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Kirgisistan
Anspannung vor den Parlamentswahlen

Autor: Dr. Max Georg Meier

Vor den kirgisischen Parlamentswahlen gibt es in dem kleinen zentralasiatischen Land neben dem intensiven Wahlkampf der politischen Parteien auch die Diskussion: Fällt der kirgisische Staat weiter in autoritäre Muster zurück? War das Intermezzo der kirgisischen Vorzeigedemokratie nach der Volksrevolution vom April 2010 mit den Präsidenten Otunbajewa und Atambayew nicht mehr als ein „Demokratieprojekt“? Die Parlamentswahlen am 04. Oktober 2020 zur 7. Legislaturperiode gelten als Gradmesser zur Beantwortung dieser Fragen.

  • Das Parlament
  • Legislaturperiode 2015 bis 2020
  • Wahlgesetzgebung
  • Politische Parteien
  • Wahlkampf und Wahlprogramme
  • Islamisierung
  • Interview mit Bakyt Ryspaev, HSS-Alumnus
 Das „Weiße Haus“, der Sitz der kirgisischen Regierung in der Hauptstadt Bischkek.

Das „Weiße Haus“, der Sitz der kirgisischen Regierung in der Hauptstadt Bischkek.

HSS Kirgisistan

Ein kirgisischer nationaler Rat erarbeitete in Zusammenarbeit mit der Venedig-Kommission die Verfassung. Gemäß dieser wurde Almasbek Atambajew am 30. Oktober 2011 zum kirgisischen Präsidenten gewählt.
In den Jahren seiner Präsidentschaft bis 2017 gelang es ihm, dem Land soziale und politische Stabilität und Eintracht zwischen den Volksgruppen zu bringen sowie einen Ausgleich zwischen dem Norden und Süden des Landes mit seinen unterschiedlichen Clans zu schaffen.
Darüber hinaus bewahrte er die säkuläre und demokratische Entwicklung Kirgisistans. Ein bemerkenswerter Verdienst Atambajews besteht in seiner verfassungsgemäßen, freiwilligen Abgabe seiner Macht am Ende seiner Amtszeit an seinen politischen Mitstreiter Sooronbaj Dscheenbekow. Dieser gewann am 15. Oktober 2017 auch mit Unterstützung seines Vorgängers die Präsidentschaftswahlen.

Atambajew und Dscheenbekow hatten zusammen jahrelang in der bereits 1993 gegründeten „Sozialdemokratischen Partei Kirgisistans“ („SDPK“) in führenden Positionen aktiv politisch gewirkt. Bei den Parlamentswahlen 2015 war die „SDPK“ dann auch stärkste Fraktion geworden. Heute ist die Partei aber als Ergebnis der politischen Eskalation auseinandergebrochen.

Dscheenbekow gab an, das politische Erbe des früheren Präsidenten weiterführen zu wollen. Im Frühjahr 2019 kam es aber zum öffentlichen Bruch. Die Vorwürfe des früheren an den neuen Präsidenten waren vielfältig.
Grund für Kritik an der Amtsführung Dscheenbekows gibt es auch unter unabhängigen Experten und von Seiten vieler Bürger: Von einer Wiederbelebung der Clanseilschaften an der Machtspitze des Landes, von einer Zunahme der Korruption (trotz aller offiziellen Gegenkampagnen des Präsidenten), einer überbordenden Bürokratisierung der Staatsverwaltung und einem allmählichen Anstieg autoritärer Tendenzen in Kirgisistan wird berichtet.

Hintergrundinformation:
Fortschreitende Islamisierung

Ein aktueller und zugleich beunruhigender Trend im Land ist die rasante und vom Staat unbeachtete Islamisierung breiter Bevölkerungsschichten.
Während die Zahl der Moscheen in der Zeit der Sowjetunion nicht mehr als 39 betrug, übersteigt deren Zahl heute 2 743 die der Schulen mit 2 227. Allein im letzten Jahr wurden in der Hauptstadt Bischkek fünf neue große Moscheen gebaut.
Hinzu kommt eine spürbar wachsende Intoleranz gegenüber anderen Konfessionen und Religionen. Der Einfluss ausländischer islamischer Organisationen, die den Bau zahlreicher Moscheen und Koranschulen, insgesamt 92 im ganzen Land ungehindert finanziell unterstützen, nimmt stetig zu.

Nach offiziellen Zahlen gibt es in Kirgisistan 2 330 religiöse Organisationen, von denen 1 943 islamisch, 371 russisch-orthodox bzw. christlich, und 14 Anhänger neuer religiösen Bewegungen sind. Sehr stark in den Vordergrund treten in diesem Zusammenhang arabische islamische Organisationen: Wohltätigkeitsstiftung Risal, Human Appeal International, Assalam, As-Safa Charity Foundation, Weltjugendversammlung, Assanabil, ITAR und Quatar Charitable Foundation.

Das kirgisische Parlament

Die Legislative liegt heute bei einem Einkammerparlament (Dschogorku Kengesch). Das Land verfügte in der Vergangenheit auch schon über ein Zwei-Kammer-System, wovon es aber wieder abgekommen ist. 120 Abgeordnete werden in dem Land mit etwa 6,5 Millionen Einwohnern über Parteilisten gewählt (Verhältniswahlrecht).

Um den Einzug ins Parlament zu schaffen, muss eine Partei 7 Prozent der Wählerstimmen (bezogen auf die Gesamtzahl der Wahlberechtigten landesweit) erringen. In jedem der sieben Regierungsbezirke und in den beiden Hauptstädten Bischkek (Norden) und Osch (Süden) muss sie mindestens 0,5 Prozent der Stimmen erzielen. Dadurch soll vermieden werden, dass regionale und ethnische Parteien ins nationale Parlament einziehen. Parteien sollen nach offizieller Auffassung das ganze Land und alle Ethnien vertreten.

Politische Parteien in Kirgisistan müssen bei der Kandidatenaufstellung strikte Quoten für Frauen, Jugendliche und Ethnien (Kirgisen, Usbeken, Russen) einhalten.

Nach dem gültigen Wahlgesetz haben alle kirgisischen Staatsangehörigen ungeachtet ihrer Herkunft, Rasse, Geschlecht, Ethnie, religiösen oder politischen Überzeugung ab 18 Jahren das Recht zu wählen und können ab 25 Jahren selbst gewählt werden. Die Abgeordneten werden über Parteilisten für fünf Jahre gewählt. Einzelkandidaturen sind seit dem Jahr 2007 nicht mehr möglich.

Gemäß der kirgisischen Verfassung von 2010 gilt ein semi-parlamentarisches Regierungssystem (mit Machtbefugnissen sowohl beim Premierminister als auch beim Präsidenten). Die legislative Zuständigkeit liegt beim nationalen Parlament.
Als dieses im Oktober 2015 gewählt wurde, sagten die meisten politischen Beobachter der neuen Legislative eine kurze Lebensdauer voraus. Es wurde vermutet, dass die Abgeordneten auf ihre alten Gewohnheiten nicht verzichten und aus dem Parlament bald wieder einen ineffizienten Debattierclub machen würden.
Andere argwöhnten, dass der damalige Präsident Almasbek Atambajew bzw. sein Nachfolger könnte nach und nach die gesamte politische Macht an sich reißen und so würde die Abgeordnetenkammer zu seinem Erfüllungsgehilfen degradiert.

Jedes Jahr im Frühling und Herbst gab es regelmäßig Gerüchte, dass das Parlament aufgelöst werde.
Aber es kam anders: Das Parlament der sechsten Legislaturperiode arbeitete volle fünf Jahre. Mehr als 1 100 Gesetze wurden von der kirgisischen Nationalversammlung verabschiedet; sie entwickelte sich zum landesweiten Zentrum des politischen Diskurses. Die erste Regierungskoalition erhielt bereits am 6. November 2015 die Zustimmung des Parlaments. Es sollten zwei weitere folgen. Dabei zeigten die im Parlament vertretenen Fraktionen ein hohes Maß an Konsensfähigkeit und die Regierungsgeschäfte wurden bei Koalitionswechseln problemlos weitergeführt, wie es in der Verfassung vorgesehen ist.
Die Warnungen, dass in Kirgisistan bald italienische Verhältnisse herrschen würden, erwiesen sich als haltlos. Zwei Parteien, „SDPK“ und „Kyrgyzstan“, waren in jeder der Regierungskoalitionen vertreten.  

Zieht man in Betracht, dass Kirgisistan in Zentralasien ausnahmslos von autoritären Staaten umgeben ist, muss die Leistung der jungen Republik in ihrem Streben nach demokratischen Verhältnissen und gelebten Parlamentarismus trotz einiger Defizite anerkannt und gewürdigt werden. 

Hintergrundinformation: 
Kirgisische Wahlgesetzgebung

Parlamentswahlen sind vorrangig in der Verfassung von 2010, dem Verfassungsgesetz über die Wahl des Präsidenten und des Parlaments (2. Juli 2011, Nr. 68/mit Änderungen vom 25. November 2011, Nr. 221; 23. April 2015, Nr. 88; 5. Juni 2017, Nr. 96; 8. August 2019, Nr. 116; 30. Juni 2020, Nr. 68) und dem Gesetz über Wahlkommissionen für die Durchführung von Wahlen und Referenden (2011) geregelt.

Weiter wichtig im Zusammenhang mit Wahlen in Kirgisistan ist das Gesetz über politische Parteien (12. Juni 1999, Nr. 50), das Gesetz über Versammlungsfreiheit, das Gesetz über biometrische Registrierung der Bürger (Voraussetzung für die Teilnahme an der Wahl), die Vorschrift über verwaltungsmäßige Verantwortung (für Verwaltungsträger während der Wahlen) und das gültige Strafrecht (bei Verstößen gegen das Wahlgesetz).

Wahl und Politische Parteien

Von den bisher 6 Parteien im Parlament nehmen nur noch 4 an den Parlamentswahlen von 2020 teil (siehe die weiter unten unterstrichenen).

Vor allem bei den beiden stärksten Parteien von 2015 (die sozialdemokratische „SDPK“ und die oft als nationalistisch eingestufte Parteienkoalition „Respublika-Ata-Dschurt“ hatte es in den letzten Jahren gravierende Veränderungen gegeben.

Die „SDPK“ tritt als Ergebnis der politischen Auseinandersetzung zwischen dem alten und neuen Präsidenten bei den jetzigen Wahlen nicht mehr an.
Die Söhne des früheren Präsidenten Atambajew haben zwar eine neue sozialdemokratische Partei („Sozialdemokraten“) gegründet, mit der sie an den Parlamentswahlen teilnehmen werden, doch werden dieser Neugründung nur wenige Chancen eingeräumt.

Die „Partei Respublika“ hat sich aus der Parteienkoalition mit „Ata-Dschurt“ gelöst und muss ohne ihren langjährigen Vorsitzenden Babanov in den Wahlkampf ziehen.
Diesem wird von den Gerichten inter-ethnische Hetze vorgeworfen, deswegen droht ihm eine Anklage.

Die Partei „Ata-Dschurt“, ehemals stärkste Fraktion im kirgisischen Parlament, tritt bei den Parlamentswahlen nicht mehr an. Sie war von dem damaligen Präsidenten Bakijew (im Jahre 2010 wurde er gestürzt) gegründet worden. Jetzt aber – 10 Jahre nach der jüngsten Volksrevolution – hat sie keinen Rückhalt mehr in der Bevölkerung.

44 kirgisische politische Parteien hatten im Juli 2020 gegenüber der kirgisischen Zentralen Wahlkommission ihr Interesse bekundet, sich an den Parlamentswahlen zu beteiligen.

Um an den Wahlen teilnehmen zu können, mussten Parteien einen diesbezüglichen Parteibeschluss vorlegen, einen offiziellen Vertreter der Partei bei der Zentralen Wahlkommission benennen, eine lückenlose Kandidatenliste präsentieren und einen Wahlkampffond von mindestens 5 Millionen Kirgisischen Som (etwa 53 500 Euro) nachweisen. 

Insgesamt erfüllten 16 kirgisische politische Parteien alle Voraussetzungen, um sich an den nationalen Parlamentswahlen beteiligen zu können (Entscheidung der Zentralen Wahlkommission vom 04. September 2020).

  • „Partei der Veteranen des Afghanistan-Kriegs und anderer militärischer Konflikte“,
  • Partei „Meken Yntymagy“ („Einheit des Vaterlands"),
  • Ata Meken“ („Vaterland"): Die älteste politische Partei des Landes, sozialistisch ausgerichtet, immer noch dominiert von ihrem legendären Parteiführer Tekebajew,
  • „Mekenchil“ („Patriotische Partei“),
  • „Bir Bol“ („Partei der Einigkeit des Staates und des Patriotismus“): Gegründet bereits in 2008; Absplitterung von der Ata-Dschurt-Fraktion; ihr Vorschlag im Wahlkampf: Klassische Verwaltungsstrukturen zugunsten eines modernen prozessorientierten Verwaltungsmodel aufgeben, 
  • „Yiman Nuru“ („Partei des moralischen Lichts“),
  • „Zamandash" („Weggenosse“), unterstützt von der kirgisischen Diaspora,
    „Chon Kazat“ („Partei des Heiligen Krieges“),
  • „Reforma" („Reform“), eine neue politische Gruppierung, die ihren Wahlkampf über Crowd-Funding finanziert, was vorher in Kirgisistan noch nie der Fall war,
  • „Respublika” („Republik“),  “Sozialdemokraten” (siehe oben),
  • „Birimdik“ („Einheit“),
  • „Bütün Kirgisistan“ („Vereinigtes Kirgisistan“): Traditionell vor allem im Süden des Landes vertreten, 
  • Mekenim Kyrgyzstan“ („Meine Heimat Kirgisistan“),
  • Ordo“ („Der königliche Ort des Khans“),
  • Kyrgyzstan“ („Kirgisistan“): Gegründet vom ehemaligen Bürgermeister der Stadt Tokmok im Jahre 2010; Wahlversprechen beziehen sich vor allem auf den landesweiten Neubau von Kindergärten und die Anhebung der Qualität der allgemeinbildenden Schulen.

Suche nach Wahlkoalitionen

Alle Parteien suchten im Vorfeld der Wahlen nach Wegen, um Wahlbündnisse einzugehen und dadurch auch finanzielle Ressourcen zu bündeln – meist durch ein Memorandum of Understanding. Schätzungen vor den Wahlen besagten, dass eine Partei, die eine realistische Chance auf das Überspringen der landesweiten Sieben-Prozent-Hürde und damit ins Parlament einziehen wolle, mindestens ein Wahlkampfbudget von 200 000 US-Dollar aufbringen musste (Zum Vergleich: Das durchschnittliche jährliche Budget einer kirgisischen politischen Partei liegt bei 30 000 USD). Politische Parteien in Kirgisistan erhalten keine nationalen Budgetzuwendungen. Dies löste intensive Diskussionen über die Transparenz der Wahlkampffinanzierung aus.

Bei der Suche nach Partnern stand auch die regionale Aufteilung Kirgisistans in Norden und Süden im Vordergrund. Keine der Parteien wollte sich dem Vorwurf aussetzen, dass sie nur eine „Regionalpartei“ sei.

So gab es ein Bündnis zwischen der neu gegründeten vor allem im Süden des Landes breit aufgestellten Partei „Mekenim Kyrgyzstan“ und den bisher mehr im Norden des Landes erfolgreichen Parteien „Birik“ und „Tabylga“. Eine weitere Wahlkoalition entstand zwischen der ältesten kirgisischen Partei „Ata-Meken“ (nach der Unabhängigkeit 1991), die traditionell im Norden ihre Stammwähler hat, und den Parteien „Zahny Dem“, „Zhashyl Kuchtor“ und der „Partei der liberalen Demokraten in Kirgisistan“, die im Süden des Landes bekannter sind.

An den Wahlen nehmen offiziell die Parteien „Mekenim Kyrgyzstan“ und „Ata-Meken“ teil. Den koalierenden kleineren Parteien wurden Kontingente auf den Kandidatenlisten zugeteilt.

Wahlkampfprogramme der politischen Parteien

Alle an der Wahl teilnehmenden Parteien legten ein Programm vor. Diese sind einander teilweise sehr ähnlich und orientieren sich oft an den Zielen der „Nationalen Strategie für nachhaltige Entwicklung in der Kirgisischen Republik“ für den Zeitraum zwischen 2018 und 2040.

Dabei hervorstechend ist der Vorschlag der Partei „Respublika“, die Zahl der nationalen Abgeordneten von 120 auf 75 und die Zahl der Ministerien von 14 auf 7 zu verringern sowie das Versprechen der Partei „Kyrgyzstan“, bei der Geburt eines Kindes die einmalige staatliche Unterstützung von jetzt 50 000 auf 200 000 Kirgisische Som zu erhöhen.

Die öffentliche Stiftung „Common Cause“ („Gemeinsame Sache“) hat die Druckmaterialien und Websites der politischen Parteien für die Wahl untersucht. Dabei stellte sie zahlreiche Fehler und Falschinformationen fest.

Wahlkampf vom 4. September bis 3. Oktober 2020

2 032 Kandidaten aus 16 Parteien kämpfen um die 120 Parlamentssitze. Davon sind 652 Frauen. Es gibt die gesetzliche Verpflichtung für die Parteien zu einer Frauenquote von mindestens 30 Prozent. Bei der „Partei der Veteranen des Afghanistan-Kriegs und anderer militärischer Konflikte“ beträgt der Frauenanteil sogar 42 Prozent.

Als ein Ergebnis der COVID-19-Pandemie sind Massenwahlveranstaltungen, Konzerte und Theateraufführungen von politischen Parteien auf der Straße und vor allem in Sportstadien verboten. Bei den Wahlveranstaltungen handelt es sich meist um kleinere Wählergruppen. Die hygienischen Regeln werden mehr oder weniger eingehalten. Einige der politischen Parteien wurden schon von der Zentralen Wahlkommission offiziell verwarnt.

Der Wahlkampf hat sich in die sozialen Medien verlagert. Diese und Blogger sind Verträge mit politischen Parteien eingegangen und machen Werbung für diese.

Im staatlichen nationalen Fernsehen werden allen 16 Parteien in gleichem Maße Sendezeiten eingeräumt. Und es gibt hier zahlreiche Rundtische mit den Spitzenkandidaten der Parteien. Auch lokale Radio- und Fernsehstationen sind intensiv am Wahlkampf beteiligt.

Die Stimmung in der kirgisischen Bevölkerung ist gemischt: Die einen verfolgen den Wahlkampf mit Interesse, andere sind mittlerweile von den kirgisischen politischen Parteien enttäuscht. Sie geben an, dass sie bei der Wahl für keine der Parteien stimmen werden (Nr. 17 auf dem Wahlzettel „Ich stimme für keine der Parteien“).

Stellung des Staatspräsidenten

Präsident Dscheenbekow hält sich bisher an die Verfassung, nach der er in nicht in den Wahlkampf involviert sein darf.
Sein Bruder Asylbek Dscheenbekow, Abgeordneter und früherer Parlamentspräsident, ist Kandidat der Partei „Birimdik“. Mit Listenplatz Nr. 27 sind seine Aussichten auf den Wiedereinzug in das neue Parlament jedoch gering.

Aussichten der politischen Parteien bei den anstehenden Parlamentswahlen

Wer am Ende ins neue kirgisische nationale Parlament einziehen wird, ist nur schwer abzuschätzen. Es gibt in Kirgisistan keine von einem autoritären Präsidenten dominierte „Staatspartei“ wie in Kasachstan („Nur Otan“/„Licht des Vaterlands“), in Tadschikistan („Volksdemokratische Partei Tadschikistans“) oder in Usbekistan („Liberaldemokratische Partei Usbekistans“).

Politische Beobachter gehen davon aus, dass keine der zur Wahl zugelassenen Parteien mehr als 20 Prozent der Stimmen erringen wird. Im neuen Parlament wird die Vertretung von 5 bis 6 Parteien erwartet.

Im Rahmen eines „Business Lunch“ gab die HSS Vertretern der Zentralen Wahlkommission und politischer Parteien, Repräsentanten des kirgisischen Parlaments, Akademikern und politischen Analysten die Möglichkeit zum gegenseitigen Austausch.

Im Rahmen eines „Business Lunch“ gab die HSS Vertretern der Zentralen Wahlkommission und politischer Parteien, Repräsentanten des kirgisischen Parlaments, Akademikern und politischen Analysten die Möglichkeit zum gegenseitigen Austausch.

HSS Kirgisistan

Hintergrundinformation
Beitrag der Zentralasienvertretung der HSS vor den Parlamentswahlen

Zunächst soll erwähnt werden, dass mehr als 20 Alumni der HSS in Kirgisistan in unterschiedlichen Parteien offizielle Kandidaten für ein Abgeordnetenmandat sind. Manche von ihnen haben gute Chancen ins Parlament einzuziehen.

Am 22. September 2020 führte die HSS in der Hauptstadt Bischkek einen Runden Tisch (Business Lunch) zum Thema „Kirgisistan vor den Parlamentswahlen 2020 – Wahlen während der Epidemie: Pro und Contra“ durch.

Teilnehmer waren Vertreter der Zentralen Wahlkommission und ausgewählter politischer Parteien, Repräsentanten des kirgisischen Parlaments, Akademiker und politische Analysten.

Im Mittelpunkt der lebhaften Diskussion standen dabei Themen wie:

  • Die Rolle der Parteien im politischen Leben Kirgisistans,
  • Präferenz für Verhältnis- oder Mehrheitswahlrecht in Kirgisistan,
  • Gleichzeitige Abhaltung von Kommunal- und Parlamentswahlen,
  • Aufhebung von Entscheidungen der Zentralen Wahlkommission durch Verwaltungsgerichte,
  • Möglichkeiten der Einführung von Briefwahl in Kirgisistan.

Internationale Wahlbeobachtung ist ein wichtiges Instrument, um Wahlen transparenter zu machen, um die Zahl von möglichen Fälschungen bzw. Gesetzesverletzungen zu verringern, sowie das Vertrauen der Bürger in ihr Parlament zu stärken. Für ausländische Organisationen in Kirgisistan ist die Wahlbeobachtung wichtig, damit sie so lückenlos wie möglich Informationen über den Wahlprozess vermitteln können. Damit kann die Wahlbeteiligung beobachtet werden, die politischen Präferenzen und Entwicklung der politischen Kultur.

Auch deshalb hat der Projektleiter Zentralasien der Hanns-Seidel-Stiftung die Einladung der kirgisischen Zentralen Wahlkommission bereitwillig angenommen und wird bei diesen Parlamentswahlen wie schon in der Vergangenheit als internationaler Wahlbeobachter (Ausweis Nr. 1) tätig sein.

HSS-Alumnus Bakyt Ryspaev gab ein Interview zur aktuellen Situation in Kirgisistan. Er kandidiert für die Partei Ata-Meken bei den Parlamentswahlen am 04. Oktober 2020.

HSS-Alumnus Bakyt Ryspaev gab ein Interview zur aktuellen Situation in Kirgisistan. Er kandidiert für die Partei Ata-Meken bei den Parlamentswahlen am 04. Oktober 2020.

HSS Kirgisistan

Beurteilung der derzeitigen politischen Kultur in Kirgisistan und Ausblick auf die anstehenden Parlamentswahlen von Bakyt Ryspaev, HSS-Alumnus und Kandidat der Partei Ata-Meken bei den kommenden Parlamentswahlen

HSS: Denken Sie nicht, dass die jüngsten Gesetzesentwürfe im kirgisischen Parlament („Manipulierung von Information“, „Organisation von Gewerkschaften“ oder neues „NGO-Gesetz“) den Eindruck hinterlassen könnten, dass Kirgisistan von seinem bisherigen demokratischen politischen Pfad abweicht und mehr und mehr ein autoritärer Staat wird? Kann es sein, dass Kirgisistan in Zukunft möglicherweise nicht mehr als „Insel der Demokratie in Zentralasen“ betrachtet wird?

Bakyt Ryspaev: In den letzten Jahren hat das kirgisische Parlament in der Tat Gesetze verabschiedet, mit denen die Demokratie in Kirgisistan untergraben wird. Ziel war und ist es dabei, die freien Medien unter Druck zu setzen, die Aktivitäten des zivilgesellschaftlichen Sektors stärker zu kontrollieren bzw. sogar einzuschränken, und auch mehr staatlichen Einfluss auf die gewählten autonomen kommunalen Selbstverwaltungen auszuüben. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt – auch im Gesetzgebungsbereich, dann wird unser Land nicht mehr lange eine „Insel der Demokratie“ sein. Natürlich bin auch ich und vor allem die junge Generation in unserem Lande darüber mehr als besorgt. Es sollte angemerkt werden, dass all diese autoritär angehauchten Gesetzesinitiativen in der Regel von der Präsidialverwaltung kommen, weniger aus dem Parlament selbst.

HSS: Wird die oben beschriebene Situation die Wahlen vom 4. Oktober beeinflussen?

Bakyt Ryspaev: Ja, die Oppositionsparteien haben diese Themen schon lange aufgegriffen und versuchen, hierzu beim Wähler zu punkten. Nichts ist dem Kirgisen so wichtig wie seine persönliche Freiheit. Die jetzigen Regierungsparteien („SDPK“, „Kyrgyzstan“, „Bir Bol“ und „Respublika – Ata-Dschurt“) werden bei den Wahlen die negativen Folgen spüren. Ergänzend sei hier vermerkt, dass sich die Abgeordneten von „SDPK“ und „Ata-Dschurt“ jetzt vermehrt unter dem Dach der neu gegründeten Partei „Mekenim Kyrgyzstan“ und der in den letzten Monaten sehr aktiven Partei „Birimdik“ gesammelt haben.

HSS: Was erwarten Sie von den kommenden Parlamentswahlen?

Bakyt Ryspaev: Der Wahlkampf ist leider von zahlreichen Verletzungen des Wahlgesetzes begleitet. Vor allem die regierenden Parteien sind daran oft beteiligt. Sie kaufen mit Geld Stimmen, wobei sie dem Bürger dafür den Pass bis nach der Wahl abnehmen. Sie üben Druck auf das Personal von Schulen und Kindergärten aus, damit die Eltern der Kinder für bestimmte Parteien stimmen sollten. Regierungsvertreter bereisen das Land, machen dem Bürger Versprechungen und fordern dafür seine Stimme für die Regierungsparteien. Sie organisieren größere Sportveranstaltungen mit versteckter Parteienwerbung, obwohl diese in der Zeit der Pandemie eigentlich verboten sind.

HSS: Wie viele politische Parteien werden wir nach Ihrer Meinung im nächsten Parlament sehen?

Bakyt Ryspaev: Ich erwarte 4 bis 5 Parteien im neuen Parlament.

HSS: Gibt es während des Wahlkampfs einen fairen Wettbewerb zwischen den Parteien?

Bakyt Ryspaev: Leider nein! Ich möchte Ihnen ein Beispiel aus meinem Wahlkreis, dem Landkreis Tong, geben. Bei dieser Parlamentswahl ist es wegen COVID-19 ausnahmsweise möglich, nicht nur an seinem Heimatsitz abzustimmen, an dem sich die Wählerregistrierung befindet. Per Gesetz ist es jetzt möglich, durch schriftliche Anmeldung bei der lokalen Wahlkommission (Formular Nr. 2) an einem anderen Ort seine Stimme abzugeben. Die Regierungsparteien arbeiten sehr stark mit dieser Alternative. Aus meinem Wahlkreis wurde so die Registrierung von etwa 2 000 Wählern in die Hauptstadt Bischkek transferiert. Insgesamt haben bisher 455 000 Wähler (!) von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht (Formular 2). Das Ziel der ganzen Aktion ist für mich klar. Die Regierungsparteien wollen Stimmen in den Ballungszentren anhäufen bzw. ihre potentiellen Wähler dorthin kanalisieren, da es dort mehr Abgeordnetenmandate zu vergeben gibt als in den ländlichen Räumen.

HSS: Wie verläuft der Wahlkampf bisher?

Bakyt Ryspaev: Die Regierungsparteien brechen das Gesetz, tun jedoch so, als würde alles legal ablaufen.

HSS: Werden staatliche administrative Ressourcen bei den Wahlen eingesetzt?

Bakyt Ryspaev: Staatliche administrative Ressourcen werden bei diesen Wahlen von den Regierungsparteien grenzenlos genutzt.

HSS: Bleibt die politische Führung des Landes (Präsident) neutral?

Bakyt Ryspaev: Die Oppositionsparteien wie meine stehen stark unter Druck und werden von den Sicherheitsbehörden argwöhnisch beobachtet. Zur gleichen Zeit verstoßen die Regierungsparteien laufend gegen das Gesetz. Alles wird dafür unternommen, die Regierungsparteien, die beim Bürger viel Ansehen verloren haben, die Sieben-Prozent-Hürde passieren zu lassen.

Danke für das Interview.

 

Nordost- und Zentralasien
Veronika Eichinger
Leiterin
Kirgisistan
Dr. Max Georg Meier
Projektleiter Zentralasien