Argentiniens Kettensägen-Massaker
Der Wandel unter Präsident Javier Milei
Dieser Artikel wird in Kürze in der neuen Ausgabe unseres Magazins “politicus” erscheinen.
Weniger Staat, mehr Eigeninitiative: Argentiniens Präsident Javier Milei
Imago / xGagexSkidmorex
Am 19. November 2023 wählte Argentinien einen neuen Staatspräsidenten. Der Wahlsieger Javier Milei profitierte in erster Linie von der Wut vieler Argentinier auf das politische Establishment.
Seit seinem Amtsantritt am 10. Dezember 2023 versucht Milei, Argentiniens Wirtschaft mit einem knallharten Sanierungsprogramm zu retten. Er will die Wirtschaft deregulieren und entbürokratisieren, den Staat auf ein Minimum reduzieren.
Mileis wirtschafts- und finanzpolitische Erfolge
Laut der nationalen Statistikbehörde INDEC belief sich die jährliche Inflationsrate im Januar 2024 auf 254,2 Prozent und im Mai 2025 auf 43,5 Prozent.
Quelle: Eigene Darstellung auf der Basis der folgenden Datei: https://estudiodelamo.com/inflacion-argentina-anual-mensual/
Einem Bericht der Börse von Rosario zufolge hat Argentinien das Jahr 2024 zum ersten Mal seit 2010 mit einem doppelten Überschuss abgeschlossen (Überschuss im Staatshaushalt und in der Handelsbilanz). Die Talsohle der Konjunktur scheint erreicht zu sein. Uneinigkeit besteht darüber, wie stark und wie nachhaltig der Aufschwung ausfallen wird. Laut OECD sollen dem Rückgang des BIP in 2023 um 1,6 Prozent und in 2024 um 1,7 Prozent eine Erholung in 2025 um 5,2 Prozent und in 2026 um 4,3 Prozent folgen.
Am 8. Juli 2024 trat das Kernstück der argentinischen Wirtschaftsreform in Kraft. Es handelt sich um das sogenannte Basisgesetz, das unter anderem die staatliche Unterstützung von Großinvestitionen vorsieht. Vorerst haben die Forcierung der Öl- und Gasförderung sowie die Schaffung einer dem Export von Öl und Gas dienenden Infrastruktur Priorität. Für den von den Europäern bevorzugten grünen Wasserstoff fehlt noch immer der gesetzliche Rahmen, den es in den Nachbarländern Argentiniens längst gibt.
Mehrere internationale Organisationen haben für Argentinien Finanzpakete in Höhe von insgesamt bis zu 42 Milliarden US-Dollar geschnürt. Der Internationale Währungsfonds IWF wird Argentinien mit einem Finanzpaket in Höhe von 20 Milliarden US-Dollar unter die Arme greifen. Argentinien ist der größte Schuldner des Fonds und steht bei ihm bereits jetzt mit mehr als 44 Milliarden US-Dollar in der Kreide. Die Weltbank steuert zwölf Milliarden US-Dollar bei. Die Interamerikanische Entwicklungsbank (Banco Interamericano de Desarrollo – BID) hat bis zu zehn Milliarden US-Dollar in Aussicht gestellt.
Die neuen Milliardenkredite verschaffen der Milei-Regierung den nötigen Spielraum, die bislang strengen Devisenkontrollen zu lockern und geben ihr eine echte Chance, den strukturellen, seit Jahrzehnten anhaltenden Verfall zu überwinden.
Der Preis der Reformen
Mileis wirtschafts- und finanzpolitische Erfolge sind teilweise auf den Einsatz der „Kettensäge“ zurückzuführen, die er auch symbolisch im Wahlkampf zeigte. Die Zahl der Ministerien wurde halbiert, die Sektoren Gesundheit und Erziehung, Energie und Verkehr werden kaum noch bezuschusst.
Der Anstieg der Renten bleibt hinter dem Anstieg des Preisniveaus zurück. Viele Rentner sind auf die Unterstützung durch ihre Kinder und Enkel angewiesen und/oder gezwungen, Gelegenheitsjobs anzunehmen, um ihr Einkommen aufzubessern. Da die Renten den größten Posten im Staatshaushalt ausmachen, sind sie mit am meisten von der Sparpolitik der Regierung betroffen.
Auch bei der Finanzierung der staatlichen Universitäten beharrt Milei auf seiner radikalen Sparpolitik. Ein höchst sensibles Thema, denn die kostenlose öffentliche Universität ist eine Ikone der argentinischen Gesellschaft, insbesondere der Mittelschicht. Milei ist der Ansicht, dass die Mittelschicht die Ausbildung ihrer Kinder selbst finanzieren kann, und dass die Armen von kostenlosen Universitäten relativ wenig profitieren, weil es die meisten ihrer Kinder ohnehin nicht bis dorthin schaffen.
Die argentinische Regierung kontrolliert den Devisenmarkt. Die Abwertung des Pesos ging bisher langsamer vonstatten als der Anstieg des Preisniveaus, was eine sukzessive Aufwertung der Landeswährung zur Folge hatte. Mittlerweile hat sich Argentinien aufgrund des starken Pesos zum teuersten Land Südamerikas entwickelt.
Die bisher kaum verbesserte persönliche Situation der meisten Argentinier führt seit Jahresbeginn 2025 zu einer Abnahme der Popularität Mileis. Aber auch andere Faktoren spielen diesbezüglich eine wichtige Rolle. Ein Beispiel ist der Skandal um die Kryptowährung $Libra, die Milei im Februar 2025 in den Sozialen Medien bewarb. Mit ihr machten einige wenige sehr schnell sehr viel Geld, während Tausende nach deren Absturz in nur wenigen Stunden ihre Ersparnisse verloren.
Die außenpolitische Komponente
Nach dem Amtsantritt Mileis wurde auch die Außenpolitik des Landes neu ausgerichtet. Argentinien vollzog eine Kehrtwende und positioniert sich nun an der Seite der USA und Israels. Deutschland und Europa sehen in Milei einen wichtigen Verbündeten, zumal er sich gegen einen Beitritt zur China-dominierten BRICS und für eine Assoziierung mit der OECD und damit für eine regelbasierte internationale Wirtschaftsordnung entschieden hat.
Milei kritisiert die Vereinten Nationen scharf, der Agenda 2030 (Nachhaltigkeit, Armutsbekämpfung und ökonomische Entwicklung), dem Klimaschutz-Übereinkommen von Paris und dem UN-Zukunftspakt steht er ablehnend gegenüber.
Schwierige Konsensfindung
Mileis politisches Grundproblem besteht darin, dass sein aggressiver Umgang mit den etablierten Politikern, einer Gruppe, die er „die Kaste“ nennt, für seine Popularität bedeutend ist. Er ist aber auf die Unterstützung genau dieser Politiker angewiesen, um tiefgreifende Reformen durchzusetzen, da seine Partei La Libertad Avanza im Argentinischen Nationalkongress über weniger als 15 Prozent der Sitze verfügt.
Milei will die langfristige Haushaltskonsolidierung unter anderem durch die Reformierung des Steuerwesens sicherstellen. Auch die Rentenformel bedarf dringend einer Überarbeitung. Für all dies ist die Zustimmung des Nationalkongresses erforderlich.
Bildgalerie
Kontakt
Projektleitung