Einblick in das Wahlverhalten junger Menschen
Den Jungwählern zuhören
Das Wahlverhalten junger Menschen ist durch große Beweglichkeit gekennzeichnet. Sie sind experimentierfreudig und offen für neue Ideen.
Johanna Weber; © Johanna Weber
Bei der Europawahl 2024 erzielten die Union (17 Prozent), die AfD (16 Prozent) und Kleinparteien (28 Prozent), darunter beispielsweise Volt, sowie das BSW (6 Prozent) vor allem bei den unter 25-Jährigen besonders gute Ergebnisse (vgl. infratest dimap). Diese Ergebnisse sind vor dem Hintergrund des veränderten Wahlverhaltens im Vergleich zu den letzten Europawahlen von besonderem Interesse. Was bewegt junge Menschen dazu, diese Parteien zu bevorzugen und andere, insbesondere die Grünen, nicht mehr zu wählen?
Hierzu gibt es nun eine Vielzahl an Theorien, die Erklärungsversuche beinhalten und nur in der Gesamtschau einen Einblick ermöglichen. Da es sich bei den jungen Menschen keinesfalls um eine homogene Gruppe handelt, sind ihre Wahlmotive ebenso heterogen wie sie selbst.
Die Themen, die junge Menschen bewegen
Ein Blick in Jugendstudien zeigt, dass Migration und Asyl als die drängendsten Probleme auf EU-Ebene empfunden werden (vgl. TUI Jugendstudie). Der bei der Europawahl 2019 dominierende Klimaschutz hat hingegen an Präsenz verloren. Andere Krisen wie die Pandemie, Inflation sowie innere und äußere Sicherheit sind ins Bewusstsein gerückt und lenken von den als ferner empfundenen Problemen des Klimawandels ab. Hinzu kommt, dass Jugendliche sich unter einem sogenannten „Klimastress“ befinden. Die gefühlte Verantwortung für die Zukunft wird als überfordernd empfunden und kann zu einer Verdrängung des Klimawandels führen.
Die Sorge um die eigene finanzielle Lage und die Aussicht, dass es der jungen Generation nicht besser gehen wird als der aktuellen Erwachsenengeneration, sind dagegen im Alltag spürbar. Starke Abstiegsängste prägen die Generation. Sicherheitsversprechen und konservative Ideen können deshalb punkten.
Beweglichkeit im Wahlverhalten
Das Wahlverhalten junger Menschen ist durch große Beweglichkeit gekennzeichnet. Sie sind experimentierfreudig und offen für neue Ideen. Dies wird am guten Abschneiden der „sonstigen Parteien“ deutlich. Auch das Wahlergebnis der AfD passt in diesen Erklärungsansatz. Bei der aktuellen Wahl wurden vermehrt Themen wie Zuwanderung und Integration diskutiert, was zu einer erhöhten Aufmerksamkeit führte. Die AfD bietet vermeintlich einfache Lösungen zu diesen komplexen Themen an.
Die Trendstudie „Jugend in Deutschland“ fasst dies treffend zusammen: Junge Menschen sind unzufrieden mit ihrer Situation und mit der Ampelregierung. Sie sind nicht an eine bestimmte Partei gebunden und wählen situativ, was sie für politische Kampagnen besonders erreichbar macht.
Stimmanteile der 16- bis 24-Jährigen bei der Europawahl. Infratest dimap. Stand 10.06.2024
Die Rolle von Social Media
Im Zuge der Wahlergebnisse wird auch die Rolle von Social Media intensiv diskutiert. Junge Menschen informieren sich nicht im Internet, sondern lassen sich vom Netz informieren. Algorithmen spielen ihnen Inhalte zu, Freunde teilen Links, und Nachrichten erscheinen in Form von Kurzvideos auf Plattformen wie Snapchat, TikTok und Co.
Eine Analyse der Präsenz der jeweils ersten zehn Kandidierenden auf den Europa-Wahllisten bei TikTok zeigt, dass die FDP zwar dank Marie-Agnes Strack-Zimmermann die meisten Videos und Views hatte, aber das Thema AfD am meisten diskutiert wurde (vgl. IW Köln). Entweder wurde über die AfD gesprochen oder die AfD wehrte sich gegen Vorwürfe. Diese ständige Wiederholung führt dazu, dass die Themen der AfD als drängend wahrgenommen werden. Der TikTok-Algorithmus bevorzugt Videos mit radikalen und provokanten Positionen, und selbst Einschränkungen der Reichweite helfen hier wenig.
Komplexe Zusammenhänge lassen sich in Kurzvideos nur schwer darstellen, was der einfachen Rhetorik der neuen Rechten entgegenkommt.
Strategien für politische Bildung und Ansprache junger Menschen
Einen Gegenimpuls könnten Diskussionen im elterlichen Umfeld sowie die Förderung von Projekten der politischen Bildung im Netz bieten, die mit Influencern zusammenarbeiten. Es ist wichtig, die Vielschichtigkeit der jungen Generation anzuerkennen und zu verstehen, dass nicht alle jungen Menschen die gleichen Sorgen und Ängste haben oder durch dieselben Motive getrieben sind.
Wichtig ist es, den jungen Menschen zuzuhören und dass Parteien ihre eigene politische Agenda in sozialen Medien sichtbar machen, um allen eine informierte (Wahl-)Entscheidung zu ermöglichen.
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