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Interview mit Jürgen Lang, Extremismusexperte im Bayerischen Rundfunk
Das Gift dringt in die Mitte

Was verbindet die Spalter am rechten Rand? Was hat es mit ihrer Forderung nach mehr "direkter Demokratie" auf sich? Träumt die AfD vom Bürgerkrieg? Wir haben Jürgen Lang vom BR für Sie gefragt.

HSS: Es hat den Anschein, als hätte in Deutschland eine fortschreitende Radikalisierung auch Teile der eigentlich demokratisch eingestellten Mitte erfasst. Teilen Sie diese Einschätzung? Und wenn ja: Welche Gründe sehen Sie für diese Entwicklung?

Jürgen Lang: Ja, diese Einschätzung teile ich. Diese Radikalisierung ist wiederum Folge einer wechselseitigen Befruchtung von Rechtsextremismus und Rechtspopulismus, die beide zusammen den Liberalismus angreifen, der als Werk der Zersetzung und Zerstörung einer vordefinierten „Wir-Identität“ gilt – die meistens „Volk“ oder „Nation“ genannt wird. Dieser Antiliberalismus ist nichts wirklich Neues und liegt auf einer Linie rechtsextremistischer Vorstellungen, die praktisch bis zur Aufklärung zurückreichen.

Der Politikwissenschaftler Jürgen Lang ist im Bayerischen Rundfunk Teil des Leitungsteams der Online-Nachrichten von BR24. Privat ist er als Politikberater tätig und publiziert zu gesellschaftspolitischen Themen, auch über Rechtsextremismus und Rechtspopulismus.

Der Politikwissenschaftler Jürgen Lang ist im Bayerischen Rundfunk Teil des Leitungsteams der Online-Nachrichten von BR24. Privat ist er als Politikberater tätig und publiziert zu gesellschaftspolitischen Themen, auch über Rechtsextremismus und Rechtspopulismus.

Jürgen Lang

 

HSS: Ein verbindendes Glied von AfD, Identitärer Bewegung oder Pegida scheint der sogenannte Ethnopluralismus zu sein. Was genau versteht man darunter und was ist das Gefährliche daran?

Die drei genannten Organisationen sprechen vom „Volksaustausch“, damit ist eine Verschwörungstheorie gemeint, die behauptet, die angestammte Bevölkerung werde von einer von höheren Mächten gesteuerten Zuwanderung verdrängt. Dahinter steckt die Vorstellung eines Ethnopluralismus, also voneinander abgeschotteter Völker. Das finden wir sowohl bei den Identitären und Pegida, als auch beim radikalen Teil der AfD. Das Wort Ethnopluralismus steht sogar im Landtagswahlprogramm 2019 der thüringischen AfD. Die Identitären, von der sich die AfD nur halbherzig abgrenzt, bezeichnet die „ethnokulturelle Identität der europäischen Völker“ als Kernwert ihres „metaphysischen Kampfes“. Behauptet wird eine anthropologisch erwiesene Homogenität der Völker. Deren kulturelle Eigenarten oder rassischen Besonderheiten stehen im Ethnopluralismus über den universell geltenden Menschenrechten. Die von den Identitären propagierte Abgrenzung ist nichts anderes als ein verkappter Rassismus. Sie behaupten die Gleichwertigkeit der Völker nur innerhalb Europas. In die Tat umgesetzt, liefe Ethnopluralismus auf die Ausweisung weiter Teile der Staatsbürger hinaus, die dann nicht mehr als deutsch gälten.

HSS: Laut Björn Höcke versteht sich die AfD als „die letzte friedliche Chance für unser Vaterland“. Haben Sie Hinweise, welchen Weg diese Partei beschreiten will, wenn diese letzte Chance in ihren Augen verspielt wird?

Das Zitat bedeutet nichts weniger als das: Wenn die AfD als Mittel friedlicher Evolution versagt, wird sie gegen das Mittel gewaltsamer Revolution ausgetauscht. Die unmittelbare Zukunft, vor der Höcke Deutschland wähnt, ist in der Tat alles andere als friedlich. Höckes Formulierungen wie „deutsche Unbedingtheit“, „wohltemperierte Grausamkeit“ (da zitiert er Peter Sloterdijk) oder „außergewöhnliches Handeln“ lassen einen inhumanen Weg zur neuen Gesellschaft erahnen. Hier zieht ein faschistischer Stil ein. An die Stelle einer das politische Handeln beschränkenden Moral tritt der Dezisionismus, die reine, ungefiltert aus dem Willen kommende Entscheidung. Dezisionismus, das bedeutet eine – Terroristen, Anarchisten, Faschisten und anderen Apologeten des Umsturzes verbindende – Haltung aus Willkür, Entschlossenheit und Tatendrang. Sie kennen vielleicht den Begriff Thymos, mit dem der selbsternannte AfD-Philosoph Marc Jongen hausieren geht. Das Wort stammt aus der antiken Philosophie und hat ganz unterschiedliche Bedeutungen bekommen. Heute verbindet die extreme Rechte damit die neue Heldenfigur des von der liberalen Moderne Unterdrückten. Männlichkeit und Tatkraft gelten als Gegenkonzept zum Liberalismus. Wir haben es heute also mit einer Form des Rechtsextremismus zu tun, die in Wort und Tat auf den gewaltsamen Umsturz hinarbeitet und – via AfD – den dazu nötigen Rückhalt in der Gesellschaft bekommt.

Die beiden stehen hinter einem Stehpult und blicken freundlich in die Kamera.

Dr. Philipp Hildmann (links) mit Jürgen Lang, Extremismusexperte beim Bayerischen Rundfunk: "Nicht jeder, der mehr direkte Demokratie fordert, hat mehr Demokratie im Sinn." (Lang)

©HSS

 

HSS: Die AfD reklamiert für sich, Sprachorgan eines angeblichen Volkswillens zu sein und setzt sich immer wieder für mehr direkte Demokratie ein. Wie viel Demokratie verbirgt sich tatsächlich hinter diesen Ansätzen?

Nicht jeder, der mehr direkte Demokratie fordert, hat mehr Demokratie im Sinn. 2019 legte die AfD einen Gesetzentwurf vor, der direktdemokratische Verfahren auf Bundesebene im Grundgesetz verankern will. Kernforderung ist eine Ergänzung des Artikels 76 GG – ich zitiere einmal aus dem AfD-Entwurf: „Wird eine aus der Mitte des Bundestags eingebrachte Gesetzesvorlage vom Bundestags abgelehnt, so können zehn Prozent der Mitglieder des Bundestags das Volk zur Entscheidung anrufen.“ Damit bekäme die Opposition einen mächtigen Hebel, die Regierungspolitik zu behindern oder zu blockieren. Mehr noch: Das geringe Quorum von zehn Prozent (die AfD stellt im 19. Bundestag 12,7 Prozent der Abgeordneten) ermächtigt selbst kleine Oppositionsparteien, das System der Repräsentation zu unterlaufen. Der Partei geht es augenscheinlich nicht um eine Ergänzung parlamentarischer Verfahren durch direkte Demokratie, sondern um ihre Ausschaltung. Im Parteiprogramm steht die Forderung nach mehr direkter Demokratie an erster Stelle. Das Bundesverfassungsgericht spielt dabei keine Rolle, also die Möglichkeit einer höchstrichterlichen Prüfung für den Fall, dass ein geplanter Volksentscheid Grundrechte konterkarieren könnte.

HSS: Ausgrenzen oder stellen? Welche Strategie empfehlen Sie im Umgang mit Akteuren des rechten Spektrums?

Ganz klar: stellen. Die AfD ist eine Partei der Ausgrenzung. Es Populisten mit derselben Münze der Ausgrenzung heimzuzahlen, kann für Demokraten keine Lösung sein. Parteien wie die AfD profitieren immens von denjenigen, die glauben, an der Nase herumgeführt zu werden, die den Eindruck nicht loswerden, andere entschieden über ihre Belange, die „sich in ihrer Meinung stigmatisiert und entfremdet wahrnehmen.“ Dieses große Potenzial traut den Nachrichten der großen Medien nicht mehr und noch weniger dem Staat oder der Demokratie. Es baut Parallelwelten auf, taucht in Verschwörungstheorien ein und entledigt sich auf diese Weise der Werte der Demokratie. Die Populisten holen diese Menschen ab, weil Anti-Populisten sie oft allein lassen. Wer die nicht ökonomisch oder materiell, aber gesellschaftlich abgehängten Wähler rechtspopulistischer Parteien pauschal in die „Nazi“-Ecke abschiebt, macht es sich bequem. Aber er grenzt ebenfalls aus und trägt nichts zur Problemanalyse und Ursachenforschung bei.

HSS: Herr Lang, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.