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Kommentar zum Aachener Vertrag
Neue Impulse für die deutsch-französische Freundschaft - und für Europa

In Aachen vertiefen Angela Merkel und Emmanuel Macron den Élysée-Vertrag. Das historische Wunder der deutsch-französischen Freundschaft ist seit 1963 ein stabilisierender Faktor für Europa und Motor im Prozess der europäischen Einigung. Um diese Punkte geht es im neuen Aachener Vertrag:

Macron (links) steht neben Angela Merkel und freut sich. Merkel ruft gerade etwas nach links.

Angela Merkel erwartet sich vom Aachener Vetrag „Impulse für die Europäische Einigung“. Der Vertrag stelle die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich in den "Dienst des europäischen Einigungsprojektes", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. (Archivbild: Merkel und Macron auf der Frankfurter Buchmesse)

ActuaLitte; CC-BY-SA 2.0; Wikimedia Commons

Als Ausdruck der Erneuerung und Vertiefung der deutsch-französischen Freundschaft sowie als gemeinsames Bekenntnis zur Stärkung Europas ist das aus 28 Artikeln bestehende 16-seitige Vertragswerk zu verstehen, das Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron heute in Aachen unterzeichnen. Sie knüpfen mit dem neuen Freundschaftspakt an den vor 56 Jahren geschlossenen Élysée-Vertrag an, mit dem Bundeskanzler Konrad Adenauer und der französische Staatschef Charles de Gaulle am 22. Januar 1963 in Paris die Versöhnung zwischen den Völkern Deutschlands und Frankreichs besiegelt und damit den Grundstein für den deutsch-französischen „Motor“ der Integration Europas gelegt hatten.

Außen- und Europapolitik, Sicherheit, Verteidigung und Handel

Präsident Macron, der Deutschland in seiner Europa-Rede vor Studenten der Pariser Sorbonne-Universität im September 2017 „eine neue Partnerschaft“ angeboten hatte, kennt den Ort des Festaktes bereits: Im Krönungssaal des Aachener Rathauses wurde ihm im Mai vergangenen Jahres für seine Verdienste um Europa der Karlspreis verliehen.

"Die deutsch-französische Freundschaft war stets der Motor der Europäischen Integration. In Zeiten, in denen die Europäische Einigung von vielen Seiten in Frage gestellt wird, ist es umso wichtiger, dass Deutschland und Frankreich auch weiterhin geeint für ein starkes und handlungsfähiges Europa eintreten. Der deutsch-französischen Freundschaftsvertrag ist ein wichtiges Zeichen in schwierigen Zeiten. Es gilt nun, den Vertrag im täglichen politischen Prozess jeden Tag aufs Neue mit Leben auszufüllen." (Markus Ferber, MdEP)


Konzipiert wurde das in sechs Kapitel unterteilte Vertragswerk als eine Art Arbeitsvertrag für eine Vertiefung der bilateralen Zusammenarbeit auf verschiedensten Feldern, von Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik über Wirtschafts-, Finanz- und Energiefragen bis zu Bildung, Kultur, Technologie und Forschung.

Ein Kernelement des Aachener Vertrages ist die Außen-, Europa-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, wobei ein gemeinsames Handeln wo immer möglich angestrebt wird. Ausdrücklich unterstützt Frankreich Deutschlands Interesse an einem Ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Hinsichtlich ihrer Europapolitik bekennen sich die Vertragspartner im Grundsatz dazu, ihre Positionen enger abzustimmen und im Vorfeld wichtiger EU-Gipfeltreffen „Konsultationen auf allen Ebenen“ zu praktizieren.

Durch gemeinsame Verteidigungs- und Rüstungskooperation soll die sicherheits- und verteidigungspolitische Leistungsfähigkeit Europas gestärkt werden. Zu diesem Zweck ist ein regelmäßig zusammentretender deutsch-französischer Verteidigungs- und Sicherheitsrat auf Ministerebene vorgesehen.

Des Weiteren wird die Absicht unterstrichen, „eine gemeinsame Einheit für Stabilisierungsoperationen in Drittstaaten“ einzurichten.

Als weiteres Kernstück des Vertrages gilt die Schaffung eines deutsch-französischen Wirtschaftsraumes im Sinne einer weiteren Verflechtung der beiden Volkswirtschaften. Dazu soll ein gemeinsamer „Rat von Wirtschaftsexperten“, bestehend aus zehn unabhängigen Fachleuten, eingesetzt werden. Der Rat soll wirtschaftspolitische Empfehlungen zum Abbau bürokratischer Hürden sowie mit Blick auf neue Kooperationen im badisch-elsässischen Grenzgebiet entwickeln. Für die Grenzregionen wird ferner die Vertiefung der Zusammenarbeit in den Bereichen Gesundheitsversorgung und Elektromobilität angestrebt.

Und schließlich ist ein „deutsch-französisches Zukunftswerk“ vorgesehen; eine Art bilaterale Denkfabrik, in dem Wissenschaftler und andere Meinungsführer aus beiden Ländern gesellschaftliche Veränderungen wie die Digitalisierung analysieren und Strategien zur Bewältigung damit zusammenhängender Herausforderungen entwickeln sollen.

Der neue deutsch-französische Freundschaftsvertrag geht nicht nur in der thematischen Vielfalt über seinen historischen Vorläufer hinaus, sondern er unterscheidet sich vom Élysée-Vertrag, dem vor allem institutionelle Regelungen wie die Einrichtung des deutsch-französischen Jugendwerks folgten, durch seine „Dynamik“, die in gemeinsamer Konsultation und Abstimmung bis hin zu kooperativer Regierungspraxis in verschiedensten Feldern zum Ausdruck kommen soll.

Rede Donald Tusks bei der Vertragsunterzeichnung in Aachen (Englisch)

Speech by President Donald Tusk at the signing ceremony of the Franco-German Treaty of Aachen      

I have come to Aachen today with the firm belief that your decision, the decision to strengthen cooperation between Germany and France can, and should, serve the whole of Europe well. Dear Angela, dear Emmanuel, as friends we are too close for me to have reasons to doubt your intentions and plans. Today Europe needs a revival of faith in the meaning of solidarity and unity, and I want to believe that enhanced Franco-German cooperation will serve this objective.  

At the same time I would like to caution you, and all convinced Europeans, against losing faith in the purpose of Europe's integration as a whole. Today there are too many self-confessed opponents of the European Union, both inside Europe and outside, and there is no shortage of them in our countries either, to allow ourselves the illusory and dangerous comfort of discouragement. I will put it bluntly – today Europe needs a clear signal from Paris and from Berlin, that strengthened cooperation in small formats is not an alternative to the cooperation of all of Europe. That it is for integration, and not instead of integration. To the east of Germany there are hundreds of places where the European spirit of a place – genius loci – is felt as strongly as in Aachen, Paris or Berlin, and where millions of people live whose hearts beat for Europe, a Europe of mutually supportive and equal nations. One such place is my Gdańsk.  

I am returning from there, from the funeral ceremonies for the murdered mayor of my city, Paweł Adamowicz. He loved Gdańsk, he was a Polish patriot and a heart and soul European at the same time. He bravely stood up for the rule of law, he helped refugees out of genuine kindness, not because someone imposed some quotas on him. And for 20 years, he built his city. One of his many accomplishments is the fantastic, living museum of Solidarność. And it was he, in fact, who insisted it be called the 'European Solidarity Centre'. A few days ago, in that same place, the people of Gdańsk honoured their mayor. Over 50,000 people stood for many hours on a freezing cold night in order to make a bow, if only for a second, before his coffin.  

It is for such people, and thanks to such people, that Europe exists. Keep working to strengthen it, do not let the idea die. France and Germany need it to the exact same degree as Poland, Lithuania, Bulgaria and Ireland. Remember this today and tomorrow. I, in any case, will continue reminding you about it.

[www.consilium.europa.eu]

Altes Rathaus aus Ziegeln mit zwei filigranen, spitzen Türmen und runden Tür- und Tor- und Fensterbögen.

Präsident Macron, der Deutschland schon 2017 „eine neue Partnerschaft“ angeboten hatte, kennt den Ort des Festaktes bereits: Im Krönungssaal des Aachener Rathauses wurde ihm im Mai vergangenen Jahres der Karlspreis verliehen.

kleinesonne_de; ©0; Pixabay

Deutschland und Frankreich rücken enger zusammen

Eine interessante Parallele zwischen dem Élysée- und dem Aachener Vertrag besteht darin, dass es in beiden Abkommen – zumindest implizit – auch um die Rolle der USA in Europa geht. 1963 hatte die angesichts der sicherheitspolitischen Kontroversen zwischen „Atlantikern“ und „Gaullisten“ auf deutsche Initiative in die Präambel aufgenommene Betonung einer „engen Partnerschaft“ Europas mit den USA für schwere Irritationen bei Präsident de Gaulle gesorgt, der diese Passage als Entwertung des Vertrages kritisierte. Die aktuelle Konditionierung der amerikanischen Sicherheitsgarantien durch US-Präsident Trump, der die Atlantische Allianz auch schon als „obsolet“ bezeichnet hat, schmiedet Berlin und Paris hingegen im sicherheitspolitischen Bereich sogar noch enger aneinander. Dies zeigt sich u.a. an der im Aachener Vertrag enthaltenen Beistandsklausel, die entsprechende Regelungen der NATO-Charta und des EU-Vertrages verstärkt.Vier Monate vor den Europawahlen setzen Deutschland und Frankreich mit der Erneuerung ihrer Freundschaft auch ein wichtiges Signal in Richtung Europa, das sie mit vereinten Kräften stark und zukunftsfähig gestalten wollen. Bundeskanzlerin Merkel verhieß in einer Videobotschaft vor wenigen Tagen, Berlin und Paris würden mit dem neuen Vertrag neue „Impulse für die Europäische Einigung“ geben und Regierungssprecher Steffen Seibert assistierte, der Vertrag stelle die Beziehungen in den „Dienst des europäischen Einigungsprojekts“.

Mit dem von den Vertragspartnern verfolgten Zweck, ihre bilaterale Zusammenarbeit und ihr Bemühen um eine Stärkung Europas sowohl zu intensivieren als auch bürgernäher zu gestalten, norden Berlin und Paris ihren europapolitischen Kurs in eine Richtung ein, die auch der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei und CSU-MdEP Manfred Weber im Blick hat, wenn er wie vor kurzem im Interview mit dem BAYERNKURIER darauf hinweist, dass Europa demokratischer werden und sich „den wichtigen Themen“ – wie etwa der Verteidigung und der Forschung zur Bekämpfung von Zivilisationskrankheiten – widmen müsse.

 

Autor: Prof. Dr. Reinhard Meier-Walser, HSS

Leiterin Akademie für Politik und Zeitgeschehen

Prof. Dr. Diane Robers