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Geheimdienstkooperation und Terrorbekämpfung in Europa

Auch wenn die terroristischen und islamistischen Hintergründe noch unklar sind, führte der Anschlag in Nizza erneut die Bedrohungslage in Europa vor Augen. Um über Europas Geheimdienstkooperation zu sprechen, folgten zahlreiche Politiker und Experten am 13. Juli 2016 der Einladung der Hanns-Seidel-Stiftung in Brüssel.

Gerhard Conrad, Axel Voss, Moderator Satish Sule (EU-Kommission), Jana Gajdosova und Burkhard Körner

Gerhard Conrad, Axel Voss, Moderator Satish Sule (EU-Kommission), Jana Gajdosova und Burkhard Körner

Mit Dr. Burkhard Körner,  Präsident des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz, konnte ein renommierter Fachmann für den Impulsvortrag gewonnen werden. Er betonte, dass man zuerst die bestehenden Lücken bei der Zusammenarbeit schließen müsse, bevor man an neue Institutionen denken könne, für die es derzeit zudem keine europarechtliche Grundlage gebe. Auf dem anschließenden Panel diskutierten mit dem Impulsredner Dr. Gerhard Conrad, Direktor des EU Intelligence and Situation Centre (EU INTCEN), der EVP-Europaabgeordnete Axel Voss sowie Dr. Jana Gajdosova von der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte.

Zunächst skizzierte Prof. Dr. Jan-Hendrik Dietrich von der Hochschule des Bundes in Haar bei München die Eckpunkte der Diskussion, die von der Schaffung einer EU-Behörde einerseits bis zu konkreten Maßnahmen zur Verbesserung der Geheimdienstkooperation andererseits reichten. Mit Blick auf das Fehlen wissenschaftlicher Studien zur geheimdienstlichen Zusammenarbeit in Europa und auf die ungeklärte Definition des Begriffs Nationale Sicherheit forderte Prof. Dietrich einen intensiven Diskurs zu diesem Thema.

Burkhard Körner

Burkhard Körner

Gefahrenabwehr als Kernaufgabe der Mitgliedsstaaten

Dr. Körner stellte klar, dass es für einen europäischen Geheimdienst derzeit keine Rechtsgrundlage gebe, denn  innere und äußere Sicherheit und damit grundsätzlich die Gefahrenabwehr seien eine Kernaufgabe der Mitgliedsstaaten. Im Rahmen der bestehenden Verträge sei es möglich, den Informationsaustausch zu verbessern, eine gemeinsame strategische Lageanalyse vorzunehmen und über die vorhandene Stelle des EU Antiterror-Beauftragten die Datenbank Synapse weiterzuentwickeln. Dabei könne und solle man den Weg gehen, die bisherige informelle und freiwillige Praxis der Zusammenarbeit verpflichtender zu gestalten. Vordringlich sei es heute, die offensichtlichen Lücken im System zu schließen. Dazu zählte Bayerns oberster Verfassungsschützer die Tatsache, dass islamistische Terrorverdächtige nicht erfasst würden, wenn sie keinen konkreten Bezug zu einem EU-Mitgliedsstaat aufwiesen. Für solche Personen fühle sich kein EU-Staat zuständig, so dass die Daten dieser Gefährder nicht ins System eingegeben würden. Und die Eingabe der Daten über eine nationale sog. SIRENE-Behörde im Schengener Informationssystem , im deutschen Fall das BKA, dauere meist zu lange. Insgesamt sei die Ausgangsbasis für die nachrichtendienstliche Zusammenarbeit in Europa ausreichend. Die Regelungen müssten jetzt den Praxistest bestehen. Maßgabe sei, dass die Informationen über mutmaßliche Terroristen auch die Polizisten vor Ort erreichten. Den Forderungen nach einem europäischen FBI erteilte Dr. Körner eine eindeutige Absage, nicht zuletzt, da es an der notwendigen Bürgerakzeptanz gegenüber einem europäischen Polizeidienst mangle. Solange die europäische Werteordnung mit den demokratischen Rechtsstaatsprinzipien nicht überall gleich stark gelte, sollte man sich vor überzogenen Ambitionen hüten. Und vor Vertragsänderungsverfahren sei nach dem Brexit-Votum auch zu warnen. An die Adresse der europäischen Öffentlichkeit richtete Dr. Körner den Appell, von der Gegenüberstellung Freiheit versus Sicherheit Abstand zu nehmen. Dieser Gegensatz sei überholt und stehe im Zeitalter von Social Media und Big Data für veraltetes Denken. Heute sei die entscheidende Frage, welche Freiheitsrechte man aufzugeben bereit sei, um andere Freiheitsrechte zu bewahren. 

Axel Voss

Axel Voss

Umdenken beim Datenschutz

Das in der Öffentlichkeit vorherrschende grundrechtsdominierte Denken dürfe nicht den  klaren Blick auf die Gefahrenlage verstellen, so lautete die unmissverständliche Forderung des Rechtspolitikers Axel Voss. Die politische Priorität müsse heute auf der Umsetzung des europäischen Wertekanons von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Gleichberechtigung liegen sowie auf der Gewährleistung von Sicherheit. Angesichts der Wertebrüche unter den Migranten sei diese Prioritätensetzung für die Stabilität der Gesellschaft dringend notwendig. Aus dem digitalen Wandel heute müsse man auch die entsprechenden datenschutzrechtlichen Konsequenzen ziehen: Das Bild des totalitären Staates sei ein Zerrbild, nicht der "böse" Staat bedrohe die Freiheit, sondern extremistische und terroristische Gruppen. Dieses Umdenken sei jedoch auch beim Gesetzgeber noch nicht überall angekommen, wie die viel zu langsame Verabschiedung der Regeln zur Fluggastdatenspeicherung und die Hysterie um die Vorratsdatenspeicherung zeigten. Mehr Daten bedeuteten heute weniger Bedrohung und mehr Schutz. Daher laute die Grundregel: die Daten speichern, den Zugang beschränken.

Die Tagungsreferenten mit Präsident Körner in der Mitte

Die Tagungsreferenten mit Präsident Körner in der Mitte

Mehrwert des EUINTCEN

Dr. Gerhard Conrad führte in Aufgabe und Funktion des EU Intelligence and Situation Centre (EUINTCEN) ein, das dem Europäischen Auswärtigen Dienst angegliedert und durch konsolidierte Lageberichte an den Entscheidungsprozessen im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beteiligt sei. Er sah den großen Mehrwert des EUINTCEN vor allem für kleinere Mitgliedsstaaten, die nur über begrenzte Ressourcen in der strategischen Aufklärung verfügten. Auch wenn es derzeit verfrüht sei, sich für ein europäisches FBI einzusetzen, möge man aber doch den politischen Willen zu einer verbesserten gemeinsamen Risikoabwehr deutlicher erkennen lassen. Dr. Jana Gajdosova  versicherte, dass sich die EU-Agentur für Grundrechte konstruktiv in den Prozess einer verbesserten Geheimdienstkooperation einbringe. Sie sprach sich für klare Regeln der Kooperation aus, plädierte für eine Zusammenarbeit auch der Geheimdienstkontrollgremien und mahnte, dass man Opferschutz und Schutzmechanismen für individuelle Bürgerrechte nicht vergessen dürfe.