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Aktuelle Studie aus Israel
Am Puls der deutsch-israelischen Beziehungen

Autor: Prof. Dr. Gisela Dachs

Wie sehen sich Deutsche und Israelis? Eine neue Studie bietet Einblicke zu politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Einschätzungen bei unterschiedlichen Bevölkerungs- und Altersgruppen in beiden Ländern. Das vom Projektbüro Jerusalem der HSS unterstützte neue Barometer des Europäischen Forums und des DAAD-Zentrums für Deutschland-Studien an der Hebräischen Universität Jerusalem hat die gegenseitigen Wahrnehmungen von Israelis und Deutschen gemessen.

Austausch über die aktuelle Studie HU-EF Barometer - Israelis' Perceptions of Europe and Germany and Germans' Perceptions of Israel mit Dr. Tamara Or (Deutsch-Israelisches Zukunftsform), Carsten Ovens (ELNET), Prof. Dr. Gisela Dachs (Hebräische Universität Jerusalem) und Dr. Daniel Mahla (LMU München) in Berlin.

Austausch über die aktuelle Studie HU-EF Barometer - Israelis' Perceptions of Europe and Germany and Germans' Perceptions of Israel mit Dr. Tamara Or (Deutsch-Israelisches Zukunftsform), Carsten Ovens (ELNET), Prof. Dr. Gisela Dachs (Hebräische Universität Jerusalem) und Dr. Daniel Mahla (LMU München) in Berlin.

Henning Schacht

Soeben wurde eine Studie zu den bilateralen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland veröffentlicht: HU-EF Barometer - Israelis' Perceptions of Europe and Germany and Germans' Perceptions of Israel. Hierzu konnte neben aktuellen Befragungen auch auf Datensätze der Hebräischen Universität aus den vergangenen 30 Jahren zurückgegriffen werden. Das ermöglicht die Erfassung von Langzeitentwicklungen und Analysen. Dabei wurde festgestellt, dass mehr israelische als deutsche Befragte die Beziehungen zwischen den Ländern als normal ansehen und etwa die Hälfte der israelischen wie der deutschen Befragten sich Berlin als Vermittler im Nahen Osten wünschen.

Insbesondere Akteure der bilateralen Zusammenarbeit, Regierungs- sowie Nichtregierungsorganisationen sowie das akademische und politische Publikum zeigten sich dankbar für die Studie als wissenschaftliche Datengrundlage, mit der sie ihre Arbeit unterfüttern und weiterentwickeln können.

Sämtliche Ergebnisse sind auf https://openscholar.huji.ac.il/hu-ef.barometer abrufbar.

Zur aktuellen Situation

Für die aktuelle Beziehung zwischen Israel und Deutschland ist bezeichnend, dass nur wenige Monate nach seiner Amtseinführung Bundeskanzler Olaf Scholz am 2. März 2022 nach Israel gereist ist. Ihm sei es wichtig gewesen, so betonte er, seinen Antrittsbesuch in Jerusalem trotz des Krieges in der Ukraine durchzuführen. Auch habe er diesen auf eigenen Wunsch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem beginnen wollen. Wenig später präsentierte sich Scholz dann gemeinsam mit seinem israelischen Amtskollegen Naftali Bennet vor den Kameras im King David Hotel.

Als Bennett die Frage gestellt worden war, wie er denn zu der innenpolitischen Wende stehen würde, die Scholz mit seiner Parlamentsrede vom 27. Februar einleitete und die unter anderem ein Aufrüsten Deutschlands beinhalte, zog er einen Vergleich zwischen beiden Ländern: Deutschland sei ein Anker der Verantwortung und Stabilität in Europa, so wie Israel ein Anker der Verantwortung und Stabilität im Nahen Osten sei.

Da wusste vermutlich noch keiner von beiden, dass sie sich bereits wenige Tage später in Berlin wiedersehen würden. Bei einem Vermittlungsversuch war Bennett kurzerhand zum russischen Präsidenten nach Moskau geflogen und anschließend direkt nach Berlin.

Rund 77 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist ein solches Vorgehen alles andere als selbstverständlich, aber es verweist auf die außerordentliche Tragfähigkeit der aktuellen deutsch-israelischen Beziehungen auf höchster politischer Ebene.

Wie nimmt sich die Bevölkerung gegenseitig wahr?

Um zu eruieren, wie die gegenseitigen Beziehungen bei den Bevölkerungen auf beiden Seiten wahrgenommen werden, ließ das Europäische Forum der Hebräischen Universität in Jerusalem - mit Unterstützung der Hanns-Seidel-Stiftung – nach den Bundestagswahlen vom September 2021 repräsentative Umfragen in Israel und Deutschland durchführen.

Die Umfrage in beiden Ländern wurde unter der Leitung von Prof. Dr. Gisela Dachs vom European Forum at the Hebrew University of Jerusalem vorbereitet.

In Israel wurden 1.006 Männer und Frauen im Zeitraum vom 05. bis zum 26. Oktober 2021 bei sich Zuhause interviewt. Die Befragungen wurden durchgeführt vom PORI-Institut (Public Opinion Research Institute). In Deutschland wurden im selben Zeitraum 1.011 Männer und Frauen von h1 medienanalyse/infas telefonisch befragt.

Bei den Fragen ging es um Einstellungen und Verhalten dem anderen Land gegenüber. Die Ergebnisse, die am 14. März 2022 bei einer Veranstaltung der HSS in Berlin vorgestellt wurden, zeichnen ein komplexes Bild der gegenseitigen Wahrnehmung.

Dabei muss berücksichtigt werden, dass in dieser Hinsicht in beiden Ländern andere Gruppenzugehörigkeiten eine Rolle spielen. So verlaufen die Bruchlinien in Deutschland etwa in Bezug auf Alter, Geschlecht, neue und alte Bundesländer ebenso wie der Frage nach Migration, während in Israel zwischen jüdischen und arabischen Staatsbürgern unterschieden wird und unterschiedlichen Graden an (jüdischer) Religiosität. Im Allgemeinen lässt sich dabei sagen, dass eine positive Haltung gegenüber Deutschland abnimmt, je stärker die religiöse Bindung ist.

Wichtige Ergebnisse der Studie zu Politik, Gesellschaft, Kultur und Religion, sind hier zusammengefasst. Künftig soll in regelmäßigen Abständen eine solche Studie wiederholt werden.

Eine Auswahl der Ergebnisse:

Politik

  • Die meisten Befragten in Israel (70 Prozent) bezeichnen die gegenwärtigen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland als normale (ein feststehender Ausdruck) bilaterale Beziehungen und halten Deutschland für ein anderes Land als vor 1945 (...). In Deutschland wiederum halten nur 54 Prozent der Befragten die Beziehungen ihres Landes zu Israel für normal. Allerdings denken nur 43 Prozent der Frauen so.
  • Eine Mehrheit in beiden Ländern geht davon aus, dass auch die neue Regierung in Deutschland im Hinblick auf Israel die Politik von Kanzlerin Angela Merkel weiterverfolgt, einschließlich ihrer 2008 geprägten Definition, „die Sicherheit Israels sei Teil der deutschen Staatsräson“.
  • Die meisten (jüdischen) Befragten in Israel glauben, dass die Erinnerung an den Holocaust in Deutschland einen positiven Einfluss auf die deutsche Politik gegenüber ihrem Land hat. Viele (56 Prozent) gehen allerdings auch davon aus, dass die Erinnerung an den Holocaust in Deutschland künftig abnehmen oder verschwinden wird.
  • In Deutschland empfindet ebenfalls eine Mehrheit der Befragten, dass der Holocaust die deutsche Politik beeinflusst und die Haltung Deutschlands im Verhältnis zu Israel - verglichen mit anderen Ländern - positiver ist. 40,7 Prozent glauben, dass sich die Erinnerung an den Holocaust in Deutschland in der nahen Zukunft verändern wird. Insgesamt hält es sich etwa die Waage zwischen Personen, die erwarten, dass die Erinnerung gleichbleiben (44,8 Prozent) und Personen, die davon ausgehen, dass die Erinnerung schwächer werden wird (40,7 Prozent).
  • Jeweils nur kleine Teile erwarten, dass die Erinnerung stärker (5,3 Prozent) oder verschwinden wird (5,7 Prozent).
  • Der Blick auf die Gruppenunterschiede offenbart leichte Abweichungen von diesen Einschätzungen. So geht die Mehrheit der Männer eher davon aus, dass die Erinnerung schwächer werden wird, wohingegen die Frauen fast zur Hälfte der Meinung sind, dass die Erinnerung gleichbleiben wird. Ähnlich gestaltet sich auch der Unterschied zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund. Letztgenannte erwarten eine schwindende Erinnerung, während Personen mit Migration zu 52,6 Prozent davon ausgehen, dass die Erinnerung gleichbleiben wird.
  • Eine Mehrheit der jüdischen Befragten in Israel hält Merkels Entscheidung von 2015 hinsichtlich der Aufnahme von vielen Flüchtlingen für einen Fehler. Als Begründung wird die Stärkung radikaler Islamisten angegeben oder der demografische Wandel innerhalb Deutschlands. Arabische Befragte in Israel wiederum begrüßen mehrheitlich (61 Prozent) Merkels Entscheidung.
  • Die Hälfte der Befragten in Israel wünscht sich, dass Deutschland eine Vermittlerrolle zwischen Israel und anderen Ländern im Nahen Osten übernimmt. Unter den Befragten in Deutschland wünscht sich das ebenfalls die Hälfte, aber 40,5 Prozent lehnen das ab. Eine solche diplomatische Rolle wird jedoch viel stärker von den Jüngeren (54,5 Prozent der 18 bis 40-Jährigen) als von den 41 bis 60-Jährigen (42,3 Prozent) gefordert. Bei den über 60-Jährigen steigt die Zahl dann wieder an (52,2 Prozent).
  • Etwas mehr als die Hälfte der Befragten in Deutschland findet es richtig, dass die deutsche Bundesregierung während des Israel-Gaza-Konflikts im Mai 2021 erklärte, Israels Recht auf Selbstverteidigung zu unterstützen. Detailliert betrachtet, stimmen dieser Erklärung mehr Männer als Frauen zu, mehr Befragte aus dem Westen als aus dem Osten und mehr Befragte ohne als solche mit Migrationshintergrund.  
  • 58 Prozent der Befragten in Deutschland betrachten aktuell den Antisemitismus (heute) in ihrem Land als Problem. Dieser wird mehrheitlich (72 Prozent) im rechten politischen Lager verortet, aber auch 70,2 Prozent verorten ihn bei der gesamten Bevölkerung, 58 Prozent bei der muslimischen Minderheit. Insgesamt sind es mehr Befragte aus den alten Bundesländern, die Antisemitismus als ein Problem betrachten. In den neuen Bundesländern sind es vor allem die Männer, die mit nur 38,5 Prozent Antisemitismus als Problem sehen.
  • 66 Prozent der Befragten in Deutschland sind der Meinung, Israel könne kritisiert werden, ohne dass dabei Antisemitismus eine Rolle spielen müsse. In Israel denkt eine Mehrheit ähnlich. Zwei Drittel der Befragten hält Kritik an ihrem Staat nicht automatisch für antisemitisch, sieht aber, zumindest manchmal, eine Verbindung zwischen beidem. Fast die Hälfte der arabischen Befragten in Israel stellt dabei keinerlei Zusammenhang her.

Landeskenntnisse

  • Nur eine Minderheit beider Länder hat das andere Land besucht (30 Prozent der israelischen Befragten und 13,6 Prozent der deutschen Befragten). Von den israelischen Befragten war die Hälfte jener, die Deutschland besucht haben, schon öfter als einmal dort gewesen. Auf deutscher Seite kommen die meisten aus den alten Bundesländern, haben keine Migrationsgeschichte und sind im Durchschnitt 63 Jahre alt. Ihre persönliche Erfahrung haben die deutschen Befragten vor allem bei Urlaubs- und Erholungsreisen in Israel gesammelt, seltener bei Geschäftsreisen oder religiösen Reisen.
  • Der Zugang zur und das Wissen um die Kultur des anderen Landes ist auf beiden Seiten begrenzt. Auf israelischer Seite sind es nur 22 Prozent, die mit der Kultur Deutschlands in Kontakt gekommen sind, darunter Sport und Musik. Nach zeitgenössischen israelischen Kulturangeboten gefragt, zeigt sich, dass es den deutschen Befragten schwerfällt, israelisch und jüdisch klar voneinander abzugrenzen. Während Produkte aus Film und Fernsehen am häufigsten genannt werden, handelt es sich dabei augenscheinlich in vielen Fällen um Gezeigtes über Israel (oder Judentum/jüdisches Leben), seltener aber um originär israelische Kulturprodukte.
  • Danach gefragt, ob sie deutsche Produkte kaufen würden, geben sich zwei Drittel der israelischen Befragten als unbefangen, 9 Prozent bevorzugen jene sogar. Nur 7 Prozent sagen, dass sie solche Produkte vermeiden. 60 Prozent der israelischen Befragten haben überhaupt kein Problem mit der deutschen Sprache in der Öffentlichkeit, weniger als 20 Prozent fühlen sich davon grundsätzlich gestört. Etwa ein Fünftel der Befragten hat Verwandte oder Freunde, die in Deutschland leben, rund 60 Prozent finden es in Ordnung als Israeli dort zu leben.  

Jüdisches Leben in Europa

  • Israelische Befragte machen sich auch Sorgen über die Zukunft jüdischen Lebens in Europa insgesamt. 53 Prozent der jüdischen Befragten gehen davon aus, dass sich die Lage der Juden verschlechtert, nur ein Viertel denkt, dass die Dinge so bleiben wie sie sind. Je älter die Befragten und je religiöser, desto pessimistischer ist ihre Einschätzung. Unter arabischen Befragten glauben 52 Prozent, dass die Lage der Juden in Europa gleichbleibt oder sich sogar verbessert (20 Prozent).
  • Fast 80 Prozent der jüdischen Befragten können wenigstens ein europäisches Land mit einer positiven Haltung gegenüber Israel nennen. Deutschland gehört – gemeinsam mit Griechenland – zu den beiden Staaten an der Spitze der meist genannten Länder.