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Nach den US-Wahlen – Perspektiven für den Nahen Osten
Wiederannäherung zwischen Palästinensern und Israel

Mit Spannung wurden in Israel und den Palästinensischen Gebieten die Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten von Amerika beobachtet. Nach der Wahl zeigte sich rasch eine Auswirkung: Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) nutzt die Gelegenheit, ihre Beziehungen mit Israel zu erneuern. Damit wird die für beide Seiten wichtige Sicherheitskoordinierung wiederaufgenommen. Bieten sich nun Perspektiven für eine weitere Normalisierung der Beziehungen im Sinne des Abraham-Abkommens zwischen Israel und anderen arabischen Staaten (Vereinigte Arabische Emirate, Bahrain, Sudan)?

Erleichterung in Ramallah über Wechsel im Weißen Haus

Ob „President-elect“ Joe Biden sich als großer Helfer für die Palästinenser erweisen wird, dazu gibt es im Westjordanland derzeit unterschiedliche Prognosen. Aber einhellig ist man in Ramallah der Meinung, dass die Abwahl von Donald Trump eine gute Wendung für die Palästinenser sei.
Der scheidende US-Präsident hatte sie mit seiner Nahost-Politik vor den Kopf gestoßen: Mit der Anerkennung von Jerusalem als Hauptstadt von Israel, der Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem, der Schließung der US-Botschaft in Ost-Jerusalem sowie der Diplomatischen Mission der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) in Washington, dem Einstellen der Zahlungen an die PA und das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East) UNWRA sowie mit der Erklärung, dass israelische Siedlungen nicht im Widerspruch zu internationalem Recht stünden.
Bereits nach der Entscheidung der US-Regierung für Jerusalem als Sitz der US-Botschaft vom 6. Dezember 2017 hatte die palästinensische Führung den USA ihre Vermittlerrolle im Nahost-Prozess abgesprochen. Seitdem boykottierte sie die Trump-Administration.
Die Wahl von Joe Biden bietet nun eine Chance für die palästinensische Führung, das Gesicht zu wahren und an den Verhandlungstisch zurückzukehren.
Die PA erklärte bereits ihre Absicht, nach dem Amtswechsel im Weißen Haus ihre Beziehungen zu den USA aufzufrischen. Mittlerweile hat sie der künftigen US-Regierung einen Katalog mit Forderungen vorgelegt.

Wiederaufnahme der Zusammenarbeit zwischen der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) und Israel

Auch im Verhältnis zu Israel zeigt die Wahl von Joe Biden bereits erste konkrete Auswirkungen: Die PA nahm offiziell wieder ihre Beziehungen zu Israel auf, die sie vor sechs Monaten abgebrochen hatte.

Im Mai 2020 hatte die neu vereidigte israelische Regierung die Annexion von Teilen des Westjordanlandes in ihre Koalitionsvereinbarung aufgenommen. Grundlage dafür war der von US-Präsident Donald Trump vorgestellte Nahost-Plan, der eine Annexion von rund 30 Prozent des Westjordanlandes vorsah. Es war das erste Mal, dass eine israelische Regierung einen solchen Schritt offiziell zu einem Ziel ihrer Politik erklärt hatte. Daraufhin hatte PA-Präsident Abbas sämtliche Beziehungen und Abkommen mit Israel, inklusive der für beide Seiten relevanten Sicherheitskoordinierung, eingestellt.

Nun wurde die Sicherheitskoordinierung zwischen der PA und Israel wiederaufgenommen. Auch erklärten Vertreter der PA, dass sie wieder bereit seien, Zölle und Steuern, die Israel für die PA einnimmt, von Israel anzunehmen.

Vorangegangen war ein Streit um die sogenannten „Märtyrer Renten“. Israel hatte beschlossen, die Summe der an die PA weiterzuleitenden Zölle und Steuern um die Höhe der „Märtyrer Renten“ - ca. fünf Prozent der Gesamtsumme - zu kürzen. Daraufhin hat die PA seit sechs Monaten die Annahme sämtlicher Gelder verweigert.

Nun haben die Palästinenser – auch mit Blick auf die Beziehungen zu den USA, die ihre Hilfszahlungen an die PA im Zuge der Taylor Force Act-Gesetzgebung gekappt hatten – in Aussicht gestellt, ihre sozialen Leistungen an diese „Märtyrer-Familien“ zu überarbeiten.

Im Laufe des Jahres hatten sich rund 890 Millionen USD an Zöllen und Steuern beim israelischen Staat angesammelt, deren Annahme die PA verweigert hatte. Über viele Monate hinweg konnten Mitarbeitern der Verwaltung nur teilweise oder überhaupt keine Gehälter bezahlt werden. Die US-Wahlen gaben nun der PA den Anlass, gesichtswahrend einen Aufschub für ihr Finanzproblem zu erreichen. Anfang November meldete außerdem die UNWRA ihre drohende Zahlungsunfähigkeit. Die palästinensische Wirtschaft leidet sehr unter den Folgen der gekürzten Gehaltszahlungen der Behörden, der Corona-Pandemie sowie dem Ausbleiben der Touristen.

Der nahe Osten befindet sich im Umbruch. Das zeigt auch die Wiederannäherung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) an Israel und die Wiederaufnahme der Sicherheitskoordinierung.

Der nahe Osten befindet sich im Umbruch. Das zeigt auch die Wiederannäherung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) an Israel und die Wiederaufnahme der Sicherheitskoordinierung.

© Mahmiyat

Abraham-Abkommen leitete Zeitenwende ein – Normalisierung mit Israel trotz ungelöster palästinensischer Frage

Im Zuge des von Trump vermittelten Abraham-Abkommens zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) erklärte Israel bereits im August die Aussetzung seiner Annexionspläne.

Nach der Normalisierung dieser Beziehungen folgten weitere Friedens-Abkommen zwischen Israel und dem Königreich Bahrain sowie dem Sudan.

Die Palästinenser hatten auf diese Schritte mit heftiger Kritik reagiert, weil sie von ihnen als Verrat innerhalb der Arabischen Liga empfunden wurden. Daraufhin zogen sie ihre diplomatischen Vertreter aus den betreffenden Staaten ab und legten ihren Vorsitz in Ausschüssen der Arabischen Liga nieder. Doch der Protest der PA verhallte.

Durch die Normalisierung der diplomatischen Beziehungen der drei arabischen Staaten mit Israel hatte sich eine Zeitenwende im Nahen und Mittleren Osten vollzogen: Bisher galt die Maßgabe der Arabischen Liga, dass keine Anerkennung von Israel erfolgen oder Kontakte zu Israel aufgenommen würden, bevor nicht der Konflikt mit den Palästinensern gelöst sei. Doch die Früchte jahrelanger diplomatischer Bemühungen Israels, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Interessen der beteiligten arabischen Staaten und die Verhandlungen der USA (u.a. werden die VAE nun erstmals hochmoderne Kampfflugzeuge aus den USA kaufen können) führten zu diesem Politikwechsel.

Fatah und Hamas weiterhin gespalten – Wahlen zum palästinensischen Parlament unwahrscheinlich

Die Wiederannäherung der PA an Israel wird einer Einigung zwischen Fatah und Hamas, die vor wenigen Wochen laut Willensbekundungen beider Seiten auch zur Durchführung von Parlamentswahlen in den Palästinensischen Gebieten führen sollte, wenig zuträglich sein.

Die von der EU und den USA als Terrororganisation eingestufte Hamas hatte bereits in der Vergangenheit die Sicherheitskoordination der PA mit Israel als Verrat kritisiert.

Aus Sicht der Fatah wäre die Durchführung von Wahlen wenig opportun. Die letzten Wahlen in den Palästinensischen Gebieten fanden 2006 statt, seitdem kontrolliert die Hamas den Gazastreifen.

Die Zustimmung zu PA-Präsident Abbas und seiner Fatah-Partei sind in der Bevölkerung des Westjordanlandes seit Jahren schlecht.

In der Vergangenheit war von der PA als Voraussetzung für Wahlen die Teilnahme der Palästinenser, die in Ost-Jerusalem leben, gefordert worden. Dies hatte Israel stets durch die Erklärung verhindert, dass Jerusalemer, die an palästinensischen Wahlen teilnehmen, ihr Recht auf die Jerusalem-ID-Karte verlieren. Das ist der israelische Passierschein, welcher freie Bewegung in ganz Israel und Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen Israels gewährt.

Unabhängig von der ungelösten Frage der Teilnahme der Ost-Jerusalemer an Wahlen wäre eine Wahlniederlage der Fatah gegen die Hamas weder im Interesse der Führung der PA noch im Interesse Israels. Von einer Rückkehr zum Status-Quo, wie sie nun eingeleitet wurde, profitieren beide Seiten.

Zur Information

Die Sicherheitskoordinierung ist für beide Seiten wichtig, für die PA noch mehr als für Israel. Sie trägt dazu bei, ein Ausbreiten der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Dschihad im Westjordanland zu unterbinden. Dieser könnte zu einem Sturz der von der Fatah dominierten PA-Administration führen.

Wie sicher sich die Israelis auch ohne die Koordinierung fühlten, zeigten sie im Sommer, als sie an mehreren Wochenenden Tausende Palästinenser aus der Westbank zu Tagesausflügen an die Strände Israels fahren ließen. Offiziell waren die Checkpoints nicht durchlässig, aber große Öffnungen in Zäunen konnten von Menschenmengen unter den Augen der israelischen Soldaten passiert werden. Die Soldaten leuchteten sogar stillschweigend den Ausflüglern nachts ihren Weg zurück. 

Aktuelle Schritte der US-Regierung im Nahen Osten

US-Außenminister Mike Pompeo hatte bei seiner jüngsten Reise nach Israel im November Abschiedsgeschenke für die israelische Rechte im Gepäck. Er besuchte israelische Siedlungen und erklärte, von Israelis im Westjordanland hergestellte Produkte könnten künftig in den USA unter dem Etikett „Made in Israel“ verkauft werden.

Von welcher Haltbarkeit solche letzten Schritte der Trump-Regierung sein werden, wird sich zeigen. Auch wenn eine neue US-Administration manche Erklärung rückgängig machen kann, werden nicht alle Entscheidungen - wie der Besuch von Pompeo in der Jerusalemer Altstadt, auf den Golanhöhen und in israelischen Siedlungen im Westjordanland – ungeschehen gemacht werden können. So rechnet kaum jemand mit einer Rückverlegung der US-Botschaft von Jerusalem nach Tel Aviv.

Auf palästinensischer Seite hofft man aber auf eine Wiedereröffnung der Diplomatischen PLO-Mission in Washington und die Wiederaufnahme von US-amerikanischen Finanzhilfen für die PA und UNWRA. Eine Überarbeitung der palästinensischen Schulbücher, die an vielen Stellen zur Gewalt gegen Israel aufrufen, wurde als Ansatzpunkt für ein mögliches Entgegenkommen in Aussicht gestellt.

Wie geht es weiter?

Doch bis zum Amtswechsel im Weißen Haus in Januar 2021 kann noch einiges geschehen. Pompeo erklärte vor seiner Abreise, die aktuelle Regierung werde ihre Nahost-Politik weiter in diese Richtung fortsetzen. Ein denkbarer Schritt wäre die offizielle Anerkennung der israelischen Souveränität über ganz Jerusalem und damit auch Ost-Jerusalem. Die im Bau befindliche neue US-Botschaft entsteht auf einem Grundstück, welches jenseits der Waffenstillstandslinie von 1949 liegt. Von der internationalen Gemeinschaft wird es Ost-Jerusalem zugerechnet. Sollte die Trump-Regierung offiziell die Anerkennung der israelischen Souveränität über ganz Jerusalem erklären (wie sie es 2019 mit den Golanhöhen vollzogen hat), könnte sie sich dabei auf den überparteilichen „Jerusalem US Embassy Act“ von 1995 berufen, den auch der damalige Senator Joe Biden unterzeichnet hatte.

Die Mehrheit der israelischen Bevölkerung jedenfalls würde es begrüßen, wenn der künftige US-Präsident Biden Verhandlungen mit den Palästinensern aufnehmen würde (49 Prozent vs. 36 Prozent.
Eine Zwei-Staaten-Lösung würden 48 Prozent der Israelis begrüßen, jeweils elf Prozent würden eine Ein-Staaten-Lösung mit gleichen bzw. weniger Rechten für die Palästinenser begrüßen (10 Prozent keine Meinung, 20 Prozent keine der genannten Optionen). (Umfrage des Midgam Institute)

Wie auch die aktuelle Reise des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu nach Saudi-Arabien (zusammen mit dem israelischen Geheimdienstchef und Mike Pompeo) zeigt, befindet sich der Nahe Osten weiterhin im Umbruch. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Verhältnisse im Nahen und Mittleren Osten in Zeiten der neuen US-Regierung weiterentwickeln, zu erwarten ist jedoch auch in Zukunft eine weitere Annäherung arabischer Staaten an Israel.

Julia Obermeier

Naher Osten, Nordafrika
Claudia Fackler
Leiterin