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Nachwahlen von Bürgermeistern in Südkorea - Analyse
Krachende Niederlage für die linke Regierung

Skandale führten zu Nachwahlen der Bürgermeister von Seoul und Busan. In beiden Städten stellt nun die Opposition die Bürgermeister. Diese Wahlen gelten als Stimmungsbarometer für die Präsidentschaftswahlen 2022.

  • Richtungweisende Nachwahlen
  • Die Ergebnisse
  • Hintergrund der Wahlen
  • Themen des Wahlkampfes
In Seoul, der Hauptstadt von Südkorea, sind Wähler auf dem Weg zum Wahllokal. Zum Bürgermeister wurde Oh Se-Hun gewählt.

In Seoul, der Hauptstadt von Südkorea, sind Wähler auf dem Weg zum Wahllokal. Zum Bürgermeister wurde Oh Se-Hun gewählt.

© Haan Choi

Richtungweisende Nachwahlen

Bei den Nachwahlen der Bürgermeister in Seoul und Busan hat die oppositionelle konservative Partei, People´s Power Party (PPP), einen großen Sieg errungen (1). In Seoul wurde Oh Se-hun, der bereits von 2006 bis 2011 Bürgermeister gewesen war, zurück ins Amt gewählt.

Bürgermeister von Busan wird Park Hyung-joon, ein enger Mitarbeiter des früheren Präsidenten Lee Myung-Bak. Beide lösen damit Bürgermeister der linken Demokratischen Partei ab, die wegen Sexskandalen aus dem Amt schieden.

Die Wahl gilt auch als Misstrauensvotum gegenüber Präsident Moon Jae-In und wird als wichtige Vorentscheidung für die Präsidentschaftswahl im April 2022 eingestuft. Zwar kann Präsident Moon ohnehin nicht wiedergewählt werden (in Südkorea ist nur eine einmalige Wahl zum Staatspräsidenten möglich), aber Moon gilt damit nun endgültig politisch als „lahme Ente“. Der von Moon favorisierte aussichtsreiche Kandidat des Establishments der Demokratischen Partei (DP), Lee Nak-Yeon, ist mit der Wahl gleichermaßen angeschlagen. Auf konservativer Seite muss dagegen erst noch ein Präsidentschaftskandidat gefunden werden. Als aussichtsreichster Kandidat zählt derzeit der frühere Generalstaatsanwalt Yoon Seok-Youl. Er wurde zwar von Moon Jae-In ins Amt gebracht, hat sich aber über die Reform der Staatsanwaltschaft mit ihm zerstritten, wurde entlassen und dadurch sehr populär. Es gilt als wahrscheinlich, dass die PPP um ihn als Kandidaten werben will. Es könnte aber auch sein, dass der erste glänzende Wahlerfolg seit vier Niederlagen Politiker aus den Reihen der PPP dazu bringt, selbst anzutreten.

Als Folge dieser Bürgermeisterwahlen trat die gesamte Spitze der Demokratischen Partei (DP) zurück, ein in Korea nicht unüblicher Vorgang.

Wahlergebnisse

Bei den Nachwahlen in Seoul hat Oh Se-Hun, Kandidat der oppositionellen People’s Power Party (PPP), mit 57,50 Prozent gegenüber 39,18 Prozent für die Kandidatin der regierenden Demokratischen Partei, Park Young-Sun, gewonnen. Er war in allen Stadtbezirken weit vor der DP-Kandidatin, hat aber besonders im reichen Süden (Kangnam) über 60 Prozent der Stimmen geholt. Bei den Parlamentswahlen vor einem Jahr hatte noch die DP mit über zehn Prozent vorne gelegen. Seoul ist deshalb so wichtig, weil es die größte Stadt Koreas ist mit über 10 Millionen Einwohnern und weil die Wähler hier politisch nicht so festgelegt sind wie in der südlichen Hälfte Südkoreas (wo der Ostteil traditionell konservativ wählt, der Westteil links). Oh Se-Hun war bereits von 2006 bis 2011 Bürgermeister (als Nachfolger von Lee Myung-Bak, der Präsident wurde), hat dann aber sein politisches Schicksal mit einem Referendum gegen freie Schulmahlzeiten verbunden, das er verlor. Daraufhin wurde Park Won-Soon, unterstützt von der DP, zum Bürgermeister gewählt. Jetzt kehrt Oh triumphal in das Amt zurück.

In Busan, der mit ca. 3,5 Millionen Einwohnern zweitgrößten Stadt, wurde der konservative Kandidat Park Hyung-Joon mit 62,67 Prozent gegenüber 34,42 Prozent für den Kandidaten der linken DP, Kim Yeong-Joon, gewählt. Busan gilt traditionell als eher konservativ, allerdings kommt Präsident Moon von hier und in den letzten zehn Jahren gab es hier immer wieder erfolgreiche linke Kandidaten. Park löst den früheren Bürgermeister der DP, Oh Keo-Don, ab.

Ein Wahllokal im Stadtbezirk Yongsan-Gu, im Zentrum von Seoul. Wegen der Corona-Pandemie erreichte die Zahl der Briefwähler einen Höchststand.

Ein Wahllokal im Stadtbezirk Yongsan-Gu, im Zentrum von Seoul. Wegen der Corona-Pandemie erreichte die Zahl der Briefwähler einen Höchststand.

© Haan Choi

Hintergrund der Wahlen

Hintergrund war bei beiden Wahlen ein Sexskandal der regierenden Bürgermeister von der linken Demokratischen Partei. Park Won-Soon, Bürgermeister von Seoul, hatte sich als Vertreter von NGOs ein großes Ansehen erworben. Er wurde dreimal gewählt, einmal in der Nachwahl von 2011, dann 2014 und 2018. Bei jeder Gelegenheit betonte er, wie wichtig ihm die Förderung von Frauen sei. Allerdings wurde dann bekannt, dass Park selber jahrelang eine Mitarbeiterin des Rathauses belästigte. Er und seine Umgebung versuchten, diese als unglaubwürdig darzustellen. Als sich die Veröffentlichung ihrer Vorwürfe nicht mehr aufhalten ließ, nahm sich Bürgermeister Park, der durchaus auch als präsidiabel gegolten hatte, das Leben.

Auch in Busan musste Bürgermeister Oh Keo-Don von der DP wegen der Belästigung von Angestellten der Stadtverwaltung zurücktreten. Pikant sind beide Fälle aus mehreren Gründen: Zum einen wird offensichtlich, wie groß die Kluft zwischen öffentlichen Aussagen über die Wichtigkeit von Frauenförderung und des wirklichen, persönlichen Verhaltens der Parteirepräsentanten ist. Zum anderen hat die Demokratische Partei in ihrem Statut ausdrücklich verankert, dass als Konsequenz von Rücktritten aufgrund von Korruptions- oder Sexskandalen keine Kandidaten in betroffenen Bezirken aufgestellt würden. Auch hier sah die Realität anders aus: Nachdem mit Seoul und Busan die Bürgermeisterposten der beiden wichtigsten Städte Koreas verloren gegangen waren, änderte man schnell diese Verzichtserklärung, die man zuvor als Beweis für die eigene Sauberkeit gegenüber der angeblich korrupteren konservativen Opposition extra eingeführt hatte. Dies fügt sich in eine Reihe ähnlicher Vorgänge, z.B. um den früheren Justizminister Cho Kuk, der nach einer Woche vom Amt zurücktreten musste, weil er zwar verbal immer für Sauberkeit in der Politik eintrat, aber seine Familie etliche Skandale verursacht hatte.
Doch war dieser Hintergrund der Wahlen alleine nicht entscheidend für die krachende Niederlage der Regierungspartei. Zu Beginn des Wahlkampfs stand Park Young-Sun, die für die DP für das Bürgermeisteramt in Seoul angetreten war, als frühere Ministerin für kleine und mittlere Unternehmen durchaus gut in den Umfragen da. Doch die allgemeine Unzufriedenheit mit der Regierung, vor allem der Immobilienpolitik der Regierung, überdeckte schließlich alle lokalen Themen.

Wahlkampfthemen

Zunächst war natürlich der Grund für die Nachwahlen selbst ein Wahlkampfthema. Die konservative Opposition erklärte, dass durch die Skandale, die zum Tod bzw. Rücktritt der beiden Bürgermeister geführt hatte, die Regierungspartei ihr Recht auf eine Wiederwahl verwirkt habe.

Viel wichtiger wurden im Laufe des Wahlkampfs nationale Themen, vor allem die Immobilienpolitik. Die Moon-Regierung hat mit dirigistischen Maßnahmen versucht, die Steigerung der Immobilienpreise in Korea – wobei Seoul deutlich führt, aber auch die Metropole Busan – zu verlangsamen. Allerdings haben diese Maßnahmen letztlich nur zu weniger Neuinvestitionen in Gebäude und damit sogar weiteren Preissteigerungen geführt. Zusätzlich erschüttern auch beim Thema Immobilien Skandale das Image der DP: Um vor allem dem ungebremsten Zuzug in die Hauptstadt Seoul Herr zu werden, werden seit Jahren sogenannte „New Towns“, Satellitenstädte von 150.000 bis 500.000 Einwohnern, neu geplant und ausgewiesen im Umland von Seoul. Verantwortlich dafür ist die Land and Housing Corp., eine staatliche Firma. Kurz vor den Wahlen wurde bekannt, dass sich Angestellte bei den letzten beiden New Town – Entscheidungen massiv bereichert haben, indem sie selbst oder ihnen nahestehende Personen Land gekauft haben. Und ein weiterer Vorfall mit Bezug zum neuen Gesetz gegen Mietsteigerungen erzürnte die Bürger: Zwei enge Mitarbeiter von Präsident Moon hatten kurz vor dessen Erlass und unter Kenntnis der geplanten Neuregelungen, höhere Mietsteigerungen für ihre eigenen Immobilien durchgesetzt.

Korruptionsskandale dieser Art sind in Südkorea nicht neu, doch hat es deshalb so großen Ärger gegeben, weil die DP immer betont hatte, sie sei die „saubere“ Partei, die gegen die „alten Übel“ antreten werde. Tatsächlich hat sich aber nichts geändert unter Leitung der DP. Dieser offensichtliche Doppelstandard war eines der wichtigsten Wahlkampfthemen.

Auch bei anderen Themen, z.B. bei der Justizreform, erlitt die Regierung einen Glaubwürdigkeitsverlust durch Zweideutigkeit. Obwohl es viele gute Gründe für eine Justizreform gibt, entstand der Eindruck, die Regierung wolle die Justiz dadurch zähmen und sogar kontrollieren. Die Sondereinheit zur Untersuchung von Straftaten, die im Zuge der Reform eingerichtet wurde, gilt als politisch völlig von der Regierung kontrolliert.

Daneben gab es, wie immer bei Lokalwahlen, eine Reihe national weniger beachteter, aber lokal wichtiger Themen, wie etwa die Verkehrspolitik in Seoul.

Ausblick

Die Wahlen haben einen wichtigen, über die lokale Bedeutung hinausragenden Charakter. Sie sind richtungsweisend für die Präsidentschaftswahl – der Vorteil, der noch vor wenigen Monaten überwältigend für die Regierungspartei schien, ist nun völlig zunichte gemacht.

Für die beiden neuen Bürgermeister gilt jetzt eine verkürzte Wahlzeit von nur knapp eineinhalb Jahren bis zur neuen regulären Kommunalwahl. Allerdings ist schwer vorstellbar (aber nicht unmöglich), dass sich bis dahin die Stimmung völlig ändert. Insbesondere Oh Se-Hun, neuer PPP-Bürgermeister von Seoul, hat mit Widerstand, ja geradezu Hass der DP zu kämpfen, aber auch mit ihrem Übergewicht im Rat: Dort stellt sie 101 von 109 Ratsmitgliedern, ebenso wie 24 von 25 Ortsbürgermeistern in Seoul. Diese haben bereits am ersten Tag der Amtszeit von Oh erklärt, sie würden seine Politik blockieren.

Wenn man für eine Wahlprognose das riesige Übergewicht der DP bei der derzeitigen Ämterbesetzung dem Übergewicht der konservativen Partei bei den jetzigen Bürgermeisterwahlen gegenüberstellt, muss man beachten, dass Südkorea Parlamentssitze nach dem Mehrheitswahlprinzip vergibt. D.h., ein relativ kleiner Swing zwischen den großen Parteien kann schon ausreichen, um große Bewegungen bei der Sitzverteilung zu bringen. Korea ist weder ein strukturell konservatives noch ausgeprägt linkes Land, die Wählerschaft hält sich in etwa die Waage. Deshalb sollte man auch das jetzige Ergebnis nicht überbewerten, vor allem im Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen.

Auch bezüglich der Kandidaten für die Präsidentschaft der DP ist noch nichts entschieden: Neben dem früheren, schon erwähnten Generalstaatsanwalt Yoon ist derzeit der profiliert linke, populistisch agierende Kandidat Lee Jae-Myung, Gouverneur von Gyeonggi-Do (die Provinz rund um Seoul, mit gut 10 Millionen Einwohnern), besonders beliebt. Allerdings fehlt ihm der Rückhalt im eigenen Partei-Establishment, das eher Mitte-links orientiert ist.

So bleibt es bis zu den Präsidentschaftswahlen in vielerlei Hinsicht spannend.

 

Autor: Dr. Bernhard Seliger, Repräsentant der Hanns-Seidel-Stiftung in Seoul, Südkorea.

(1) Die People´s Power Party (PPP) ist die Nachfolgerin der Saenuri-Partei (und vorher der Grand National Party), d.h. die große konservative Kraft, der u.a. die Präsidenten Lee Myung-Bak und Park Geun-Hye angehörten. Sie ist Mitglied im internationalen Parteienverband der konservativen und christlich-demokratischen Parteien International Democratic Union (IDU), dem auch CDU und CSU angehören.

Nordost- und Zentralasien
Veronika Eichinger
Leiterin
Dr. habil Bernhard Seliger
Repräsentant der Hanns-Seidel Stiftung in Korea