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Myanmar
Der Putsch - ein Heimspiel für das Militär

Anfang Februar erlebte Myanmar einen Putsch durch das Militär. Staatsrätin Aung San Suu Kyi wurde entmachtet und soll sich vor Gericht verantworten. Doch in der Bevölkerung regt sich auch Widerstand. Welche Gründe führten zu dieser Eskalation?

  • Hintergründe des Putsches
  • Aung San Suu Kyi und Min Aung Hlaing
  • Wiederholt sich Geschichte?
  • Ein offenes Ende?

Am 01. Februar 21 erwachte Myanmar ohne Internet und später mit Bildern von rollenden Militärfahrzeugen auf den großen Straßen der Hauptstadt Nay Pyi Taw. Es folgte die Nachricht, dass die Staatsrätin Aung San Suu Kyi, der Präsident Win Myint sowie alle neu gewählten Parlamentarier vom Militär (Tamadaw) unter Hausarrest gesetzt wurden. Am Nachmittag verkündete das Militär einen 12-monatigen Ausnahmezustand unter der Führung von Myanmars Oberbefehlshaber, General Min Aung Hlaing. Das Militär (Tatmadaw) hatte die politische Führung in Nay Pyi Taw übernommen und damit einen Putsch vollzogen.

Nach dem Putsch regt sich immer mehr Widerstand in der Bevölkerung.

Nach dem Putsch regt sich immer mehr Widerstand in der Bevölkerung.

HSS Myanmar

Welche Hintergründe gab es?

Offiziell bezieht sich das Tatmadaw auf Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen im November 2020. Internationale Beobachterorganisationen hatten die Wahl als weitgehend legitim bewertet. Kritik gab es hauptsächlich an den rechtlichen Rahmenbedingungen der Wahl, die eine Demokratie in Myanmar einschränken sowie an den Entscheidungen der Wahlkommission, denen in einigen Fällen Transparenz und Offenheit fehlte, und daran, dass die Wahlkommission keinen öffentlichen Zugang zu zeitnahen Wahlergebnissen gewährte.

In Erklärungen zum Putsch behauptet das Tatmadaw, dass mehr als zehn Millionen Wählerstimmen falsch gezählt worden seien. Seit Bekanntgabe der Ergebnisse äußerten sich die militärnahe Partei Union Solidarity and Development Party (USDP) und das Militär mehrfach zu fehlerhaften Wählerlisten, zur Nähe der Wahlkommission zur Nationalen Liga für Demokratie (NLD) sowie Verstößen bei den Auszählungen.

Faktisch gab es 271 offizielle Klagen zu Unregelmäßigkeiten des Wahlprozesses von Seiten der USDP gegenüber der NLD. Die Prozesse zu den Klagen stehen noch aus, sie sollten im Februar stattfinden. Das Tatmadaw tauschte jetzt die Wahlkommission innerhalb der letzten Tage aus. Daher ist es ist unklar, ob und wann es Anhörungen zu den oben genannten Klagen geben wird. In weiteren Erklärungen hat das Tatmadaw Neuwahlen angekündigt, nach Ablauf des 12-monatigen Ausnahmezustandes.

Anfang Februar wurde Staatsrätin Aung San Suu Kyi vom Militär entmachtet. Große Teile der Bevölkerung äußern ihren Unmut.

Anfang Februar wurde Staatsrätin Aung San Suu Kyi vom Militär entmachtet. Große Teile der Bevölkerung äußern ihren Unmut.

HSS Myanmar

Aung San Suu Kyi und Min Aung Hlaing

Die wahren Hintergründe bleiben spekulativ. Am Tag des Putsches sollte die erste Parlamentssitzung stattfinden und die Sprecher des Parlaments sowie Kandidaten für das Präsidentenamt nominiert werden. In den Tagen vor dem Putsch hatte es mehrere Verhandlungen zwischen Aung San Suu Kyi und Min Aung Hlaing gegeben. Angeblich wollte der General zum Präsidenten aufsteigen oder zumindest eine gleichwertige Rolle zu Aung San Suu Kyi im Kabinett erhalten. Das wäre ein Übergang vom Oberbefehlshaber der Streitkräfte zu einer Führungsrolle in der Politik, denn Minh Aung Hlaing wird in diesem Jahr 65 Jahre alt - dies hätte laut offiziellem Regelbuch der Armee den Ruhestand für ihn bedeutet.

Legal hätte Min Aung Hlaing wohl nur Vizepräsident werden können. Die Verfassung von 2008 besagt, dass das Militär 25 Prozent der Parlamentarier stellt. Das gibt dem Militär ein grundsätzliches Vetorecht für Verfassungsänderungen. Das Amt des Präsidenten wird aber im Mehrheitswahlverfahren in einer gemeinsamen Kammer, zusammengesetzt aus Ober- und Unterhaus, entschieden. Jede Kammer nominiert einen Präsidentschaftskandidaten und zusätzlich wird ein Kandidat direkt vom Militär nominiert. Alle drei stehen dann in der gemeinsamen Kammer zur Wahl. Der Kandidat mit den meisten Stimmen wird Präsident, die anderen beiden Kandidaten werden Vizepräsidenten. Durch den Erdrutschsieg bei den Wahlen 2020 hat die NLD eine klare Mehrheit in beiden Kammern und kann daher den Präsidenten bestimmen.

Eine Woche nach der Machtübernahme durch das Militär gibt es in Myanmar immer mehr Proteste. Symbol der Protestierenden ist der 3-Finger-Gruß.

Eine Woche nach der Machtübernahme durch das Militär gibt es in Myanmar immer mehr Proteste. Symbol der Protestierenden ist der 3-Finger-Gruß.

HSS Myanmar

Eine politische Geschichte, die sich wiederholt?

Dies ist nicht der erste Putsch in Myanmar. Schnell werden Parallelen zu den Putschen von 1962 und 1988 gezogen sowie zu den Wahlen 1990, bei denen das Militärregime die Ergebnisse nicht anerkannt hatte und das Land danach für mehr als 20 Jahre isolierte. Bedenken gab es sofort, dass die Demonstranten in Yangon durch die Straßen ziehen würden wie 1988 oder 2007 bei der Safran-Revolution und diese Proteste wieder vom Tatmadaw blutig niedergeschlagen würden.

Das politische Burma der Vergangenheit ist bisher nicht mit Myanmar im Jahr 2021 zu vergleichen. Die Tage nach dem Putsch verliefen ruhig in Yangon und im ganzen Land. Der Ärger und der Frust über die militärische Übernahme verlief bisher virtuell über das Internet mit Kampagnen zum sozialen Ungehorsam und dem abendlichen Topfschlagen gegen das neue Regime. Diese Kampagnen zeigen bisher Wirkung, viele Menschen und Organisationen schließen sich an, trotz Unterbrechungen der Internetverbindung und Drohungen vom Tatmadaw.

Viele Parlamentarier sowie Minister wurden nach eine paar Tagen Hausarrest entlassen. Aung San Suu Kyi sowie der Präsident Win Myint wurden im Prinzip als Geisel genommen und für 14 Tage in Untersuchungshaft genommen, wegen des Besitzes von Walkie-Talkies und Verstößen gegen COVID-19-Richtlinien.

Der Ort des Putsches ist aber ein anderer. Nay Pyi Taw ist seit 2005 die Hauptstadt Myanmars. Anfang 2000 vom Militär geplant, hat die Stadt mit dem Namen „Sitz der Könige“ eine neue Ära der damaligen Militärdiktatur unter General Thant Shwe eingeleitet. Eine Stadt, nur für die Administration des Landes gebaut, mit breiten Straßen und einer übersichtlichen Infrastruktur. Die politische Übernahme war daher ein leichtes Spiel für das Tatmadaw, ein Heimspiel, denn auch alle Generäle wohnen dort, aber nur wenige Menschen aus der Bevölkerung Myanmars.

Ein offenes Ende?

In den letzten Tagen hat das Militärregime schnell neue Minister ernannt. Interessanterweise besteht dieses Regime-Kabinett weniger aus Generälen, viele der Stellen sind mit Zivilisten und Beamten besetzt worden. Es kann es als ein Anti- Aung San Suu Kyi Kabinett bewertet werden. Die neu ernannte Sozialministerin, Thet Thet Khine, war früher bei der NLD und ist nun eine führende Kritikerin dieser Partei. Jetzt ist sie ein Teil des Regimes, bei den Wahlen 2020 hatte sie mit ihrer neugegründeten Partei, der People's Pioneer Party, nur sehr wenige Stimmen bekommen.

Auf der anderen Seite haben sich mehr als 70 NLD-Abgeordnete in den letzten Tagen zusammengeschlossen und sich öffentlich als Parlamentarier bekannt. Viele weitere Parlamentarier sind nach ihrer Entlassung aus dem Hausarrest heimgefahren, auch aus Furcht vor den Drohungen des Tatmadaws. Die Angst vor den blutigen Taten des Tatmadaws in der Vergangenheit ist auch in der Zivilgesellschaft zu spüren; viele Aktivisten sind untergetaucht. 

Fast zehn Jahre hat dieser Demokratieprozess in Myanmar nun Bestand gehabt. Die ersten Jahre seit der Öffnung Myanmars waren von Skepsis, aber auch von sehr großer Euphorie geprägt: Ein Hoffnungsland, das möglichweise vom autoritären Staat in eine Demokratie übergehen wird. Dazu gehörte der Aufstieg, aber auch der politische Abstieg der Demokratie-Ikone Aung San Suu Kyi durch die Nichtanerkennung der Rohingya in Myanmar und die Urteile zum Genozid an dieser Ethnie des internationalen Gerichtshofs in Den Haag. Und am Ende hat doch das Militär wieder alles unter Kontrolle? 

Sicherlich wird es in den kommenden Tagen und Wochen immer wieder rasante politische Veränderungen geben. Eine tragende Rolle wird auch der internationalen Gemeinschaft zukommen und wie diese auf den Putsch, auf das Militärregime, aber auch auf Aung San Suu Kyi reagieren wird. Der Großteil der Bevölkerung verurteilt diesen Putsch und möchte nicht wieder 30 Jahre in die Geschichte zurückreisen. Es bleibt zu hoffen, dass die Menschen in Myanmar dieses Mal das Militärregime von ihrer Meinung über die Zukunft des Landes überzeugen können, und damit ein neues Kapitel in ihrer Landesgeschichte schreiben, das von Lichtblicken und nicht von Dunkelheit geprägt ist.

Autor: Achim Munz

(Stand 05. Februar 2021)

Süd-/Südostasien
Stefan Burkhardt
Leiter
Myanmar
Achim Munz
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