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Expertenkommentar
Die G7 kann zum Aufbau widerstandsfähiger und sicherer Lieferketten beitragen

Indem sie sich sowohl mit kurz- als auch langfristigen Lieferkettenproblemen befasst, kann die G7 den Weg für einen weltweiten wirtschaftlichen Aufschwung ebnen und die Widerstandsfähigkeit gegenüber zukünftigen Schocks verbessern.

Anm.d.Red: Dieser Text wurde aus dem Englischen übersetzt. Hier geht´s zum Original auf der Website von Chatham House.

Als Deutschland im Januar die Präsidentschaft der G7 übernahm, wurde Lieferkettenresilienz als eine wichtige Priorität eingestuft. Nun – im Vorfeld des G7-Gipfels – hat das Ziel der „Gestaltung offener, fairer, resilienter und nachhaltiger Lieferketten“ noch mehr an Dringlichkeit gewonnen.

Die Flaggen der G7-Staaten

Bereits geschwächt durch die Corona-Pandemie müssen die globalen Lieferketten jetzt auch noch den Schock durch Putins Überfall auf die Ukraine verkraften: eine große Herausforderung für die G7.

Bet_Noire; ©HSS; IStock

Der Einmarsch Russlands in die Ukraine stellt eine Herausforderung für globale Lieferketten dar, die bereits durch die Corona-Pandemie anhaltend Störungen erfahren haben. Doch obwohl diese außergewöhnlichen Schocks potenziell langfristige Auswirkungen auf die globalen Produktions- und Transportnetze haben, sind es der strategische Wettbewerb mit China und der Klimawandel, die für die Lieferketten über einen viel längeren Zeitraum hinweg immer ernstere Risiken darstellen. Vor diesem Hintergrund müssen die Staats- und Regierungschefs der G7 ein Gleichgewicht finden, indem sie auf kurzfristige Schwachstellen reagieren, dabei jedoch nicht die langfristigen Ziele aus den Augen verlieren.

Die Lieferkettenbedingungen haben sich etwas verbessert, seit die Überlastung der Häfen und die Verschiffungskosten Ende 2021 Rekordhöhen erreicht haben, aber es ist unwahrscheinlich, dass sie bis 2023 wieder das Vor-Corona-Niveau erreichen werden. Bleiben die Störfaktoren bestehen, werden sie die Inflation weiter vorantreiben, die im März mit sieben Prozent in den G7-Ländern den höchsten Stand seit vier Jahrzehnten erreichte.

Es gibt jedoch fünf Prioritäten, die den G7-Ländern einen Weg aufzeigen, wie sie widerstandsfähige und sichere Lieferketten aufbauen können und gleichzeitig verhindern, dass unvorhergesehene Ereignisse den globalen wirtschaftlichen Aufschwung behindern und die langfristigen Wachstumsaussichten trüben.

1. Gemeinsam aktiv werden – angefangen mit einem Frühwarnsystem

G7-Staats- und Regierungschef haben in den letzten zwei Jahren eine erhöhte Lieferkettenresilienz gefordert und sich zu einem offenen und regelbasierten Handel verpflichtet, um diesen Ansatz zu unterstützen. Obwohl die Mitglieder sich einem Konsens annähern, und einige Schritte auf nationaler Ebene umgesetzt haben, ist es nun an der Zeit, sich als Gruppe auf konkrete Ergebnisse zu konzentrieren.

Als ersten Schritt hin zu gemeinsamen Maßnahmen sollten die Staats- und Regierungschefs der
G7-Länder ein einheitliches Frühwarnungs- und Überwachungssystem entwickeln, um Informationen über mögliche Störungen auszutauschen – wobei der Schwerpunkt zunächst auf Halbleiter-Lieferketten liegen sollte. Ehrgeizigere Anstrengungen, wie das Anlegen gemeinsamer Vorräte und die Entwicklung von Stresstests für deren Verwaltung, können später folgen.

2. Schwerpunkt auf strategisch wichtigen Sektoren

Resiliente Lieferketten sind in allen Branchen zu einem Schlagwort geworden, aber Initiativen zur Stärkung der Resilienz sollten sich auf kritische Sektoren und Produkte konzentrieren. Fragile Lieferketten in den Bereichen öffentliche Gesundheit, Lebensmittelproduktion und Energie anzugehen, ist angesichts der sich verschärfenden Krisen der letzten zwei Jahre ganz oben auf die Tagesordnung gerückt.

Auf lange Sicht ist es jedoch auch von entscheidender Bedeutung, die Widerstandsfähigkeit der Lieferketten in den Sektoren des grünen und digitalen Wandels zu verbessern. Vor allem den Lieferketten für kritische Mineralien und Rohstoffe für erneuerbare Energien, Solarzellen und -produkte sowie Halbleiter sollte man hierbei Beachtung schenken.

Info:

Dieser Artikel ist Teil eines Kooperationsprojektes zwischen der Hanns Seidel Stiftung und dem Royal Institute for International Affairs (Chatham House) in London zu Handels- und Technologiefragen in den transatlantischen Beziehungen. Im Rahmen des Projektes finden Workshops mit Experten und Regierungsvertretern aus den USA und Europa statt, bei denen über die Zukunft von Lieferketten, die Regulierung von Technologie sowie die Rolle von Kooperationsforen wie G7 und das EU-US Handels- und Technologieforum (Trade and Technology Council, TTC) diskutiert wird. Ergebnisse der Workshops werden im Herbst veröffentlicht.

3. Zusammenarbeit mit dem privaten Sektor

Die Lieferkettenresilienz wird letztlich auf der Ebene einzelner Unternehmen gestärkt, weshalb eine stärkere Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor erforderlich ist. Politische Entscheidungsträger und Wirtschaftsführer haben jedoch unterschiedliche Anliegen und Ansätze, da erstere viele unterschiedliche Sektoren und die gesamte Wirtschaft berücksichtigen müssen.

Bereiche, in denen öffentlich-private Maßnahmen ergriffen werden können, sind die Entwicklung effizienter Systeme für Vorräte und Vereinbarungen zur Steigerung der Produktionskapazitäten für lebenswichtige Güter. Langfristige Bemühungen dieser Art könnten auf den jüngsten Initiativen aufbauen. Regierungen der G7-Staaten beispielsweise arbeiten bereits mit globalen Lebensmittel- und Agrarunternehmen zusammen, um die ökologischen und sozialen Auswirkungen der weltweiten Lebensmittel-Lieferketten zu verbessern.

Als Forum der weltweit führenden Demokratien ist die G7 in einer hervorragenden Position, um eng mit dem privaten Sektor zusammenzuarbeiten und so dafür zu sorgen, dass Lieferketten die Werte widerspiegeln, die in Umwelt- und Menschenrechtsstandards festgehalten werden.

4. Abstimmung mit anderen Foren und Partnern

Obwohl die G7-Staaten 33 Prozent der weltweiten Exporte und 36 Prozent der weltweiten Importe ausmachen, können sie widerstandsfähige Lieferketten nicht allein aufbauen. Die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Partnern außerhalb der G7 ist für eine weltweite Lösung unerlässlich.

Foren wie die G20 können die Resilienz der Lieferketten unterstützen, aber da die Teilnahme Russlands am G20-Gipfel in Indonesien noch möglich ist, ist es alles andere als sicher, dass Schritte in Richtung Ernährungssicherheit und Abbau von Handelsbeschränkungen unternommen werden.

Stattdessen wäre es erfolgversprechend, in Sachen Lieferkettenresilienz die unterschiedlichen Bemühungen der G7-Länder und die ihrer wichtigsten Verbündeten besser miteinander in Einklang zu bringen. Der Handels- und Technologierat EU-USA hat eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die sich mit sicheren Lieferketten befasst und bereits einige Empfehlungen ausgesprochen hat, darunter ein Frühwarnsystem für Halbleiterlieferketten. Für eine größere Wirkung sollten diese Bemühungen auf die anderen G7-Mitglieder ausgeweitet werden, nämlich Japan, Kanada und das Vereinigte Königreich.

Auch das Indo-Pacific Economic Framework for Prosperity (IPEF) legt einen Schwerpunkt auf die Lieferkettenresilienz und zielt darauf ab, ein Frühwarnsystem zu entwickeln. Es wurde von den USA ins Leben gerufen und umfasst ein Duzend Länder, darunter Japan, das 2023 die G7-Präsidentschaft übernimmt, Südkorea, Australien und Neuseeland.

Durch ihre wandelbare Formation ist die G7 einzigartig positioniert, um beim Thema Lieferkettenresilienz Synergien zwischen den Bemühungen ihrer Mitglieder zu schaffen und ihre Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Staaten zu nutzen.

5. Schaffen eines förderlichen Umfelds

Durch die Stärkung eines offenen und regelbasierten weltweiten Handelssystems fördern die Regierungen der G7-Länder auch die Lieferkettenresilienz. Insbesondere die anhaltenden Bemühungen um eine Reform der Welthandelsorganisation (WTO) könnten eine bessere Erfolgschance haben, seit sich die Mitglieder auf der jüngsten Ministerkonferenz – der ersten Veranstaltung dieser Art seit 2017 – auf mehrere Abkommen geeinigt haben.

Selbst wenn keine multilateralen Lösungen gefunden werden, können G7-Länder dennoch ehrgeizige Ziele vorantreiben und neue Regeln in bilateralen, regionalen und branchenspezifischen Handelsabkommen mit gleichgesinnten Partnern festlegen.

Da Lieferketten weiterhin unter Druck stehen, sind koordinierte Maßnahmen der G7 und gleichgesinnter Partner dringend notwendig. Widerstandsfähigkeit aufzubauen ist wichtiger denn je, da anhaltende Herausforderungen immer wieder aufflammen und es schwer ist, die nächste akute Herausforderung vorherzusagen.

Autorin: Marianne Schneider-Petsinger, Senior Research Fellow, US and the Americas Programme; Project Director, Global Trade Policy Forum, Chatham House

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