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Aus unserem politicus
Alles beim Alten? Die Zukunft des bürgerlichen Lagers

Autor: Verena Kasirye

Die Europawahlen rücken näher. Der Augenblick kommt für die konservativen Parteien Europas gerade gelegen, denn klassische Themen wie „Sicherheit“ und „Wohlstand“ sind hoch im Kurs.

Flaggen wehen vor dem halbrunden Parlamentsgebäude in Straßburg.

Das Europaparlament in Straßburg: 66 Millionen Bürgerinnen und Bürger sind in Deutschland zur Wahl aufgerufen.

Grecaud Paul; HSS; AdobeStock

Europa befindet sich im Umbruch: Die Umwälzung der europäischen Friedensarchitektur, die Bedrohung gefestigter Demokratien durch Links- und Rechtspopulismus und die Frage nach der Zukunft der Europäischen Union (EU) beeinflussen nachhaltig Politik und Gesellschaft. Der Wandel macht auch keinen Halt vor der europäischen Parteienlandschaft. Das bürgerlich-konservative Lager – in den letzten Jahren noch vielerorts in der Krise – erlebt im Vorfeld der Europawahlen im Juni 2024 wieder einen leichten Aufwärtstrend.

EVP weiterhin stärkste Kraft

Folgt man den aktuellen Prognosen (Stand: 31. Dezember 2023), so muss die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) voraussichtlich Sitze einbüßen, bleibt jedoch stärkste Kraft im Europaparlament. Dabei sind die Stützkräfte geographisch breit gestreut: Den zahlenmäßigen Bärenanteil der EVP-Abgeordneten stellt voraussichtlich weiterhin Deutschland, wohl dicht gefolgt von Spanien und Polen. Auch Griechenland und Rumänien bleiben starke Säulen der EVP. Abgesehen von einer klaffenden Lücke in Italien, bedingt durch geringen Zuspruch für Forza Italia, zeichnen sich nur geringe Verschiebungen des Kräftegewichts in der EVP ab.

Für Europawahlen gibt es keine gesamteuropäischen Umfragen. Laut Europe Elects, einer Plattform, die die Ergebnisse verschiedener Meinungsforschungsinstitute in Europa bündelt, sah die Prognose für die Europawahl 2024 in Bezug auf die Sitzverteilung mit Stand 31. Dezember 2023 so aus, wie hier dargestellt.

Die im europäischen Durchschnitt stabile Prognose war jedoch keinesfalls ein Selbstläufer, denn noch zur Halbzeit der Legislatur befand sich die EVP im Umfragetief. Dass die Konservativen sich aus einigen kriselnden Jahren zu erholen scheinen, verdeutlichen auch die jüngsten nationalen Parlamentswahlen. Die der EVP-angehörigen Parteien erlebten hier ein regelrechtes „Revival“ an den Wahlurnen. Nennenswerte Zugewinne verzeichnet das konservative Lager etwa in den Parlamentswahlen in Polen, Spanien, Griechenland, Finnland oder Bulgarien.

Konservative Themen beschäftigen Europa

Der Aufwärtstrend der konservativen Parteien steht zusammen mit aktuellen politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen Europas, die zur Folge haben, dass Themen wie „Sicherheit“ und „Wohlstand“ wieder mehr in den Mittelpunkt der gesellschaftlichen Debatte rücken. Damit steigt auch die Attraktivität konservativer Parteien, die für diese Kernthemen stehen und deren Expertise Abhilfe für Europa schaffen kann. 

Klassische Sicherheitspolitik, vor einigen Jahren noch oft als „kriegstreiberisch“ geächtet, erfährt derzeit beinahe ungekannte Wertschätzung, zumal der Krieg in der Ukraine die Notwendigkeit effektiver Abschreckung vor Augen führt. Aber auch innere Sicherheit, Grenzschutz und Terrorabwehr sind hoch im Kurs, insbesondere vor dem Hintergrund zunehmender irregulärer Migration.

Verena Kasiry lächelt in die Kamera. Die Arme vor der Brust verschränkt. Selbstsicher.

Verena Kasirye, Leiterin des Referats „Westeuropa, Nordamerika, Europäische Grundsatzfragen“ am Institut für Europäischen und Transatlantischen Dialog der Hanns-Seidel-Stiftung, München

Verena Kasiry

Mit schwächelnder Wirtschaftsleistung, anhaltender Inflation und hoher staatlicher Verschuldung sorgen sich die Europäer ebenso um die Sicherung des Wohlstands. Die konservativen Parteien können auch hier punkten, denn soziale Marktwirtschaft, konservative Fiskalpolitik und die Reduktion überbordender Bürokratie können helfen, die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts EU zu wahren und das klaffende innereuropäische Wohlstandsgefälle zu reduzieren.

Aufwind gedämpft durch Rechts und durch innere Schwachstellen

Trotz thematischen Zuspruchs kämpft das bürgerliche Lager an verschiedenen Fronten. Nationalistische und rechtspopulistische Parteien sind auf dem Vormarsch – nicht nur in Deutschland, sondern auch in Italien, Frankreich oder etwa den Niederlanden. Der wachsende Einfluss der euroskeptischen Rechten stellt eine ernsthafte Bedrohung für die EU dar. Da die Rechts-Außen-Parteien oft bürgerliche Stammwähler abgreifen, müssen die konservativen Parteien klare Kante zeigen und betonen: Wer wirtschaftlichen Wohlstand und integrierte Sicherheit möchte, braucht die EU. Die „Brandmauer gegen rechts“ muss also weiterhin stehen. Ein Liebäugeln mit Koalitionen mit Rechts-Außen-Parteien mag kurzfristig regierungsfähige Mehrheiten herstellen, langfristig untergräbt es jedoch die Grundfesten der EU und das Menschenbild der konservativen Parteien.

Möchten die Bürgerlichen für die breite Mitte zugänglich bleiben, müssen sie sich zudem ihre inneren Schwachstellen vor Augen führen. Das Narrativ „Konservatismus ist für alte Leute“ belastet das Image und bedarf eines Gegenakzents. Gerade vor diesem Hintergrund muss es konservativen Parteien zudem besser gelingen, Digitalisierung voranzutreiben und ihre Positionen für den Klimaschutz an den Mann beziehungsweise an die Frau zu bringen, und zwar durch pragmatische und effektive Ansätze. Auch der vergleichsweise niedrige Frauenanteil, sowohl in der Wählerschaft als auch in den Parteirängen, verlangt nach gezielten Maßnahmen.

Herausforderungen der Zeit erfordern Anpassung

Die Europawahlen stellen die Weichen für die EU der kommenden fünf Jahre. Den neu entfachten Rückenwind müssen die konservativen Parteien in den nächsten fünf Jahren nutzen, um zu zeigen, wie erfolgreich sie ihre Kernthemen bedienen können und inwieweit sie dabei bereit sind, traditionelle Werte zu bewahren und gleichzeitig auf dynamische Veränderungen der Gesellschaft zu reagieren. Eine klare Absage an Rechts-Außen. Intergenerationale Politik sowie die politische Frauenförderung können dabei das künftige Profil des Konservatismus stärken. „Alles beim Alten“ kann und darf es somit nicht bleiben.

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