregierung bis zum Ende der jetzigen Legislaturperiode im Oktober 2020 geschmiedet. Bis zur Bestätigung der neuen Regierung bleibt die bisherige Regierung Dăncilă geschäftsführend im Amt, erfüllt aber laut Verfassung "nur die für die Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten erforderlichen Verfahren, bis der Eid von den Mitgliedern der neuen Regierung geleistet wird".
Der umtriebige ehemalige Premierminister und PSD-Präsident Victor Ponta könnte der bürgerlichen Opposition allerdings einen Strich durch die Rechnung machen: Sein Kalkül, das Misstrauensvotum zu unterstützen, bestand offensichtlich darin, durch die Entmachtung Dăncilăs mit seiner Partei ProRomania und der ALDE die viel größere PSD in eine von ihm geführte Koalition zu drängen – oder seine triumphale Rückkehr in die PSD vorzubereiten.
Der Misstrauensantrag hat zwar eine eindeutige und verdiente Verliererin, Viorica Dăncilă, aber keine wirklichen Gewinner.
Noch zeichnet sich keine stabile Mehrheit ab, die durch mehr zusammengehalten würde als die Ablehnung der Regierung Dăncilă. Die PNL strahlt derzeit nur eine geringe Anziehungskraft auf die übrigen bürgerlichen Oppositionsparteien aus. Diese werden bei Übernahme der Regierungsverantwortung nur begrenzt handlungsfähig sein, da jede Mehrheit im Parlament von einer Vielzahl unterschiedlicher und oft gegensätzlicher Interessen und Gruppierungen abhängig sein wird.
In dem knappen Jahr, das bis zu den nächsten Parlamentswahlen bleibt, wird die neue Regierung nur wenig erreichen können, umso mehr, da das Budget 2020 geplant werden muss, aber durch die Erhöhung der Staatsausgaben der PSD-Regierung in den vergangenen Jahren kaum Handlungsspielräume bleiben. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat bereits eine Warnung an die rumänische Regierung gerichtet, dass das Haushaltsdefizit sicher 3% überschreiten werde, wenn die von der PSD Regierung zugesagte Verdoppelung der Renten für Staatsbedienstete umgesetzt werden sollte .
Es ist daher zu erwarten, dass die Unzufriedenheit von Teilen der Öffentlichkeit und besonders bei den Anhängern der jetzigen Opposition umschlagen und sich gegen die neue Regierung richten wird.
Die Vergangenheit hat gezeigt, dass der rumänische Wähler ein extrem kurzes Gedächtnis hat. Eine reformierte und neuaufgestellte PSD, möglicherweise von Victor Ponta geleitet, könnte sich im Herbst 2020 als Alternative präsentieren. Daher hat die PSD die Oppositionsrolle derzeit nicht zu fürchten, sondern kann ihre Ausgangslage für die kommenden Parlamentswahlen eher noch verbessern.
Ein vergleichbares Szenario gab es bereits vor vier Jahren, als die PSD die Regierung unter Victor Ponta eineinhalb Jahre vor der letzten Parlamentswahl an das sog. Technokratenkabinett um Dacian Ciolos übergeben musste. Die darauf folgenden Wahlen gewann sie dann aber aus der Opposition Ende 2016 deutlich.
Am 10. November 2019 werden in Rumänien die Präsidentschaftswahlen stattfinden. Ein Sieg des derzeitigen Präsidenten Johannis scheint aufgrund der letzten Umfragen und der aktuellen Entwicklungen sicher: Klaus Johannis würde die erste Runde mit 45% der Stimmen gewinnen. Weit dahinter liegen laut Umfragen Mircea Diaconu (ProRomania und ALDE), mit 16,6%, und Dan Barna, der Kandidat der Allianz USR-PLUS, mit 14,2%. Theodor Paleologu, Kandidat der PMP (Volksbewegungspartei) und Projektpartner der HSS, käme derzeit mit 7,7% auf den 5. Platz.