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State of the Union 2023
Eine Rede, die keinem wehtut

Autor: Dr. Thomas Leeb , Angela Ostlender , Michelle Wiesner

In ihrer vorläufig letzten Rede zur Lage der Union als Kommissionspräsidentin thematisierte Ursula von der Leyen die Errungenschaften ihrer Amtszeit und blickte auf die Herausforderungen der Zukunft: Klimaschutz und Wirtschaft, Migration, Europas Rolle in der Welt sowie Erweiterung.

In ihrer vierten und vorläufig letzten großen Rede zur Lage der Union am 13. September zog Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine positive Bilanz ihrer von Krisen, Krieg und Green Deal geprägten bisher vierjährigen Amtszeit. Dabei blieb es jedoch nicht. Vielmehr stellte Sie die großen, verbleibenden Herausforderungen der Zukunft, wie die Vollendung der grünen Wirtschaftstransformation und der europäischen Einigung, aber auch die Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und die innere Reform der EU in den Mittelpunkt ihrer Ausführungen.

In ihrer vorläufig letzten großen Rede zur Lage der Union zog Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine Bilanz ihrer vierjährigen Amtszeit.

In ihrer vorläufig letzten großen Rede zur Lage der Union zog Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eine Bilanz ihrer vierjährigen Amtszeit.

Mathieu CUGNOT; European Union 2023

In Ihrer Rede zur Lage der EU blickt Ursula von der Leyen auf zukünftige Herausforderungen.

In Ihrer Rede zur Lage der EU blickt Ursula von der Leyen auf zukünftige Herausforderungen.

Alain ROLLAND; European Union 2023

Klimaschutz und Wirtschaftsinteressen in Einklang bringen

Seit einigen Monaten wächst in vielen Mitgliedstaaten der Unmut gegenüber der europäischen Klimapolitik. Die von der Kommissionspräsidentin angekündigte Weiterentwicklung der Klima-Agenda zu einer wirtschaftlichen Agenda verspricht nun eine Kursänderung zugunsten der industriellen Wettbewerbsfähigkeit. Neben Unterstützungsmaßnahmen für die grüne Transformation von Unternehmen soll unter anderem mit der Überprüfung von Berichtspflichten, einem „Wettbewerbs-Check-up“ oder der Berufung eines eigenen KMU-Beauftragten auf die Anliegen der Wirtschaft eingegangen werden. Sofort wirksame Entlastungsmaßnahmen für die bekannten Probleme fehlen jedoch. Besonders hervorgehoben wurde auch die Rolle der Landwirtschaft. Hier soll ein strategischer Dialog dabei helfen, das Spannungsfeld zwischen Ernährungssicherheit und Naturschutz zu überwinden. Zur Gewährleistung von fairen Wettbewerbsbedingungen gehört für die Kommissionspräsidentin die Überprüfung von staatlichen Subventionen und unlauteren Handelspraktiken, vor allem mit Blick auf China und die dortige E-Auto- und Solar-Wirtschaft. Das Land steht auch explizit in der Kritik für seine gezielten Exportbeschränkungen von kritischen Rohstoffen. Durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Partnern sollen die Risiken solcher Abhängigkeiten in Zukunft vermindert werden. Neben verbesserten Rahmenbedingungen für Unternehmen ging von der Leyen auch auf den Arbeits- und Fachkräftemangel sowie die Inflation als große wirtschaftliche Herausforderungen im kommenden Jahr ein.

Wie geht es weiter mit dem Neuen Pakt für Migration und Asyl?

Eine gemeinsame europäische Migrations- und Asylpolitik - oder eher ihr Fehlen - zählt für viele EU-Mitgliedstaaten zu den aktuell wichtigsten Herausforderungen. In diesem Bereich zeigte sich die Kommissionspräsidentin zwar optimistisch, dass eine Einigung bis zum Ende der Legislatur gelingen wird. Sie appellierte vor diesem Hintergrund für mehr Geduld und Geschlossenheit innerhalb der Union, um die geplanten Maßnahmen in Abstimmung mit den Partnern umzusetzen. Doch ging sie nicht darauf ein, wie die aktuelle Blockade von Ungarn und Polen überwunden werden kann. Konkrete Schritte kündigte sie bei der Verfolgung von Menschenhändlern und Schmugglern an. Darüber hinaus will sie sich für die Verlängerung der vorübergehenden Schutzregel für Ukrainerinnen und Ukrainer einsetzen.

„Der Europäische Green Deal wurde aus dieser Notwendigkeit heraus geboren, unseren Planeten zu schützen. Aber er wurde auch als Chance entworfen, unseren Wohlstand für die Zukunft zu bewahren.“ (Ursula Von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission)

„Der Europäische Green Deal wurde aus dieser Notwendigkeit heraus geboren, unseren Planeten zu schützen. Aber er wurde auch als Chance entworfen, unseren Wohlstand für die Zukunft zu bewahren.“ (Ursula Von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission)

Alain ROLLAND; European Union 2023

Blick nach außen kommt zu kurz

Zur Außen- und Entwicklungspolitik sowie zu Europas Rolle in der Welt äußert sich von der Leyen wenig. Auch das Verhältnis mit Afrika kommt zu kurz, selbst wenn sie ankündigt, ein neues Strategiekonzept bis zum nächsten EU-AU-Gipfel zu erarbeiten.

Bezüglich der EU-Investitionsinitiative „Global Gateway“ wiederholt die Kommissionspräsidentin die bekannten Beschreibungen: So setzte Global Gateway ganz neue Maßstäbe und fördere mit bis zu 300 Mrd. Euro grünen und digitalen Wandel in Lateinamerika, Südostasien und Afrika. Zum Beispiel wird der neue Wirtschaftskorridor „Indien – Naher Osten – Europa“ den Handel mit sauberer Energie durch den Bau einer grünen Wasserstoffpipeline fördern und neue Geschäftsmöglichkeiten mit einem Hochgeschwindigkeits-Datenkabel schaffen. Dank des „Team-Europa-Konzepts“ tritt die EU strategischer und geschlossener auf. Auch zukünftig möchte die EU mit neuen und alten Partnern zusammenarbeiten und strebt an, bis Ende 2023 neue Freihandelsabkommen unter anderem mit Australien und dem Mercosur abzuschließen.

Erweiterung: Im Interesse Europas…

Visionär wurde von der Leyen beim Thema Erweiterung. Ihr schwebt eine erfolgreich vollendete, freie und florierende Union mit über 500 Mio. Bürgern vor, die auf Demokratie und Rechtstaatlichkeit fußt. Vor allem geht es der Präsidentin um die Überwindung der alten Erweiterungsdebatten, die einen Widerspruch zu weiterer Vertiefung sehen. Im Gegenteil: Für von der Leyen ist eine Erweiterung auf mehr als 30 Staaten ein „Katalysator für den Fortschritt“ und Integration – wofür die begonnene Gesundheits- und auch Verteidigungsunion als Beleg dienen. Doch wie kann die bestehende EU aufnahmefähig werden? Da geht von der Leyen schnell über die so komplexen verfassungsrechtlichen und politisch strittigen Fragen hinweg und plädiert nur „notfalls“ für einen Europäischen Konvent und die Änderung der Verträge. Rascher geht es für sie offenbar, wenn die Kommission eine Reihe von Überprüfungen von Politikfeldern im Vorfeld der Erweiterung durchführt und Ideen zur Anpassung des Haushalts und zum Funktionieren der Institutionen liefert. Ob dieser pragmatische Ansatz bei einer EU greift, die bisher nur unter Krisendruck zu mehr Integration bereit war, aber nicht zu vorausschauender, gemeinsamer Reform, bleibt abzuwarten.

Zustimmung und Kritik

Es war eine Rede, die keinem wehtut. Quer durch das Spektrum der politischen Parteifamilien – die Extreme ausgenommen – war für jeden etwas dabei. So reichte von der Leyens Themenpalette vom erneuerten Bekenntnis zum Green Deal und zu Biodiversität, über fairen globalen Handel und europäische Wettbewerbs-und Industriepolitik bis hin zur De-Risking-Strategie gegenüber China und zur weiteren Unterstützung der Ukraine – alles Themen, die sowohl zukunftsweisend sind und im Mainstream der politischen Gruppierungen von Mitte-links bis Mitte-rechts Anklang fanden. Im Grunde war es deshalb eine Rede für eine große Koalition, die Europa voranbringen will.

Doch wurde auch von Beobachter- und Politikerseite nicht mit Kritik gespart, da vieles bei der Ankündigung von Überprüfung und Berichterstattung, wie im Falle der Wettbewerbsfähigkeit der EU oder der Erweiterungsfrage blieb, statt konkreter Lösungsvorschläge. So vermissten beispielsweise der EVP-Wirtschaftskoordinator und Stiftungsvorsitzende Markus Ferber in Zeiten großer wirtschaftlicher Herausforderungen ein politisches „Paket für Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und Beschäftigung“ und der EVP-Vorsitzende Manfred Weber ein Leuchtturmprojekt der europäischen Einigung wie die „europäische Verteidigungsunion“. Erst nach den Europawahlen im Juni nächsten Jahres wird man sehen können, welche konkreten Projekte und Programme eine dann neue Kommission anstrebt.

Kontakt

Belgien (Europa-Büro Brüssel)
Hanns-Seidel-Stiftung Brüssel
Leiter: Dr. Thomas Leeb
Belgien (Europa-Büro Brüssel)
Dr. Thomas Leeb
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Programm-Managerin: Michelle Wiesner
Entwicklungspolitischer Dialog
Michelle Wiesner
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