Das Buch "Furcht" von Bob Woodward ist Anfang Oktober in deutscher Übersetzung im Rowholt Verlag erschienen. Als Hörbuch ist es beim Argon Verlag erhältlich.
Donald Trump hat die Präsidentschaftswahl 2016 gewonnen, er ist der legitime Präsident Amerikas. Das Wahlrecht kam ihm zu Gute, er hatte mehr Wahlmänner hinter sich, obwohl er landesweit weniger Stimmen erhielt.
Doch das Land und die Welt tun sich schwer mit diesem Präsidenten. Es gibt viele, die diese Wahl für einen Irrtum der Geschichte halten und ihn korrigieren wollen. Bezeichnend: Der stellvertretende Justizminister Rod Rosenstein liebäugelte mit der Variante, ein Amtsunfähigkeitsverfahren anzustrengen. Aber Donald Trump ist immer noch im Amt, trotz der Russland-Ermittlungen des Sonderbeauftragten Robert Mueller, trotz der Ablehnung seines Politikstils im In- und Ausland. Aussagen wie von Wolfgang Ischinger helfen nicht weiter. Der frühere Botschafter in Washington hatte das Dilemma auf den Punkt gebracht: „Wir können nicht ohne die USA, aber wir können nicht mit Donald Trump.“ Donald Trump ist noch bis mindestens 2020 US-Präsident, möglicherweise sogar darüber hinaus. Er ist der mächtigste Mann der Welt, seine Entscheidungen sind Weltpolitik. Und genau darin liegt die erstaunlichste Erkenntnis des Buches: Die Macht von Donald Trump zieht sich wie ein roter Faden durch die gut 400 Seiten einschließlich Index und Quellenangaben. Der Präsident bestimmt die Außen- und Innenpolitik und stützt sich dabei auf die republikanischen Mehrheiten in Senat und Abgeordnetenhaus. Nur die Justiz setzt ihm manchmal Grenzen. Die Zweifel am politischen Sachverstand des Präsidenten sind groß, das Vertrauen in sein Krisenmanagement gering.
Die Traditionalisten im Washingtoner Politikbetrieb bemühen sich um Schadensbegrenzung. Sie lassen Papiere schon einmal vom Schreibtisch im Oval Office verschwinden, um destablisierende Entscheidungen zu verhindern. Bei einem dermaßen sprunghaften Präsidenten kann dies im Ausnahmefall möglicherweise eine effektive Taktik sein, wie das Beispiel der angedrohten Aufkündigung des Handelsabkommens mit Südkorea zeigte. Donald Trump wollte es in der Luft zerreissen, seine Berater aus dem wirtschaftlichen und sicherheitspolitischem Establishment unbedingt daran festhalten. Doch bei Trump gilt: aus den Augen, aus dem Sinn. Die angeforderte Executive Order zur Kündigung des Abkommens wanderte vom Schreibtisch, der frühere Wirtschaftsberater Gary Cohn nimmt das für sich in Anspruch. Das Korea-Abkommen ist bis heute in kraft.
Bob Woodward - Furcht: Trump im Weißen Haus
Mitteilung an die Leser
Die Interviews für dieses Buch wurden nach dem journalistischen Grundsatz «unter zwei» geführt. Damit ist gemeint, dass alles, was ich dabei erfuhr, verwendet werden durfte, jedoch ohne Kenntlichmachung der Person, von der ich es hatte. Das Buch ist ein Extrakt aus Hunderten von Stunden an Interviews mit Leuten, die die geschilderten Vorgänge selbst mitgestaltet und miterlebt haben. Fast alle gestatteten mir, unsere Interviews auf Tonträger aufzunehmen, um mir eine präzisere Nacherzählung des Geschehens zu ermöglichen. Wörtliche Zitate, Gedankengänge oder Schlussfolgerungen stammen von der zitierten Person, von einem unmittelbar beteiligten und daher kundigen Kollegen oder aus Protokollnotizen, Tagebüchern, Akten sowie aus amtlichen oder persönlichen Dokumenten. Präsident Trump lehnte es ab, für dieses Buch interviewt zu werden.
Aus dem Englischen von Sylvia Bieker, PiekeBiermann, Gisela Fichtl, Thomas Gunkel, StephanKleiner, Hainer Kober, Monika Köpfer, ElisabethLiebl, Stefanie Römer, Karl Heinz Siber, KarstenSingelmann, Peter Torberg, Henriette Zeltner
Anfang September 2017, im achten Monat der Präsidentschaft
Donald Trumps, pirschte sich Gary Cohn, ehemaliger
Präsident von Goldman Sachs und als Chef des Nationalen
Wirtschaftsrats inzwischen der ranghöchste Wirtschaftsberater
des US-Präsidenten, vorsichtig an den Resolute Desk,
den großen Schreibtisch des Präsidenten im Oval Office des
Weißen Hauses, heran.
In seinen siebenundzwanzig Jahren bei Goldman Sachs
hatte Cohn – fast eins neunzig, kahlköpfig, schnodderig und
berstend vor Selbstbewusstsein – Milliarden für seine Kunden
und Hunderte Millionen für sich erwirtschaftet. Er hatte
sich selbst das Privileg erteilt, jederzeit Trumps Oval Office
betreten zu können, und der Präsident hatte das akzeptiert.
Auf dem Tisch lag der Entwurf eines nur eine Seite umfassenden
Briefes des US-Präsidenten an den Präsidenten
von Südkorea mit der Aufkündigung des Freihandelsabkommens
zwischen den beiden Ländern, genannt KORUS.
Cohn war entsetzt. Seit Monaten drohte Trump mit
der Kündigung dieses Abkommens, das eine der Grundfesten
einer wirtschaftlichen Partnerschaft, eines militärischen
Bündnisses und, wichtiger noch, einer Zusammenarbeit
bei hochgeheimen nachrichtendienstlichen Operationen
und Kapazitäten bildete.
Gemäß einem in den 1950er Jahren geschlossenen Vertrag
stationierten die Vereinigten Staaten 28 500 Soldaten
in Südkorea und installierten dort unter höchster Geheimhaltung
stehende, sehr sensible Special-Access-Programme
(SAP) mit hochtechnisierten Fähigkeiten zur Codewort-Aufklärung
und militärischen Abwehr. Langstreckenraketen
der Nordkoreaner waren mittlerweile in der Lage, Atomwaffen
zu transportieren, vielleicht bis in die USA hinein.
Eine nordkoreanische Rakete würde achtunddreißig Minuten
brauchen, um Los Angeles zu erreichen.
Die Special-Access-Programme versetzten die Vereinigten
Staaten in die Lage, den Start einer Langstreckenrakete
in Nordkorea innerhalb von sieben Sekunden zu detektieren.
Dieselbe Technik, in Alaska stationiert, brauchte dazu
fünfzehn Minuten – ein beachtlicher Zeitunterschied.
Die Möglichkeit, einen Raketenstart innerhalb von sieben
Sekunden zu detektieren, verschaffte den US-Streitkräften
genug Zeit für den Abschuss einer nordkoreanischen
Rakete. Es ist dies die vielleicht wichtigste und geheimste
operative Mission einer US-Regierung. Die amerikanische
Präsenz in Südkorea ist essenziell für die nationale
Sicherheit.
Die Aufkündigung des Handelsabkommens KORUS, das
Südkorea als unentbehrlich für seine Volkswirtschaft ansah,
hätte zu einem Kollaps der Beziehungen der beiden
Länder führen können. Cohn konnte nicht glauben, dass
Präsident Trump das Risiko eingehen würde, den Zugang
zu Geheimdienstinformationen einzubüßen, die für die Sicherheit
der USA überlebenswichtig waren.
Das alles entsprang der Wut Trumps darüber, dass die
USA gegenüber Südkorea ein Handelsdefizit von jährlich
18 Milliarden Dollar hatten und 3,5 Milliarden Dollar jährlich
für den Unterhalt ihrer dort stationierten Truppen ausgaben.
Trotz der fast täglichen Berichte über Chaos und Zerwürfnisse
im Weißen Haus wusste die Öffentlichkeit nicht,
wie schlimm es hinter den Kulissen tatsächlich aussah.
Trump war immer sprunghaft, erratisch, änderte seine Meinung.
Er verfiel oft in schlechte Laune, ärgerte sich über
irgendetwas Großes oder Kleines, und über das KORUS-Abkommen
sagte er immer wieder: «Heute steigen wir aus.»
Und jetzt lag da dieser Brief mit dem Datum 5. September
2017, potenzieller Auslöser einer nationalen Sicherheitskatastrophe.
Cohn hatte die Sorge, dass Trump den
Brief unterschreiben würde, wenn er ihn sah.
Cohn nahm den Briefentwurf vom Schreibtisch. Er legte
ihn in eine blaue Mappe mit der Aufschrift «KEEP».
«Ich klaute ihn von seinem Schreibtisch», erzählte er
später einem Mitarbeiter. «Ich wollte dafür sorgen, dass er
ihn nicht zu sehen bekam. Er wird dieses Dokument nie zu
sehen bekommen. Der Schutz des Landes geht vor.»
Inmitten der Anarchie und Unordnung, die im Weißen
Haus – und in Trumps Kopf – herrschten, bemerkte der Präsident
nicht, dass der Brief fehlte.
Im Normalfall wäre Rob Porter, Stabssekretär des Weißen
Hauses und ordnende Hand für die Präsidentenakten,
der verantwortliche Mann für die Erstellung von Briefen
wie dem an den Präsidenten Südkoreas gewesen. Doch
diesmal war der Briefentwurf ominöserweise durch unbekannte
Kanäle zu Trump gelangt. Der Stabssekretär erfüllt
eine der wenig sichtbaren, aber wichtigen Funktionen im
Weißen Haus. Seit Monaten war Porter derjenige gewesen,
der Trump Beschlussvorlagen und andere präsidiale Dokumente
erläutert hatte, bis hin zu den sensibelsten die nationale
Sicherheit berührenden Freigaben für Militäraktionen
und verdeckte CIA-Aktivitäten.
Porter, vierzig Jahre, eins neunzig, gertenschlank und
als Mormone aufgewachsen, war einer der grauen Männer:
ein Apparatschik mit wenig Ausstrahlung, der die juristische
Fakultät von Harvard absolviert hatte und Rhodes-Stipendiat
gewesen war.
Wie Porter später herausfand, gab es mehrere Exemplare
des Briefentwurfs; entweder er oder Cohn sorgten dafür,
dass keines davon auf dem Tisch des Präsidenten verblieb.
Im Zusammenwirken bemühten sich die beiden, die ihrer
Überzeugung nach impulsiven und gefährlichen Weisungen
Trumps aufs Abstellgleis umzuleiten. Der Korea-
Brief und andere Dokumente seiner Art verschwanden
einfach. Wenn Trump einen Entwurf zum Gegenlesen auf
den Schreibtisch bekam, schnappte ihn sich Cohn manchmal
unbemerkt, und der Präsident vergaß dann den Vorgang.
Wenn aber ein Brief auf seinem Schreibtisch lag,
pflegte er ihn zu unterschreiben. «Es geht nicht darum, was
wir für das Land getan haben», sagte Cohn im Vertrauen,
«sondern darum, vor welchen Dingen wir ihn bewahrt haben.»
Das war nicht weniger als ein administrativer Staatsstreich,
eine Sabotage des Willens des Präsidenten der Vereinigten
Staaten und seiner verfassungsgemäßen Macht.
Wie Porter einem Kollegen sagte, umfassen seine Amtspflichten
mehr als das Koordinieren politischer Entscheidungen
und Verfahrensabläufe und das Führen der präsidialen
Akten: «Ein Drittel meiner Arbeit bestand in dem Bemühen,
auf einige der wirklich gefährlichen Ideen zu reagieren,
die er hatte, und ihm Gründe an die Hand zu geben,
die ihn hoffentlich einsehen ließen, dass es vielleicht
doch keine so guten Ideen waren.»
Eine andere Strategie bestand darin, Dinge hinauszuzögern,
auf Zeit zu spielen, auf rechtliche Hindernisse hinzuweisen.
Wie der Jurist Porter sagte: «Dinge in die Länge zu
ziehen oder ihm nicht vorzulegen oder ihm – korrekterweise,
nicht nur als Ausflucht – zu sagen, dass dieser Vorgang
geprüft werden muss oder wir daran noch gründlicher arbeiten
müssen oder dass wir dafür noch keine Freigabe von
der Rechtsabteilung haben – das kam zehnmal öfter vor als
das Wegzaubern von Papieren von seinem Schreibtisch. Es
fühlte sich an, als würden wir die ganze Zeit am Rand des
Abgrunds balancieren.»
Es gab Tage oder Wochen, in denen die Dinge halbwegs
geregelt zu laufen schienen und man wenigstens ein paar
Schritte vom Abgrund entfernt war. «Andere Male stürzten
wir jedoch ab, und dann bedurfte es einer Rettungsaktion.
Wir hatten das Gefühl, immer direkt am Abgrund entlangzulaufen.»
Auch wenn Trump das Verschwinden des Briefs vom 5.
September nie erwähnte, vergaß er nicht, was er mit dem
Handelsabkommen vorhatte. «Dieser Brief tauchte mehrmals
wieder auf», berichtete Porter einem Mitarbeiter.
Im Laufe einer späteren Besprechung im Oval Office entspann
sich eine hitzige Debatte über das Handelsabkommen
mit Südkorea. «Interessiert mich nicht», tönte Trump,
«ich habe genug von diesen Argumenten! Ich will nichts
mehr davon hören. Wir steigen aus KORUS aus.» Er begann
mit dem Diktieren eines neuen Briefes, den er nach Seoul
schicken wollte.
Jared Kushner, der Schwiegersohn des Präsidenten,
nahm Trumps Diktum ernst. Mit seinen sechsunddreißig
Jahren war Jared bereits einer der ranghöchsten Berater
des Weißen Hauses. Sein gemessenes Auftreten trug fast
aristokratische Züge. Seit 2009 war er mit Trumps Tochter
Ivanka verheiratet.
Weil Jared bei der Sitzung näher als alle anderen beim
Präsidenten saß, begann er, die Worte Trumps mitzuschreiben
wie ein Diktat.
Mach den Brief fertig und dann her damit, damit ich ihn
unterschreiben kann, wies Trump seinen Schwiegersohn
an.
Jared war dabei, das Diktat des Präsidenten in einen neuen
Brief umzusetzen, als Porter davon erfuhr.
«Lass mir den Entwurf zukommen», wies er Jared an,
«wenn wir das tun, können wir es nicht auf der Rückseite
einer Serviette tun. Wir müssen daraus ein Schriftstück
machen, mit dem wir uns nicht blamieren.»
Kushner schickte ein ausgedrucktes Exemplar seines
Entwurfs los. Es war nicht wirklich brauchbar. Porter und
Cohn ließen selbst einen Text aufsetzen, um zu zeigen, dass
sie taten, was der Präsident gefordert hatte. Trump erwartete ein schnelles Ergebnis.
Sie durften nicht mit leeren Händen dastehen. Ihr Entwurf war Bestandteil des Täuschungsmanövers.
Auf einer offiziellen Sitzung brachten die Gegner eines
Ausstiegs aus KORUS alle erdenklichen Argumente vor –
die Vereinigten Staaten hätten noch niemals zuvor ein Freihandelsabkommen
aufgekündigt; es gebe rechtliche Gesichtspunkte,
geopolitische Gesichtspunkte, grundlegend
wichtige Belange der nationalen Sicherheit und der Geheimdienstarbeit;
der Brief sei noch nicht reif. Sie deckten
den Präsidenten mit Fakten und Logik ein.
«Na gut, dann arbeiten wir also weiter an dem Brief»,
sagte Trump schließlich, «ich will den nächsten Entwurf sehen.»
Cohn und Porter schrieben keinen nächsten Entwurf.
Es gab also nichts, das man dem Präsidenten hätte vorlegen
können. Die Angelegenheit ging erst einmal im Strudel
der präsidialen Beschlussfassungen und Verkündungen
unter. Andere Dinge beanspruchten seine Aufmerksamkeit
und seine Zeit.
Doch das Thema KORUS verschwand nicht. Cohn besprach
sich mit Verteidigungsminister James Mattis, dem
Marineinfanteriegeneral i. R., dessen Stimme in Trumps
Kabinett und Stab vielleicht das größte Gewicht hatte. General
Mattis, ein Kriegsveteran, hatte vier Jahrzehnte im
Marine Corps gedient. Er war eins fünfundsiebzig und von
kerzengerader Haltung, wenn auch mit einer Attitüde chronischer
Weltverdrossenheit.
«Wir taumeln am Abgrund entlang», vertraute Cohn dem
Minister an, «es kann sein, dass wir diesmal Rückenstärkung
brauchen.»
Mattis versuchte, seine Besuche im Weißen Haus sparsam
zu dosieren und sich nach Möglichkeit nur mit militärischen
Angelegenheiten zu befassen, doch er verstand die
Dringlichkeit der Sache und begab sich ins Oval Office.
«Mr. President», sagte er, «Kim Jong-un stellt die größte
Bedrohung unserer nationalen Sicherheit dar. Wir brauchen
Südkorea als Verbündeten. Es mag den Anschein haben,
als habe der Handel mit alldem nichts zu tun, dabei ist
er zentral.»
Die Einrichtungen und Verbindungen der amerikanischen
Streitkräfte und Geheimdienste in Südkorea seien
das Rückgrat unserer Fähigkeit, uns gegen Nordkorea zu
verteidigen. Er solle das Abkommen bitte nicht kündigen.
Warum die USA eine Milliarde Dollar im Jahr für ein
System zur Raketenabwehr in Südkorea bezahlten, wollte
Trump wissen. Ein Raketenabwehrsystem namens THAAD
(Terminal High Altitude Area Defense) hatte seinen Zorn
erregt, und er drohte damit, es aus Südkorea abzuziehen
und nach Portland in Oregon zu verlegen.
«Wir tun das nicht für Südkorea», erklärte Mattis, «wir
helfen Südkorea, weil es uns hilft.»
Der Präsident schien ein Einsehen zu haben, aber nur
für einen kurzen Augenblick.
Als Präsidentschaftskandidat hatte Trump Bob Costa
und mir diese Definition der Pflichten des Präsidenten gegeben:
«Seine oberste Pflicht ist die Sicherheit unserer Nation
… Das ist die Nummer eins, zwei und drei … Dass
die Streitkräfte stark sind und sicherstellen, dass unserem
Land nicht von außen her Schlimmes angetan wird. Und ich
bin mir ganz sicher, dass das immer der Punkt eins meiner
Definition sein wird.»
Ein Jahr danach waren die Vereinigten Staaten zur
Geisel der Worte und Taten eines emotional überreizten,
sprunghaften und unberechenbaren politischen Führers
geworden. Mitglieder seines Stabes hatten sich zusammengetan,
um vorsätzlich die nach ihrem Dafürhalten gefährlichsten
Impulse des Präsidenten abzublocken. Es war
der Nervenzusammenbruch der politischen Exekutive des
mächtigsten Landes der Welt.
Die nachfolgenden Kapitel erzählen diese Geschichte.
Vorlage vom 5. September 2017 für einen Brief an den Präsidenten
von Südkorea zur Aufkündigung des Freihandelsabkommens.
Gary Cohn fand den Brief auf Präsident Trumps
Schreibtisch im Oval Office und nahm ihn an sich, damit er
nicht unterschrieben und abgeschickt würde.
Entwurf / Entscheidungsgrundlage
5. September 2017
Sehr geehrte Herren,
das Freihandelsabkommen zwischen den Vereinigten
Staaten und Korea («Abkommen») entspricht in seiner
gegenwärtigen Form nicht dem besten Gesamtinteresse
der US-amerikanischen Wirtschaft. Deshalb tun die Vereinigten
Staaten hiermit in Übereinstimmung mit Artikel
24.5 des Abkommens ihren Wunsch kund, das Abkommen
zu kündigen. Wie sich aus den Bestimmungen in Artikel
24.5 des Abkommens ergibt, wird das Abkommen 180 Tage
nach dem Datum dieser Mitteilung auslaufen. In dieser
Zeitspanne sind die Vereinigten Staaten bereit, mit der
Republik Korea über wirtschaftliche Themen, die für beide
Länder von Belang sind, zu verhandeln.
Hochachtungsvoll
Donald J. Trump
Präsident der Vereinigten Staaten
Robert E. Lighthizer
Handelsbeauftragter der Vereinigten Staaten
Kapitel 1
Im August 2010, sechs Jahre bevor er Trumps letztlich erfolgreichen
Präsidentschaftswahlkampf übernahm, bekam
Steve Bannon einen Anruf. Er war damals siebenundfünfzig
und Produzent von rechtsreaktionären Politfilmen.
«Was hast du morgen vor?», fragte David Bossie. Der
konservative Aktivist saß seit langem für die Republikaner
in Ermittlungsausschüssen des Kongresses und hatte beinahe
zwanzig Jahre lang hinter Skandalen von Bill und Hillary
Clinton hergefahndet.
«Alter», antwortete Bannon, «ich schneide gerade diese
beschissenen Filme für dich.»
Die Midterm-Wahlen zum Kongress standen an. Die Tea
Party war auf dem Höhepunkt, die Republikaner gewannen
an Boden.
«Wir hauen zwei weitere Filme raus. Ich bin andauernd
im Schneideraum. Ich arbeite zwanzig Stunden am Tag» –
und zwar an Anti-Clinton-Filmen im Auftrag von Citizens
United, einem konservativen Aktionsbündnis unter Bossies
Ägide.
«Kannst du morgen mit mir nach New York kommen?»
«Wozu?»
«Donald Trump treffen.»
«Wozu?»
«Er erwägt, sich um die Präsidentschaft zu bewerben.»
«In welchem Land?»
Echt, im Ernst, versicherte Bossie. Er traf sich seit Monaten
mit Trump und arbeitete für ihn. Das Treffen jetzt
hatte Trump gewollt.
«Ich hab keine Zeit für Gewichse, Alter», sagte Bannon,
«Donald Trump wird nie Präsidentschaftskandidat. Vergiss
es. Gegen Obama? Vergiss es. Ich hab keine Zeit für so ’n
Scheißblödsinn.»
«Willst du ihn nicht mal kennenlernen?»
«Nein, kein Interesse.» Bannon kannte Trump, er hatte
ihn einmal dreißig Minuten lang interviewt, für The Victory
Sessions, seine in Los Angeles produzierte Radiosendung
am Sonntagnachmittag, die er als «Radioshow für den denkenden
Mann» bewarb.
«Der Typ meint es nicht ernst», sagte Bannon.
«Doch, ich glaub schon», sagte Bossie. Trump war ein
Fernsehpromi mit einer berühmten Show namens The Apprentice,
die auf NBC lief und wochenlang auf Platz eins
stand. «Wir vergeben uns nichts, wenn wir ihn mal besuchen.»
Schließlich stimmte Bannon zu und flog mit nach New York.
Im Trump Tower fuhren sie in den sechsundzwanzigsten
Stock. Trump begrüßte sie herzlich im Konferenzsaal, und
Bossie sagte, er habe eine detaillierte Präsentation vorbereitet.
Es war eher ein Grundkurs.
Der erste Teil, so Bossie, stellt dar, wie man bei den Republikanern
in Vorwahlen geht und gewinnt, erklärte er.
Der zweite zeigt auf, wie man im Wahlkampf um das Präsidentenamt
der Vereinigten Staaten gegen Barack Obama
antritt. Bossie beschrieb die üblichen Strategien für
Wahlkämpfe und erörterte Verfahren und Themen. Er war
ein konservativer Traditionalist, Anhänger des schlanken
Staats und kalt erwischt worden von der Tea-Party-Bewegung.
Dies sei ein bedeutender Augenblick in der amerikanischen
Politik, erläuterte er, der Populismus der Tea Party
sei gerade dabei, das ganze Land im Sturm zu erobern. Endlich
habe der kleine Mann eine Stimme. Populismus sei eine
Graswurzelbewegung, mit der sich der politische Status
quo zugunsten der Normalverbraucher zerschlagen lasse.
«Ich bin Geschäftsmann», warf Trump ein, «ich bin keiner
für politische Karrieren.»
«Wenn Sie fürs Präsidentenamt kandidieren wollen»,
sagte Bossie, «müssen Sie eine Menge kleine und eine Menge
große Dinge wissen.» Kleine wie zum Beispiel Bewerbungsfristen
oder die bundesstaatlich unterschiedlichen
Regeln für Vorwahlen – Details eben. «Sie müssen das Regelwerk
kennen und wissen, wie man Delegierte gewinnt.
Aber als Erstes», sagte Bossie, «müssen Sie die konservative
Bewegung verstehen.»
Trump nickte.
«Sie haben ein paar Probleme mit bestimmten Themen»,
sagte Bossie.
«Ich habe mit gar keinem Thema irgendein Problem»,
sagte Trump, «wovon reden Sie eigentlich?»
«Erstens hat bei den Republikanern noch nie jemand die
Vorwahlen gewonnen, der nicht Abtreibungsgegner ist»,
erklärte Bossie, «und das sind Sie leider ganz und gar
nicht.»
«Was soll das heißen?»
«Es ist bekannt, dass Sie an die Abtreibungsleute gespendet
haben, an Kandidaten, die für Wahlfreiheit stehen.
Sie haben sich auch öffentlich so geäußert. Sie müssen aber
Pro-Life sein, gegen Abtreibung.»
«Ich bin gegen Abtreibung», sagte Trump, «ich bin Pro-
Life.»
«Nun ja, es gibt Beweise für das Gegenteil.»
«So was kann man ja wegkriegen», sagte Trump, «sagen
Sie mir einfach, wie das geht. Ich bin – wie nennen Sie das?
Pro-Life. Ich bin Pro-Life, das sage ich Ihnen.»
Je länger Trump redete, desto mehr war Bannon fasziniert
von seinem Talent zur Selbstdarstellung. Trump wirkte
engagiert, reaktionsschnell und körperlich in bester Verfassung.
Seine Präsenz war überlebensgroß und raumfüllend,
die personifizierte Befehlsgewalt. Der Mann hatte
was. Gleichzeitig kam er rüber er wie ein Kneipengast, der
im Fernsehen auftritt, ein Typ aus Queens, streetsmart.
Dieser Trump war nach Bannons Einschätzung Archie Bunker
in echt, allerdings ein zielstrebiger Archie Bunker.
«Die zweite große Frage», sagte Bossie, «ist Ihr Wahlverhalten.»
«Mein Wahlverhalten? Was meinen Sie damit?»
«Wie oft Sie gewählt haben.»
«Wovon reden Sie?»
«Nun ja», sagte Bossie, «wir haben es hier mit Vorwahlen
bei den Republikanern zu tun.»
«Ich gehe immer zur Wahl», prahlte Trump, «ich gehe
immer wählen, seit ich achtzehn, zwanzig bin.»
«Das ist leider nicht korrekt. Ihr Wahlverhalten ist nämlich
öffentlich belegt.» Der altgediente Ermittler Bossie
zeigte auf einen Stapel Unterlagen.
«Kein Mensch weiß, wie ich wähle.»
«Nein, nein, nein, nicht, wie Sie wählen. Aber wie oft Sie
wählen.»
Bannon stellte fest, dass Trump nicht einmal rudimentäre
Vorstellungen vom politischen Geschäft hatte.
«Ich bin jedes Mal wählen gegangen», beharrte Trump.
«Durchaus nicht, bis auf eine Ausnahme haben Sie noch
nie an einer Vorwahl teilgenommen.» Bossie zitierte aus
den Unterlagen.
«Das ist eine dreckige Lüge», sagte Trump, «absolut gelogen.
Ich habe jedes Mal gewählt, wenn eine Wahl anstand.»
«Sie haben nur einmal bei einer Vorwahl mitgestimmt»,
sagte Bossie, «1988 oder so, bei den Republikanern.»
«Ja, stimmt.» Wieder vollzog Trump, ohne mit der Wimper
zu zucken, eine Wende um hundertachtzig Grad. «Damals
für Rudy.» Giuliani hatte 1989 für den New Yorker
Bürgermeisterposten kandidiert. «Steht das da auch drin?»
«Ja.»
«Das stecken wir weg», sagte Trump.
«Vielleicht zählt nichts von alldem», sagte Bossie, «vielleicht
aber doch. Man muss methodisch vorgehen, wenn
man vorwärtskommen will.»
Dann war Bannon dran. Er leitete über zu der Tea Party
und ihren Motiven. Dass sie die Eliten nicht leiden könne.
Dass Populismus etwas für den gemeinen Mann sei, der das
ganze System für Schmu halte. Populisten seien gegen Vetternwirtschaft
und Insidergeschäfte, mit denen der Arbeiter
ausgeblutet werde.
«Das finde ich toll. Genau das bin ich», sagte Trump, «ich
bin Popularist.» Er kriegte schon das Wort nicht hin.
«Nein, nein», sagte Bannon. «Es heißt Populist.»
«Doch, doch», beharrte Trump, «Popularist.»
Bannon gab auf. Zuerst dachte er, Trump hätte das Wort
nicht verstanden. Aber vielleicht hatte er einfach seine eigene
Interpretation – populär sein, beliebt bei Leuten. Bannon
wusste auch, dass «Popularist» eine ältere britische
Version von «Populist» war, ein Wort für die nichtintellektuelle
breite Masse.
Nach etwa einer Stunde sagte Bossie: «Wir haben noch
ein großes Thema.»
«Was denn?» Trump klang jetzt etwas argwöhnischer.
«Nun ja, achtzig Prozent Ihrer Spenden sind an die
Demokraten gegangen», erklärte Bossie. Für ihn war das
Trumps größtes politisches Handicap, aber das sagte er
nicht.
«Das ist Unsinn!»
«Das ist öffentlich einsehbar», sagte Bossie.
«Davon gibt’s auch Belege?» Trump staunte Bauklötze.
«Von jeder Spende, die Sie je getätigt haben.» Es war
Vorschrift, alle Parteispenden offenzulegen.
«Die gleichen sich am Ende aus», konterte Trump, er habe
seine Spenden gerecht aufgeteilt unter Kandidaten beider
Parteien.
«Sie haben in der Tat reichlich gespendet. Allerdings zu
achtzig Prozent an die Demokraten. In Chicago, Atlantic City…»
«Das muss ich machen», sagte Trump. «Da regieren
doch überall diese Scheißdemokraten. Man will Hotels bauen,
also muss man die schmieren. Die sind doch zu mir gekommen.»
«Hören Sie», sagte Bannon, «was Dave damit sagen will,
ist Folgendes. Als Kandidat der Tea Party haben Sie das
Problem, dass deren Leute erbost auf solche Deals reagieren.
Und genau die macht jemand wie Sie.»
«Ach was», sagte Trump, «das ist doch alles Schmu. Das
ganze System ist manipuliert. Diese Typen haben mich jahrelang
ausgenommen. Ich will denen nichts spenden. Die
kommen einfach an. Und wenn man keinen Scheck ausstellt…»
In Queens sitze auch so ein Politikerhai, «ein alter Kerl
mit Baseballschläger. Zu dem muss man, und dem muss
man auch was geben – normalerweise Bargeld. Wenn man
das nicht macht, läuft gar nichts. Dann ist nichts mit Bauen.
Lässt man ihm einen Umschlag mit Geld da, dann läuft’s.
So geht das nun mal. Aber das kriege ich geregelt.»
Bossie erklärte, er habe einen Plan. «Alles dreht sich um
die konservative Bewegung. Die Tea Party kommt und geht.
Populismus kommt und geht. Die konservative Bewegung
dagegen ist unser fester Urgrund seit Goldwater.»
Zweitens, fuhr er fort, empfehle er Trump, seinen Wahlkampf
damit zu eröffnen, dass er sich erst mal der Form
halber in drei Staaten um den Gouverneursposten bewerbe
– Iowa, New Hampshire und South Carolina. Dort liefen
die ersten Vorwahlen. «Da kandidieren Sie und geben sich
lokalverbunden, so als ob Sie da Gouverneur werden wollten.
» Viele Kandidaten würden einen großen Fehler machen,
weil sie in siebenundzwanzig Staaten gleichzeitig gewählt
werden wollten. «Gehen Sie erst mal in die drei Gouverneurswahlen,
dann haben Sie ziemlich gute Chancen.
Konzentrieren Sie sich auf die drei. Machen Sie da Ihre Sache
gut. Die anderen Staaten kommen dann von selbst.»
«Ich bin ein prima Kandidat», sagte Trump. «Solche
Gegner schlage ich locker, egal, wer sie sind. Das hab ich
im Sack. Um das andere werde ich mich kümmern.»
Alles lasse sich revidieren, neu verhandeln.
«Ich bin Pro-Life», erklärte Trump. «Ich will loslegen.»
«Dann müssen Sie unbedingt zunächst Folgendes tun»,
sagte Bossie, «Sie müssen etwa zweihundertfünfzig- bis
fünfhunderttausend Dollar in Form von einzelnen Schecks
für Kongressabgeordnete und Senatoren investieren. Alle
werden sie angekleckert kommen. Sehen Sie ihnen in die
Augen, schütteln Sie ihnen die Hand. Dann überreichen Sie
den Scheck. Wir müssen ein paar Pflöcke einschlagen. Das
muss alles unter vier Augen laufen, damit denen das auch
klar ist. Denn das wird später mal zumindest ein Einstieg
sein, um Beziehungen aufzubauen.»
Bossie war noch nicht fertig. «Sagen Sie deutlich: Das
hier ist für Sie, zweitausendvierhundert Dollar.» Der höchste
erlaubte Betrag. «Es müssen Barschecks sein, echtes
Geld, für ihren eigenen Wahlkampf, damit die sich erinnern,
dass es von Ihnen persönlich kommt. Ab da wissen die Republikaner,
dass Sie es ernst meinen.»
Das viele Geld, erklärte Bossie, sei zentraler Baustein
der Kunst präsidentieller Politik. «Später wirft es Riesendividenden
ab.» Wichtig seien die Kandidaten der Republikaner
in ein paar hart umkämpften Staaten, in Swing States
wie Ohio, Pennsylvania, Virginia und Florida.
Und noch eins, sagte Bossie: «Sie werden etwas Politisches
schreiben müssen. Sie sollten ein Buch verfassen
über Amerika und was Sie so über die jetzige Politik denken.»
Danach hielt Bannon noch ein weitschweifiges Referat
über China, das immer erfolgreicher dabei war, Geld und
Arbeitsplätze aus den Vereinigten Staaten wegzulocken.
Er war besessen von der chinesischen Gefahr.
«Was denkst du?», fragte Bossie ihn hinterher.
«Ich finde den Mann ziemlich beeindruckend», sagte
Bannon. Aber was eine Kandidatur für das Präsidentenamt
anging: «Null Chancen. Schon allein wegen der beiden
Einstiegsszenarien. Der Wichser verteilt keinen einzigen
Scheck. Das ist kein Typ, der Schecks ausschreibt, der
unterschreibt bloß auf der Rückseite» von Schecks, die er
von anderen bekommen hat. «War gut, dass du ihm das gesagt
hast, das wird er nämlich nie tun.»
«Und das Politikbuch?»
«Schreibt der auch nie. Hör mir doch auf. Das kauft sowieso
kein Mensch. Das Ganze war reine Zeitverschwendung,
mal abgesehen vom irrsinnigen Unterhaltungswert.»
Bossie erklärte, falls Trump tatsächlich kandidieren wolle,
werde er versuchen, ihn darauf vorzubereiten. Denn
Trump habe einen einzigartigen Trumpf in der Hand: Mit
dem gesamten Politikbetrieb hatte er nichts, aber auch gar
nichts am Hut.
Sie spazierten weiter, und Bossie gingen dieselben Sätze
durch den Kopf wie sechs Jahre später den meisten Amerikanern.
Der wird nie Kandidat. Der lässt sich nie aufstellen.
Der kündigt das nie an. Der legt nie seine Steuersachen
offen. Richtig? Der macht nichts von alldem. Der wird nie
gewinnen.
«Glaubst du, er tritt an?», fragte er schließlich Bannon.
«Keine Chance. Null Chance», sagte Bannon noch einmal.
«Weniger als null. Guck dir mal an, was für ’n verficktes
Leben der jetzt hat, Alter. Ich bitte dich. Der macht das
nicht. Der lässt sich nicht nackt machen.»
Sechs Jahre später.
Eines ist so gut wie sicher: Die Welt sähe heute ganz anders
aus, hätten sich die folgenden Ereignisse nicht auf eine
so unwahrscheinliche, willkürliche, fahrlässige Weise weiterentwickelt.
Am 21. Juli 2016 ließ sich Donald Trump als
Kandidat der Republikaner aufstellen, und am frühen Morgen
des 13. August 2016 erfuhr sein Streben nach der Präsidentschaft
eine entscheidende Wende.
Steve Bannon, nunmehr Leiter der rechtsgerichteten
Nachrichtenorganisation Breitbart News, saß auf einer
Bank im New Yorker Bryant Park und beugte sich über seine
Zeitungen, sein samstägliches Ritual. Er blätterte zuerst
die Financial Times durch und wandte sich dann der New
York Times zu.
«Trumps Umfeld scheitert daran, seiner Zunge Zügel anzulegen
», lautete die Schlagzeile auf Seite eins der Times.
Bis zur Präsidentschaftswahl waren es noch drei Monate.
«Du meine Güte», dachte Bannon.
Bannons Drama beginnt bei seinem Äußeren – der über
mehreren Polohemden getragenen alten Armeejacke. Sodann:
sein Auftreten – aggressiv, bestimmt und laut.
Die Verfasser der Times-Reportage gaben an, über
zwanzig ungenannte republikanische Informanten zu verfügen,
die Trump nahestanden oder Verbindungen zu seinem
Wahlkampfteam hatten. In dem Artikel wurde Trump als
ein konfuser, ausgelaugter, verdrossener Mann dargestellt,
der ungeschickt agierte, Schwierigkeiten mit Spendern hatte
und gerade in den heftig umkämpften, für den Ausgang
der Wahl entscheidenden Staaten Florida, Ohio, Pennsylvania
und North Carolina einen schweren Stand hatte. Der
Artikel zeichnete ein hässliches Porträt, und Bannon wusste,
dass es der Wahrheit entsprach. Er schätzte, dass Trump
der demokratischen Kandidatin Hillary Clinton um einen
zweistelligen Prozentwert, vielleicht bis zu zwanzig Punkte
unterliegen würde.
Gewiss war Trump ein Medienspektakel, aber er verfügte
noch immer über keinerlei Mannschaft jenseits der vom
Republican National Committee (RNC), dem Organisationsgremium
der Republikanischen Partei, bereitgestellten.
Bannon wusste, dass Trumps Wahlkampfteam sehr überschaubar
war – ein Redenschreiber und etwa sechs Leute,
die überall im Land an den billigsten Veranstaltungsorten,
oft in heruntergekommenen alten Sport- oder Hockeystadien,
Kundgebungen organisierten.
Trotzdem hatte sich Trump als Kandidat gegen sechzehn
Mitbewerber durchgesetzt, er war eine große, vulgäre, subversive
Präsenz, die in exponierter Stellung die Aufmerksamkeit
der Nation auf sich zog.
Bannon, der inzwischen dreiundsechzigjährige Absolvent
der Harvard Business School mit leidenschaftlich nationalistischer
Gesinnung, für den Amerika immer an erster
Stelle stand, rief Rebekah Mercer an.
Mercer und ihre Familie waren eine der wichtigsten und
umstrittensten Geldquellen zur Wahlkampfförderung der
Republikanischen Partei, und Geld war der Motor der amerikanischen
Politik, vor allem auch innerhalb der Partei. Die
Mercers standen ein wenig abseits, aber wegen ihres vielen
Geldes saßen sie doch mit am Tisch. Außerdem hielten sie
Eigentumsanteile an Breitbart.
«Das ist eine üble Sache, weil man uns die Schuld geben
wird», sagte Bannon zu Mercer. Breitbart hatte Trump
in dessen dunkleren Stunden beigestanden. «Das bedeutet
das Ende von Breitbart.»
«Warum greifst du nicht ein?», fragte Rebekah.
«Ich habe in meinem ganzen Leben noch keinen Wahlkampf
geführt», sagte Bannon. Nicht einmal annähernd.
Die Vorstellung war absurd.
«Der Typ ist eine Katastrophe», sagte sie mit Blick auf
Trumps Wahlkampfmanager Paul Manafort. «Der Wahlkampf
ist jetzt führungslos. Trump hört auf dich. Er braucht
immer eine Aufsichtsperson.»
«Hör zu», sagte Bannon, «ich wäre sofort dabei. Aber
warum sollte er das tun?»
«Er war immer ein Außenseiter», sagte sie und wies auf
den Artikel in der New York Times hin. «Sie sind jetzt im
Panikmodus.» Kurz gesagt, Trump könnte Bannon einstellen,
weil er verzweifelt war.
Die Mercers setzten sich mit Trump in Verbindung, der bei
einer Benefizveranstaltung in East Hampton, Long Island,
war, der Heimat von Woody Johnson, Eigentümer der New
York Jets. Normalerweise stellten die Mercers ihre Schecks
aus, ohne den Kandidaten überhaupt sehen zu wollen. Diesmal
verlangten sie zehn Minuten mit Trump.
In einem kleinen Wintergarten redete Rebekah, eine
großgewachsene Rothaarige, drauflos. Ihr Vater Bob Mercer,
ein hochintelligenter Mathematiker, sprach kaum. Er
gehörte zu den Köpfen von Renaissance Technologies, einem
sagenhaft erfolgreichen Hedgefonds, in dem 50 Milliarden
Dollar verwaltet wurden.
«Manafort muss weg», erklärte sie Trump. Sie sagte, es
herrsche Chaos.
«Was schlagen Sie vor?», fragte Trump.
«Steve Bannon wird übernehmen», sagte sie.
«Das macht er niemals.»
Er werde es «definitiv» tun, entgegnete sie.
Abends rief Bannon Trump an.
«Diese Zeitungsgeschichte ist eine Peinlichkeit», sagte
Bannon mit Bezug auf den Artikel in der New York Times.
«Sie sind besser. Wir können gewinnen. Wir sollten gewinnen.
Himmelherrgott, wir reden hier von Hillary Clinton.»
Trump ließ sich über Manafort aus. «Der ist total hölzern
», sagte er. Er sei nicht fürs Fernsehen geeignet.
«Treffen wir uns morgen und stellen die Sache auf die
Beine. Wir kriegen das hin», ereiferte sich Bannon. «Aber
zu niemandem ein Wort.»
Trump stimmte einem Treffen am darauffolgenden
Sonntagmorgen zu.
Eine politische Figur, die sich an diesem Tag ebenfalls
Sorgen machte, war Reince Priebus, der vierundvierzigjährige
Vorsitzende des Republican National Committee und
Anwalt aus Wisconsin. Während seines fünfjährigen Vorsitzes
war Priebus Mr. Brückenbauer und Mr. Netzwerker gewesen.
Hinter seinem fröhlichen Auftreten verbarg sich vor
allem die Absicht, das Reich zu vergrößern. Priebus traf die
finanziellen Entscheidungen der Partei, war für die Einstellung
der 6500 Außendienstmitarbeiter zuständig, trat regelmäßig
im Fernsehen auf und verfügte über ein eigenes
Öffentlichkeitsteam. Er befand sich in einer unangenehmen
Lage.
Privat betrachtete Priebus den August als eine einzige
Katastrophe. «Ein permanent laufender Heizstrahler, der
einfach nicht aufhörte.» Und verantwortlich war der Kandidat
Trump.
Priebus hatte von Anfang an versucht, den Wahlkampf
zu steuern. Als Trump in der Rede zum Antritt seiner Kandidatur
am 16. Juni 2015 Mexikaner als «Vergewaltiger» bezeichnete,
rief Priebus ihn an und sagte: «So können Sie
nicht reden. Wir haben hart daran gearbeitet, die Hispanics
für uns zu gewinnen.»
Trump änderte seinen Tonfall nicht, und er griff jeden
an, der ihn angriff. Kein Vorsitzender einer nationalen Par
tei hatte es je mit einem solchen Plagegeist wie Trump zu
tun bekommen.
Senator Mitch McConnell, der gewiefte republikanische
Mehrheitsführer, hatte Priebus im Vertrauen angerufen.
Seine Botschaft: Vergessen Sie Trump, lenken Sie die republikanischen
Gelder in die Richtung von uns Senatskandidaten,
und drehen Sie Trump den Geldhahn zu.
Aber Priebus wollte die Brücken zu Trump nicht abbrechen,
und er beschloss, auf halbem Weg zwischen Trump
und McConnell vor Anker zu gehen. Er hielt das für die richtige
Taktik, um sein eigenes Überleben und das der Partei
zu sichern. Er hatte zu Trump gesagt: «Ich bin hundertprozentig
auf Ihrer Seite. Ich bin ein Fan von Ihnen. Ich werde
weiter für Sie arbeiten. Aber ich muss die Partei schützen.
Ich bin nicht nur Ihnen verpflichtet.»
Priebus hatte eingewilligt, Trump im Wahlkampf zu begleiten
und ihn bei öffentlichen Auftritten anzukündigen.
Für ihn hieß das, einem Ertrinkenden die Hand zu reichen.
Der Times-Artikel über die gescheiterten Versuche,
Trump im Zaum zu halten, hatte eine aufrüttelnde Wirkung.
«Ach du Scheiße!», dachte Priebus. «Das ist eine Katastrophe.
» Die Wahlkampagne zerlegte sich gerade selbst. «Es
war gar keine Kampagne», hatte er schließlich festgestellt.
«Die reinsten Witzfiguren.»
In dem Times-Artikel wurde so viel ausgebreitet, dass
Priebus klarwurde, die zwanzig Quellen wollten entweder
den Wahlkampf sabotieren oder sich wie üblich selbst ins
rechte Licht rücken.
Gefährliche Zeiten für Trump und die Partei, vielleicht
die schlimmsten überhaupt, dachte Priebus. Es gab nur einen
Weg: die Lage an allen Fronten zur Eskalation bringen.
Die Aggression maximieren, um die lebensbedrohliche
Schwäche zu verschleiern.
An jenem Sonntagmorgen traf Steve Bannon am Trump
Tower in Manhattan ein und sagte dem Wachmann, er habe
einen Termin mit Mr. Trump.
«Das ist ja klasse», sagte der Wachmann. «Am Wochenende
ist er grundsätzlich nicht hier.»
Bannon rief Trump an.
«Hey», erklärte der Kandidat, «ich bin in Bedminster» –
wo der Trump National Golf Club ansässig war. «Weil Sie
nicht hier sind, gehe ich eine Runde Golf spielen. Kommen
Sie her, dann essen wir zu Mittag. Sagen wir um eins.»
Er setzte an, um Bannon genaue Anweisungen für die
Fahrt ins 65 Kilometer westlich von New York gelegene
Bedminster zu geben.
«Ich finde es schon», sagte Bannon.
Nein, er müsse rechts in die Rattlesnake Bridge Road
abbiegen, dann wieder rechts und dann anderthalb Kilometer
geradeaus.
«Ich finde es schon. Es ist Ihr National Golf Club.»
Nein, beharrte Trump, Sie müssen mir zuhören. Trump
gab ihm vollständige Anweisungen, detaillierter als alles
andere, was Bannon je aus seinem Mund gehört hatte.
Bannon ließ sich von einem Fahrer gegen Mittag nach
Bedminster bringen, um in jedem Fall rechtzeitig da zu sein.
Im Klubhaus wurde er an einen für fünf Personen gedeckten
Tisch geführt.
Er sei früh dran, sagte jemand vom Personal zu ihm. Die
anderen werden erst gegen 13 Uhr eintreffen.
Welche anderen?, fragte Bannon.
Roger Ailes, Gouverneur Chris Christie und «der Bürgermeister
» – Rudy Giuliani – würden auch am Essen teilnehmen.
Bannon war sauer. Er war nicht zum Vorsingen vor irgendwem
gekommen. Trump und er hatten eine Abmachung
getroffen, einen Deal zu klaren Konditionen.
Ailes, Gründer und Chef von Fox News und langjähriger
politischer Funktionär, dessen Engagement bis in die Zeit
von Richard Nixon zurückreichte, erschien als Erster. Er
war einer von Bannons Ziehvätern.
«Was zum Teufel?», sagte Ailes und begann umgehend,
den Wahlkampf zu kritisieren.
«Wie schlimm sehen die Zahlen aus?», fragte Bannon.
«Das wird ein Reinfall.»
«Ich habe gestern Abend mit Trump gesprochen», sagte
Bannon. «Die Mercers haben mit ihm geredet. Ich soll
den Wahlkampf übernehmen, aber sag den anderen beiden
nichts davon.»
«Was zum Teufel?», sagte Ailes wieder. «Du hast doch
überhaupt keine Wahlkampferfahrung.» Das sei völlig abwegig.
«Ich weiß, aber jeder könnte etwas Besseres aufstellen
als das hier.»
Obwohl Bannon Ailes seit Jahren kannte, trat er nie auf
Ailes’ Kanal Fox News auf.
Bannon sagte einmal: «Ich bin nie auf Fox aufgetreten,
weil ich ihm zu nichts verpflichtet sein wollte … Wenn du
Roger zu irgendetwas verpflichtet bist, dann gehörst du
ihm mit Haut und Haar.»
Das stand in völligem Gegensatz zu seiner Beziehung zu
Trump, der für ihn ein Bittsteller war. Trump hatte zwischen
November 2015 und Juni 2016 an einer Reihe von Radio-Interviews
mit Bannon unter dem Titel Breitbart News Daily
auf Sirius XM teilgenommen.
Ailes sagte, sie seien zum Zweck ihrer wöchentlichen
Duellvorbereitung hier. Das erste Präsidentschaftsduell gegen
Hillary Clinton sollte in anderthalb Monaten, am 26.
September, stattfinden.
«Duellvorbereitung?», sagte Bannon. «Du, Christie und
Rudy?»
«Das ist unsere zweite.»
«Er bereitet sich wirklich auf die Duelle vor?», sagte
Bannon, mit einem Mal beeindruckt.
«Nein, er kommt und spielt Golf, und wir reden einfach
über den Wahlkampf und so weiter. Aber wir wollen ihn an
die Sache heranführen.»
Der Wahlkampfmanager Paul Manafort kam herein.
Bannon, der sich regelmäßig als «feuerspeienden Populisten
» bezeichnete, war angewidert. Manafort war gekleidet
wie für einen Yachtausflug, inklusive Einstecktuch. Wie
aus Southampton zugeschaltet!
Trump kam und setzte sich. Hotdogs und Hamburger
wurden aufgetischt. Das Traummenü eines Elfjährigen,
dachte Bannon, während Trump zwei Hotdogs verschlang.
Trump erwähnte die Geschichte in der New York Times
über die gescheiterten Versuche, seine Zunge zu zügeln,
und fragte Manafort, wie es überhaupt zu einem solchen
Artikel kommen könne. Das war eines der Trump’schen Paradoxe:
Er attackierte die Mainstream-Presse, vor allem die
Times, mit wahrer Wollust – aber der Kampfsprache zum
Trotz betrachtete er die Times als Leitmedium und schenkte
ihren Artikeln weitgehend Glauben.
«Paul, bin ich ein Baby?», fragte Trump zu Manafort.
«Willst du mich als Baby bezeichnen? Du kommst im Fernsehen
schrecklich rüber. Du hast keine Energie. Du verkörperst
den Wahlkampf nicht. Ich habe es dir im Guten gesagt.
Du trittst nicht mehr im Fernsehen auf.»
«Donald …», setzte Manafort zu einer Erwiderung an.
Bannon vermutete, dass diese vertraute Art der Anrede
beim Vornamen, sozusagen auf Augenhöhe, Trump verärgerte.
«Sie müssen sich eines klarmachen, Mr. Trump», sagte
Bannon, «dieser Artikel berief sich auf sehr viele ungenannte
Informanten; wir können den Wahrheitsgehalt nicht
überprüfen.»
«Nein, das kann ich euch sagen», antwortete Trump, der
seinen Zorn auf Manafort richtete. «Das sind undichte Stellen.
» Er wusste, dass die Zitate echt waren.
«Vieles wurde nur unter der Bedingung gesagt, dass keine
Namen genannt werden», sagte Bannon. Niemand will
identifiziert werden, alle verstecken sich. «Die New York
Times, das sind alles Lügen. Hören Sie, das ist doch alles
Blödsinn», setzte Bannon seine vollmundige Gegenrede
fort, obwohl er wusste, dass die Geschichte stimmte.
Trump kaufte es ihm nicht ab. Die Geschichte war die
reine Wahrheit, und sein Wahlkampfteam steckte voller
Leaker. Manaforts Vernichtung dauerte noch eine Weile an,
dann erzählte Trump eine halbe Stunde lang Geschichten
aus dem Krieg. Manafort ging.
«Bleiben Sie noch», sagte Trump zu Bannon. «Das ist alles
fürchterlich. Es ist so unkontrolliert. Dieser Typ ist so
ein Schwächling. Er führt den Wahlkampf gar nicht richtig.
Ich habe ihn nur geholt, damit er mir durch den Nominierungsparteitag
hilft.»
«Machen Sie sich keine Gedanken wegen irgendwelcher
Zahlen», sagte Bannon. «Machen Sie sich keine Gedanken
wegen dieser 12 bis 16 Punkte, oder wie auch immer die
Umfrageergebnisse lauten. Machen Sie sich keine Gedanken
wegen der Swing States. Es ist ganz einfach.» Zwei
Drittel des Landes sind der Meinung, wir sind auf dem falschen
Weg, und 75 Prozent des Landes sind der Meinung,
wir sind auf dem absteigenden Ast, setzte er auseinander.
Das ebne den Weg für jemanden, der für den Wechsel stehe.
Hillary gehöre der Vergangenheit an. So einfach sei das.
In gewisser Weise hatte Bannon sein gesamtes Erwachsenenleben
lang auf diesen Augenblick gewartet. «Ich sage
Ihnen, was der Unterschied ist», erklärte er. «Wir werden
uns einfach neben Clinton stellen und uns von ihr abheben.
Sie dürfen eins nicht vergessen», sagte er und rezitierte eines
seiner Mantras: «Die Eliten geben sich damit zufrieden,
den Niedergang zu verwalten. Oder?»
Trump nickte zustimmend.
«Und die arbeitende Bevölkerung tut es eben nicht. Sie
will Amerika wieder groß machen. Wir werden diesen Wahlkampf
vereinfachen. Sie ist die Tribunin eines korrupten
und inkompetenten Status quo der Eliten, die sich damit
zufriedengeben, den Niedergang zu verwalten. Sie sind der
Tribun der Abgehängten, der Amerika wieder groß machen
will. Und dabei beschränken wir uns auf eine Handvoll Themen.
–
Erstens», fuhr Bannon fort, «werden wir die illegale
Masseneinwanderung stoppen und die legale Einwanderung
begrenzen, um unsere Volkshoheit zurückzugewinnen.
Zweitens werden Sie die Arbeitsplätze im Produktionssektor
wieder ins Land holen. Und drittens werden wir uns
aus diesen sinnlosen Auslandskriegen zurückziehen.»
Für Trump waren das keine neuen Gedanken. Eine Woche
zuvor, am 8. August, hatte er in einer Rede vor dem Detroit
Economic Club genau diese Töne angeschlagen und
Clinton niedergemacht. «Sie ist die Kandidatin der Vergangenheit.
Unserem Wahlkampf gehört die Zukunft.»
«Das sind die drei großen Themen, gegen die sie nichts
vorzubringen hat», sagte Bannon. «Sie ist Teil der Bewegung,
die die Grenzen geöffnet hat, sie ist mitverantwortlich
für die schlechten Handelsvereinbarungen und die
nach China abgewanderten Arbeitsplätze, und sie ist eine
Neokonservative. Richtig?»
Trump schien ebenfalls der Meinung zu sein, dass Hillary
eine Neokonservative war.
«Sie hat jeden Krieg da draußen unterstützt», sagte Bannon.
«Wir machen sie einfach nur nieder. Das ist alles. Bleiben
Sie einfach dabei.»
Bannon setzte hinzu, dass Trump über einen weiteren
Vorteil verfüge. Er klinge nicht wie ein Politiker. Das sei es,
was Barack Obama in der Vorwahl von 2008 Clinton vorausgehabt
habe, die wie die geschulte Politikerin spreche,
die sie ja auch sei. Ihre Sprache sei zu poliert. Selbst wenn
sie die Wahrheit sage, klinge die aus ihrem Mund wie eine
Lüge.
Politiker wie Hillary könnten nicht natürlich reden, sagte
Bannon. Es sei eine mechanische Sprechweise, die sich
direkt aus den Umfragen und Fokusgruppen speise und die
Fragen im Politikersprech beantwortete. Sie sei einlullend
statt aufrüttelnd, sie komme nicht von Herzen oder aus tiefer
Überzeugung, sondern fuße auf den Argumentationshilfen
irgendeines hochbezahlten Beraters – nicht wütend.
Okay, sagte Trump, Sie werden Wahlkampfleiter.
«Ich will kein großes Theater um Ränkespiele», sagte
Bannon. «Lassen Sie uns Manafort als Vorsitzenden behalten.
Er wird nichts zu melden haben. Überlassen Sie das
mir.»
Sie einigten sich darauf, dass Kellyanne Conway – eine
angriffslustige republikanische Meinungsforscherin, die
den Wahlkampf bereits unterstützte – zur Wahlkampfmanagerin
ernannt werden sollte.
«Wir schicken sie jeden Tag als das freundliche weibliche
Gesicht des Ganzen ins Fernsehen», schlug Bannon vor.
«Denn Kellyanne ist eine Kriegerin. Sie wird das feindliche
Feuer auf sich ziehen. Aber sie ist beliebt. Und Beliebtheit
ist das, was wir brauchen.»
In einem Moment der Selbsterkenntnis fügte er hinzu:
«Ich werde nie im Fernsehen auftreten.»
Auch Conway hatte noch nie einen Wahlkampf geleitet.
Damit waren sie zu dritt – der strahlende Kandidaturnovize,
der Wahlkampfleiter und die Wahlkampfmanagerin.
Kellyanne Conway überwachte in diesem Monat die Produktion
einiger Wahlkampfwerbespots.
«Bezahle ich diese Leute?», fragte Trump sie.
Er beschwerte sich über die Kameraaufstellung. Die
Ausrüstung wirke veraltet, und das Licht gefalle ihm nicht.
Die Aufnahmen seien nicht in HD. Er murrte über die Crew.
«Sagen Sie ihnen, dafür zahle ich nicht.» Das war ein Standardsatz
von ihm.
Später sagte er: «Alle außer Kellyanne sollen gehen.»
«Ich kriege ständig zu hören, dass ich ein viel besserer
Kandidat bin als Hillary Clinton», sagte er, halb um ihre Einschätzung
bittend.
«Nun, ja, Sir. Dazu braucht es keine Umfragen.» Aber
man könne einiges anders machen. «Sie treten gegen die
freudloseste Kandidatin in der Präsidentschaftsgeschichte
an. Und allmählich fühlt es sich an, als wären wir genauso.»
«Nein, sind wir nicht.»
«Es fühlt sich nur so an. Ich habe Sie während der Vorwahlen
beobachtet, und da wirkten Sie viel fröhlicher.»
«Ich vermisse die Zeit, als wir mit einer Handvoll Leute
durch die Gegend geflogen sind, Wahlveranstaltungen
gemacht haben und mit den Wählern zusammengekommen
sind», sagte Trump.
«Die Zeiten sind vorbei», räumte sie ein. «Aber um Ihnen
gerecht zu werden, sollten wir diese Stimmung in einer
Wahlstrategie und einem Terminplan wieder zum Leben erwecken
können, damit Ihre Fähigkeiten und Ihr Enthusiasmus
wieder voll zum Tragen kommen.»
Sie versuchte es mit Offenherzigkeit. «Sie wissen, dass
Sie verlieren? Aber das muss nicht sein. Ich habe mir die
Umfragen angesehen.» Beim Fernsehsender CNN war er an
diesem Tag um fünf bis zehn Prozentpunkte gefallen. «Es
gibt einen Weg zurück.»
«Nämlich?»
Sie war der Meinung, ihm sei etwas gelungen, ohne dass
er es gemerkt habe. «Das Gerede von der Wählbarkeit, die
der Republikanischen Partei das Wasser abgegraben hat»,
dass er aus irgendeinem Grund nicht gewinnen könne und
nicht wählbar sei.
Die Wähler seien enttäuscht von den republikanischen
Präsidentschaftskandidaten. Die Argumente lauteten: «Wir
müssen uns hinter Mitt Romney stellen. Er kann als Einziger
gewinnen. Wir müssen John McCain unterstützen. Er
kann gewinnen. Jeb kann gewinnen. Marco kann gewinnen.
Dieser hier», Trump, Sie, «der kann nicht gewinnen. Das
Volk hat entschieden. Ich falle nicht mehr drauf rein», und
er hatte sich bei den Republikanern als Kandidat durchgesetzt.
«Sie ziehen große Massen an, wo Sie gar keinen traditionellen
politischen Wahlkampf auf die Beine gestellt haben.
Sie haben eine Bewegung ins Leben gerufen. Und die
Leute fühlen sich als Teil von ihr. Die haben keinen Eintritt
bezahlt. Ich kann Ihnen sagen, was ich aus den Umfrageergebnissen
herauslese. Wir sind mit zwei großen Hindernissen
konfrontiert.» Sie sagte, man sollte niemals nationale
Umfragen durchführen. «Das ist der große Fehler der
Medien», die nationale Umfragen durchführten. Wahlentscheidend
sei offenkundig das Wahlmännerkollegium – man
müsse die 270 Wahlmännerstimmen bekommen. Sie müssten
die richtigen Staaten in Angriff nehmen, die etwa acht
Swing States.
«Die Leute wollen detaillierte Vorschläge», sagte Conway.
Es sei großartig von Trump gewesen, im Juli seinen
Zehn-Punkte-Plan zur Reform der Veteranenversorgung
oder einen geplanten Fünf-Punkte-Plan zur Steuerreform
vorzustellen. «Die Leute wollen diese Art von Details,
aber man muss sie ihnen immer wieder vorkauen. –
Die zweite verwundbare Stelle ist in meinen Augen, dass
die Leute sicher sein wollen, dass Sie Ihre Versprechungen
auch halten. Denn wenn Sie nicht liefern können, wenn der
Geschäftsmann nicht zum Abschluss kommen und liefern
kann, dann sind Sie nur irgendein weiterer Politiker. Und
genau das sind Sie nicht.»
Es war ein Verkaufsgespräch, ein Weg, den Trump zu
begrüßen schien.
«Meinen Sie, Sie können dieses Ding leiten?», fragte er.
«Was ist denn ‹dieses Ding›?», fragte sie. «Ich leite hier
die Aufnahmen.»
«Den Wahlkampf», sagte Trump. «Den ganzen. Wären
Sie bereit, Ihre Kinder ein paar Monate lang nicht zu sehen?»
Sie sagte auf der Stelle zu. «Sir, das kann ich für Sie tun.
Sie können dieses Wettrennen gewinnen. Ich glaube nicht,
dass ich Ihnen ebenbürtig bin. Ich werde Sie nie mit dem
Vornamen ansprechen.»
[...]
Umgekehrt sind die populistischen Einflüsterer Trumps ebenso mit allen Wassern gewaschen. Auch sie halten sich nicht an das Protokoll, sondern umgehen die Entscheidungswege im Weißen Haus und nutzten ihren direkten Zugang zum Präsidenten. Mit Appellen an seine Wahlversprechen bringen sie den Präsidenten auf ihre Seite. Mit Erfolg: Amerika stieg aus dem Pariser Klima-Abkommen aus, Donald Trump verhinderte eine Einwanderungsreform durch seine Forderung nach einem Ende der Familienzusammenführung und nach dem Bau der Mauer zu Mexiko.
Donald Trump kam unvorbereitet ins Amt. Von seinem Wahlsieg war er selbst am meisten überrascht. Um so verblüffender ist seine Beratungsresistenz. Immer wieder geht sein isolationistischer Instinkt mit ihm durch, seine fehlenden volkswirtschaftlichen Grundkenntnisse sind frappant. Aber Fakt ist Fakt: Donald Trump gibt den Takt vor. Er mag dabei geleitet sein von seiner Fixierung auf "Ratings" in Öffentlichkeit und Medien, von seinem narzisstischen Hang zur hyperbolischen Selbstpreisung und seiner Erfahrung als Instinktpolitiker. Für ihn ist Entschuldigung eine Schwäche und Macht bedeutet, anderen Angst einzuflößen. Daher der Titel des Buches„Furcht“, der ein Zitat von Donald Trump aus dem Wahlkampf 2016 aufgreift und mit dem sich Trump, wenngleich unfreiwillig, in die Nähe des römischen Kaisers Caligula bringt, von dem der Satz stammt: "Sie mögen mich hassen, wenn sie mich nur fürchten".
Woodwards Buch sorgte für Aufsehen in Washington. Allerdings nicht damit, worin seine Stärke liegt: nämlich in der Darstellung regierungsinterner und kontrovers geführter Politikdebatten, sondern durch Zitate, die von den handelnden Personen so vehement wie letztlich durchsichtig bestritten wurden. Hat Donald Trump nun seinen Justizminister Jeff Sessions einen geistig zurückgebliebenen Südstaatler genannt? Hält Verteidigungsminister Jim Mattis seinen Präsidenten für ein irrlichterndes Sicherheitsrisiko? Nahm der frühere Außenminister Rex Tillerson nach einer heftigen Strategie-Diskussion das Wort Dummkopf in den Mund?
Auch wenn Bob Woodward mit seinem Namen für die Authentizität der Zitate bürgt: die Frage, ob sie wirklich so gefallen sind ist letztendlich Glaubenssache und lenkt vom wahren Wert des Buches ab. Denn Woodward ist besonders stark in der außenpolitischen Analyse, in der Darstellung der amerikanischen Debatten zur Nahost-Politik, zum Einsatz in Afghanistan und zur Handelspolitik. Der Schwenk zu Saudi-Arabien als wichtigstem Verbündeten in der Region wird deutlich herausgearbeitet, eine strategische Korrektur, die auf Trumps Schwiegersohn Jared Kushner zurückgeht. Jim Mattis’ Iran-Politik gewinnt an Konturen, auch die Regierungssicht auf Nordkorea erschließt sich. Und die Überlegungen zum Tyrannenmord in Syrien finden sich erstmals in Bob Woodwards Buch. Nicht Regime Change lautet die Losung, sondern Man Change. Die von Woodward vermittelten Einblicke in das Denken der Trump-Administration sind einzigartige Quellen, durch die die Grundzüge der heutigen US-Politik und die Quintessenz des Trumpismus deutlich werden: America First; Make America Great Again; Amerika wird international ausgenutzt; Amerika geht es immer schlechter und die Elite verwaltet nur den Niedergang.
Frühere Bücher über die ersten Monate der Trump-Administration illustrierten das Chaos in einer dysfunktionalen Regierung. Bei Woodward lautet die Botschaft anders: Donald Trumps Regierungsstil ist ungewohnt und egozentrisch, sein Team ist heterogen. Die intensiven Debatten auf Expertenebene finden keinen Widerhall bei einem Präsidenten, der nicht liest, zu viel fernschaut und außenpolitisch unbeleckt ist. Das heißt aber noch lange nicht, dass die gesamte Regierung im Chaos versinkt, auch wenn das Weiße Haus einer Schlangengrube schon sehr nahe kommt. Zu oft blickt man in Europa nur auf Donald Trump und seinen erratischen Politikstil. Die Debatten unterhalb dieser Wahrnehmungsschwelle entgehen meist der medialen Aufmerksamkeit. Bob Woodward sind sie nicht entgangen und er führt beide Stränge zusammen: Die narzistische Oberflächlichkeit des Präsidenten und die strategische Expertise der wichtigsten Regierungsvertreter etwa im Außenministerium, dem Sicherheitsrat oder dem Handelsbüro. Ein einhelliges Ganzes kann daraus nicht werden, Bob Woodward belegt es. Und das ist auch die zentrale Aussage des Buches: Donald Trump ist gefährlich, für den Frieden in Amerika und in der Welt.
Seine präzisen Kenntnisse aus der Regierungspraxis gewinnt Woodward durch intensive Gespräche mit zentralen Akteuren dieser Regierung. Es sind dies Gary Cohn, oberster Wirtschaftsberater bis zum März 2018, Reince Priebus, bis zum Sommer 2017 Chief of Staff im Weißen Haus, Rob Porter, bis Februar 2018 Chef-Sekretär von Donald Trump und damit „Gate Keeper“ zum Präsidenten, Senator Lindsay Graham aus South Carolina, Außenpolitiker und gewiefter Deal Maker im Senat sowie Steve Bannon, bis August 2017 Trumps Chefstratege. Der gute Draht zu Washingtons Insidern unterscheidet Woodwards Buch von der einseitigen Quellenlage früherer Bücher über Donald Trump. Der Autor bürgt natürlich auch mit seinem Namen. Wer Watergate aufgedeckt hat, kann auch zu Trump seriös recherchieren. Seinem exzellenten Ruf wurde Bob Woodward mit Furcht erneut gerecht.
Seine Quellen sprudeln, und Woodward lässt sie meist ungeschminkt zu Wort kommen. Der Leser hat den Eindruck, er wäre bei den Meetings hinter verschlossenen Türen selbst dabei. Doch dieser direkte Erzählstil hat auch einen Nachteil. Woodward springt von Thema zu Thema, er verzichtet auf Kapitelüberschriften und gibt wenig Orientierung in diesem Labyrinth der Trumpschen Politik.
So finden sich Passagen zur Beziehung zwischen Donald und Melania neben den Absätzen zu den FBI-Untersuchungen gegen den Präsidenten. Von der Einwanderungspolitik geht es nahtlos über zu Korea, ohne dass der Migrationsfaden später wieder aufgegriffen wird. Eine schärfere inhaltliche Anordnung mit nachvollziehbarer Kapitelabfolge hätte dem Buch gut getan. Es bleibt aber das einzige Manko. Bob Woodward hat famose Einblicke in das Innenleben der Trump-Administration geliefert. Wer diese US-Regierung verstehen will, kommt an Furcht nicht vorbei. In dieser Regierung arbeiten im Hintergrund nach wie vor hervorragende Köpfe, keineswegs nur durchgeknallte Populisten oder Trumpisten. Wer sich die Mühe machen will, genauer hinzusehen, findet in Bob Woodward eine große Hilfe. Viele dieser mäßigenden Kräfte auf der höchsten Ebene sind inzwischen von Bord gegangen, keine der wichtigsten Quellen Woodwards ist heute noch im Weißen Haus. Optimistisch stimmt dies nicht.
Amerikas Politik steckt in der Krise. Die bevorstehenden Midterm Wahlen mit den absehbaren Gewinnen der Demokraten werden diese Krise verschärfen. Das Repräsentantenhaus wird wohl eine demokratische Mehrheit bekommen, der Senat in republikanischer Hand bleiben. Polarisierung und parteipolitische Konfrontation werden zunehmen, der Präsident innenpolitisch gelähmt sein und sich umso stärker auf die Außenpolitik stürzen. Woodwards Buch endet dramatisch. Trumps persönlicher Anwalt in den Russland-Ermittlungen schmeißt hin und denkt: „Dieser Präsident ist ein notorischer Lügner“. Dies Trump ins Gesicht zu sagen, traute er sich nicht. Doch die Demokraten werden davor nicht mehr zurückschrecken. Woodward, der Nixon zu Fall brachte, bevor überhaupt der Impeachment-Prozess anlgelaufen war, spielt offen auf eine Wiederholung dieses Szenarios an und macht keinen Hehl daraus, dass ihm das außenpolitische Establishment Washingtons dafür dankbar wäre.
Die Fährte zur Entmachtung des Präsidenten könnte er mit seinem Buch gelegt haben.
Autor: Christian Forstner, HSS