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Parlamentswahlen in der Republik Moldau
Ein Land zwischen Innen- und Geopolitik

Autor: Benjamin Bobbe

Bei den Parlamentswahlen in der Republik Moldau wird die Innenpolitik von allen Parteien in den Mittelpunkt gestellt. Doch es geht bei den Wahlen um eine geopolitische Richtungsentscheidung für mehr - oder weniger - Europa und die Frage der politischen Handlungsfähigkeit der pro-europäischen Staatspräsidentin Maia Sandu.

  • Vorgezogene Parlamentswahlen am 11. Juli
  • Kampf gegen Korruption 
  • Krisenmodus im Land
  • Innen- und Geopolitik
  • Umfragewerte

Mit den vorgezogenen Parlamentswahlen am 11. Juli 2021 hat die pro-westliche Staatspräsidentin der Republik Moldau, Maia Sandu, erstmals nach ihrer Amtsübernahme am 24. Dezember 2020  eine reale Chance, durch eine Mehrheitsverschiebung zu ihrer Partei „Aktion und Solidarität“, kurz PAS, die notwendige Handlungsfähigkeit zu erreichen, um ihre ambitionierte politische Agenda voranzubringen. Monatelang hatte die Mitte-rechts-Politikerin nach ihrem überraschend deutlichen Wahlerfolg vom Vorjahr auf Neuwahlen hingewirkt. Angesichts einer oppositionellen Parlamentsmehrheit unter Führung der pro-russischen sozialistischen Partei PSRM und einer klaren und kompromisslosen Haltung Sandus waren zuvor alle Versuche zur Regierungsbildung gescheitert.

Ein Blick zurück: In einer antagonistischen Allianz war es 2019 Sandus Partei PAS zusammen mit den Sozialisten der PSRM unter Vermittlung und Druck aus Moskau, Brüssel und Washingtons gelungen, die Ära des zwielichtigen Oligarchen Vladimir Plahotniuc durch ein Zweckbündnis zu beenden. Nach internen Konflikten und dem Scheitern der Regierung nach nur fünf Monaten, stehen sich beide Seiten nun wieder unversöhnlich gegenüber. In PAS und PSRM treffen zutiefst gegensätzliche Politikmodelle und Weltbilder aufeinander.

Das jüngste mehrmonatige Ringen um eine Neuwahl des Parlaments, an dessen Ende eine Bestätigung der Entscheidung Sandus über dessen Auflösung durch das Verfassungsgericht stand, war ein Kampf mit harten Bandagen in dem keiner der Beteiligten ohne Blessuren blieb. Auch wenn westliche Experten und Regierungen übereinstimmend Sandus ambitionierte politische Zielsetzungen gutheißen und ihren Modernisierungskurs unterstützen, gab es im In- und Ausland auch kritische Stimmen, die ihr zuletzt vorwarfen zur Überwindung der politischen Blockade und der Durchsetzung ihres Reformkurses mit der Parlamentsauflösung ihr demokratisches Mandat über die Verfassung zu stellen.

Staatspräsidentin Maia Sandu kämpft gegen Mißstände: „Mit einem korrupten Parlament kann man keine Korruption bekämpfen“.

Staatspräsidentin Maia Sandu kämpft gegen Mißstände: „Mit einem korrupten Parlament kann man keine Korruption bekämpfen“.

IPN agenţie de presă

Kampf gegen die Korruption ist bestimmendes Thema

„Mit einem korrupten Parlament kann man keine Korruption bekämpfen“, brachte Sandu ihre Position immer wieder auf den Punkt und konnte sich auch zuletzt bei vielen offiziellen Besuchen in Europas Hauptstädten der fortwährenden Unterstützung für ihren klaren Kurs gegen Korruption und die Organisierte Kriminalität versichern.

In dessen Kern steht das Ziel einer ganzheitlichen Justizreform: Die Staatsanwaltschaft soll für Antikorruptionsfälle nach dem Vorbild der rumänischen DNA, einer unabhängigen spezialisierten Antikorruptionsbehörde, reformiert werden. Dazu soll das neue Parlament unter anderem ein Gesetz zur Beschlagnahmung illegaler Vermögen von Richtern, Staatsanwälten und sonstigen Beamten auf den Weg bringen. Parlamentariern soll leichter die Immunität entzogen werden können, damit der Stillstand überwunden und Ermittlungen vorankommen können. Da hierzu zum Teil Verfassungsänderungen notwendig wären, ist es fraglich inwieweit sich diese Pläne umsetzen lassen.

Meinungsforscher bescheinigen Sandu, dass sie laut Umfragen die vertrauenswürdigste Politikerin des Landes ist: 32,6 Prozent der Befragten verleihen ihr dieses Attribut. Abgeschlagen auf dem zweiten Platz liegt ihr sozialistischer Gegenspieler Igor Dodon mit 13,8 Prozent.

Die Republik Moldau - ein Land im Krisenmodus

Die Rahmenbedingungen für ein erfolgreiches politisches Handeln sind in der Republik Moldau denkbar schwierig und haben sich durch diverse Krisenherde weiter verschlechtert: Sehr hohe Auswanderungsrate, eine Unterwanderung durch die Organisierte Kriminalität, Inflation, Korruption in Politik, Wirtschaft und allen gesellschaftlichen Bereichen, sehr hohe Politikverdrossenheit, politische Polarisierung, eine zwischen Anbindung an den Westen oder an Russland gespaltene Bevölkerung, ein eingefrorener Territorialkonflikt in der Region Transnistrien und latente Einflussname und Präsenz Russlands – die Herausforderungen könnten größer kaum sein. Hinzu kommt, dass die COVID-Pandemie die Republik Moldau in allen Belangen besonders stark getroffen hat und die wirtschaftliche Lage sich dramatisch verschlechtert hat.

Maia Sandu hatte in ihrer Rede zur Amtsübernahme im vergangenen Jahr ihr Ziel bekräftigt, im Land „Ordnung zu schaffen“ zu wollen. Viele Moldauer und westliche Regierungen spüren in ihr genau diese Bereitschaft und unterstützen daher ihr Vorhaben, das Land aus seinem postsowjetischen Dämmerschlaf zu erwecken und aus der Umklammerung von Oligarchen-Cliquen zu befreien.

Zur Information

Die EU-Kommission hat ein Konjunkturprogramm von 600 Millionen Euro für die Republik Moldau als Makrofinanzierung in den nächsten drei Jahre bewilligt und dies an eine Justizreform und Kampf gegen die Korruption gekoppelt. Damit unterstützt die EU Sandus Reformbemühungen, die im Land auf sehr große Beharrungskräfte treffen. Es geht darum, das gesamte politische System zu modernisieren, die Gesetzestreue und Rechtsstaatlichkeit ganzheitlich zu stärken und die Republik Moldau auf Grundlage von Stabilität auch wirtschaftlich voran zu bringen.

Im November 2020 wurde Maia Sandu zur ersten Präsidentin der Republik Moldau gewählt. Sie ist pro-westlich eingestellt.

Im November 2020 wurde Maia Sandu zur ersten Präsidentin der Republik Moldau gewählt. Sie ist pro-westlich eingestellt.

IPN agenţie de presă

Innenpolitik ist auch Geopolitik

Selbstredend bedeutet für Maia Sandu, das Land voranzubringen, es Richtung Westen zu führen. Darüber spricht sie im Wahlkampf allerdings wenig – und tut gut daran. Sandu betont immer wieder, das Land nicht spalten, sondern einen zu wollen. Sie weiß, dass sie angesichts der traditionellen Aufteilung der Wählerschaft in zwei etwa gleich große Lager, auch Stimmen der pro-russischen Wähler für ihre politische Reformagenda gewinnen muss. Auch deshalb betont sie mit dem Thema Korruption ein zutiefst innenpolitisches Thema und stellt Fragen der impliziten Westorientierung hinten an. Mit Russland möchte sie „respektbasierte Beziehungen“.

Eine politische Agenda für die Westorientierung und für die EU ist in der Republik Moldau – etwa im Gegensatz zum Beispiel des großen Nachbarn Ukraine – beileibe kein Garant für einen Wahlsieg oder gar Conditio sine qua non dafür. Beide gesellschaftlichen Lager sind zu ausgeglichen und zu nahe an einem Patt. Auch daher wird sich zeigen müssen, wie viele der 3.282.837 registrierten Wahlberechtigten bereit sind, Sandus Kurs zu folgen.

Maia Sandus innenpolitische Reformagenda hat einen zutiefst geopolitischen Charakter und wird im Ausland sehr genau beobachtet. Denn es geht um die Frage, ob es der Republik Moldau gelingen kann, seine alten kleptokratischen postsowjetischen Machtstrukturen, die von Russland direkt gefördert werden, zu überwinden und den langen Weg hin zu einer modernen Demokratie nach westlichem Vorbild einzuschlagen. In diesem Sinne ist die moldauische Innenpolitik durchaus von geopolitischer Relevanz.

Am 11. Juli finden in der Republik Moldau vorgezogene Parlamentswahlen statt, nachdem eine Regierungsbildung gescheitert war.

Am 11. Juli finden in der Republik Moldau vorgezogene Parlamentswahlen statt, nachdem eine Regierungsbildung gescheitert war.

Daniel Seiberling

Blick in die Umfragen

Größter Herausforderer für Sandus Partei „Aktion und Solidarität“, PAS, ist das auf direkte Vermittlung Russlands zustande gekommene Wahlbündnis BeCS der Sozialisten und Kommunisten. Der Kreml brachte für dessen Entstehen die politisch und persönlich verfeindeten Parteivorsitzenden Igor Dodon (PSRM, Sozialisten) und den ehemaligen Staatspräsidenten Vladimir Voronin (PCRM, Kommunisten) an einen Tisch, unterstützt die Allianz mit politischen Beratern und mischt so im Wahlkampf mit. Das neue Wahlbündnis BeCS steht laut Wahlprogramm explizit für eine „Konsolidierung“, sprich eine Vertiefung der strategischen Partnerschaft „mit dem ehrlichsten Freund der Republik Moldau, der Russischen Föderation“.

Aktuelle Umfragen, die in der Republik Moldau hinsichtlich ihrer Genauigkeit angesichts unterschiedlicher Auftraggeber mit größter Vorsicht zu genießen sind, sehen die Sandu-Partei PAS im Durchschnitt bei rund 43 Prozent und ihre direkten Gegenspieler von BeCS im Durchschnitt bei rund 33 Prozent.

Die kleine Partei Shor und das sich im Aufwind befindliche Wahlbündnis Renato Usatii bewegen sich bei fünf bis sechs Prozent – und dürften damit ebenfalls ins Parlament einziehen. Während Shor ausschließlich als Partner für Sozialisten und Kommunisten infrage kommt, dürfte Usatii sowohl mit Sandus PAS als auch BeCS zu koalieren bereit sein. Die noch bei den Parlamentswahlen 2019 mit Sandus PAS als Wahlbündnis angetretene pro-europäische Partei „Würde und Wahrheit“, kurz PPDA, unter Andrei Nastase, tritt bei der Wahl diesmal allein an. Die Partei droht bei nur drei Prozent Stimmenanteil laut Umfragen an der 5-Prozenthürde zu scheitern und Sandu damit ihren einzigen natürlichen Koalitionspartner zu verlieren.

Dennoch deuteten die Umfragen darauf, dass PAS entweder allein oder im Fall der Bildung einer Zweierkoalition mit Usatii rechnerisch in der Lage sein dürfte, eine Regierung zu bilden.

Abzuwarten bleiben nun der Wahlausgang und die Regierungsbildung, aus der sich dann eine Bewertung der zukünftigen Handlungsspielräume ergeben wird. Diese werden sicherlich geringer sein als von Staatspräsidentin Maia Sandu zur Umsetzung ihrer ambitionierten politischen Reformagenda für die Republik Moldau angestrebt. Zum Einsetzen ihrer Regierung benötigt Sandu eine einfache Parlamentsmehrheit. Für Verfassungsänderungen, die sie für viele ihrer Vorhaben braucht, ist hingegen eine Zweidrittelmehrheit notwendig – eine solche Mehrheit ist jedoch laut Umfragen nicht in Sicht.

Autoren: Benjamin Bobbe, Projektleiter der HSS für die Ukraine, Rumänien und die Republik Moldau - Violeta Avram, Büroleiterin der HSS in der Republik Moldau

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