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Ultimatum als Chance
Kommt jetzt eine gemeinsame Migrations-und Asylpolitik?

Am 28./29. Juni treffen sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten in Brüssel zur Sitzung des Europäischen Rats. In Vorbereitung darauf laufen die Bemühungen um eine Einigung im Bereich der gemeinsamen Migrations- und Asylpolitik auf Hochtouren.

 

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker berief sogar ein zusätzliches informelles Arbeitstreffen für kommenden Sonntag ein, was die Brisanz des umstrittenen Themas unterstreicht, das den europäischen Zusammenhalt ernsthaft auf die Probe stellt. Bereits seit 2016 beraten die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten intensiv über ein Reformpaket für ein faireres EU-Migrations- und Asylsystem.

EU-weit einheitliche Regelungen im Bereich der Migrations- und Asylpolitik wurden notwendig, als diejenigen EU-Mitgliedstaaten, die am Schengen-Abkommen teilnehmen, Grenzkontrollen innerhalb des Schengen-Raums abschafften. So legt die aktuell zur Debatte stehende Dublin-Verordnung fest, dass Asylanträge grundsätzlich in demjenigen EU-Staat, den der Migrant zuerst betritt, gestellt und bearbeitet werden. So sollen Parallelverfahren in anderen EU-Ländern vermieden werden. Grundvoraussetzung für den freien Personenverkehr innerhalb der Schengen-Länder ist eine zuverlässige Sicherung der EU-Außengrenzen. Der Massenzustrom der Jahre 2015/16 ließ deutliche Defizite in diesem Bereich offen zutage treten. Auch wenn die Zahl von irregulären Grenzübertritten seit 2017 wieder rückläufig ist, bleibt das Risiko der Entstehung neuer Migrationsrouten bestehen.

Die Flagge der Europäischen Union, innerhalb der europäischen Stern sind wandernde Menschen als schwarze Schatten dargestellt, darunter steht Asylum.

Diesen Sonntag treffen sich schon einige EU-Regierungschefs und beraten sich über das Thema als Vorbereitung für den Gipfel am 28. und 29. Juni.

diema; CC0; pixabay

Die Weiterentwicklung der Europäischen Migrationsagenda seit 2015

Seit Mai 2015 verfolgt die Europäische Kommission einen Mehr-Ebenen-Ansatz, den sie ständig weiterentwickelte. Auf dem Dezember-Gipfel von 2017 einigten sich die EU-Staats- und Regierungschefs auf einen konkreten Fahrplan für die nachfolgenden Politikbereiche:

  • Die Verringerung von Anreizen für illegale Migration durch die Bekämpfung von kriminellen Schleusernetzwerken, eine Vereinheitlichung der Vorgehensweisen bei Rückführungen sowie dem Ausbau von Beziehungen zu wichtigen Herkunfts- und Transitländern.

  • Die Rettung von Menschenleben und eine effizientere Sicherung der EU-Außengrenzen durch gemeinsames und effektives Außengrenzmanagement.

  • Eine starke gemeinsame Asylpolitik mit einem gerechteren und besser funktionierenden System zur Verteilung von Asylbewerbern auf die Mitgliedstaaten.

  • Eine neue Migrationspolitik zur Vereinfachung legaler Zuwanderungsmöglichkeiten sowie neue Prioritäten bei der Integrationspolitik.

Fortschritte wurden vor allem im operativen Bereich erzielt, wie beispielsweise der Ausbau des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen EASO und die Erweiterung der EURODAC-Datenbank für den Abgleich von Fingerabdrücken von Asylbewerbern, auf die nun auch Polizei und andere Sicherheitsbehörden Zugriff erhalten.

Ergänzend zum bereits erfolgreich umgesetzten EU-Türkei-Abkommen, befindet sich die EU mit zahlreichen weiteren Herkunfts- und Transitländern in Verhandlung, um die Rückführung von illegalen Einwanderern ohne Schutzstatus zu erleichtern und zu beschleunigen. Auch stehen die Themen Migration und Sicherheit ganz oben auf der strategischen Agenda für die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit afrikanischen Ländern.

Der vorrangigen Bedeutung des Themas trägt darüber hinaus der Mehrjährige Finanzrahmen der EU für die Jahre 2021 bis 2027 Rechnung. Für die Politikbereiche Migration und Grenzmanagement setzte die EU-Kommission in ihrem Entwurf Mittel in Höhe von 34,9 Mrd. EUR an; das sind dreimal soviel wie im vorangegangenen Zeitraum (2014-2020).

Auf dem Weg zu einem neuen Asylsystem?

Für einen Großteil der Flüchtlinge und illegalen Migranten führt der Weg in die EU über das Mittelmeer. Demnach tragen Staaten an den südlichen EU-Außengrenzen, darunter besonders Italien und Griechenland, nicht nur die Hauptlast bei der Außengrenzsicherung, sondern auch bei der Registrierung und Versorgung von Erstankömmlingen. Um die außerordentliche Belastung solcher Länder abzufedern, stellt ihnen die EU finanzielle Unterstützung in dreistelliger Millionenhöhe zur Verfügung.

Nicht nur Griechenland und Italien, sondern auch die Europäische Kommission und wichtige Aufnahmeländer, wie Deutschland, appellierten im Rahmen der Flüchtlingskrise wiederholt an die übrigen EU-Mitgliedstaaten, sich solidarischer bei der Verantwortungsteilung und der Aufnahme von Flüchtlingen zu zeigen. Doch die Vorschläge der Europäischen Kommission für ein Quotensystem, mit dem Brüssel im Falle einer Überforderung von Erstaufnahmeländern eine gerechtere Verteilung von Asylbewerbern auf alle EU-Mitgliedstaaten erwirken möchte, stoßen in mehreren EU-Mitgliedstaaten auf strikte Ablehnung. So wollen die vier Visegrád-Staaten (Ungarn, Polen, Tschechische und Slowakische Republik) den Migrationsdruck nicht verteilt sehen, sondern durch effizienteren Grenzschutz weitestgehend verhindern. Auch der im Rahmen des Dublin-Reformpakets eingebrachte Vorschlag eines Umverteilungsmechanismus für bereits anerkannte Asylberechtigte, bei dem Familienzugehörigkeiten Berücksichtigung finden sollen, führt in einigen EU-Mitgliedstaaten zu Verunsicherung. Im Januar 2017 hatte das EP dazu mehrheitlich positiv Stellung bezogen, einer Umsetzung muss jedoch der Europäische Rat erst zustimmen. Der Vorschlag bezieht sich ausschließlich auf anerkannte Asylberechtigte, die sich bereits innerhalb der EU aufhalten und sollte auf zahlenmäßig klar definierte Kontingente beruhen, die kontrolliert und überprüft werden müssen.
Sämtliche Bemühungen, eine einheitliche Linie in diesen Fragen innerhalb der EU zu finden, sind bisher gescheitert.

Bringt der Europäische Rat am 28./29.06. den erhofften Durchbruch?

Die massive Einwanderung hat nicht nur die unmittelbar betroffenen Gebiete stark geprägt. Wahlergebnisse weisen EU-weit auf eine anhaltende Unzufriedenheit der einheimischen Bevölkerung mit der aktuellen Migrationspolitik hin. So fahren auch die neu gewählten Regierungen in Österreich und Italien nun einen härten Kurs gegen Einwanderer. Rom hat jüngst mit einer früher undenkbaren Schließung der italienischen Häfen für ein Flüchtlings-Rettungsschiff neue und klare Wegmarken gesetzt. So ist es nicht verwunderlich, dass insbesondere die EU-Kommission unter Druck mit immer neuen Vorschlägen versucht, die Gefahr einer weiteren Verhärtung der Positionen der Mitgliedstaaten abzuwehren.

Hierzu gehört auch der neue Vorstoß von EU-Ratspräsident Donald Tusk, der über die Einrichtung von sog. „regionalen Ausschiffungsplattformen“ nachdenkt. In solchen Zentren, die sich außerhalb der EU befänden (beispielsweise auf afrikanischem Boden), könnten aus Seenot gerettete Migranten Aufnahme finden, und EU-Beamte den möglichen Anspruch auf Gewährung eines Schutzstatus prüfen. Dies würde aktuell stark strapazierte Ersteinreiseländer entlasten und darüber hinaus den Anreiz für die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer mindern. Weitere Vorschläge, vermutlich mit Blick auf Deutschland, betreffen den Erlass von Gesetzen zur Verhinderung von Weiterreisemöglichkeiten von Asylsuchenden. Zur Behebung der Hauptursachen für Sekundärmigration, von der vor allem auch Deutschland in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich stark betroffen war, sollten die Staats- und Regierungschefs vor allem auch die unterschiedlichen Standards der EU-Länder bei der Leistungsgewährung und den Bedingungen zur Anerkennung von Asylsuchenden sowie die Rückführungs- und Rücknahmepraktiken prüfen.

Fazit

Ohne die Einigung auf eine einheitliche, effektive und von allen EU-Mitgliedern unterstützten Migrations- und Asylpolitik wird die EU weiter durch schwieriges Fahrwasser treiben. Ob der erhoffte Durchbruch gelingt und welchen Weg Brüssel und die Mitgliedstaaten letztendlich einschlagen, ist derweil noch fraglich. Auf dem kommenden EU-Gipfel lastet in jedem Fall ein enormer Erfolgsdruck.

 

Autoren: Dr. Markus Ehm und Angela Ostlender, HSS

Belgien (Europa-Büro Brüssel)
Dr. Thomas Leeb
Leiter