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Vertreibung aus den Ostgebieten: 80 Jahre Beneš-Dekrete
Das Recht auf Heimat

Autorin/Autor: Dr. Christian Petrzik

Vor 80 Jahren endete nicht nur der Zweite Weltkrieg. Ab 1945 begann auch für viele Deutsche in den Ostgebieten eine Zeit der Flucht und später der oft brutalen Vertreibung: Millionen Schlesier, Ost- und Westpreußen, Siebenbürger Sachsen, Banater Schwaben, Pommern und Sudetendeutsche zogen in den Westen. Die sogenannten Beneš-Dekrete stehen sinnbildlich für dieses Unrecht. Ein Beitrag aus dem nächsten politicus.

Marienbad 1946: In der Tschechoslowakei geborene Volksdeutsche, deren Vorfahren seit Jahrhunderten im böhmischen und mährischen Grenzgebiet, dem sogenannten Sudetenland, lebten, wurden zwangsweise nach Deutschland deportiert. Nur 40 Kilogramm Gepäck durften aus ihren Häusern mitgenommen werden. Während der Vertreibung kam es zu zahlreichen Morden und anderen Übergriffen.

CTK Photo; ©HSS; imago

Am 19. Mai 1945 wurde das fünfte Dekret des Präsidenten der Tschechoslowakischen Republik, Edvard Beneš, „über die Ungültigkeit einiger vermögensrechtlicher Handlungen aus der Zeit der Unfreiheit und über die nationale Verwaltung von Vermögenswerten von Deutschen, Ungarn, Verrätern und Kollaboranten sowie einiger Organisationen und Anstalten“ erlassen. Die darin grundlegenden vermögensrechtlichen Einschränkungen für Deutsche und Ungarn, die als „staatlich unzuverlässige Personen“ eingestuft wurden, bedeuteten faktisch deren Enteignung.

Der Beginn der Vertreibung

Namensgeber der Dekrete war Edvard Beneš (1884-1948), der von 1935 bis 1938 sowie 1945 bis 1948 das Amt des Staatspräsidenten der Tschechoslowakei bekleidete. Die insgesamt 143 „Dekrete des Präsidenten der Republik“, so die offizielle Bezeichnung der Beneš-Dekrete, wurden während der deutschen Besatzung der Tschechoslowakei von der Exilregierung unter Beneš in London zwischen 1940 bis 1945 erlassen. Am 28. März 1946 wurden sie von der provisorischen tschechoslowakischen Nationalversammlung gebilligt. Die nach wie vor in Kraft befindlichen Dekrete, besonders jenes vom 19. Mai 1945, belasten das Verhältnis der Vertriebenenverbände in Deutschland und Österreich zu den Nachfolgestaaten der Tschechoslowakei (Tschechien und Slowakei) bis heute.

„Das Recht auf Heimat kann man nicht für ein Linsengericht verhökern. Niemals darf hinter dem Rücken der aus ihrer Heimat vertriebenen oder geflüchteten Landsleute Schindluder getrieben werden!“

Aufruf von Willy Brandt, Herbert Wehner und Erich Ollenhauer (alle SPD) 1963, fünf Jahre bevor der Kanzler Brandt die Oder-Neiße-Linie anerkennen wollte

Der größte Teil der vertriebenen Sudetendeutschen, etwa eine Million, gelangte 1945 nach Bayern. Nachdem sich bereits 1948 eine Kreisgruppe von Vertriebenen in München und 1949 eine Landesgruppe für Bayern zusammengeschlossen hatte, wurde 1950 die Sudetendeutsche Landsmannschaft als Bundesverband gegründet. Vorsitzender der Landsmannschaft ist seit 2014 der CSU-Politiker und ehemalige Abgeordnete des Europäischen Parlaments, Bernd Posselt, der seit 2014 ebenfalls CSU-Beauftragter für Ostmittel- und Osteuropa und seit 2008 Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe ist.

Völkerrechtswidrige Dekrete

Der ehemalige bayerische Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber (1993-2007) forderte wiederholt Wiedergutmachung von Seiten der tschechischen Regierung für die Verluste und Leiden der Sudetendeutschen und die Aufhebung der Beneš-Dekrete. In seiner Rede anlässlich des 51. Sudetendeutschen Tags am 11. Juni 2000 in Nürnberg kam er auf die europäische Dimension der Problematik um die Dekrete zu sprechen. Dabei sah er die Verständigung und Versöhnung zwischen den europäischen Völkern als Grundlage für die Entfaltung Europas als Werte- und Rechtsgemeinschaft und formulierte: „Gravierende offene Fragen dürfen daher im europäischen Raum nicht einfach stehen bleiben. Man muss sich um der friedlichen Zukunft willen um deren Lösungen bemühen. Eine dieser offenen Fragen sind die Benesch-Dekrete, und zwar jene, die die Vertreibung, Enteignung und Diskriminierung der Sudetendeutschen und auch der Ungarn betreffen. Wir wollen hier das Leid und das Unrecht, das die Ungarn nach 1945 in der Tschechoslowakei erdulden mussten, nicht vergessen. Durch diese Dekrete wurden Menschen enteignet und vertrieben, weil sie einer bestimmten Volksgruppe angehörten. Deshalb sind die Dekrete und Gesetze eindeutig völkerrechtswidrig. Sie sind diskriminierend. Sie passen nicht in das Europa des 21. Jahrhunderts.“ (ACSP, PS I Stoiber RS 2000: 0611).

Versöhnung und Dialog

Als erster bayerischer Ministerpräsident seit 1989 besuchte Horst Seehofer (2008-2018) Tschechien im Dezember 2010 – das Ende der jahrzehntelangen politischen Sprachlosigkeit. Bei seiner Rede anlässlich eines Abendessens mit dem damaligen tschechischen Außenminister, Karel Schwarzenberg, am 19. Dezember 2010 betonte Seehofer besonders die beiderseitigen Bemühungen um Versöhnung und Dialog: „Viele Gruppen der Zivilgesellschaft, Kommunen und einzelne Bürger haben in den vergangenen Jahren Zeichen der Versöhnung gesetzt, Kreuze und Gedenktafeln errichtet. In das Geflecht des engen Miteinanders sind die Sudetendeutschen in ihrer Vielfalt eingebunden und selbst initiativ geworden. Das erfüllt mich als Schirmherr mit Freude. Die Sudetendeutschen wollen ehrlich und aufrichtig Brücken bauen. Sie suchen den Dialog. Es geht zwischen unseren Ländern um beides, die ehrliche Beschäftigung mit der Vergangenheit und die Gestaltung der Zukunft.“ (ACSP, PS I Seehofer RS 2010: 1219). Seitdem ist viel geschehen, unter anderem hat Bayern eine eigene Repräsentanz in Prag eröffnet und in Sachen Infrastruktur, Wirtschaft und Bildung arbeitet man eng zusammen.

“Kein Unrecht, und mag es noch so groß gewesen sein, rechtfertigt anderes Unrecht. Verbrechen sind auch dann Verbrechen, wenn ihm andere Verbrechen vorausgegangen sind.”

Roman Herzog, ehemaliger Bundespräsident

Die nationalsozialistischen Verbrechen der Deutschen ebenso wie die nach Kriegsende 1945 erfolgten Vertreibungen, Enteignungen und Ausbürgerungen der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei haben tiefe Gräben zwischen Tschechien und Deutschland hinterlassen, die ein weiteres Bemühen um gegenseitige Aussöhnung erfordern. Seehofer schloss seine Rede daher mit einer Aufforderung, die auch heute noch ein Auftrag für die Politik ist und nichts an ihrer Aktualität verloren hat: „Lassen Sie uns den Weg von einer guten zu einer versöhnten Nachbarschaft mutig gehen.“ (ACSP, PS I Seehofer RS 2010: 1219)

 

Quellen:

ACSP, PS I Seehofer RS 2010: 1219.

ACSP, PS I Stoiber RS 2000: 0611.

Kontakt

Leiter: Dr. Christian Petrzik
Archiv für Christlich-Soziale Politik (ACSP), Politisch-historische Fachbibliothek
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