„Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents." – so leitete Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seine Regierungserklärung bei der Sondersitzung des Deutschen Bundestages am vergangenen Sonntag ein, in der er den wohl weitreichendsten Kurswechsel in der deutschen Außenpolitik seit Jahrzehnten ankündigte. Das von Bundeskanzler Scholz vorgegebene Ziel, „Putins Krieg“ in der Ukraine zu beenden und eine Ausweitung des militärischen Konflikts auf Europa zu verhindern, ist genauso richtig, wie sein erneutes Bekenntnis zu Deutschlands Beistandsverpflichtungen in der NATO. Wie der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz (CDU) und der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag Alexander Dobrindt (CSU) in ihren Reden deutlich machten, werden diese Maßnahmen seitens der Unionsparteien ausdrücklich befürwortet und mitgetragen. Mit ihrer Unterstützung...
Dieser Paradigmenwechsel ist historisch. Er war und ist aber auch schlicht notwendig. Angesichts der unverhohlenen Drohung Präsident Putins mit dem Einsatz von Nuklearwaffen kann man auch sagen: alternativlos. Selbstverständlich könnte man kritisieren, dass erst ein Angriffskrieg notwendig war, um Deutschland aus seinem sicherheits- und verteidigungspolitischen Dornröschenschlaf aufzuwecken. Selbstverständlich könnte man fragen, ob es uns zu gut ging oder ob Deutschland die sogenannte Friedensdividende nach dem Ende des Kalten Krieges zu liebgewonnen hat? Möglicherweise ja. Möglicherweise trifft für die deutsche Politik sowie die deutsche Gesellschaft aber auch die Beobachtung zu, wie sie Joseph Nye, Politikprofessor an der Harvard Universität, einmal beschrieb, dass Sicherheit wie Sauerstoff sei. Man erachtet sie solange als selbstverständlich, bis sie einem fehlt.
Dieser Tage merken wir alle, dass es uns in Europa an Sicherheit fehlt. So lange ein autokratisch herrschender Präsident sich bewusst aller diplomatischen Bemühungen zur Beilegung einer Krise verweigert, unter haarsträubender völkischer Begründung einem souveränen demokratischen Staat sein Existenzrecht abspricht und den ersten Angriffskrieg auf europäischem Boden seit 1939 führen kann, müssen Deutschland und Europa diese Realität anerkennen und die deutsche Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik im entsprechenden Maße neu ausrichten. Die Bundesregierung hat dies nun eingeleitet und auch die deutsche Bevölkerung scheint gewillt, diese Neuausrichtung mitzutragen. Dies unterstreichen nicht nur die zahlreichen Friedensdemonstrationen im Land, sondern auch erste Umfragen, in denen sich eine in der Höhe noch nie dagewesene Mehrheit (78%) für eine Erhöhung des Verteidigungsetats ausspricht. Die Gründe hierfür gefallen niemanden, aber niemand kann die Augen vor diesen Gründen verschließen. Daher ist es auch sehr zu begrüßen, dass die Unionsparteien zugesagt haben, notwendige Verfassungsänderungen im Bundestag zu unterstützen.
Nun ist es Zeit, entschlossen nach vorne zu gehen, denn mit der Ankündigung von Investitionen allein ist es nicht getan. Damit die Gelder auch effektiv genutzt werden können, bedarf es eines tiefgreifenden Mentalitäts- und Strukturwandels. Andernfalls bremsen unsere komplexen und reformbedürftigen Beschaffungsprozesse das Momentum der Zeitenwende aus. Auch lösen Mehrinvestitionen nicht das grundsätzliche Problem deutscher Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik: Deutschlands oft kritisierte Strategie(un)fähigkeit. So bleibt zu hoffen, dass Deutschlands Zeitenwende über die Finanzierungsfragen der Bundeswehr hinausgeht und mittel- bis langfristig in einer grundsätzlichen strategischen Auseinandersetzung mit Deutschlands Rolle mündet.