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Ergebnisse und politische Perspektiven der Biden-Administration
Was jetzt anders wird und was nicht

Nach dem Wahlkrimi in den USA können wir aufatmen. Mit Joe Biden wird ein überzeugter Transatlantiker das Ruder übernehmen, die Knackpunkte im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten aber werden bleiben: NATO-Beiträge, Nordstream II, Handelsbeziehungen: Worauf müssen wir uns einstellen?

  • Joe Biden hat die Wahl gewonnen und wird am 20. Januar 2021 als 46. Präsident der USA vereidigt. Die Wahl brach etliche Rekorde: teuerster Wahlkampf, ältester Präsident bei Amtsantritt, erste Frau als Vize-Präsidentin, höchste Wahlbeteiligung seit 100 Jahren.
  • Donald Trump und Joe Biden verfolgten eine riskante Wahlkampfstrategie: Trump denunzierte den Gegner, Biden führte einen Nicht-Wahlkampf. Für republikanische Wähler waren die wirtschaftlichen Perspektiven entscheidend. Für Demokraten ging es primär um die Abwahl Trumps und den Gesundheitsschutz in der Corona-Krise.
  • Die beiden Senatsstichwahlen in Georgia am 5.1. entscheiden über den Handlungsspielraum der Biden-Administration. Die Republikaner behalten wahrscheinlich den Senat, legten im Repräsentantenhaus zu und gewannen auf regionaler Ebene. Die Demokraten können aus dem Wahlergebnis keinen Linksruck herauslesen.
  • In beiden Parteien gibt es heftige interne Debatten. Die Republikaner könnten sich zur multiethnischen Arbeiterpartei ohne Trump wandeln, bei den Demokraten wird Bidens Kurs der Mitte von den progressiven Linken kritisiert.
  • Obwohl Außenpolitik kein Thema im Wahlkampf war, hat die Wahl erhebliche außenpolitische Konsequenzen. Joe Biden ist Transatlantiker, seine Administration wird auf Europa zugehen, hat aber eine klare Erwartungshaltung: Europa muss regionale Verantwortung übernehmen und zur Lösung globaler Probleme beitragen. Je geeinter Europa auftritt, desto mehr wird es in Washington gehört.
  • Die außenpolitische Debatte in Amerika um das richtige Maß an internationalem Engagement ist in vollem Gang. Die Wahl von Donald Trump 2016 war ein nationaler und internationaler Wake Up Call. Das transatlantische Paradies ist verloren, und Joe Biden wird es nicht zurückbringen. Aber wir haben Zeit gewonnen, um gemeinsam Lösungen zu erarbeiten.
Die US-Flagge vor einem Himmel mit Sonne

scyther5; ©HSS; IStock

Die Wahlen vom 3. November enden am 5. Januar. Nicht, weil Donald Trump von Wahlbetrug spricht und Joe Bidens Wahlsieg bestreitet. Trumps Wahlanfechtungen haben keine Chance auf Erfolg. Selbst wenn in Einzelfällen Unregelmäßigkeiten festgestellt werden, liegen sie in einer Größenordnung, die das Wahlergebnis nicht verändert. Die US-Wahlen enden am 5. Januar, weil in Georgia zwei Stichwahlen um die Senatorensitze stattfinden und die Mehrheit im US-Senat davon abhängt. Im 100-köpfigen Senat führen die Republikaner bislang mit 50:48. Gewinnen die Republikaner am 5. Januar mindestens einen Sitz, behalten sie die Mehrheit im Senat und es bleibt in Washington beim divided government. Ohne Mehrheit im Senat läuft wenig in der US-Politik, weder inhaltlich noch personell. Ein republikanischer Senat wird den Handlungsspielraum der Biden-Administration erheblich eingrenzen, innenpolitisch weit mehr als außenpolitisch.

Prognosen und Umfragen wieder falsch

Entgegen der Umfragen, die Joe Biden landesweit deutlich und in den kritischen Swing States merklich in Führung sahen, war der Wahlausgang knapp. Die Prognosefehler werden darauf zurückgeführt, dass Wähler der Republikaner insgesamt zusehends misstrauischer gegenüber Umfrageinstituten sind und sich in geringerem Maße als Demokraten an Befragungen beteiligen. Demokraten sind also in Umfragen überrepräsentiert.

Präsident Donald Trump kämpfte um jede Stimme und hetzte im Wahlkampfendspurt durch bis zu fünf Bundesstaaten täglich. Bekannt war, dass Wahlergebnisse dauern und sich durch die Auszählungsprozeduren auch ändern können. Demokraten nutzten zu zwei Dritteln die Briefwahl, Republikaner nur zu einem Drittel. Da manche Bundesstaaten Briefwahlunterlagen als letztes auszählen, mit der Auszählung erst nach Schließung der Wahllokale begannen und Wahlbriefe mit der Post manchmal erst nach Tagen zugestellt wurden, veränderten sich Stimmergebnisse zugunsten von Joe Biden. Ein Anlass, an der Rechtmäßigkeit des Wahlgangs zu zweifeln, ist dies nicht. Umso mehr ist Präsident Trump zu kritisieren, dass er die Briefwahl von Anfang an diskreditierte, Ressourcen zu ihrer reibungslosen Durchführung zurückhielt und somit selbst das Narrativ schuf, jetzt das Ergebnis nicht anzuerkennen. Damit geht er weit über sein legitimes Recht hinaus, Unregelmäßigkeiten überprüfen zu lassen und bei gravierenden Verstößen und berechtigten Zweifeln Nachzählungen zu verlangen. Kritiker werfen Donald Trump zurecht vor, damit der amerikanischen Demokratie zu schaden und  einen politisch geordneten Übergang zu einer Biden-Administration zu hintertreiben. Rechtlich wird dieser Übergang vollzogen und Joe Biden am 20. Januar 2021 als 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika vereidigt werden.

Professioneller Wahlgang mit Rekordwahlbeteiligung

Trotz der besonderen Herausforderungen einer Pandemie war der Wahlgang professionell organisiert, was von der abgespeckten und auf ein Kernteam reduzierten OSZE-Wahlbeobachtermission bestätigt wurde. Der intensive Wahlkampf, das aufgeheizte politische Klima der gesellschaftlichen Unruhen nach dem Tod von George Floyd und die Polarisierung durch Donald Trump führten zu einer Rekordwahlbeteiligung von ca. zwei Drittel der US-Wahlbevölkerung. Politics is back in America / Politik ist zurück in Amerika. Amerikas Zivilgesellschaft hat gezeigt, wie breit und aktiv sie ist. Der Wahlkampf war teuer und brach mit gut 13 Milliarden USD frühere Höchstwerte bei Wahlkampfausgaben. Es war eine harte Schlacht mit dem Tiefpunkt des chaotischen ersten Fernsehduells. Die befürchteten Straßenkämpfe im Zuge der Wahlen blieben aus. Das politische Washington bereitet sich jetzt auf einen geordneten Übergang von einer Trump- zu einer Biden-Administration vor. Wenn der Machtwechsel gelingt, wird man am 20. Januar 2021, dem Tag der Inauguration von Joe Biden, sagen können: der Wahlsieger 2020 heißt Demokratie!

Die Wahl brachte noch weitere Rekorde: Joe Biden ist der älteste Präsident Amerikas und Kamala Harris die erste Vize-Präsidentin, also die erste Frau im zweitwichtigsten Amt der USA. Es gibt gute Gründe, davon auszugehen, dass Kamala Harris für die Demokraten 2024 ins Rennen gehen wird. Wenn die Republikaner Nikki Haley aufstellen, die vormalige UN-Botschafterin und Gouverneurin von South Carolina, wird es 2024 wieder eine historische Wahl geben. Erstmals wird eine Frau US-Präsidentin. So schnell könnte das Pendel umschlagen: während 2020 zwei alte weiße Männer gegeneinander antraten und berechtigte Fragen aufkamen, ob dies Amerikas bestes politisches Angebot ist, könnten 2024 zwei nicht-weiße Power-Frauen ums Weiße Haus kämpfen und den Wandel Amerikas symbolisieren. Mit Kommentaren zum Verfall politischer Prozesse in Amerika sollte man sich also zurückhalten.

Riskante Wahlkampfstrategien

Beide Präsidentschaftskandidaten verfolgten eine riskante Wahlstrategie. Donald Trump setzte auf die Diskreditierung von Joe Biden und seiner Familie, denunzierte Joe Biden als „Sleepy Joe“ und Marionette der radikalen Linken sowie Chinas und bezeichnete die unlauteren, aber nicht illegalen Geschäfte von Bidens Sohn Hunter in der Ukraine, Russland und China als korrupte Machenschaften des Biden-Clans. Trumps Denunzierungstaktik verfing nicht. Biden bewahrte beim Wähler seinen Ruf als empathischer und aufrechter Politiker und schnitt in der Kategorie persönlicher Charakter konstant besser ab als Donald Trump, zumal für den Wähler andere Faktoren wahlentscheidend waren.

Joe Bidens Wahlkampf war ebenfalls riskant: Er führte nämlich keinen. Joe Biden platzierte seine inhaltlichen Positionen überwiegend über Meinungsartikel in Zeitungen und beschränkte sich auf wenige öffentliche Auftritte vor ausgewähltem Publikum, während Donald Trump häufig und vor tausenden Anhängern sprach. Bidens Strategie war klar. Die Wahl wird zum Referendum über Donald Trump, dessen kontroverse Amtsführung und dessen inkompetentes Corona-Krisenmanagement. Je mehr Trump, desto mehr Anti-Trump-Wähler, so das Kalkül im Biden-Lager, das die gesellschaftliche Stimmungslage richtig einschätzte. Für die Wähler der Demokraten waren die Abwahl Trumps sowie die gesundheitlichen Sorgen bezüglich der Pandemie ausschlaggebend. Hingegen ließen sich Wähler der Republikaner von den wirtschaftlichen Perspektiven der Corona-Krise und einem möglichen Shutdown der US-Wirtschaft leiten.

Joe Bidens Nicht-Wahlkampf war letztlich erfolgreich, wenn auch sein Sieg nicht so hoch ausgefallen ist, wie es die Umfagen haben vermuten lassen. Joe Biden gewann für die Demokraten den industriell geprägten mittleren Westen zurück, seine größten Stimmengewinne erzielte er unter ungebildeten weißen Männern mittleren Alters. Diese Kreise waren enttäuscht, dass Trump zu wenig für sie erreichte, und sie nahmen Joe Biden im Gegensatz zu Hillary Clinton ab, dass er ein Herz für kleine Leute hat. Die Charakterisierung der Wahl als Referendum über Donald Trump sorgte für eine breite Mischung der demokratischen Wähler, der Biden-Wähler ist häufig ein Anti-Trump-Wähler. Joe Biden verlor etwas bei afroamerikanischen und hispanischen Minderheiten, gewann aber bürgerliche Kreise in den Vorstädten und vor allem enttäuschte weiße Wähler der unteren Mittelschicht zurück. Das war für Bidens Wahlerfolg in den Swing States ausschlaggebend.

Trumpismus ohne Trump?

Die meisten Augen waren am 3.11. auf die Präsidentschaftswahl gerichtet. Nicht zu vergessen ist jedoch: Der Niederlage von Donald Trump stehen insgesamt gute und teils unerwartete Ergebnisse bei den anderen Wahlen gegenüber: die Republikaner haben den Demokraten im Repräsentantenhaus etliche Sitze abgenommen, behalten vermutlich die Senatsmehrheit und verbuchten Erfolge bei Regional- und Gouverneurswahlen. Die Gewinne bei nicht-weißen Minderheiten und der anhaltende, wenngleich etwas geschrumpfte Rückhalt in der unteren Mittelschicht und im sogenannten Prekariat könnten zu einem nachhaltigen Wandel der republikanischen Partei von der Partei des Big Business, der Großunternehmen und der Reichen zu einer multiethnischen Arbeiterpartei einleiten. Führende Köpfe und politische Strategen wie die Senatoren Tom Cotton aus Arkansas und Josh Hawley aus Missouri argumentieren in diese Richtung. Sie wollen individuelle Freiheit mit sozialer, auch staatlicher Verantwortung in Einklang bringen und die Macht von Big Business, Big Media, Big Tech und Big Universities begrenzen. Tom Cotton brachte sein Credo auf den Punkt: “Mein Herz ist bei denen, die nach der Arbeit duschen, nicht vor der Arbeit”. Die Republikaner haben jetzt die Chance, eine Trump-Nachfolgediskussion anzustoßen und die inhaltliche Diskussion zu forcieren. In den letzten Jahren fand dieser Diskurs nicht statt. Trump hatte alles überlagert, Chaos im Weißen Haus und erratischer Regierungsstil prägten die Trump-Jahre. Kritiker werfen den Republikanern vor, als Regierungspartei versagt und außer Steuerreform und Richterernennungen nichts zustande gebracht zu haben. Vormalige Trump-Kritiker wie Senator Lindsay Graham wechselten ins Trump-Lager und brachen mit republikanischen Grundsätzen in der Haushalts-, Handels- und Einwanderungspolitik. Jetzt müssen sie ihre Positionen neu definieren und in einer sich wandelnden Gesellschaft attraktiv bleiben. Bis zu den Stichwahlen in Georgia am 05. Januar werden die Republikaner zusammenstehen, ein Richtungsstreit um die Zukunft von Trumpismus ohne Trump wird bis dahin nicht ausbrechen. Donald Trump erkennt die Wucht dieser Debatte. Mit seiner Empfehlung, dass die ihm loyale Parteivorsitzende Donna McDaniel im Amt bleiben soll, machte Trump klar, dass er sich auch weiterhin als Sprachrohr der Republikaner sieht. Es wird prominente Stimmen geben, vor allem die potentiellen Präsidentschaftskandidaten 2024, die dies anders sehen.

Flügelkämpfe bei den Demokraten

Richtungskämpfe stehen auch den Demokraten ins Haus. Joe Biden gewann die Wahl, weil die Demokratische Partei, auch der linke Flügel um Bernie Sanders und AOC (Alexandria Ocasio-Cortez, linke Abgeordnete aus New York City), geschlossen hinter ihm stand. Die progressiven Kreise fordern jetzt ihren inhaltlichen und personellen Anteil an der Macht ein, Bernie Sanders wird als Arbeitsminister gehandelt. Joe Biden ist jedoch ein Mann der Mitte, der den Kompromiss mit dem politischen Gegner sucht. Das Wahlergebnis sollte Biden darin bestärken, einen Kurs der Mitte zu fahren. In vielen Wahlkreisen schnitt Biden besser ab als die jeweiligen Senatoren und Abgeordneten der Demokraten. Aus dem knappen Wahlergebnis kann Biden keinen Regierungsauftrag in Richtung einer links-progressiven Politik herauslesen. 70 Millionen Trump-Wähler sind eine deutliche Ansage gegen einen Linksruck der Demokraten. Knappe Mehrheiten und die Verpflichtung gegenüber konservativen und stabilitätsorientierten Wählern engen den Handlungsspielraum einer Biden-Administration ein. Die Balance muss gehalten werden:

  • bei Migration zwischen liberaler Einwanderungspolitik und Grenzsicherung
  • in der Gesundheitspolitik zwischen Ausweitung des Versicherungsschutzes und Beibehaltung privater Krankenversicherungen
  • in der Wirtschaftspolitik zwischen Konjunkturpaketen und ausufernden Staatsfinanzen, wo die Schuldensituation bei steigenden Zinsen unkontrollierbar werden könnten. Dem Deficit Spending sind Grenzen gesetzt
  • in der Klimapolitik zwischen teuren Investitionen in erneuerbare Energien und Übergangstechnologien wie Fracking
  • in der Corona-Krise zwischen dem Schutz des Lebens und Wirtschaftsperspektiven.

Eine Biden-Administration muss die Richtungskämpfe der Demokraten steuern, ohne ihren Mitte-Kurs aufzugeben. Für einen Linksruck gibt es keine gesellschaftliche Mehrheit in Amerika.

Transatlantischer Schulterschluss mit klarer Erwartungshaltung

Außenpolitik war kein Thema im Wahlkampf und keine Priorität für die Wähler. Trump präsentierte keine Trump II-Agenda, sondern lobte sich für die erzielten außenpolitischen Erfolge. Trotzdem war klar: Eine Wiederwahl Trumps hätte vermutlich multilaterale Organisationen geschwächt und zum weiteren Abbau internationaler Vereinbarungen geführt. In den Alpträumen westlicher Sicherheitspolitiker wurde selbst ein NATO-Austritt der USA nicht ausgeschlossen. Diese worst-case-Szenarien sind mit der Wahl Bidens abgewendet. Internationalen Organisationen bläst nicht länger heftiger Gegenwind entgegen. Der Reformdruck bleibt hoch, doch die USA unter Biden wollen mit dabei sein, wenn der künftige Kurs bestimmt wird. Die USA werden die Weltgesundheitsorganisation im Kampf gegen COVID-19 unterstützen, nicht aus der Welthandelsorganisation austreten, die Aufkündigung des Pariser Klimaabkommens rückgängig machen, ein neues Iran-Abkommen verhandeln und den Rüstungskontrollvertrag New Start mit Russland einstweilen verlängern, um Verhandlungszeit für konkrete Nachbesserungen bei Inspektionen und bei der Einbeziehung Chinas zu gewinnen. 

Daher hat die Wahl von Joe Biden erhebliche außenpolitische und internationale Konsequenzen, trotz der dominanten innenpolitischen Agenda und eines überparteilichen Konsenses, der auf militärischer Stärke, dem Heimholen von US-Truppen aus dem Ausland und der Reduzierung der Verwicklung in Konflikte und Kriege basiert. Im Gegensatz zur Trump-Administration strebt die Biden-Administration die enge Abstimmung mit Alliierten, zuvorderst NATO und EU an. Trump war in seiner aggressiven America First-Politik von einem neo-realistischen Weltbild geprägt, das nicht zwischen Freunden und Feinden unterschied. In Trumps Welt gibt es keine Werte, nur Interessen, Deals und am Ende einen Gewinner: Donald Trump. Joe Biden hingegen ist überzeugter Transatlantiker, er weiß, dass Amerika globale Herausforderungen nicht unilateral lösen kann. Biden glaubt an Partner und globale Ordnungsstrukturen, er wird Europa umarmen und an gemeinsame Geschichte, Interessen und Werte appellieren. Der freundliche Ton sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Themen unangenehm bleiben und Washington eine klare Erwartungshaltung hat:

  • Die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen sind in der Mindermeinung mancher Experten durch den hohen deutschen Güterüberschuss in Schieflage. Die hohen deutschen Exporte werden immer wieder kritisiert. Insgesamt herrscht parteiübergreifend eine protektionistische Stimmung in Amerika.
  • Die deutschen Verteidigungsausgaben sind gemessen an der Wirtschaftskraft zu gering und Deutschland kommt seiner sicherheitspolitischen Verantwortung in Europa nicht nach. Auch wenn eine Biden-Administration weniger auf das 2%-Ziel fixiert ist, bleibt nur eine schlagkräftige NATO für Amerika interessant, bei aller Wertschätzung klassischer Strukturen auf dem alten Kontinent.
  • Deutschlands energiepolitische Beziehungen mit Russland lösen Stirnrunzeln und Unverständnis in Washington aus. Der Widerstand gegen Nord Stream 2 ist ungebrochen und die Sanktionen gegen die am Pipeline-Bau beteiligten Unternehmen sind Konsequenz des überparteilichen Konsenses im Kongress.
  • Zentrales Thema des transatlantischen Dialogs wird China sein. Die Biden-Administration wird keine vollständige Abkoppelung von China anstreben und selektive Kooperationspotentiale ausloten. Doch Leitgedanke ist die umfassende geopolitische Rivalität mit China und die daraus resultierenden Sicherheitsrisiken in Politik, Wirtschaft, Industrie und Technologie. Die Nutzung chinesischer Technologie beim Schritt zu 5G wird Washington konsequent unterbinden. Washington erwartet von Europa, dass es China als Gefahr erkennt, und nicht nur als Markt sieht.

Trotz einer neuen transatlantischen Charmeoffensive der Biden-Administration nicht zuletzt in der Klimapolitik wird die neue US-Regierung nicht endlos Geduld haben. Washington will Lösungen und will vor allem eine geeinte Stimme Europas in der Welt hören. Insgesamt werden sich die transatlantischen Beziehungen berechenbarer und konstruktiver entwickeln. Indikatoren des neuen Zugehens aufeinander werden die Beilegung der Strafmaßnahmen im Airbus / Boeing-Streit sein und die erhoffte Rücknahme der Stahl- und Aluminiumzölle. Es ist davon auszugehen, dass unter einer Biden-Administration die Auto-Zölle vom Tisch sind. Jedenfalls schließt es sich aus, mit Verbündeten arbeiten zu wollen und sie im selben Atemzug als Gefahr für die nationale Sicherheit einzustufen.

Bekannte Gesichter in der Außenpolitik?

Die personelle Aufstellung der Biden-Administration in der Außenpolitik dürfte wenig Überraschungen, dafür einige bekannte Gesichter aus der Obama-Zeit bringen. Maßgebliche Kriterien der Kabinettsberufung werden administrative und exekutive Erfahrung sein, also Kenntnis des Apparates von innen, sowie ein breites Netz an internationalen Kontakten, so dass sofort Kooperationsstrukturen genutzt bzw. aufgebaut werden können. Außenpolitische Neulinge dürften in der Biden-Administration zunächst einmal keinen Platz finden. Heiße Kandidaten für Top-Positionen sind Michele Flournoy als Verteidigungsministerin, Susan Rice als Außenministerin und Jake Sullivan oder Anthony Blinken als Nationale Sicherheitsberater. Sie alle gehören zum engen Beraterkreis von Joe Biden. Die Benennung von Ron Klain, seinem früheren Büroleiter als Vize-Präsident und langjährigem Mitarbeiter im Senat, zum neuen Stabschef im Weißen Haus signalisiert deutlich, dass Joe Biden auf ein Team aus loyalen und bewährten Weggefährten vertraut. Zugleich wird Joe Biden seine neue Regierung breit und bunt aufstellen. Frauen, Minoritäten und Minderheiten werden sicherstellen, dass das Biden-Kabinett Aufbruch und Wandel symbolisiert, während die Trump-Regierung in ihren Anfängen von Millionären und Generälen geprägt war.

Der außenpolitische Kurs der Demokraten wird nicht frei von innerparteilichen Spannungen sein. Das Biden-Lager der liberalen Internationalisten steht für internationale Kooperation und hat ein Gespür für globale Interdependenzen, während der linke Flügel eine progressive Außenpolitik fordert. Dies beinhaltet die Ausrichtung der Außenwirtschafts- und Handelspolitik auf Sozial- und Umweltstandards. Der Kampf gegen den Klimawandel soll ein übergeordnetes Ziel des auswärtigen Handelns der USA sein. Die Positionierung linker Kreise gegen Freihandel und die Forderung nach einer Einschränkung der Macht von Großunternehmen legen eine protektionistische Grundhaltung nahe, die einer Biden-Administration den Abschluss von weitreichenden Handelsabkommen sehr erschweren wird.

Umbrüche in Amerika und in der Welt

Die Wahl von Donald Trump 2016 war ein nationaler und internationaler Wake-Up-Call. Die Welt geriet schon vor Donald Trump aus den Fugen. Trump hat die politischen und gesellschaftlichen Wunden offengelegt, deren Ausmaß viele nicht wahrhaben wollten. Weit verbreitete Existenzängste, Identitäts- und Heimatverlust, Sorgen vor dem rasanten technologischen und gesellschaftlichen Wandel, politische Enttäuschung und Frustration, eklatante Einkommensunterschiede, drohende Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit auf dem Land - all dies hat Trump populistisch ausgeschlachtet, zusammen mit seinem Celebrity-Status als Fernsehstar hat es ihn ins Weiße Haus gebracht.

Die Trump-Jahre haben gezeigt: Amerika steht vor innenpolitischen Herausforderungen und Umbrüchen, außenpolitisch liegt der Fokus auf China und Asien. Die Pax Americana ist zu Ende und neue Bedrohungslagen durch Russland und China ziehen herauf. Es herrscht globale Instabilität und die regelbasierte Weltordnung erodiert. Die US-Außenpolitik orientiert sich neu, sie schwankt zwischen Überdehnung, humanitärem Interventionismus und Isolationismus. Die außenpolitische Debatte in Amerika um das richtige Maß an internationalem Engagement ist in vollem Gang. Neue Think Tanks wie das Quincy Institute und das neue Politik-Journal American Purpose prägen den Diskurs.

Auf die transatlantische Partnerschaft kommen diskussions- und arbeitsreiche Jahre zu. Das transatlantische Paradies ist verloren, und Joe Biden wird es nicht zurückbringen. Amerika will ein Europa, das regionale Probleme selbständig löst und mit Amerika an globalen Fragen arbeitet. Je geeinter Europa auftritt, desto aufmerksamer wird Washington zuhören.

Autor: Christian Forstner, Washington, HSS