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Putins Rede zur Lage der Nation
Neue Wunderraketen für den Wahlkampf

Не связывайтесь с Россией - "Don’t mess with Russia" – so könnte man die Kernaussage des russischen Präsidenten Wladimir Putin in seiner Rede zur Lage der Nation zusammenfassen. Diese von der russischen Verfassung vorgesehene Jahresbotschaft des Staatsoberhaupts hatte der Kreml von Ende 2017 auf den 1. März diesen Jahres verschoben und damit mitten in die Zeit des russischen Präsidentschaftswahlkampfs hinein: Am 18. März werden die Wahlen stattfinden, und Putin tritt erneut an. Der Gedanke, dass die Verlegung der Rede kein Zufall war und dem Amtsinhaber eine zusätzliche Bühne im Wahlkampf bieten sollte, liegt nicht allzu fern.

Im innenpolitischen Teil seiner Rede betonte Putin die Erfolge der Regierungspolitik der vergangenen Jahre, räumte aber gleichzeitig ein, dass etwa bei wirtschafts- und sozialpolitischen Themen noch groβer Handlungsbedarf bestehe. Ein stärkeres Wirtschaftswachstum solle zusätzliche finanzielle Ressourcen für Mehrausgaben in Bereichen wie Bildung, Gesundheit und Infrastruktur schaffen. Ziel sei es, das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt in den kommenden sechs Jahren um 50 Prozent zu steigern, mehr unternehmerische Freiheit zu gewährleisten, technologische Modernisierung stärker zu fördern und die Staatsquote zu verringern. Als weitere Prioritäten nannte er unter anderem die Steigerung der Realeinkommen, eine stärkere Förderung von Raum- und Stadtentwicklung sowie eine effektive Bekämpfung der Armut.

Vladimir Putin blickt, wie üblich, kühl in die Weite.

Bildung, Gesundheit, Infrastruktur, Staatsquote verringern, auch Armutsbekämpfung nannte Putin als Prioritäten. Pro-Kopf-Einkommen soll in den nächsten sechs Jahren um 50% steigen.

Presidential Press and Information Office; CC0; kremlin.ru

„Keiner wollte uns zuhören. Also hört uns jetzt zu.“

Den unbestrittenen Höhepunkt der Rede, nach Einschätzung des Moskauer FAZ-Korrespondenten Friedrich Schmidt sogar den Höhepunkt „des politischen Lebens in Russland seit langer Zeit“, bildete dann der verteidigungspolitische Teil von Putins Jahresbotschaft. Nach der einseitigen Kündigung des ABM-Vertrags zur Beschränkung von Raketenabwehrsystemen seitens der USA im Jahre 2002 habe Russland neue Waffen entwickelt, die weltweit einzigartig seien, so der russische Präsident. Darunter befänden sich mit atomaren Sprengköpfen bestückte Interkontinentalraketen, Marschflugkörper mit praktisch unbegrenzter Reichweite und mit zwanzigfacher Schallgeschwindigkeit fliegende hochpräzise Flugkörpersysteme. All diese neu entwickelten Waffen könnten allen heute existierenden Abfangsystemen ausweichen, so Putin. 

Nach den Worten Putins seien die Waffensysteme mit Namen wie „Sarmat“ und „Kinschal“ (Dolch) Russlands Antwort auf die Stationierung von US-Raketenabwehrsystemen in unmittelbarer Nähe der russischen Grenze, namentlich in Rumänien, Polen und Japan. Da sich die USA trotz jahrelanger und beständiger russischer Warnungen nicht von solchen Stationierungen hätten abbringen lassen, habe Russland jetzt geantwortet, bleibe aber gleichzeitig zu Verhandlungen bereit.

Sollte der Abschnitt "Verteidigungspolitik" aus Putins Rede seine Wähler mobilisieren? In Russland wird besonders die Videoanimation kritisch diskutiert. Das Video soll zehn Jahre alt sein.

Sollte der Abschnitt "Verteidigungspolitik" aus Putins Rede seine Wähler mobilisieren? In Russland wird besonders die Videoanimation kritisch diskutiert. Das Video soll zehn Jahre alt sein.

shbs; CC0; Pixabay

Der Westen soll an den Verhandlungstisch gezwungen werden

Der verteidigungspolitische Teil der Rede des russischen Präsidenten dürfte sein offensichtliches Ziel der Konsolidierung und Mobilisierung von Putins Wählerschaft nicht verfehlen. Gleichzeitig hat er unter russischen Nutzern sozialer Medien kontroverse Diskussionen und teils sarkastische Reaktionen ausgelöst. Unmittelbar nach der Jahresbotschaft des Staatspräsidenten berichteten mehrere russische Nachrichtenportale übereinstimmend, zumindest eines der während Putins Rede eingespielten Videos mit Animationen zur Wirkung der russischen Atomraketen sei mindestens zehn Jahre alt und bereits mehrfach im russischen Fernsehen gezeigt worden. Namhafte internationale Experten gehen indes davon aus, dass die Ausführungen des russischen Präsidenten an sich nicht glaubwürdig sind. So zitiert die Deutsche Presse-Agentur Professor Robert Schmucker, Experte für Raumfahrttechnik an der TU München, mit der Aussage, Russland werde dauerhaft nicht in der Lage sein, atomgetriebene Marschflugkörper oder eine Hyperschallwaffe zu entwickeln. 

Taugt Putins Rede am Ende also gar nicht dazu, den Westen und speziell die USA an den Verhandlungstisch zu zwingen? Das Pentagon lieβ inzwischen verlauten, die USA könnten nichts Neues in der Rede Putins erkennen. Die Jahresbotschaft des russischen Präsidenten scheint das US-Militär also nicht besonders zu beeindrucken, so verständlich der Wunsch Moskaus auch sein mag, als Gesprächs- und Verhandlungspartner auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden. Vielmehr besteht die Gefahr, dass Putins Jahresbotschaft im Ausland trotz seiner gegenteiligen Beteuerungen und trotz entgegengesetzter russischer Interessen als Bedrohung der Welt mit einem Nuklearkrieg verstanden werden könnte. Dies wiederum könnte zu einem weiteren Vertrauensverlust des Westens gegenüber Russland führen. 

Gegenseitiges Verständnis als Grundvoraussetzung für Partnerschaft 

Angesichts solcher Aussichten sollten sowohl Russland als auch der Westen daran arbeiten, dass der Ton zwischen den Akteuren wieder versöhnlicher wird. Schlieβlich sei auch Russland an „normaler, konstruktiver Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union“ interessiert, wie Putin gegen Ende seiner Rede versicherte. Wenn das stimmt, dann ist dem wenig hinzuzufügen.

 

Autor: Jan Dresel, HSS

Jan Dresel, Regionalprojekt Frieden und Demokratie in Osteuropa
Jan Dresel
Projektleiter
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