Zu den Rednern aus Politik, Zivilgesellschaft und Journalismus gehörte Hermann Van Rompuy, Präsident des Europäischen Rates a.D.
Die Konferenz fand symbolträchtig im Europäischen Parlament statt. Als einzig direkt gewählte EU-Institution steht es mehr als alle anderen für Demokratie.
„Demokratie ist keine Methode, sondern eine Philosophie“ (Hermann Van Rompuy)
Mehrere Studien belegen, dass die Demokratie weltweit auf dem Rückzug ist. Der Generaldirektor für Internationale Zusammenarbeit und Entwicklung, Stefano Manservisi, betonte, dass dies auch alle Europäer betreffe, da die Welt vernetzt sei – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch. Seiner Meinung nach können nur demokratische Staaten die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung erreichen:
„Nur Demokratien binden alle Teile der Gesellschaft ein und können so den Weg zu einem nachhaltigen Wachstum gehen.“
Die Sprecher waren sich einig, dass es nicht das eine Standard-Modell für Demokratie geben könne. Stefano Manservisi erläutertes, dass nicht alle Staaten, die vordergründig so schienen, echte Demokratien seien. Solche beruhten auf der Teilhabe von Bürgerinnen und Bürgern sowie auf repräsentativen und wirksamen Institutionen. Diese müssten auf der Grundlage von Freiheit und Mitbestimmung aufgebaut sein. Einige Länder nähmen „Abkürzungen“. Bürger betrachteten die Institutionen aufgrund von mangelnder Partizipationsmöglichkeiten und unzureichender Ergebnisse oder überladener Bürokratie nicht mehr als relevant oder repräsentativ. Somit werde eine direkte Beziehung zwischen der Bevölkerung und ihrem Herrscher aufgebaut. Manservisi nannte diese Staatsform “autokratische Demokratien”. Um dieser entgegenzutreten, müssen demokratische Institutionen nicht nur repräsentativ sein, sondern gleichzeitig auch die Ergebnisse erbringen, welche die Wähler fordern.
Die EU unterstützt weltweit demokratische Entwicklungen, unter anderem mit dem Europäischen Instrument für Demokratie und Menschenrechte. Um glaubhaft aufzutreten, müsse die EU innereuropäische demokratische Herausforderungen ernst nehmen.
Sowohl Manservisi als auch Christian Leffler, Stv. Generalsekretär des Europäischen Auswärtigen Dienstes, betonten, dass die EU kein bestimmtes Demokratie-Modell exportieren wolle. Allerdings teile die EU sehr engagiert ihre Erfahrungen, Geschichte und Werte mit anderen Ländern weltweit. Dabei müsse die EU ihren Partnerländern auf Augenhöhe begegnen. Nur so könne sie Regierungen und zivilgesellschaftliche Organisationen darin unterstützen, sich zu einer vollwertigen Demokratie zu entwickeln. Die konkrete Form müssten die Bürger des Landes selbst bestimmen. In den Mittelpunkt dieser Unterstützung stelle die EU die Förderung der Grundfreiheiten sowie die gesellschaftliche und politische Teilhabe von allen, insbesondere von Frauen.
„EU- Wahlbeobachtungsmissionen sind ein Erfolgsmodell“, meint Christian Leffler.
Auch wenn Demokratie nicht auf Wahlen beschränkt werden könne, spielten diese eine zentrale Rolle. Santiago Fisas, MdEP, warnte jedoch davor, sich vor demokratisch erscheinenden Wahlen blenden zu lassen:
„Demokratie ist ein Prozess, der nicht nur am Wahltag stattfindet.“
Über die zentrale Rolle der Medien in einer Demokratie waren sich alle einig. Die Meinungen unterschieden sich bei den Fragen, wie Soziale Medien genutzt werden können und ob Restriktion von so genannten Fake News Sinn ergeben.
Christian Leffler sieht die Rolle Sozialer Medien vor allem in der Mobilisierung von Bürgern. Der Spitzen-Diplomat bezeichnete es als eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts in Europa, diese Form der Mobilisierung in das klassische parteienbasierte Modell zu integrieren. Er äußerte auch Kritik gegenüber manchen Medien. Diese verträten nicht immer die „Kraft des Guten“. In den jüngsten Kampagnen seien einige Medien instrumentalisiert worden, entweder offen oder in manchen Fällen auch auf eine subtilere Art und Weise. Dies führe zu Spannungen, Exklusion und Radikalisierung. Er regte zur Überlegung an, wie die Widerstandsfähigkeit der Bürger gegen solche Fehlinformationen verstärkt werden könne – sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU.
Šimon Pánek, Direktor der polnischen zivilgesellschaftlichen Organisation „Menschen in Not“, glaubt nicht an die neuen Medien als Verheißung für mehr Demokratie. Twitter sei nicht die Lösung, da hier nicht ausreichend Raum für rationale Argumente und differenzierte Positionen bestehe. Dieses Medium ziele hauptsächlich auf Emotionen ab. Das herkömmliche Modell der Demokratie müsse nicht ersetzt werden, sondern attraktiver gestaltet werden, um mehr Bürger einzubeziehen.
Die libanesische Journalistin Diana Moukalled analysierte die Berichterstattung während des Arabischen Frühlings. In Syrien hätten die Staatsmedien den Aufstand der Jugendlichen als Sympathiebekundungen des Regimes dargestellt. So absurd dies für Beobachter bis heute scheine, hätten dies damals dennoch viele geglaubt. Neben den Staatsmedien hätten auch Medien traditioneller und fundamentalistischer Gruppen die Deutung der Geschehnisse übernommen. Die Rolle der neuen Medien im arabischen Raum brachte Moukalled auf den Punkt: „Die traditionellen Medien lieferten keine ausgewogene Berichterstattung. Insbesondere die Jugend glaubte nicht an das, was sie in den Zeitungen las oder im Fernsehen sah.“
Margaryta Gontar ist Mitbegründerin der ukrainischen Initiative Stopfake.org. Diese Plattform hat das Ziel, Falschmeldungen zu identifizieren und anzuprangern. In der Ukraine handle es sich ihrer Meinung nach oftmals um Nachrichten, die der Kreml verbreite. Bewusst gestreute Falschnachrichten hätten nicht primär das Ziel, Menschen dazu zu bringen, die Nachricht zu glauben. Die Autoren wollten eher Verwirrung stiften und die Glaubwürdigkeit traditioneller Medien untergraben.
Die Frage, wie auf Falschnachrichten reagiert werden solle, wurde unterschiedlich beantwortet: Während sich Emma Goodman, Forscherin an der London School of Economics and Political Science, für mehr staatliche Regulierung einsetzte, um das Vertrauen in die Medien zu stärken, sprach sich die Mehrheit der Referenten gegen Restriktionen der Medieninhalte aus.
Bildung und Gegenbewegungen seien effektiver als neue Regeln zur Eindämmung von Falschmeldungen.
Diana Moukalled lehnte Regulierungen ab. Vor allem in nicht-demokratischen Staaten dürfe der Regierung ein solches Werkzeug nicht in die Hand gegeben werden, denn es könne leicht zur Unterdrückung eingesetzt werden.
Die Regionaldirektorin für Europa vom Demokratieindex, Joan Hoey, führte die Krise der Demokratie in vielen entwickelten Ländern darauf zurück, dass keine ehrlichen Debatten stattfänden. Als Beispiel nannte sie das Referendum zum Brexit. Es hätte keine sachliche Auseinandersetzung über die Folgen eines Austritts aus der EU gegeben. Deshalb hätten die britischen Wähler ihre Entscheidung größtenteils auf der Grundlage von Halbwissen und Emotionen. getroffen. Sie forderte Politiker dazu auf, sich auch unangenehmen Fragen zu stellen und weder sich selbst noch anderen Sprechverbote aufzuerlegen.
Auch Šimon Pánek betonte, dass es sehr wichtig sei, Probleme nicht totzuschweigen, sondern sie offen und sachlich anzusprechen. Politische Korrektheit könne zum Gegenteil des ursprünglichen Zwecks führen, wenn andere, etwa rechtsextreme Gruppen, sich die Themen zu eigen machen.
In Deutschland hätten viele Bürger während der Zeit der Großen Koalition das Interesse an der Politik verloren, meinte Doris Pack, MdEP a.D. und Vertreterin des europäischen Stiftungsnetzwerks. Es habe keine echten Auseinandersetzungen mehr gegeben.
Die stv. Vorsitzende des Europäischen Parlaments, Mairead McGuinness, (EVP) rief zu mehr direktem Kontakt zwischen Politikern und der Bevölkerung auf. Außerdem sprach sie sich für einen verstärkten Dialog zwischen dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten der EU-Mitgliedsstaaten aus.
Die Bedeutung politischer Bildung hob Šimon Pánek hervor. Diese fehle auf den Lehrplänen in den meisten mittel- und osteuropäischen Ländern. Deutschland könne als Vorbild dienen, hier habe die politische Bildung seit den 50er Jahren eine zentrale Bedeutung.
„Die Einbeziehung der Basisebene und der Jugendlichen ist entscheidend“, meinte Irene Wairimu Mwangi, die ihren Landkreis im kenianischen Jugendsenat vertritt. Nur so könne der Glaube an die Demokratie, vor allem der jüngeren Generation, gestärkt werden.
Herman Van Rompuy, belgischer Premierminister a.D. und Präsident des Europäischen Rates a.D., sah die Forderung nach mehr Volksabstimmungen kritisch. Viel hänge von der Formulierung ab. Somit habe derjenige, der die Frage des Referendums festlege, sehr viel Einfluss auf das Ergebnis. Außerdem stimmten die Bürger häufig über andere Dinge ab als die eigentliche Frage, wie z.B. über die allgemeine Zufriedenheit mit der Regierung. Die oft niedrige Beteiligung werfe die Frage auf, wie repräsentativ ein Referendum sei:
„In einem Referendum erhält man Antworten auf Fragen, die man nie gestellt hat.“
Der Bürgermeister von Danzig, Pawel Adamowicz, stellte innovative Methoden der Bürgerbeteiligung vor. Ein Beispiel dafür sei der so genannte Bürgerhaushalt. Mit diesem Instrument könnten die Danziger Einwohner direkt über einen Teil des Stadthaushalts entscheiden. Dies führe zu mehr Teilhabe, mehr Verständnis für die Notwendigkeit, Kompromisse einzugehen und letztendlich zu einer Stärkung der lokalen Demokratie.
Peter Vermeersch, Professor für Internationale und Europäische Studien an der Katholischen Universität Löwen, stellte ein neues Konzept für Bürgerversammlungen vor. Dabei würden mehrere hundert Bürger per Losverfahren zufällig ausgewählt, um ein konkretes Thema zu diskutieren. Beispiele aus der Praxis seien die belgische G1000 – Plattform für demokratische Innovation oder eine Bürgerversammlung in Australien zur Suche eines Endlagers für Nuklearabfall. Solche Versammlungen lieferten nicht nur Vorschläge für Entscheidungsträger, sondern dienten auch als Schule der Demokratie für die Beteiligten. Diese Form der Teilhabe könne nicht als Ersatz, sondern als zusätzliches Element der bestehenden demokratischen Prozesse dienen.
Sowohl innerhalb als auch außerhalb der EU steht das klassische Modell der repräsentativen Demokratie unter Druck. Damit die EU ein glaubhafter Partner im Bereich der Demokratieförderung bleibt, muss sie auch bei sich selbst ansetzen und die eigenen Bürger verstärkt einbinden. Die Frage, wie die Kommunikation zwischen Politikern und den Bürgern verbessert werden könnte, zog sich wie ein roter Faden durch die Konferenz. Hier sollten Politiker neue Methoden in Erwägung ziehen und die Menschen noch mehr „mitnehmen“. Daneben spielen Akteure wie politische Stiftungen eine wichtige Rolle, um einen Beitrag zur politischen Bildung der Bürger zu leisten.