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Mit einem Interview mit Landrat Martin Neumeyer
Kommunalpolitische Mitgestaltung in Bayern und Rumänien

Auf Einladung des Landrates des Landkreises Kelheim, Martin Neumeyer, besuchte eine Delegation des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien (DFDR) Mitte September 2017 Kelheim und München. Die kommunalpolitischen Amts- und Mandatsträger sowie Mitglieder der Leitungsebene des DFDR interessierten sich besonders für Fragen der kommunalpolitischen Mitgestaltung. Sie trafen Gesprächspartner der Gemeinde- und Landkreisebene, den Bayerischen Staatsminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Helmut Brunner, und Landtagsvizepräsidenten Reinhold Bocklet.

 

Gespannt warten die rumänischen Besucher auf den Informationsaustausch mit Martin Neumeyer im Landratsamt Kehlheim

Gespannt warten die rumänischen Besucher auf den Informationsaustausch mit Martin Neumeyer (ganz rechts) im Landratsamt Kelheim

Daniel Seiberling

Seit Jahren ist das DFDR Projektpartner der Hanns-Seidel-Stiftung im gesellschaftspolitischen Bereich, im deutsch-rumänischen Austausch und nicht zuletzt bei der Förderung der deutschen Sprache.

Das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien ist die politische Vertretung der Rumäniendeutschen. Es ist auch eine kommunalpolitische Größe, die seit den Kommunalwahlen im Frühjahr 2015 einen stellv. Kreisratsvorsitzenden, zehn Kreisräte, fünf Bürgermeister, sieben Vizebürgermeister, 56 Gemeinderäte und 25 Stadträte stellt.

Das Demokratische Forum der Deutschen Rumäniens ist eine der wenigen politischen Interessenvertretungen Rumäniens, bei der politische Inhalte und die Interessen der Mitglieder im Vordergrund stehen. Dadurch unterscheidet es sich deutlich von der in der Regel durch Klientelpolitik geprägten Parteienlandschaft Rumäniens. 

Darüber hinaus ist das Forum durch einen Abgeordneten im rumänischen Parlament vertreten. Bekanntester Vertreter der deutschen Minderheit in Rumänien ist Präsident Klaus Johannis. Den größten kommunalpolitischen Einfluss übt das Forum in Hermannstadt (Sibiu) aus – dort stellt es die Mehrheit im Stadtrat und die Bürgermeisterin. 

Das Besuchsprogramm umfasste zahlreiche Gespräche mit Amts- und Mandatsträgern sowie Politikern und Vertretern von Organisationen und Einrichtungen im schulischen und sozialen Bereich. Delegationsleiter war der Geschäftsführer des DFDR, Benjamin Józsa. Er wurde begleitet vom stellvertretenden Vorsitzenden des Kreisrates Hermannstadt, Dr. Wiegand Fleischer, sowie von weiteren Mandatsträgern und aktiven Mitgliedern des Forums.

Im Landratsamt Kelheim berichtet Martin Neumeyer in einem Konferenzsaal den rumänischen Gästen über die Aufgaben eines Landrates

Im Landratsamt Kelheim erläutert Martin Neumeyer (2.v.l.) den rumänischen Gästen seine Aufgaben als Landrat

Daniel Seiberling

Aufgaben der Kommunalpolitik

Insbesondere der intensive Austausch mit Landrat Martin Neumeyer vermittelte den Delegationsteilnehmern neue Erkenntnisse über die Aufgaben eines Landrates.
Die Position des Landrates findet sich im rumänischen Staatsaufbau ebenfalls, allerdings ist die Kreisebene dort "nur" die oberste Kommunale Behörde - die Komponente als unterste Staatliche Behörde fehlt.

Auch in Rumänien ist das aktuelle europaweite Flüchtlings- und Migrationsproblem ein Thema des gesellschaftspolitischen Diskurses. Die authentischen Informationen von Landrat Neumeyer aus der kommunalpolitischen Praxis hinterließen tiefen Eindruck bei den Teilnehmern. Dieser wurde durch den Besuch bei einer Erstaufnahmestelle des Landkreises noch vertieft.

Zwei Männer halten einen Gemeindeplan so in ihren Händen. dass die Delegationsteilnehmer sie sehen können

Flächennutzungs- und Bebauungspläne geben Einblicke in die Kommunalentwicklung

Daniel Seiberling

Berufliche Bildung

Ein weiteres hochaktuelles Themenfeld wurde bei der Besichtigung der Berufsschule Kelheim aufgegriffen: In Rumänien strebt die Mehrzahl der Jugendlichen eine höhere Schulbildung an. Der Ruf und das Sozialprestige der beruflichen Bildung wurden jedoch in der kommunistischen Zeit systematisch zerstört.

Nicht zuletzt das Engagement deutscher Investoren und Firmen in Rumänien versucht nun, flankierend zu staatlichen Maßnahmen, hier entgegenzuwirken. In diesem Bereich hat das Demokratische Forum eine wichtige Brückenfunktion, die von der Förderung traditionellen Handwerkes bis zur sprachlichen und kulturellen Mittlerrolle für deutsche Investoren reicht.
Betroffen zeigten sich die Teilnehmer von den sogenannten "Jugendlichen ohne Ausbildung"- Kaum jemand hätte erwartet, dass in einer entwickelten Gesellschaft wie Deutschland Jugendliche der gesellschaftlichen Mitte aus dem Bildungssystem herausfallen können.
In Rumänien ist dieses Problem dagegen bekannt, wer dort durch die Abiturprüfung fällt, verlässt die Schule ohne beruflich qualifizierenden Abschluss.

In einem Gespräch im Rathaus Kelheim vertiefte der Erste Bürgermeister, Horst Hartmann, insbesondere das Thema Kommunalentwicklung, vor allem Flächennutzungs- und Bebauungspläne.

Neue Impulse

Ein interessanter Austausch über Möglichkeiten, in Gemeinde- und Kreisverbänden die Interessensvertretung "von unten" zu fördern, entwickelte sich im Gespräch mit Helmut Blaschek, Bürgermeister der Gemeinde Langquaid. Das rumänische Modell, bei dem die Gemeindevertretung ebenso zentralistisch organisiert ist wie der übrige Staatsaufbau, vermag soziales Kapital, Synergien und "ownership" kommunalpolitischer Entscheidungen nicht in dem Maße zu fördern, wie der bayerische Aufbau dieser Gremien.  

Die Besucher aus Rumänien stehen mit Staatsminister Brunner vor dem sogenannten Hopfenhaus in Steinbach

Lebendige Kultur im Steinbacher Hopfenhaus mit Staatsminister Brunner (Mitte)

Daniel Seiberling

Ansätze, die bayerische Landwirtschaft durch innovative Technologien international konkurrenzfähig zu halten und gleichzeitig die Umwelt und – im konkreten Fall ­­– die Wasserqualität zu schützen, erlebten die Teilnehmer im Steinbacher Hopfenhaus und im Gespräch mit dem Bayerischen Staatsminister für Ernährung, Landwirtschat und Forsten, Helmut Brunner. 

Der Delegationsbesuch wurde durch Gespräche in München abgerundet. Hier tauschten sich die Teilnehmermit dem Ersten Vizepräsidenten des Bayerischen Landtages, Reinhold Bocklet, zu Fragen der deutsch-rumänischen Beziehungen und vor allem der Transformationserfahrung Bayerns aus, das in wenigen Jahrzehnten die Entwicklung von einem Zuwendungsempfänger des Länderfinanzaus­gleichs zum größten Geber vollzogen hat.

Der Internationale Sekretär der CSU und Generalsekretär der "International Democratic Union" (IDU), Christian Kattner, diskutierte mit den rumänischen Gästen neben der aktuellen Situation Deutschlands vor der Bundestagswahl vor allem das politische Selbstverständnis des DFDR. Delegationsleiter und Geschäftsführer des DFDR Benjamin Józsa führte aus, dass das DFDR sich trotz seines Selbstverständnisses als Organisation der Brauchtumspflege fast notgedrungen mit Politik beschäftige, um die Interessen der Mitglieder auch auf diese Weise vertreten zu können.

Interview mit Landrat Martin Neumeyer

Die Fragen stellte Daniel Seiberling, Auslandsmitarbeiter für Rumänien, Moldau und Ukraine, im Hopfenhaus Steinbach am 12. September 2017.

 Lieber Herr Neumeyer, in den vergangenen Tagen hatten Sie Gelegenheit, sich mit den Vertretern des Demokratischen Forums der Deutschen in Rumänien auszutauschen. Denken Sie, dass das DFDR eine Brücke zwischen Deutschland und Rumänien ist?

Martin Neumeyer: Ich glaube, dass dies ist eine großartige Chance für Deutschland und auch für Rumänien ist. Mit dem Demokratischen Forum hat Rumänien in Deutschland gleichsam einen „Fuß in der Tür“, einen direkten Zugang nach Mittel- und Zentraleuropa. Und wenn das Forum so auftritt, wie es die Delegationsteilnehmer hier im Kreis Kelheim getan haben –mit Sympathie, hohem Engagement und großer Kompetenz – dann ist dies ein sehr guter Ansatz für die weitere Zusammenarbeit.

Das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien ist mehr als eine Organisation der Brauchtumspflege; wie schätzen Sie die kommunalpolitische Bedeutung des DFDR ein?

Martin Neumeyer: Wenn ich das richtig interpretiere, was ich auch bei meinem Besuch in Rumänien erlebt habe, beurteilen es viele Rumänen positiv, wenn Deutsche zum Beispiel im Stadtrat sitzen. In Hermannstadt mit weniger als 2% deutscher Bevölkerung, stellt das Deutsche Forum die Mehrheit im Stadtrat. Und nicht zuletzt: Präsident Klaus Johannis ist Deutscher, das finden viele positiv – natürlich nicht alle, auch hier gibt es welche, denen das nicht wichtig ist oder die den Präsidenten deswegen gar anfeinden. Diese mehrheitlich positive deutsche Wahrnehmung ist sowohl für die Entwicklung des Landes von Vorteil als auch für das schon angesprochene Verhältnis zu Deutschland.

Herr Neumeyer, die Stärke der bayerischen Kommunen beruht auch auf dem deutschen Föderalismus und der konsequenten Dezentralisierung. Kann Bayern hier für Rumänien Vorbild und Förderer sein?

Martin Neumeyer:  Die Vergangenheit und die jüngere Geschichte haben deutlich gezeigt, dass Rumänien nach der Wende einen starken Partner in Bayern gehabt hat, nicht zuletzt in Person der Parlamentspräsidentin Barbara Stamm.
Viele Staaten sind in ihrer Entwicklung gehemmt, weil sie zu zentralistisch organisiert sind und es dadurch zu keinem gesunden Wettbewerb zwischen den Regionen oder zwischen den Gemeinden kommt.
Dezentralisierung und als Perspektive Föderalismus ist eine Riesenchance für die Entwicklung von Rumänien, weil es bedeutet, dass viele Verantwortung für Vieles übernehmen, und nicht wenige Verantwortung für Alles.

Herr Neumeyer, was, glauben Sie, hat die Delegationsteilnehmer im Landkreis Kelheim am meisten beindruckt?

Martin Neumeyer: Das ist schwer zu sagen! Ich denke, dass auch der Besuch im Kloster Weltenburg mit seiner Einzigartigkeit tiefen Eindruck hinterlassen hat. Mir persönlich war der intensive Kontakt wichtig, dass wir uns in den drei Tagen mehrfach und in unterschiedlichem Umfeld immer wieder getroffen haben. Ich glaube auch, dass es für die Teilnehmer sehr interessant war zu sehen, wie die bayerischen Kommunen im Alltag ablaufen, wie die Arbeit strukturiert ist und welche Aufgabenfelder die bayerischen Kommunen zu bewältigen haben.

Herr Neumeyer, vielen Dank für die Gastfreundschaft der letzten Tage und dieses Gespräch!

Die rumänischen Besucher sitzen an einem hufeisenförmigen Tisch mit Christian Kattner in einem Seminarraum

Die aktuelle Situation in Deutschland vor der Wahl war Thema beim Treffen mit Christian Kattner

Daniel Seiberling

Perspektiven der Zusammenarbeit

Für die Projektarbeit der HSS in Rumänien war die Delegationsreise ein voller Erfolg: Durch die intensiven Gespräche zu verschiedenen Themenbereichen konnten Felder der weiteren Zusammenarbeit mit dem DFDR identifiziert werden.

Programmatische Unterstützung zu Fragen der Dezentralisierung, Schulungsangebote für Amts- und Mandatsträger und die Förderung der Organisationsentwicklung im kommunalpolitischen Bereich sowie der Jugendarbeit im Verband werden die zentralen Themen dieser Kooperation sein.

Auch die Delegationsteilnehmer zeigten sich zufrieden mit den Ergebnissen und Gesprächen der Reise. Die bayerische kommunalpolitische, gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Entwicklung der Nachkriegszeit und jüngeren Vergangenheit bietet zahlreiche Berührungspunkte mit der rumänischen Gegenwart. 

Mitteleuropa, Osteuropa, Russland
N.N.
Leitung