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Deutsche und russische Ansichten zu einer wichtigen Frage
Reizthema Frauenquoten

„Frauenquoten sind Hilfsmittel, aber in der Politik wichtig, um Frauen überhaupt erst die Chance zu verschaffen, sich einigermaßen gleichberechtigt mit Männern in der Politik positionieren zu können“, sagte Ursula Männle, Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung, bei ihrem Besuch im winterlichen Moskau. Das ist auch die Meinung der hochrangigen Politikerinnen und Entscheiderinnen aus Deutschland, mit denen Männle angereist war. In Russland sieht man das teilweise anders.

Während die deutschen Delegationsmitglieder Frauenquoten klar befürworteten, war das Bild bei ihren russischen Gesprächspartnerinnen nicht so eindeutig. Einige Vertreterinnen aus Politik und Wirtschaft bezeichneten Frauenquoten in ihren jeweiligen Bereichen als wünschenswert, da Frauen in Russland nicht dieselben Zugangschancen zu Spitzenpositionen hätten wie Männer. Galina Michalewa, Vorsitzende der Frauenorganisation der liberalen Partei Jabloko, bezeichnete die Rolle der Frau im heutigen Russland sogar als rückständig und als „vergleichbar mit der Situation der Frauen in Deutschland in den 1970er-Jahren“.

Ein großes Drahtgerüßt, das die Zahl 2019 bildet. In der Null stehen die Delegierten und lächeln.

Im winterlichen Moskau traf die deutsche Delegation russische Politikerinnen, Wissenschaftlerinnen sowie Wirtschafts- und Verbandsvertreterinnen.

HSS

 Immerhin dürfen in Russland rund 450 Tätigkeiten von Frauen nicht oder nur sehr eingeschränkt ausgeübt werden, etwa LKW-Fahrer, Holzfäller oder Zugführer. Das Gesetz stammt noch aus Sowjetzeiten und wurde seinerzeit aus Sorge um die Fortpflanzungsfähigkeit sowjetischer Frauen erlassen [Quelle: Deutschlandfunk]. Auf der politischen Entscheidungsebene sieht es nicht viel anders aus. In der föderalen Regierung sitzen nur vier Frauen (zwei Vize-Ministerpräsidentinnen und zwei Ministerinnen).

Andere Gesprächspartnerinnen wie Prof. Marina Tschigaschewa, Leiterin des Lehrstuhls für deutsche Sprache der Universität MGIMO, sprachen sich hingegen deutlich gegen Frauenquoten aus. Hintergrund für diese Haltung dürfte die Tatsache sein, dass viele Russinnen die zu Sowjetzeiten propagierte Gleichheit der Geschlechter auch im heutigen Russland noch als gegeben ansehen. Außerdem weist eine Studie des weltweiten Dienstleistungsnetzwerks Grant Thornton aus dem März 2017 für Russland mit 47% den höchsten Frauenanteil weltweit in Führungspositionen in Unternehmen aus, während dieser Wert in Deutschland bei lediglich 18% liegt. Allerdings ist die Führung großer Unternehmen auch in Russland zum überwiegenden Teil in Männerhand. Frauen stellen also durchaus einen großen Anteil des Managements russischer Firmen, doch strategische Entscheidungen werden meist von Männern gefällt.

Die dennoch vergleichsweise starke Position russischer Frauen wird häufig mit historischen Mustern erklärt. So seien Frauen in Russland in den letzten 200 Jahren vom Krieg gegen Napoleon bis zum 2. Weltkrieg oft auf sich allein gestellt gewesen und mussten ihre Familien ernähren, während ihre Männer im Krieg kämpften. Dies habe die Russinnen stark gemacht, so ein weit verbreitetes Erklärungsmuster. Interessant ist, dass es laut der föderalen Statistikbehörde Rosstat etwa elf Millionen mehr weibliche als männliche Russen gibt. Angesichts einer Gesamtbevölkerung von etwa 145 Millionen Einwohnern eine durchaus beachtliche Zahl. Teilweise ist dies damit zu erklären, dass Frauen in Russland durchschnittlich zwölf Jahre länger leben als ihre männlichen Mitbürger.

Jenseits aller Statistiken ist es auf jeden Fall höchst anerkennenswert, wie gut viele berufstätige russische Frauen damit zurechtkommen, die Doppelbelastung durch Familie und Beruf, die sich durch das nach wie vor stark traditionell geprägte Rollenverständnis in Russland ergibt, miteinander zu vereinbaren.

Jan Dresel, Regionalprojekt Frieden und Demokratie in Osteuropa
Jan Dresel
Projektleiter
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