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Deutsch-israelischer Dialog
Religion und Staat

Rabbiner und Halacha-Expertinnen der national-religiösen Richtung des Judentums in Israel haben Anfang Juli 2019 eine Studienreise nach Deutschland unternommen. Im Rahmen ihres ersten Aufenthaltes in Bayern wollten sie sich über das deutsche Modell der Trennung von Staat und Religion informieren.

Die Delegation besuchte den Bayerischen Landtag

Die Delegation besuchte den Bayerischen Landtag

HSS

In Israel gibt es keine formelle Trennung von Staat und Kirche. Religiöse Fragen spielen in der israelischen Politik eine große Rolle. Sie bieten zahlreichen Konfliktstoff zwischen säkular orientierten und (streng) religiösen Juden: Am jüdischen Ruhetag Sabbat, Freitagabend bis Samstagabend, steht landesweit der öffentliche Nahverkehr still. Insbesondere in religiös geprägten Städten wie Jerusalem haben die überwiegende Mehrheit der Restaurants und alle Geschäfte am Sabbat geschlossen. Beides ist regelmäßig Thema politischer Auseinandersetzungen. Auch gibt es große öffentliche Diskussionen um die Frage, ob Bauarbeiten an Infrastrukturprojekten von nationaler Bedeutung am Sabbat durchgeführt werden dürfen oder nicht.

Die Durchführung des Eurovision Song Contest, der vor Kurzem in Tel Aviv ausgetragen wurde und an einem Samstag stattfand, hat unter den streng religiösen Parteien große Kritik ausgelöst. Da es keine Zivilehe gibt, können nur Rabbiner über Scheidungen entscheiden. Zum Teil streiten Frauen bis zu 20 Jahren vor diesen religiösen Autoritäten um die Bewilligung ihres Scheidungsantrags. Die ungelöste Frage um die Wehrpflicht für streng Gläubige war der zentrale Streitpunkt, an dem die Regierungsbildung gescheitert ist. Neuwahlen am 17. September 2019 sind die Folge.

Mit Bernhard Haßlberger, Weihbischof von München, diskutierten die Delegationsteilnehmer über Kirchensteuer und aktuelle religiöse Fragen

Mit Bernhard Haßlberger, Weihbischof von München, diskutierten die Delegationsteilnehmer über Kirchensteuer und aktuelle religiöse Fragen

HSS

Aktuelle Herausforderungen

Das ist der Hintergrund des Studienaufenthaltes von Rabbinern und Halacha-Expertinnen, die sich für das Verhältnis von Staat und Religion in Deutschland interessierten (Halacha ist der rechtliche Teil der Überlieferung des Judentums. Sie bezieht sich auf den Lebensinhalt u. die Lebensführung, Anm. d. Red.). Bei Treffen und Begegnungen mit hochrangigen Vertretern aus Kirchen, Politik und der jüdischen Gemeinde informierten sich die Gäste aus Israel, wie Deutschland ein System der Trennung zwischen Staat und Religion etablierte. So diskutierten sie etwa das Modell der Kirchensteuer mit dem Weihbischof von München Bernhard Haßlberger, mit Udo Hahn, Leiter der Evangelischen Akademie in Tutzing und mit Mitgliedern des Katholischen Frauenbundes. Neben den Fragen und Diskussionen über die „Kirchensteuer“, ging es um die Bedeutung der Religion in unserer Zeit, Frauen in der Kirche, um Homosexualität oder wie Minderheiten in die Kirche eingebunden werden und um kirchliche Bildungsinstitutionen. Ein weiteres interessantes Thema war ein Gedankenaustausch über die abnehmende Zahl von Personen, die den Gottesdienst besuchen. Die Gruppe war sehr beeindruckt von dem Auftrag der religiösen Bildungseinrichtungen, für die Werte ihres Glaubens einzustehen. Dies ist in Israel sehr kompliziert, da religiöse Einrichtungen strenge Regeln der Halacha, etwa bei Nahrung oder Kleidung einhalten müssen. Im Gespräch mit Emilia Müller, Staatsministerin a.D. und Vorsitzende des Katholischen Frauenbundes, über die Rolle der Frau in der katholischen Kirche/im Judentum wurde deutlich, dass es Ähnlichkeiten bei der Frage der Gleichberechtigung von Frauen in der Religion gibt. Die Teilnehmerinnen der Delegation und die Mitglieder des Katholischen Frauenbundes äußerten den Wunsch, den Dialog untereinander fortzusetzen und zu intensivieren.

Kirche und Staat

Um die politischen Aspekte des Themas Kirche und Staat ging es bei dem Treffen mit dem Vizepräsidenten des Bayerischen Landtags, Karl Freller, sowie mit dem Bundestagsvizepräsidenten a.D., Johannes Singhammer. Die Delegation informierte sich über die aktuelle Gesetzeslage zur Trennung von Kirche und Staat bei akademischen Experten, beispielsweise Prof. Nassehi, Leiter der Abteilung für Soziologie der LMU sowie Prof. de Wall, einem Experten für Kirchenrecht.

Ein emotionaler Besuch

Die Delegation fuhr auch nach Gunzenhausen, in die mittelfränkische Stadt, in der Juden erstmals von Nationalsozialisten angegriffen wurden. Dies war ein emotionaler Besuch, insbesondere für unseren Delegationsteilnehmer Rabbi Cherlow, dessen Familie vor dem Krieg dort gelebt hatte. Diese Erfahrung eröffnete eine Diskussion über die ethischen Werte einer Gesellschaft und ihre Erosion durch Totalitarismus, die bei einem späteren Besuch im NS-Dokumentationszentrum in München fortgesetzt wurde.

Dr. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und Prof. Ursula Männle, Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung mit den Gästen aus Israel im jüdischen Zentrum München

Dr. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und Prof. Ursula Männle, Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung mit den Gästen aus Israel im jüdischen Zentrum München

HSS

Fortsetzung der Gespräche

Ein besonderer Höhepunkt ihrer Reise war für die Rabbiner und Halacha-Expertinnen ein Informationsaustausch mit Prof. Ursula Männle, Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung, und mit Dr. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Dr. Knobloch berichtete den Gästen, unter denen auch Nachfahren von Holocaust-Überlebenden waren, wie sie als Kind in Deutschland dem Schrecken der Judenvernichtung entrinnen konnte. Im weiteren Verlauf des Gesprächs betonte Prof. Männle angesichts politischer Entwicklungen weltweit, wie wichtig es sei, für demokratische Werte und Glaubensfreiheit einzutreten.

Weiter diskutiert wurde über jüdisches Leben in Deutschland, das Verhältnis von Staat und (jüdischer) Religion und aktuelle Herausforderungen bei unseren Treffen mit dem Münchner Rabbiner Brodmann und Sandra Simovich, Generalkonsulin des Staates Israel.

Insgesamt empfanden die Teilnehmer ihre erste Reise nach Deutschland als äußerst wertvoll. Sie bereicherte ihr Denken und ermutigte sie, ihre Diskussionen über das Thema in Zukunft fortzusetzen.

Naher Osten, Nordafrika
Claudia Fackler
Leiterin