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Zum dritten Mal Wahlen in Israel
Kaum Aussicht auf Regierungsbildung

Zum dritten Mal binnen eines Jahres sind knapp 6 Millionen Israelis aufgerufen, am 2. März 2020 bei landesweiten Parlamentswahlen über die Zusammensetzung der Knesset abzustimmen. Bei den Wahlen im April und September 2019 hatte keine der Parteien die Mehrheit von 61 Stimmen zur Regierungsbildung erhalten.

  • Ministerpräsident Benjamin Netanyahu und Oppositionsführer Benny Gantz 
  • Aktuelle politische Situation
  • Reaktionen auf den Nahost-Plan 
  • Stimmung in der Bevölkerung

In den aktuellen Umfragen zeichnet sich ein erneutes Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den beiden stärksten Parteien ab, der Likud des amtierenden Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu und der liberalen Mitte-Partei Blau-Weiß um Oppositionsführer Benny Gantz. Beide Parteien rangieren in den Prognosen bei 31 bis 36 Sitzen. Keine der aktuellen Umfragen deutet ein Ende der Pattsituation zwischen den zwei großen politischen Lagern an. Weder das Bündnis des rechts-konservativen Likud mit den religiösen jüdischen Parteien, noch das Lager der liberaleren Mitte scheint die notwendige absolute Mehrheit von 61 Sitzen in der Knesset (120 Sitze) zu erlangen. Drittstärkste Fraktion mit 13 bis 14 Sitzen wird laut den Umfragen die arabisch-antizionistische Vereinte Liste bleiben.

Die aktuelle Situation

Die säkular-nationale Partei Israel Beitenu um den ehemaligen Verteidigungsminister Avigdor Lieberman darf auf acht Mandate hoffen. Sie hatte durch ihr Ausscheren aus der Regierung im Dezember 2018 die vorgezogenen Neuwahlen mitverursacht. Lieberman geriert sich als Zünglein an der Waage. Bisher hat er sich weder auf eines der beiden Lager festgelegt, noch in Koalitionsverhandlungen eine Einigung mit einem der beiden Spitzenkandidaten erzielt.

Eine große Koalition zwischen Likud und Blau-Weiß war bisher nicht an inhaltlich-ideologischen Gründen gescheitert, sondern an der klaren Zielsetzung von Blau-Weiß, in keine Regierung mit dem Likud einzutreten, solange deren Vorsitzender Netanjahu unter Korruptionsverdacht steht. Der amtierende Ministerpräsident wurde im Januar 2020 wegen Korruption, Betrug und Untreue in drei Fällen angeklagt und wird sich ab dem 17. März vor Gericht verantworten müssen. Kräfte im Likud hatten eine Ablösung Netanjahus von der Parteispitze angestrebt. Diese hätte den Weg zu einer Regierungsbildung mit Blau-Weiß ebnen können. Im Dezember 2019 unterlag Gideon Saar deutlich bei seiner Kandidatur um den Parteivorsitz und Netanjahu blieb im Amt.

© Maryam Schmidt

Reaktionen auf den amerikanischen Plan für den Nahen Osten

Auch die Veröffentlichung des lang erwarteten amerikanischen Plans für den Nahen Osten („Deal of the Century“) am 28. Januar 2020 hatte keine massiven Bewegungen zwischen den Parteilagern in Israel ausgelöst. Er spielte jedoch Netanjahu in die Hände, der an der Seite von US-Präsident Donald Trump im Weißen Haus stand, als dieser den Nahost-Plan der Weltöffentlichkeit vorstellte. So überschattete die Berichterstattung darüber innenpolitische Diskussionen über eine mögliche Abstimmung im Parlament zur Immunität des Regierungschefs, der unter Korruptionsverdacht steht. International wurde der Nahost-Plan überwiegend als israelfreundlich bewertet, während er in der Region unterschiedliches Echo hervorrief: Von den rechten Siedlerparteien um den israelischen Verteidigungsminister Naftali Bennett und Ayelet Shiked kamen ablehnende Worte: Niemals würden sie einen palästinensischen Staat akzeptieren. Unter den israelischen Staatsbürgern mit palästinensischer Abstammung stieß insbesondere der Vorschlag auf Empörung, die Grenzen der von arabischen Israelis bewohnten sogenannten Triangel-Region zu verschieben. Die Mehrheit der arabischen Israelis möchte weiterhin in Israel und nicht in einem neuen künftigen Palästinenserstaat leben.

Deutliche Ablehnung erfuhr der Plan im Westjordanland: Mahmud Abbas, Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde sprach vor der UNO und verwies auf die fragmentierte Landkarte, die sein Land nach den Grenzverschiebungen zu einem „Schweizer Käse“ machen würde.  Die USA als alleinigen internationalen Verhandlungspartner lehne er ab.

Es gab Demonstrationen im Westjordanland, unter anderem im Jordantal, das zusammen mit israelischen Siedlungen von Israel annektiert werden solle.

Die Anzahl von Anschlägen und Anschlagsversuchen nahm seither zu. Aus dem Gazastreifen wurde auf den Plan mit Raketenbeschuss und vermehrten gewaltsamen Versuchen reagiert, den Grenzzaun zu Israel zu durchbrechen. Es kam in den vergangenen Tagen erneut zu massiven Auseinandersetzungen, nachdem ein Anhänger des Palästinensischen Islamischen Dschihad (PIJ) beim Versuch, den Grenzzaun zu sprengen, getötet worden war und die israelische Armee seine Leiche mit der Schaufel eines Bulldozers wegschaffte. Diese sollte nach einer Vorgabe des geschäftsführenden Verteidigungsministers Bennett als Faustpfand für Verhandlungen mit der Hamas genutzt werden, um die seit Jahren angestrebte Übergabe der sterblichen Überreste zweier israelischer Soldaten zu erreichen. So wurden knapp 100 Raketen aus dem Gazastreifen nach Israel abgefeuert, es gab 21 Verletzte. Die israelische Armee reagierte mit Vergeltungsschlägen gegen Stellungen des vom Iran unterstützen PIJ in Gaza und Syrien.

Aktuell hält die brüchige Waffenruhe. Vor wenigen Monaten wurde Bennett zum Interims-Verteidigungsminister von Netanjahu berufen. Der Minister verkündete, er sehe in naher Zukunft mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% keine Alternative zu einer Militäroperation in Gaza. Damit wirbt er um Wählerstimmen im Süden Israels, dessen Bevölkerung seit 20 Jahren keine nachhaltige Ruhe erlebt hat.

An der Frage nach der politischen Antwort auf die Aggressionen aus Gaza spalten sich die Lager: Der Vorsitzende der arabischen Vereinten Liste, Ahmad Tibi, die ihre Unterstützung einer Minderheitsregierung unter Gantz nicht ausschließt, stellt folgende Bedingung dafür: Keine Militärschläge gegen Gaza!

Wahlmüdigkeit und Corona-Virus

Die Stimmung in der Bevölkerung lässt sich so beschreiben: Die Bürger sind wahlmüde und zeigen wenig Interesse an den Wahlkampagnen und den dritten Wahlen in Folge. Die spannendste Frage für viele ist, wie hoch die Wahlbeteiligung ausfallen und welche Rolle der Coronovirus dabei spielen wird. Jetzt kurz vor dem dritten Wahlgang werden die Medien beherrscht vom Coronavirus und Sicherheitsthemen.

Das neuartige Virus hat Potenzial, den Wahlausgang zu beeinflussen. Laut einer aktuellen Umfrage könnten bis zu fünf Prozent der befragten Israelis deshalb nicht zur Wahl gehen. Das entspricht etwa 400.000 Wählerstimmen.

Es ist fraglich, ob nach den Wahlen am 2. März eine Regierung gebildet werden kann. Große Wählerwanderungen zwischen den Lagern sind in diesem polarisierten, zugespitzten Umfeld kaum zu erwarten. Aufgrund der unklaren Mehrheitsverhältnisse ist in Expertenkreisen bereits die Rede von einem vierten Wahlgang Anfang September.

Naher Osten, Nordafrika
Claudia Fackler
Leiterin