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Bremsklotz Bürokratie
Elektrohammer statt Abrissbirne

Autor: Dr. Claudia Schlembach

Zu wenig Wohnungsbau führt zu Wohnungsmangel. Das Thema "Bürokratie: Bremsklotz für den Bau" haben die Akademie für Politik und Zeitgeschehen gemeinsam mit der Handwerkskammer für München und Oberbayern aufgegriffen und zu einer Diskussion eingeladen. Franz Xaver Peteranderl, Präsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern, und der Vorsitzende der HSS Markus Ferber, MdEP, sprechen sich für sinnvolle Regelungen statt überbordende Bürokratie aus.

Aufreger Bürokratie. Eine einfache Lösung gibt es nicht.

Aufreger Bürokratie. Eine einfache Lösung gibt es nicht.

Robert Kneschke; HSS; Adobe Stock

Bürokratie. Sie ist ein Aufreger – über alle gesellschaftlichen, unternehmerischen und politischen Ebenen hinweg. Bürokratie hat sich in unseren Alltag eingenistet. Das Dickicht lässt sich nicht einfach beseitigen, indem man einen Schalter umlegt. „Auch, wenn man als Bauhandwerker gerne mal mit der Abrissbirne ankäme“, sagt der Präsident der Handwerkskammer für München und Oberbayern, Franz Xaver Peteranderl. Die derzeit besonders betroffene Baubranche erkennt, dass der „kleine Elektrohammer“ als geeigneteres Werkzeug erscheine. Wie also lässt sich der Bremsklotz namens Bürokratie - für Bau und Wirtschaft - überhaupt abbauen? Die Handwerkskammer für München und Oberbayern (HWK) und die Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) haben zu einer Diskussionsrunde eingeladen, die umsetzungsorientiert und mit hoher Sensibilität nach gangbaren Wegen gesucht hat.

Bürokratie ist nicht per se ein Übel, wir benötigen Regeln, um Strukturen und Routinen aufbauen zu können sowie Regulierungen, um die Bürgerinnen und Bürger vor unerwünschten Technikfolgen zu schützen. Für Max Weber, einen der größten deutschen Denker, war Bürokratie ein Mittel der Nachvollziehbarkeit, Berechenbarkeit und Einheitlichkeit des Verwaltungshandelns. Er sah aber auch die Gefahren: mangelnde Flexibilität und die Tendenz, dass Vorschriften zum Selbstzweck verkommen.

„Gefühlt sind wir jetzt leider an dieser Stelle angekommen“, konstatiert Markus Ferber, MdEP, Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stiftung.

Eine neue soziale Frage

Die Zahlen sprechen für sich: Baugenehmigungen sinken Jahr für Jahr. Im Januar wurden in Deutschland 16.800 Wohnungen und damit 23,5 Prozent weniger als 2023 beantragt. Im Vergleich zum Jahr 2022 brach das Volumen um 43,4 Prozent ein. Die Ampel-Koalitionsregierung hatte 400.000 neue Wohnungen pro Jahr versprochen. Zurzeit werden 235.000 jährlich für den Bau genehmigt, Tendenz fallend.

Gleichzeitig suchen Menschen händeringend nach bezahlbarem Wohnraum, vor allem in den Metropolen. „Wenn wir hier keine Antworten finden, steuern wir direkt auf eine sehr ernsthafte soziale Frage zu“, meint Markus Ferber.

Klar ist, dass die Misere am Bau nicht nur der Bürokratie, sondern auch den vielfältigen Krisen um uns herum geschuldet ist. Das Heizungsgesetz hat das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger erschüttert, Investitionen wurden fragwürdig, die gestiegenen Energie- und Materialkosten, all das zählt mit ein. Gleichzeitig würde man Handwerkskammer-Präsident Peteranderl bei der Aufzählung real existierender Vorschriften gerne stoppen. Hier nur ein Auszug: Bodenrecht, Wasserrecht, Chemikalienrecht, Verbraucherschutzrechte, Vergaberecht, Naturschutzvorschriften. „Diese Regelungen“, meint Peteranderl, „haben alle ihren Sinn. Aber sie haben auch alle ihren Preis“.

Spagat zwischen Nachvollziehbarkeit und Flexibilität

Der Amtschef des Bayerischen Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr, Dr. Thomas Gruber,  behauptet nicht alle Vorschriften im Detail zu kennen. Dafür zeigt er einen spannenden Weg: „Wir wollen den Entscheidern vor Ort den Rücken stärken“, sprich die Spielräume nutzen, die es etwa im Bereich der DIN-Norm gibt. Das sind drei Buchstaben, die zu einer Art Dogma wurden. Dabei „sind nur zehn Prozent der DIN-Normen im Baurecht verankert“. Das bedeute, führt Dr. Gruber weiter aus, dass alles andere zwischen den Beteiligten abgesprochen werden könne. Die Intention dahinter: Eigenverantwortung stärken.

Die DIN-Norm schützt nicht, Abweichungen von der jeweiligen Norm sind daher bei der Ausführung möglich - Bauunternehmer und Bauherren müssen sich hier einig werden. Und ja, dann steht das Thema Haftung an. Das kann und muss politisch mitgesteuert werden, bekräftigt auch HSS-Vorsitzender und Europaabgeordneter Markus Ferber. Aber grundsätzlich gilt: Wenn die Verantwortung wieder auf die unteren Einheiten delegiert wird, entstehen Freiräume. Ein gangbarer Weg zur Entlastung: „Zusammenführung von unterschiedlichen Rechtsvorschriften und die unzähligen Verordnungen bündeln“, schlägt Peteranderl vor. Im Bau sei etwa der Bereich der Stellplatzverpflichtungen mit ihren kleinteiligen Anforderungen ein immenser Bremsklotz, hier seien die Verfahren durch großzügigere Auslegungen schnell zu verbessern.

Markus Ferber hofft, dass die Vereinfachung der Genehmigungsverfahren auf der Agenda der nächsten Legislaturperiode des Europäischen Parlaments steht. Zumindest stehen die Dokumentationspflichten bereits auf der Streichliste der Regierungen. Ferbers Ansatz: „Durch Dokumentation lassen sich keine Probleme lösen.“

Solche Erkenntnisse erfordern „Mut in der Umsetzung“, mahnt Thomas Voßkamp an, Mitglied des Vorstands der bulwiengesa AG, einem Beratungs- und Analyseunternehmen für die Immobilienbranche. Mut zur eigenen Entscheidung, der geht nach Sicht von Voßkamp in der bürokratischen Aufrüstung verloren.

Dabei geht es sehr schnell um sehr viel Geld. Bis zu zwanzig Prozent könnten die Baukosten sinken, wenn überkomplexe Anforderungen gestrichen würden. Und das natürlich im Sinne der Bürgerinnen und Bürger. Jedoch - und das ist der zweite Punkt, der während der Diskussion sehr deutlich wurde: Die gesellschaftlichen Trends wie der Individualisierung und Fragmentierung gestalten den Bürokratie-Aufbau mit

Bürokratie und Gesellschaft

Vielleicht fehlt der Mut in unserer eher risikoscheuen Gesellschaft, vielleicht wird die grundlegende Skepsis durch immer neue Verordnungen genährt, die vermeintlich suggerieren, dass Verordnungen Sicherheit brächten. Aber die Individualisierungstendenz stellt sich ebenfalls als Bremsklotz auf. Wenn jeder seinen eigenen Vorgarten als Festung definiert, „wird es schwierig, das Gemeinwohl durchzusetzen“, sagt Ferber. „Einzelfallgerechtigkeit und Gemeinschaftsinteresse“ stünden dann in einem immer härter werdenden Wettstreit. Und es wird wohl der Gesamtlage nicht gerecht, die Risikoaversion allein bei den oft gescholtenen Beamten zu sehen, „wenngleich die eher selten in deutschen Gefängnissen angetroffen werden“, wie Dr. Gruber schelmisch anmerkt. Wenn die Risikobereitschaft und Fehlertoleranz gering sind, wächst die Bürokratie. Maß und Mitte braucht es. Darüber lässt sich trefflich sinnieren. Die HSS wird an dem Thema dranbleiben.

Eindrücke der Diskussionsrunde:

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