Dr. Géza Andreas von Geyr, geboren 1962 in München, trat nach seinem Studium der Geschichte, Kommunikationswissenschaft und Politikwissenschaft in den Auswärtigen Dienst ein. Nach verschiedenen Positionen im In- und Ausland wurde er Referatsleiter in der Außen- und Sicherheitspolitischen Abteilung im Bundeskanzleramt. Von 2014 bis 2019 fungierte er als Politischer Direktor im Bundesministerium der Verteidigung. Seit September 2019 ist er Deutscher Botschafter in Moskau und vertritt dort die Bundesrepublik.
Nikita Markow; Auswärtiges Amt
Botschafter Géza Andreas von Geyr: Sehr gerne. Ich war bis jetzt interessierter Zuhörer bei dieser Veranstaltung und kann alles, was Frau Dahlke gesagt hat, sehr gut nachvollziehen. Als Historiker muss ich sagen, dass die Themenbreite und die Themenpalette des Deutschen Historischen Instituts ja wunderbar passt, aber auch anspruchsvoll ist. Denn das, was Frau Dahlke sehr klug definiert hat als Standards für die Kooperation etwa unter Historikern, Archivaren oder Politologen, ist ungeheuer wichtig. Und bei vielen dieser Themen, um die es geht, zum Beispiel beim 75. Jahrestag des Kriegsendes und bei allen Themen, bei denen es um Gedenken geht: Wir werden es hinnehmen müssen, dass wir (Deutsche und Russen) nicht immer hundertprozentig übereinstimmen.
Aber das Entscheidende ist, dass wir einen respektvollen Umgang miteinander bewahren, auch unter Historikern mit ihren Methoden, mit ihrer Bindung an Wahrhaftigkeit und Fakten. Das ist ein sehr hohes Gut. Darauf müssen wir gut achten, gerade weil Geschichte politisiert wird, was in vielen Ländern der Welt stattfindet.
Vielleicht eine zweite Bemerkung. Ich habe Geschichte immer als Zukunftsforschung betrachtet. Es ist zwar der Blick in die Vergangenheit, man darf sich aber keine Illusionen machen. Die Frage, wie wir Geschichte betrachten, hat sehr viel mit gegenwärtiger Politik zu tun. Gerade die Frage der Transfers und gerade im Kontext des 75. Jahrestags des Kriegsendes: Was können wir heute tun, damit es nicht mehr so wird, wie es furchtbarerweise mal war? Um diese Frage beantworten zu können, müssen Historiker nicht nur auf die Abfolge geschichtlicher Fakten schauen, sondern die Handlungsoptionen zusammentragen, die damals gegeben waren und sich dann fragen, warum so entschieden wurde und nicht anders. Eine sehr schwierige Aufgabe, aber eben echte Zukunftsforschung.
Vielleicht eine dritte Bemerkung zu Ihrer letzten Frage, was sehr, sehr spannend ist - Ist Russland ein europäisches Land? Selbstverständlich ist es ein europäisches Land. Ist es nur ein europäisches Land? Nein. Es ist mehr als das, in vielen Schattierungen, auch in seiner ganzen Zukunftsausrichtung. Und das ist auch ganz normal. Ich habe mal an einer Diskussion teilgenommen, das ist vielleicht ein Jahr oder anderthalb Jahre her, bei der die Conclusio war, Russland sei ein europäisches, aber eben kein westliches Land. Vielleicht ist das mal ein Thema für eine nächste Diskussion.