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Amerikas Blick auf die Bundestagswahlen
Hauptsache zügig zur neuen Regierung

Wie sieht Washington das Ergebnis der Bundestagswahl? Eines ist klar: große Umbrüche im Verhältnis zu den USA sind weder unter einem Kanzler Laschet noch unter Scholz zu erwarten.

Für Joe Smith in Kentucky waren die Bundestagswahlen so interessant, als ob in China der sprichwörtliche Sack Reis umfällt. All Politics is local, für den Durchschnittsamerikaner zählen Job, Familie, Kinder, Kirche, Football und Baseball, nicht das zähe Ringen um eine neue Koalition in Berlin.

Die beiden Flaggen der USA und Deutschlands wehen nebeneinander im Wind

Für die USA ist die Frage, wann eine neue Regierung steht, wichtiger als die Person. Die Biden-Administration wünscht sich Scholz, kann aber auch mit Laschet leben.

Vector; HSS; IStock

Das politische Establishment in Washington hat dagegen sehr genau auf die Bundestagswahl geschaut. Deutschland ist Amerikas wichtigster Partner in Europa und Angela Merkel war eine tragende Säule der transatlantischen Beziehungen gerade in den vergangenen Jahren, als das deutsch-amerikanische Verhältnis unter Donald Trump in schwierigem Fahrwasser war. Merkels Ausscheiden aus dem Kanzleramt wird in Washington bedauert. Amerika wünscht sich jetzt eine schnelle Regierungsbildung und ein handlungsfähiges neues Kabinett.

Vorfreude auf Scholz-Regierung

Trotz öffentlicher Zurückhaltung liebäugelt die Biden-Administration eher mit einer von Olaf Scholz geführten Mitte-Links-Regierung. Zum einen ist Olaf Scholz überzeugter Transatlantiker und Washington glaubt, dass ein Kanzler Scholz die anti-amerikanischen Reflexe in der SPD und auch bei den Grünen im Zaum halten kann. Und zum anderen sieht man in den großen politischen Linien deutliche Überschneidungen mit eigenen Prioritäten. Klimaschutz ist eine globale Bedrohung und kann nur gemeinsam angegangen werden. Die Weltwirtschaft braucht aus Sicht der Demokraten in den USA nach der COVID-Krise umfangreiche Konjunkturprogramme. Die Lesart in Washington ist: Eine Scholz-Regierung tendiert zu mehr Staatsausgaben, argumentiert makroökonomisch in Richtung deficit spending und modern monetary theory, rückt von der schwarzen Null ab, nutzt den Verschuldungsspielraum des Wachstums- und Stabilitätspaktes in Europa und sträubt sich nicht gegen Euro-Bonds.

Außenpolitisch erwartet man in Washington bei einer Regierungsbeteiligung der Grünen eine härtere Gangart gegenüber dem autoritären China und eine anhaltende kritische Reflexion über Nord Stream 2 auch nach Fertigstellung und Inbetriebnahme der Pipeline.  

Jamaika?

Bei einer theoretisch möglichen CDU-geführten Jamaika-Koalition überwiegen für Washington die Kontinuitäten im transatlantischen Verhältnis. Man arbeitet zusammen, dämpft jedoch die eigenen Erwartungen. CDU und FDP gelten als verlässliche Freunde Amerikas und Fürsprecher enger transatlantischer Bande. Eine wirtschaftsnahe Laschet-Regierung würde China und Russland weiterhin als wichtige Wirtschaftspartner und Exportmärkte sehen und an einer merkantilistischen Außenpolitik festhalten. Hoffnungen auf große Durchbrüche bei den Verteidigungsausgaben hin zur Umsetzung des 2 Prozent Ziels von Wales knüpft man auch an eine Jamaika-Koalition nicht.

Washington weiß aus den vergangenen Jahren, wie schwer sich Deutschland mit Militärausgaben tut. Europa könnte zwar sicherheits- und verteidigungspolitisch unter einem Kanzler Laschet erstarken, was Washington grundsätzlich begrüßen würde. Doch die Konsequenzen einer europäischen Verteidigungsunion rufen auch Sorgen hervor, da dies auf mehr Selbständigkeit Europas und geringere militärische Abhängigkeit von den USA hinausläuft. Auch handelspolitisch sieht man – egal mit welcher Regierung – wenig Dynamik und Spielraum, zumal Brüssel, nicht Berlin in der Handelspolitik der zentrale Ansprechpartner ist und es die EU-Kommission ist, die die verschiedenen, teilweise protektionistischen Interessen der EU-Mitgliedsstaaten ausbalancieren muss.

Somit gilt: Washington erwartet weder unter Kanzler Scholz noch unter Kanzler Laschet große Veränderungen in den transatlantischen Beziehungen, setzt aber in den großen Fragen Klima, China und Konjunkturprogramme auf die Gemeinsamkeiten einer Ampel-Koalition. Die Biden-Administration wünscht sich eher Scholz, kann aber auch mit Laschet leben.

Oberflächlicher Blick

Washington hält sich nicht mit dem Kleingedruckten in den transatlantischen Beziehungen auf. Das Hauptaugenmerk der US-Administration und des Kongresses gilt der Innenpolitik. Es stehen große und teure Infrastruktur- und Sozialprojekte an, es droht eine Haushaltssperre und ein government shutdown, und nächstes Jahr sind schon wieder Kongresswahlen, bei denen die regierenden Demokraten hauchdünne Mehrheiten verteidigen müssen. Entscheidend ist für Washington nicht, wer in Berlin regiert, sondern dass in Berlin regiert wird.

Der häufig oberflächliche Blick Amerikas auf die deutsche Politik ist besonders bei Republikanern auffallend. Für das Trump-Lager war Angela Merkel schon lange keine echte Konservative mehr, Trumpisten würden sie als RINO bezeichnen, Republican In Name Only, CDU nur dem Namen nach. Dass die CDU in der Mitte verloren und einen beim Wähler nicht sehr populären Spitzenkandidaten ins Rennen geschickt hat, will in den polarisierten Republikanerkreisen niemand hören.

Nur aufmerksame Deutschland-Kenner, und die gibt es in Washington auch, nehmen wahr, dass die politischen Ränder links und rechts bei der Bundestagswahl geschwächt wurden, und dass die politische Mitte nicht zerfällt. Politische Kompromisse, lange Sondierungsgespräche und komplizierte Regierungskoalitionen kennt man in Washington nicht. Washington tut sich schwer, die Bundestagswahl zu verstehen.

Autor: Christian Forstner, HSS, Washington

Leiter Institut für Europäischen und Transatlantischen Dialog

Dr. Wolf Krug