Print logo

Europa und der Maghreb
Partner für Stabilität und Sicherheit

Die Hanns-Seidel-Stiftung im Maghreb ermöglichte ausgewählten Partnern einen Informationsbesuch in Brüssel. Dabei ging es um mehr als nur um sicherheitspolitische Fragen und um Migration. Fest steht, die Zusammenarbeit muss weiter verstärkt werden. Potenzial dafür ist auf beiden Seiten vorhanden.

Als nachbarschaftliche Mittelmeeranrainer blicken Europa und die Länder des Maghreb auf eine lang gewachsene Beziehung zurück. Nach dem Umbruch in der arabischen Welt im Jahr 2011 besteht insbesondere in Europa ein noch stärkeres Interesse an einer Zusammenarbeit mit Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen. Seitdem sich die arabische Welt in einem umfassenden gesellschaftlichen und politischen Wandel befindet, hat sich die Zusammenarbeit auf allen Ebenen intensiviert. Beide Seiten streben eine Partnerschaft auf Augenhöhe an.

Die Stadt Tanger, flache, niedrige Gebäude unter einem wolkenlosen Himmel. Im Hintergrund lässt sich das Meer erahnen.

Die marrokinische Stadt Tanger, nahe der Meerenge von Gibraltar. Hier verläuft eine der jüngeren Fluchtrouten nach Europa. Aber nicht alle ziehen weiter. Viele bleiben. Darauf hat Marroko reagiert: Über 50.000 Afrikaner aus Gegenden südlich der Sahara haben seit 2015 in Marokko eine dauerhafte Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis bekommen.

mokharakel1; CC0; Pixabay

Vor diesem Hintergrund organisierten die Büros der Hanns-Seidel-Stiftung in Brüssel, Tunis und Rabat gemeinsam eine Informationsreise für eine maghrebinische Delegation in das Herz der Europäischen Union, nach Brüssel. Dabei artikulierten die maghrebinische und die europäische Seite ihre wechselseitigen Erwartungen. Im Zentrum der Gespräche standen zunächst Fragen zu Stabilität und Wachstum in den Ländern der Maghreb-Region und darüber hinaus sicherheitspolitische Aspekte sowie Migration. Es kristallisierte sich heraus, dass zu den zentralen Herausforderungen in der gesamten Region des Maghreb die sozioökonomische Lage gehöre. Insbesondere unter Jugendlichen, aber auch Jungakademikern ist die Arbeitslosigkeit weiterhin hoch.

Gruppenbild mit Markus Ferber, der lächelnd in der Mitte der Delegation steht.

Die Delegierten mit Markus Ferber, MdEP (grüne Krawatte)

HSS

Außerhalb städtischer Ballungszentren bietet oftmals nur der landwirtschaftliche Sektor informelle und prekäre Arbeitsmöglichkeiten ohne soziale Absicherung. Problematisch bleibt insgesamt der geringe Spielraum für Zusammenarbeit im Falle Libyens, wo seit dem Sturz Muammar Al-Gaddafis keine Regierung die Kontrolle über das gesamte Land hat und nur wenig politische Ordnung erkennbar ist. Die EU ist in diesem Rahmen vor allem auf die Zusammenarbeit mit lokalen Partnern angewiesen. Wesentlich berechenbarer  sind dagegen Algerien und Marokko.

Die Ereignisse des Jahres 2011 führten dort nicht zu politischen Umstürzen, sondern insbesondere in Marokko zu umfassenden politischen Reformen. Das Königreich im Westen der arabischen Welt hat durch die Verabschiedung einer neuen Verfassung im Sommer 2011 den Grundstein für nachhaltige demokratische und wirtschaftliche Entwicklung gelegt. Nicht nur die Rollen des Parlaments und des Premierministers wurden gestärkt, sondern neben der Verankerung individueller Grundrechte wurde eine umfassende Regionalisierung angestoßen, die den neu strukturierten 12 Regionen erheblich mehr politische Kompetenzen und Möglichkeiten zu Eigeninitiativen einräumt. Das Land treibt zudem seine Infrastrukturprojekte in den Bereichen Verkehr, Tourismus und erneuerbare Energien mit Nachdruck voran.

Ein großer Uhrenturm auf einem zentralen Platz in Tunis. Tunesische Flaggen im Halbrund im Hintergrund

In Tunis wurde jüngst Suad Abderrahim zur ersten Bürgermeisterin gewählt: Hier begann der arabische Frühling und führte zu einer echten Demokratisierung. Tunesien gilt als Vorreiter bei demokratischen Reformen.

ziedkammoun; CC0; Pixabay

Tunesien bleibt Hoffnungsträger in der Region

Im gesamtarabischen Kontext betrachtet, bleibt allerdings Tunesien das Land, in dem die Ereignisse von 2011 nicht nur ihren Ausgangspunkt fanden, sondern das weiter als exemplarischer Vorreiter im Bereich demokratischer Reformen gilt. Aus diesem Grund genießt es auch eine prioritäre Förderung seitens der EU. Alle anwesenden Experten aus dem Maghreb betonten allerdings nachdrücklich, dass der Demokratisierungsprozess Zeit benötige. Die Herausforderungen seien auch in Tunesien, vor allem auf ökonomischer Ebene, die gleichen, wie in allen anderen Ländern des Maghreb. Vertreter der EU-Kommission verdeutlichten in diesem Zusammenhang, dass sie das Land vor allem in den Bereichen demokratische Strukturen und ökonomische Entwicklung weiter unterstützen werden, hier mit einem besonderen Augenmerk auf die zahlreichen strukturschwachen Regionen des Landes. All dies findet im Lichte der sogenannten Partnerschaft für die Jugend statt. Die EU sieht in der jungen Bevölkerung den Schlüssel zu Entwicklung und Wachstum und fördert diese daher in Tunesien besonders. Aber auch Marokko mit seinen knapp 35 Millionen Einwohnern erhält weiterhin starke Unterstützung aus Brüssel.

Gruppenbild der Delegierten mit Gahler

„Wir, als EU, verlieren gar nichts, wenn wir unsere Märkte für landwirtschaftliche Produkte aus dem Maghreb öffnen.“ (Michael Gahler, MdEP, Mitte, grauer Anzug, Brille)

HSS

Geregelte Mobilität statt Abschottung

Intensiv tauschten sich die Gesprächspartner über Fragen von Migration und Mobilität aus. Die EU-Seite stellte dabei ihren Ansatz vor, der auf geregelte Migration, Rückführungsabkommen und verbesserter Mobilität für junge Maghrebiner, Unternehmer oder Wissenschaftler abzielt. So hat die EU-Kommission beispielsweise die Kapazitäten für die Teilnahme junger Tunesier am Austauschprogramm „Erasmus+“ verdoppelt. Im Rahmen einer öffentlichen Konferenz appellierte der Europa-Parlamentarier Michael Gahler, dass man bei Fragen der irregulären Migration realistische Erwartungen zu Grunde legen müsse. Abschiebungen aus Europa von Personen aus Drittstaaten nach Tunesien oder Libyen seien mittel- und langfristig unrealistisch. Dennoch könne Europa erwarten, dass die Partnerländer in Nordafrika die eigenen Staatsangehörigen ohne Aufenthaltstitel für Europa zurücknehmen müsse. 

Die nordafrikanischen Gesprächspartner hingegen wiesen auf die großen Herausforderungen mit Blick auf die steigende Anzahl von Migranten aus dem südlichen Afrika hin. Deren eigentliches Ziel sei zumeist Europa. Da allerdings eine Weiterreise über das Mittelmeer mit legalen Mitteln nicht möglich sei, bleiben mehr und mehr Subsahara-Afrikaner dauerhaft in Marokko, Algerien und Tunesien. Diesem Paradigmenwechsel nordafrikanischer Länder, von Auswanderungsländern hin zu Durchgangs- oder Einwanderungsländern, wird die Partnerschaft zwischen Europa und dem Maghreb mittelfristig Rechnung tragen müssen. Marokko hat darauf reagiert, indem es immerhin seit 2015 knapp 50.000 Subsahara-Afrikanern eine dauerhafte Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis ausgestellt hat. Das Land erweist sich seit seiner Rückkehr in die Afrikanische Union (AU) zu Beginn des Jahres 2017 zudem als führende Nation der Süd-Süd-Kooperation auf dem afrikanischen Kontinent.

Gemeinsame Herausforderungen brauchen partnerschaftliches Engagement

Die EU habe verstanden, dass die arabische Welt immer enger an Europa heranrücke, so ein leitender EU-Kommissionsbeamter. Daher gewinne auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit an Bedeutung. In dieser Hinsicht verhandeln die EU und Tunesien ein weitreichendes Handelsabkommen. Gahler mahnte zudem an, dass Europa die Gefahrenrhetorik vom Abbau der Handelsbarrieren nicht übertreiben dürfe: „Wir, als EU, verlieren gar nichts, wenn wir unsere Märkte für landwirtschaftliche Produkte [aus dem Maghreb] öffnen.“ Um ökonomischen Aufschwung im Maghreb zu fördern, müsse man gemeinsam daran arbeiten, mehr Anreize für internationale Investoren zu schaffen, so der Tenor während der Gespräche. Zum einen müsse Vertrauen aufgebaut und Rechtssicherheit garantiert werden, zum anderen müsse auch der Arbeitsmarkt auf die Bedürfnisse der Investoren ausgerichtet werden. Die entscheidenden Weichen dafür könnten bereits in der Ausbildung gestellt werden. Im Gespräch mit dem Zentralverband des deutschen Handwerks (ZDH) informierte sich die Delegation aus dem Maghreb über das duale Ausbildungssystem und die Rolle von kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) in Deutschland. Beides ist über die Grenzen hinaus als Erfolgsmodell bekannt. Ferner erhielten die Delegationsteilnehmer Einblicke in das Engagement des ZDH in Marokko und Tunesien zur Förderung dieser beiden Säulen. Trotz aller Herausforderungen bleibt daher zu hoffen, dass die euro-maghrebinische Partnerschaft auf einem guten Weg ist, auf beiden Seiten des Mittelmeers zu Sicherheit, Stabilität und Entwicklung beizutragen. Denn Tatsache ist, dass der Mittelmeerraum schon jetzt ein zusammenhängendes Gebilde ist, deren kulturelle, politische und wirtschaftliche Grenzen höchstens noch als fließend verstanden werden können.

 

Autoren: Ilke Fidan und Dr. Mounir Azzaoui, HSS

Naher Osten, Nordafrika
Claudia Fackler
Leiterin