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Vor den Europawahlen
Die EU erlebbar und erfahrbar machen

Autor: Angela Ostlender

Am 26. Mai 2019 finden Europawahlen statt. Wie können Wähler besser mobilisiert werden und wie kann es gelingen, ein positiveres EU-Bild zu kommunizieren?

Die Europäische Union kann trotz zahlreicher Krisen in den vergangenen Jahren auf eine beispiellose Erfolgsgeschichte zurückblicken, die den Völkern und Staaten Europas Frieden, Freiheit, Demokratie und Wohlstand brachte. Der Binnenmarkt sichert unternehmerischen Erfolg über Landesgrenzen hinweg und schafft die Grundlagen einer sozialen Marktwirtschaft. 

EU-Flagge an einem Fahnenmast, darüber der Himmel

Die Abschaffung der Roaming-Gebühren reicht nicht, um die EU den Menschen näher zu bringen.

denzel; CC0; Pixabay

Doch Fakt ist heute mehr denn je: Die europäische Integration stößt auf Widerstände.

Populistische und nationalistische politische Kräfte bedrohen Europa in seinem Kern. Nimmt das Unbehagen über die europäische Einigung in der Bevölkerung zu? Tatsächlich sind bei der letzten Europawahl zahlreiche europakritische Gruppierungen in das Europaparlament eingezogen, in dem jetzt über 200 Parteien vertreten sind. Im Mai 2019 finden Europawahlen statt. Wie können Wähler besser informiert und mobilisiert werden und wie kann es gelingen, ein positiveres EU-Bild zu kommunizieren?

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, hat das Europa-Büro Brüssel den ZDF-Korrespondenten in Brüssel, Dr. Stefan Leifert, und den österreichischen EU-Abgeordneten, Dr. Paul Rübig, zum Dialog mit dem Publikum aus Brüssel und Bayern eingeladen.

Drei Männer auf dem Podium. Gerade spricht Leifert, ganz links.

ZDF-Korrespondent Leifert sieht Europa vor komplexen Herausforderungen, etwa Euro- und Staatsschuldenkrisen, Rechtspopulismus oder Migrationsfragen.

HSS

Europas „Polykrise“

„Europa befindet sich in einer Polykrise,“, stellte ZDF-Korrespondent Leifert einleitend fest. Brexit, Euro- und Staatsschuldenkrisen, Rechtspopulismus und Migrationsfragen wirkten destabilisierend im Inneren, während die Weltpolitik zunehmend unberechenbarer werde.  Es müssten Antworten auf globale Fragen zu Klima, Hunger, Armut und Migration in der Welt gefunden werden. Vor dem Hintergrund dieser komplexen Situation stelle sich die Frage: „Wie geht es Europa heute und wie nehmen wir es wahr?“

Leifert verwies auf zwei mögliche Narrative. Es komme auf die Sichtweise des Einzelnen an: „Als Optimist erkennt man die Fortschritte, die die EU auch dank ihrer erfolgreichen Krisenstrategien machen konnte. Sie ist nun wirtschaftlich viel stabiler als nach der Griechenlandkrise. Der Brexit hat keine Nachahmer gefunden und keinen Domino-Effekt ausgelöst. Die düsteren Prognosen, die zu Beginn des Jahres 2017 zum Vormarsch eines Anti-EU-Populismus in den Niederlanden und Frankreich gemacht wurden, sind nicht eingetreten. Im Gegenteil - der Ausgang der Wahlen in Frankreich hat bewiesen, dass man mit einem dezidiert pro-europäischen Wahlkampf gewinnen kann. Auch die Maßnahmen, die zur Eindämmung und Kontrolle von Migration nach der Flüchtlingskrise ergriffen wurden, zeigen Erfolg.“  Der Pessimist würde dagegenhalten, dass es der EU so schlecht gehe wie nie zuvor und das Phänomen des Populismus die EU im Kern aushöhlen werde,  dass die Italien-Wahl diesen Trend bestätigte und sich die Trennlinien zwischen Ost und West, Nord und Süd sowie zwischen Pro- und antieuropäischen Kräften vertieften.

Leifert bewertete beiden Wahrnehmungen als legitim. „Nicht ohne Grund bezeichnen führende Politiker der Mitgliedstaaten und hohe Funktionsträger der EU-Institutionen die aktuelle Phase als existenziell, als letzte Chance oder als die entscheidenden Jahre, um die EU neu zu erfinden.“

Mehrwert der EU besser erklären

Auch Paul Rübig sprach von unterschiedlichen Wahrnehmungen. „Ich lebe in mehreren Realitäten“, so der österreichische Europaabgeordnete, der gleichzeitig Unternehmer und Stadtvertreter in seiner Heimatgemeinde ist. „Brüssel ist eine eigene Welt, mit klaren Vorgaben, Zielen und Umsetzungsstrategien. Im Gegensatz zur Exekutive arbeitet die Legislativ-Maschine exzellent, aber in der Heimatgemeinde wird man mit ganz konkreten Fragen konfrontiert.“ Politik müsse zum Nutzen für alle Bürger eingesetzt werden, so Rübig. Dies gelte vor allem auch für Europa, dessen Mehrwert besser erklärt werden müsse. Das Argument des friedlichen Zusammenlebens und der Völkerverständigung sei heute für viele Menschen zu abstrakt. Die Abschaffung der Roaming-Gebühren, für die sich der EU-Abgeordnete persönlich stark eingesetzt hatte, sei ein gutes Beispiel, aber das reiche nicht. Viele andere Positivbeispiele seien zu komplex und würden nicht richtig verstanden. „Die EU ist ein auf der Welt einzigartiges Modell und hat seiner Bevölkerung Wohlstand und Chancen für alle gebracht.“ Rübig sprach sich dafür aus, dass in der Öffentlichkeit auch darüber diskutiert werden sollte, was eine Nicht-Mitgliedschaft in der EU gekostet und für mögliche Folgen gehabt hätte.

Welche Verantwortung für öffentliche Medien?

„Journalisten tragen Verantwortung – ganz klar“, so Dr. Leifert. „Politische Themen sind jedoch oft schwer zu greifen. Das gilt besonders für Brüssel. Es mangelt nicht an der Quantität. Stündlich wird man mit Nachrichten konfrontiert, die mit Europa zu tun haben.“ Der ZDF-Korrespondent zeigte sich jedoch erfreut darüber, dass die ehemaligen EU-Klischees von „Gurkenkrümmungsgradverordnungen“ oder der „Karrierestation“ für ausgediente Politiker offensichtlich überholt seien. „Wir erleben jetzt etwas, was Brüsseler Akteuren hilft“, so Leifert, „Krisen!  Dadurch, dass viele globale Krisen nur auf europäischer Ebene lösbar sind, ist vielen Menschen klargeworden, dass Brüssel der Ort ist, an dem weltpolitische Fragen verhandelt werden.“ Dennoch warnte Leifert vor unausgewogener Berichterstattung durch zu viel EU-Begeisterung. Öffentliche Medien steckten gerade selbst in einer massiven Glaubwürdigkeitskrise. Es sei daher wichtig, Lügen als Lügen zu enttarnen und auch bei aller Liebe zur EU nicht zum Propagandisten zu werden.

„Glaubwürdigkeit beinhaltet das Prinzip der Gleichbehandlung“, merkte Leifert an, dieses gelte ebenso für Berichterstattungen über EU-Gegner oder die Aufdeckung von Missständen. Auch mangele es in der Bevölkerung weiterhin an Vorkenntnissen über das EU-Institutionengefüge und Entscheidungsprozesse. Der Medienberichterstatter stehe daher stets vor der Herausforderung, komplexe Inhalte in möglichst kleine und verständliche Informationspakete zu verpacken. Die kommenden Europawahlen böten eine gute Gelegenheit, die Sichtbarkeit von wichtigen EU-Themen mit geeigneten Formaten zu erhöhen. Leifert sah auch in der Benennung und Präsentation von Spitzenkandidaten für die Besetzung des Postens des Kommissionspräsidenten eine weitere Chance, EU-Vorgänge verständlicher, attraktiver und bürgernäher zu machen.

Europäischer Dialog
Angela Ostlender
Programm Managerin