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Analyse zur Landtagswahl in Bayern am 14. Oktober 2018
Bayern hat gewählt: Die Landtagswahl ist eine Zäsur mit Kontinuität

Unser Leiter Grundsatzfragen der Politik, Parteien- und Wahlforschung, Dr. Gerhard Hirscher analysiert die Landtagswahl. Sein Fazit: Das Ergebnis ist ein Rückschlag für die CSU, aber es hätte schlimmer kommen können. So ist die Bildung einer bürgerlichen Regierung aus CSU und Freien Wählern möglich, was für mehr Kontinuität in der Regierung sorgen dürfte als andere Konstellationen.

Es wird ein Wahlschein in eine graue Wahlurne eingeworfen

Bayernwahl spiegelt Bundes-Wahltendenzen wider

HSS; HSS; HSS1

Die Landtagswahl steht im Kontext des Wahlverhaltens in Deutschland und Europa

Die Landtagswahlen in Bayern ergaben ein historisches Resultat: Ein Wert für die bisher allein regierende CSU, der ihr ein alleiniges Weiterregieren aus eigener Kraft nicht ermöglichte und der ein Rekordminus für die Partei seit 1950 darstellte. Insgesamt aber ist das Ergebnis im Einklang mit den Tendenzen des Wahlverhaltens in Deutschland sowie in Europa - und die sind heute auch für Bayern maßgeblich. Zu nennen ist grundsätzlich eine hohe Volatilität im Wahlverhalten, die dafür sorgt, dass von Wahl zu Wahl weitaus höhere Ausschläge möglich sind als in früheren Jahrzehnten. Diese Erfahrung haben in den letzten Jahren alle Parteien machen müssen. Das bedeutet auch, dass demoskopische Hoch- oder Tiefstände einige Zeit vor Wahlentscheidungen nicht unbedingt einen Rückschluss auf das tatsächliche Wahlergebnis zulassen. Dies und die höhere Wechselbereitschaft führte zu einer immer größeren Dekonzentration im Parteiensystem, was auch die Koalitions- und Regierungsbildung nicht einfacher macht. Es gibt immer mehr Koalitionsoptionen – vor der Bayernwahl 13 verschieden Konstellationen in den 16 Bundesländern – und bei rückläufiger Stärke der großen Parteien immer mehr die Notwendigkeit zur Bildung von Koalitionen aus drei Partnern. Ob diese grundsätzlich instabiler sind, wird erst die Zukunft zeigen.

Diese Entwicklung, die auch in Bayern vor der Wahl durchaus realistisch erschien, hat ihre Wurzel auch in den sinkenden Anteilen der großen Parteien in Deutschland: Die Ausschöpfungsquote der klassischen Volksparteien ist rückläufig bei ungebrochenem Trend. Parallel dazu sehen wir die Tendenz, dass sich immer mehr Menschen vorstellen können, neben der von ihnen präferierten Partei auch eine oder sogar mehrere andere Parteien zu wählen. Der klassische Stammwähler ist immer mehr auf dem Rückzug. Die Mobilisierung neuer Wähler wird immer wichtiger.

Dies gilt umso mehr, als die Demografie in Deutschland eine schiefe Verteilung der Wählerschaft zur Folge hat. Die älteren Generationen sind weit überrepräsentiert und gehen auch häufiger zur Wahl als jüngere Bürger. Gerade die Volksparteien, die von der älteren Wählerschaft überproportional profitierten, haben dadurch einen größeren Nachteil, da sie mehr Wähler ersetzen müssen als etwa die Grünen. Aber auch unter den Senioren nimmt die Wechselbereitschaft zu – im fortschreitenden 21. Jahrhundert wählen auch die älteren Mitbürger nicht mehr selbstverständlich CDU oder CSU.

Die Gesellschaften verändern sich

Unsere Gesellschaften verändern sich – und das wohl schneller als in den Jahrzehnten zuvor. Darum nehmen auch alte Prägungen (etwa konfessionelle in den ländlichen Regionen) in der Summe eher ab. Die Wählerschaft in Bayern hat sich strukturell immer mehr dem (west)deutschen Durchschnitt angeglichen – dass wahltechnisch in Bayern „die Uhren anders gehen“ wird heute wohl kein Wahlforscher mehr behaupten. Dies muss man berücksichtigen, wenn darüber diskutiert wird, in welche Richtung Programmdiskussionen gehen sollen – ob man den durchschnittlichen Bayern heute als konservativer bezeichnen kann als den durchschnittlichen deutschen Mitbürger, ist eher fraglich.

Die Wechselbereitschaft ist gestiegen und daran hat auch der Trend zur Personalisierung seinen Anteil. Die Personen und deren Wirkung werden immer wichtiger – nicht zuletzt deswegen, weil die heutige Kommunikations- und Medienlandschaft eine permanente Sichtbarkeit garantiert und auch einfordert. Klassische gewachsene Parteibindungen spielen sicher noch eine Rolle, können aber rascher und intensiver übergangen werden.

Die Wähler werden immer heterogener - Überbrückung gesellschaftlicher Konfliktlinien notwendig

Für die Volksparteien und auch die CSU stellt sich die Herausforderung, in einem heterogener werdenden Wahlvolk weiterhin eine so breite Klammer zu sein, damit sie weiter Volkspartei bleiben kann. Bei der CSU fallen einige Defizitbereiche auf, in denen künftig stärker mobilisiert werden muss: Bei den Frauen, die zwar in der Parteimitgliedschaft bisher unterrepräsentiert waren, aber in den Wählerschaften überdurchschnittlich der CSU die Treue gehalten haben. Ob dies so bleibt, wird sich zeigen. Insbesondere bei den jüngeren weiblichen Jahrgängen (aber bei Jungwählern generell) sind Defizite unübersehbar. Auch die wenig oder gar nicht kirchlich gebundenen Bürger muss die CSU erreichen – die klassische konfessionelle Cleavage wird eine immer geringe Rolle spielen. Daneben hat die CSU insbesondere bei den formal hoch qualifizierten Wählern (die insgesamt auch eine wachsende Gruppe darstellen) längerfristig verloren. Und schließlich gibt es einen wachsenden Anteil von Wählern mit Migrationshintergrund, der sowohl in der Mitgliederschaft als auch in der Wählerschaft noch unterrepräsentiert ist, obwohl grundsätzlich große Teile dieser Gruppen erreichbar wären.

In der nahen Zukunft scheint es wahrscheinlich zu sein, dass die Volatilität im Wahlverhalten erhalten bleibt oder sogar noch zunimmt. Für die Volksparteien und vor allem die CSU gilt es, alte und neue gesellschaftliche Konfliktlinien zu überbrücken, um Mehrheiten bilden zu können. Wenn sich das Volk verändert – ob mental, soziologisch oder ethnisch – dann muss sich auch die Volkspartei verändern, um es in seiner Breite abbilden zu können.

Demoskopische Ausgangslage vor der Landtagswahl war schwierig

Die Landtagswahl vom 14. Oktober 2018 fand vor diesem Hintergrund statt, der große Unsicherheit in der Vorhersage des Ergebnisses mit sich brachte. Die Anzahl der Unentschlossenen war auf einem noch nie da gewesenen Niveau: Am 10. Oktober 2018 veröffentlichte das GMS-Institut auf Sat 1 eine Umfrage, nach der sich 53% als Unentschlossene bezeichneten oder sagten, ihre Wahlabsicht und -teilnahme sei unsicher; nur 38% gaben an, Wahlabsicht und -teilnahme sei sicher. Die Forschungsgruppe Wahlen publizierte am 11. Oktober 2018 Zahlen, wonach sich 42% noch nicht sicher waren, ob und wen sie wählen sollten. Darunter sind möglicherweise Wähler, die sich kurz vor einer wichtigen Entscheidung in einer Umfrage nicht festlegen wollen, aber dennoch einer Partei zuneigen. Dennoch zeigen solche Werte, dass die Wählerschaft von großer Unsicherheit über die politische Entwicklung bis hin zum Wahltag geprägt war. Insofern war durchaus zu erwarten, dass die demoskopischen Werte der letzten Wochen vor dem Wahltermin noch nicht dem endgültigen Ergebnis entsprechen würden.

Die demoskopische Ausgangslage vor der Landtagswahl war alles andere als günstig für Union im Bund und CSU in Bayern. Die Umfragewerte waren nicht nur für die CSU kontinuierlich zurückgegangen; vor allem die Beurteilung der Bundesregierung in Berlin und die sie tragenden Parteien waren in den Wochen vor der Wahl auf Rekordtiefen gesunken. Dem konnte sich die Entwicklung in Bayern nicht entziehen; die Verluste der SPD wie der CSU bei der Landtagswahl entsprechen dem demoskopischen Rückgang der Bundesparteien. Wie bei der Bundestagswahl im Jahr zuvor war die Wahlbeteiligung hoch; sie ist von 63,6% auf 72,4% angestiegen. Die Mobilisierung unter den über 9,5 Millionen Wahlberechtigten ist angestiegen, aber nicht der regierenden CSU zu Gute gekommen. Die Rahmenbedingungen des Wahlverhaltens in Deutschland insgesamt beeinflussen auch das Wahlverhalten in Bayern. Insofern waren die Grundtendenzen des Ergebnisses vom 14. Oktober 2018 absehbar: Die CSU erreichte mit 37,2% ein Rekordminus, blieb aber über den demoskopischen Tiefstwerten der Wochen zuvor. Die Mandatsverteilung brachte ein relativ höheres Resultat in Bezug auf die Mandatsstärke: Ihre 85 Mandate inklusive 10 Überhangmandaten bedeuteten einen Anteil von 41,5% der Mandate im neuen Landtag. Die Grünen holten mit 17,5% ein Rekordergebnis und bestätigten damit den demoskopischen Trend der Wochen zuvor. Sie holten auf Kosten der CSU sechs Direktmandate, davon fünf in München und eines in Würzburg. Die SPD kam noch auf 9,7% und bestätigte den Abwärtstrend der letzten Wochen. Die Freien Wähler kamen auf 11,6%, konnten sich damit klar verbessern und als Koalitionspartner für die CSU präsentieren. Die FDP kam auf 5,1% und konnte den Einzug in den Landtag nur knapp schaffen. Die Linke scheiterte mit 3,2% an der 5%-Hürde. Die AfD schaffte mit 10,2% den Einzug in den Landtag, blieb aber sowohl unter ihrem Resultat der Bundestagswahl als auch unter ihren Erwartungen.

Das Ergebnis zeigt gleiche strukturelle Elemente wie bei der Bundestagswahl 2017

Insgesamt zeigt das Wahlergebnis der CSU dieselben strukturellen Elemente wie bei der Bundestagswahl oder bei der CDU in vielen anderen Landtagswahlen der letzten Jahre. Allerdings scheint es gelungen zu sein, auf den letzten Metern größere Verluste zu verhindern. Angesichts demoskopischer Befunde von bis zu 33% (und bei einem Online-Befragungsinstitut sogar noch leicht darunter) zeigt das reale Ergebnis von 37,2%, dass es der CSU (anders als der SPD) im Schlussspurt gelungen ist, das Ruder noch etwas herum zu reißen. Zwar hat sie (laut den vorläufigen Daten von Infratest dimap) 170.000 Stimmen an die Grünen und jeweils 160.000 an AfD und Freie Wähler verloren sowie noch zusätzlich 40.000 an die FDP, sie hat aber 100.000 Stimmen von der SPD und 270.000 aus dem Nichtwählerlagen holen können. Dies war (laut diesen Zahlen) der höchste Wert aller Parteien und unterstreicht die grundsätzliche Mobilisierungsfähigkeit der CSU. Die höhere Mobilisierung ist aber erneut nur teilweise dem bürgerlichen Lager zu Gute gekommen. Mit Ausnahme der SPD haben auch die anderen Parteien davon profitiert. Die AfD hat erneut – wie bei praktisch allen Wahlen zuvor – den größten Teil ihrer Stimmen von Nichtwählern und den Wählern sonstiger Parteien geholt; der Zuwachs aus der CSU war nur der dritt stärkste Posten. Sie dürfte wie bei vielen Wahlen zuvor auch ohne zugewanderte Stimmen von der CSU über die 5%-Hürde gekommen sein.

Fazit: Rückschlag für die CSU, aber es hätte schlimmer kommen können

Das Ergebnis ist ein Rückschlag für die CSU, aber es hätte schlimmer kommen können. So ist die Bildung einer bürgerlichen Regierung aus CSU und Freien Wählern möglich, was für mehr Kontinuität in der Regierung sorgen dürfte als andere Konstellationen.

Außen- und Sicherheitspolitik
Andrea Rotter, M.A.
Leiterin