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Interview mit StM Judith Gerlach, MdL
Die Pandemie und das Internet

Wir freiheitsliebenden Europäer, wir Reisende, wir Globalisten erleben gerade Unglaubliches: Ausgangsbeschränkungen wie in Kriegszeiten, Einschränkungen der Grundrechte, wackelnde Lieferketten, Lautsprecherdurchsagen von Feuerwehr und Polizei. Die Corona Pandemie wird als kollektive Zäsur erinnert werden. Im Interview fragen wir Staatsministerin Judith Gerlach, wie die Krise unsere Gesellschaft verändert und was das Internet damit zu tun hat.

Dem Kindergartenkind wird via Youtube ein Buch vorgelesen, das Schulkind bekommt Materialien über Lernplattformen wie MEBIS und chattet mit seinen Lehrern, Jugendliche organisieren Nachbarschaftshilfe für Ältere digital, Eltern arbeiten im Homeoffice, die Kirchengemeinden streamen ihre Gottesdienste, Künstler veranstalten Facebook-Konzerte, Großeltern whatsappen, chatten, skypen und videotelefonieren mit Kindern und Enkeln… das Internet ist als das Betriebssystem unserer Gesellschaft für alle spürbar. Die bayerische Digitalministerin, Judith Gerlach, MdL, sieht die Krise auch als Chance für die Digitalisierung.

Junge Frau mit verbindlichem, ernstem aber gleichzeitig herzlichen Blick in einem Sessel.

Judith Gerlach ist seit 2002 CSU-Mitglied. Die Würzburgerin beendete 2010 ihr Jura-Studium und absolvierte bis 2013 ihr Referendariat in ihrer Heimatstadt. Seit 2013 ist sie zugelassene Rechtsanwältin und wurde im Oktober in den Bayerischen Landtag gewählt. Seit November 2018 ist sie die Bayerische Staatsministerin für Digitales.

Joerg Koch; ©StMD

HSS: Frau Ministerin, vieles was gerade funktioniert, läuft online aber auch die Defizite in der Digitalisierung werden schonungslos offengelegt. Wie können wir Bayern jetzt digital voranbringen?

Judith Gerlach MdL: Natürlich ist die Corona-Krise zunächst mal eine Katastrophe, die sich keiner gewünscht hätte. Viel persönliches Leid ist damit verbunden. Viele Menschen stehen unverschuldet vor den Trümmern ihrer wirtschaftlichen Existenz. Aber es stimmt, in dieser Notsituation sind uns die vielfältigen digitalen Möglichkeiten eine große Stütze. Die Tools sind dabei meistens gar nicht neu. Das Besondere ist nun, dass diese quer durch alle Bevölkerungsschichten und Lebensbereiche genutzt werden. Was früher undenkbar war, wird jetzt einfach gemacht: Das gemeinsame Osterfrühstück mit den Großeltern über Skype. Homeoffice von ganzen Unternehmen. Oper und Ballett im Live-Stream. Schulunterricht über das Internet. Klar, manchmal holpert es noch, aber der Stein ist ins Rollen gekommen. Wir als bayerisches Digitalministerium wollen hier unterstützen, wo es geht.

HSS: Globale digitale Monopole, Smartphonesucht bei Kindern und Jugendlichen, Onlineradikalisierung und gesellschaftliche Spaltung durch Filterblasen, Fake News usw. Wie können wir mit den Schattenseiten der Digitalisierung umgehen?

Ich finde, gerade diese Krise hat gezeigt, wie unverzichtbar das Internet ist. Und eben auch, dass damit viel Gutes erreicht werden kann. Ich denke an die schönen Beispiele wie die digitale Nachbarschaftsaktion #bayerngemeinsam oder die Initiative zur Unterstützung örtlicher Geschäfte #supportyourlocal, die den großen Zusammenhalt in dieser schwierigen Zeit zeigen. Zudem konnten in der Corona-Krise viele betroffene Arbeitsplätze sehr schnell durch eine digitale Anbindung ins Homeoffice verlegt werden.

Im Kampf gegen Fake News hat die EU im Zuge von Corona erstmals ihr Schnellwarnsystem aktiviert, um Desinformationen möglichst schnell einzudämmen. Einige Online-Plattformen reagieren inzwischen ebenfalls. Zuverlässige Nachrichtenquellen werden prominenter platziert, schädliche Inhalte gelöscht. Da geht aber sicher noch mehr. Und ich sage auch ganz klar: Das beste Schutzsystem gegen Fake News sind wir selbst. Indem wir Meldungen kritisch lesen. Nicht alles Teilen. Auf offizielle Kanäle vertrauen. Das ist nicht immer einfach. Für mich ist deshalb für die Zukunft wichtig, dass wir die Digitalkompetenz in allen Altersstufen noch mehr fördern.

HSS: Gerade sind alle angehalten, statt persönlich in Meetings zu sitzen oder an Veranstaltungen teilzunehmen besser digitale Varianten zu wählen. Wie ist es aber mit Behördengängen, die immer noch oft persönliche Anwesenheit vorschreiben?

Mit dem BayernPortal stehen wir im Vergleich zu den anderen Bundesländern zwar relativ gut da. Viele Verwaltungsleistungen sind schon online. Aber leider eben noch nicht alle. Das war schon früher ein lästiges Problem. Seit der Corona-Krise sind aber manche Angebote der Behörden nur noch mit großen Mühen erreichbar.

Um hier Abhilfe zu schaffen, setzt Bayern auf ein gestuftes Vorgehen. Die wichtigsten Corona-relevanten Anträge werden kurzfristig von den zuständigen Ressorts in digitaler Form und ohne unnötigen bürokratischen Aufwand bereitgestellt. Beispiele sind die Corona-Soforthilfen für die Wirtschaft oder der Antrag auf den Bayerischen Pflegebonus.

Gleichzeitig beschleunigen wir die Digitalisierung der Verwaltung insgesamt noch einmal erheblich. Eine besonders wichtige Zielgruppe sind für uns Unternehmen, die um ein Vielfaches mehr Verwaltungskontakte haben als Privatpersonen. Hier werden wir in Bayern die Pilotierung des ELSTER-basierten Unternehmenskontos für Deutschland in diesem Jahr noch einmal vorziehen. Ein erster Portalpilot wird schon in diesem Jahr ans Netz gehen.

Aber auch Bürger sollen künftig ihre ELSTER-Zertifikate aus der Steuer auch für alle anderen Verwaltungsleistungen nutzen können. Damit gehören viele verpflichtenden Vor-Ort-Termine der Vergangenheit an. Hier steht Bayern in den Startlöchern und wartet nur noch auf die entsprechenden Rechtsänderungen durch den Bund. Schließlich treiben wir auch den Ausbau nutzerfreundlicher mobiler Verwaltungsangebote mit Hochdruck voran.

HSS: In den Ballungsräumen klappt Videotelefonie hervorragend, auf dem Land bleibt oft bloß das Telefon. Wie wird Bayern darauf reagieren?

Die digitale Infrastruktur ist tatsächlich ein wunder Punkt. Das ist uns schon länger bewusst und wir haben dazu mit dem bayerischen Breitbandförderprogramm auch eine passende Antwort – das größte Glasfaserausbau-Projekt in ganz Deutschland! 2,5 Mrd. Euro gehen in den Breitbandausbau. Wir investieren auch massiv in den Mobilfunk, um in ganz Bayern gigabitfähige Infrastruktur zu haben. Das ist ein wichtiger Beitrag für gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land.

Natürlich wäre es mir lieber, wenn wir hier schon weiter wären. Aber gerade bei der Mobilfunkversorgung muss man klar sagen, dass es nicht am Geld scheitert. Wir garantieren: Jeder von den Kommunen gewünschte Mast in unversorgten Regionen wird finanziert. Ich würde mich freuen, wenn wir die blockierende „Not in my backyard“ - Mentalität hinter uns lassen können. Um die Lücken im Mobilfunknetz zu schließen, stellen wir für den Bau von Mobilfunkmasten zusätzlich jede geeignete staatliche Liegenschaft zur Verfügung.

HSS: Die Pandemie wird, da sind sich Wissenschaft und Politik einig, gravierende wirtschaftliche Konsequenzen haben. Die Wirtschaft wird von der bayerischen Staatsregierung massiv unterstützt, die bunte Kreativ- und Kunstbranche in Bayern ist aber genauso existenziell bedroht. Sie sind als Ministerin auch für die Filmbranche zuständig. Wie können wir Bayerns Kreativen helfen?

Zum einen gelten die allgemeinen Corona-Hilfen für Unternehmen mit bis zu 50.000 € Soforthilfe natürlich auch für die Filmbranche. Zusätzlich legen wir gemeinsam mit dem Bund und den anderen Ländern einen Soforthilfefonds im Umfang von bis zu 15 Millionen Euro für die Filmbranche auf. Der „FilmFernsehFond Bayern“ (FFF Bayern) beteiligt sich daran mit bis zu 1,4 Millionen Euro und hilft, damit die Unterstützung schnell und unbürokratisch bei den betroffenen Unternehmen ankommt.

Künstler und Kreative bereichern unser kulturelles Leben auf vielfältige Weise. Für viele geht es jetzt um die Existenz. Wir schauen deshalb auch auf diejenigen, die keine eigene Betriebsstätte haben. Mit einem eigenen Hilfsprogramm unterstützen wir soloselbständige Künstler mit Lebenskostenzuschüssen von drei Mal 1.000 Euro.

Bayern ist ein Kinoland – und das soll auch in der Zukunft so bleiben. Dazu müssen wir als Staat jetzt den Kinobetreibern tatkräftig zur Seite stehen. Neben den allgemeinen Nothilfeprogrammen für Unternehmen helfen Sofortprämien, die an möglichst viele Kinos gehen. Zusätzlich ist eine Erhöhung der Programmprämien ein wichtiges Mittel. Beides machen wir in Bayern und nehmen dafür insgesamt über 2 Millionen Euro in die Hand. Schnell und unkompliziert, damit das Geld bei den Kinobetreibern ankommt. Aber auch der Bund darf die Kinos bei dieser Herausforderung nicht allein lassen. Ich halte es für dringend erforderlich, dass auch Bundeshilfen für die Kinos aufgesetzt werden.

HSS: Die bayerische Staatsregierung hat noch im Februar die Hightech Agenda, ein milliardenschweres Technologieförderungs- und Wissenschaftstransferprogramm auf den Weg gebracht. Lässt sich aus Ihrer Perspektive absehen, ob dieser Sprung Bayerns in die Super-Tech- und KI-Zukunft durch die Pandemie beeinträchtigt werden wird?

Es ist schwierig, jetzt schon so weitreichende Einschätzungen zu treffen. Zu einmalig ist die Situation, zu massiv die Auswirkung in Gesellschaft und Wirtschaft. Jedoch haben wir mit der Hightech Agenda wohlüberlegt die Weichen für die Zukunft gestellt – und die Zukunft trägt für uns eine klare „digitale“ Handschrift. Das gilt weiterhin, wenn nicht sogar viel mehr. Die Corona-Krise zeigt uns ja, wie wichtig die digitale Transformation ist.

Mir liegt deshalb sehr am Herzen, dass wir nicht nur versuchen den Status Quo wiederherzustellen, sondern digitale Ansätze gleich von Anfang an stärker berücksichtigen. Künstliche Intelligenz, CleanTech und weitere SuperTechs können hier die Basis für unseren zukünftigen Erfolg sein. So helfen und begleiten wir vor allem unseren Mittelstand, das Rückgrat unserer Wirtschaft, auf dem schwierigen Weg aus der Krise.

HSS: Über 28.000 Menschen haben sich am Aufruf der Bundesregierung #wirvsvirus, einem Hackathon, beteiligt. In 48h entstanden 1.500 Ideen, wie Deutschland stärker aus der Krise hervorgehen kann. Kann uns das Internet, trotz aller Geburtsfehler, retten?

Nicht das Internet rettet uns, sondern die Menschen. Allen voran diejenigen, die derzeit an vorderster Front im Gesundheitswesen für das Wohl unserer Gesellschaft kämpfen. Aber natürlich ist es schön zu sehen, wie unsere Gesellschaft in der Corona-Krise zusammensteht und mithilft. Der Hackathon ist ein wunderbares Beispiel dafür, was möglich ist, wenn engagierte, kluge und kreative Menschen und moderne Tools zusammenkommen. Das ist für mich das nächste Level von Bürgerbeteiligung. Dieses Mindset sollten wir uns unbedingt für die Zukunft bewahren.

HSS: Herzlichen Dank Frau Ministerin! Wir wünschen Ihnen alles Gute!