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Dialog mit Politik und Zivilgesellschaft in Moskau

Seit drei Jahren müssen sich in Russland Vereine und Verbände, die Gelder aus dem Ausland erhalten und sich politisch betätigen, als "ausländische Agenten" registrieren lassen. Vom 29. November bis 1. Dezember 2015 informierte sich eine Delegation aus Bayern in Moskau über die Arbeitsbedingungen nichtstaatlicher Organisationen.

Besuch in der Staatsduma der Russischen Föderation

Besuch in der Staatsduma der Russischen Föderation

Die erste Unterredung fand in der Staatsduma mit den Abgeordneten Yaroslaw Nilov (LDPR) und Michail Markelow ("Einiges Russland") statt. Markelow, Mitinitiator des "Agenten-Gesetzes", erläuterte die Beweggründe für die Verabschiedung dieses Regelwerks. Die Praxis habe gezeigt, dass ausländische Staaten über russische Organisationen Einfluss auf die russische Politik genommen hätten. Dies sei häufig unter dem Deckmantel einer sozialen Tätigkeit geschehen. Eine so unreglementierte Lobbyarbeit im Interesse fremder Staaten könne kein Land der Welt zulassen. Die Bezeichnung "ausländischer Agent" solle jedoch keine Stigmatisierung beinhalten, es gehe vielmehr um die Herstellung von  Transparenz zur Informierung der Bürger. Dieser Auffassung wurde seitens der deutschen Delegation heftig widersprochen.

In der Duma der Stadt Moskau mit Kirill Schitow, Leonid Sjuganow und Anton Paleew

In der Duma der Stadt Moskau mit Kirill Schitow, Leonid Sjuganow und Anton Paleew

In der Moskauer Stadtduma ging es um die Frage, auf welchem Wege und in welcher Form Bürger in Moskau und in Bayern ihren Abgeordneten konkrete Anliegen vortragen können. Anton Paleew, Vorsitzender des Ausschusses für gesellschaftliche und religiöse Organisationen der Stadtduma, wies auf die in den Wahlkreisen angebotenen Sprechstunden hin, welche von den Bürgern rege besucht würden. Hauptsächlich brächten die Wähler Anliegen und Sorgen zu den Themen Städtebau, öffentlicher Nahverkehr und Sozialpolitik vor. Carolina Trautner, Mitglied des Ausschusses für Eingaben und Beschwerden des Bayerischen Landtags, erläuterte die Arbeitsweise des Petitionsausschusses. An diesen könne sich jeder Bürger in Bayern in schriftlicher Form direkt wenden. Der Petitionsausschuss bearbeitete alle Eingaben, die Themen beträfen, für welche der Freistaat Bayern zuständig sei, so Trautner. Eine Besonderheit bestehe ferner darin, dass der Petent sein Anliegen während der Ausschusssitzung zusätzlich mündlich vortragen könne. In einem zweiten Teil ging es um die Bedeutung der Freiwilligenarbeit für ein Gemeinwesen. Kirill Schitow, Vorsitzender des Ausschusses für Sport und Jugendpolitik der Moskauer Stadtduma, gab einen Überblick über die Freiwilligenarbeit  von Jugendlichen in der Stadt Moskau. Wolfgang Krell, Geschäftsführer des Freiwilligen-Zentrums Augsburg, erläuterte die Motive für freiwilliges Bürgerengagement in Deutschland. Viele Menschen - so Krell - möchten damit der Gesellschaft etwas zurückgeben.

Gespräch mit Elena Nemirowskaja (M.) in der Moskauer Schule für gesellschaftliche Bildung

Gespräch mit Elena Nemirowskaja (M.) in der Moskauer Schule für gesellschaftliche Bildung

In der Moskauer Schule für gesellschaftliche Bildung, die Seminare für Erwachsene anbietet, sprach die Delegation mit der Direktorin Elena Nemirowskaja. Sie bezeichnete die Zwangsregistrierung ihrer Institution als "ausländischer Agent" als herabsetzende Stigmatisierung. Die US-amerikanische Soros-Stiftung unterstütze die Schule bereits seit 1992, aber erst seit kurzem störe sich der russische Staat daran. Ferner habe über Jahre hinweg sogar die öffentliche Hand vertrauensvoll mit der Schule zusammengearbeitet. Dies sei nun mit der Registrierung als "ausländischer Agent" vorbei, so eine Mitarbeiterin. Nichtsdestoweniger gebe es nach wie vor eine beachtliche Nachfrage durch Privatpersonen. Nemirowskaja betonte ihren Wunsch nach einem ständigen Dialog mit dem Staat. Aber dieser betrachte die Schule als Gegnerin, und das trotz der Tatsache, dass im Laufe vieler Jahre eine große Anzahl von Beamten an Seminaren der Schule teilgenommen hätten. Nemirowskaja machte keinen Hehl daraus, dass sie bewusst finanzielle Unterstützung aus dem Ausland annehme. Denn "was der russische Staat anfasst und finanziert, das verstaatlicht er auch und will die Arbeitsinhalte bestimmen", so Nemirowskaja.

Gerhard Hopp, Hildegard Stadler vom bayerischen Journalistenverband, Elena Schemkowa, Carolina Trautner und Wolfgang Krell

Gerhard Hopp, Hildegard Stadler vom bayerischen Journalistenverband, Elena Schemkowa, Carolina Trautner und Wolfgang Krell

Ein Gedankenaustausch mit "Memorial", einer Organisation, die sich der Aufarbeitung der stalinistischen Vergangenheit widmet, brachte an den Tag, dass ihr Wirken bei großen Teilen der Bevölkerung und der Politik auf Ablehnung stößt. Während die internationale Dachorganisation "Memorial" nicht als ausländischer Agent gelistet sei, so die Geschäftsführerin Elena Schemkowa, seien regionale Mitgliederverbände des Memorial-Netzwerks zwangsweise als solche registriert worden. Schemkowa betonte die Stigmatisierung, die mit dieser Bezeichnung verbunden sei. Die Bevölkerung setze die Begriffe "ausländischer Agent" und "Spion" gleich. Deswegen verweigere die Politik in zahlreichen Regionen neuerdings dem Memorial-Schülerwettbewerb zur Aufarbeitung von Familienschicksalen der Stalinzeit die finanzielle Unterstützung. Andererseits führte Frau Schemkowa auch ein positives Bespiel der Zusammenarbeit mit der Politik an. So gebe die Stadt Moskau für Familien einen Museumsführer hinaus, der auch auf die Ausstellungen von "Memorial" hinweise. Die Situation, so Schemkowa, unterscheide sich deshalb von Region zu Region und hänge auch von der jeweiligen politischen Führung ab.

Außerdem traf die Delegation mit Vertretern der Opposition zusammen. Andrej Netschaew, ehemaliger Wirtschaftsminister Russlands und heutiger Kremlkritiker, informierte darüber, dass seiner Partei "Bürgerinitiative" bei den Regionalwahlen vor zwei Monaten die Registrierung im Gebiet Kaluga verweigert worden sei, obwohl diese die notwendigen Unterstützerunterschriften eingereicht hätte. Der Internetblogger Maxim Katz unterstrich die große Bedeutung der sozialen Medien für die Opposition. Auf diesem Weg könne er den Wählern seine politischen Positionen vermitteln, während die staatlichen Medien kritische Stimmen nicht zu Wort kommen ließen. Bei einem weiteren Treffen informierte die Journalistin Nadeschda Aschgichina über die oftmals prekären Arbeitsbedingungen von Journalisten.

Jan Dresel, Regionalprojekt Frieden und Demokratie in Osteuropa
Jan Dresel
Projektleiter
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