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Portraits jüdischer Persönlichkeiten
Gesichter unseres Landes: Grete Weil

Wir feiern 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland und Bayern und würdigen den essentiellen Beitrag, den jüdische Persönlichkeiten für die Geschichte, Kultur, Wissenschaft und Wesensart unseres Landes geleistet haben. Heute im Portrait: Grete Weil - Kronzeugin jüdischen Lebens im Exil.

Grete Weil, die ihrem Mann 1935 ins Exil nach Amsterdam folgte, gilt heute als eine der bedeutendsten deutschen Schriftstellerinnen. Als eine der ersten Autorinnen fasste sie das Schicksal der von den Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg verfolgten Juden in den Niederlanden in Worte. Zugleich damit brachte sie auch ihr eigenes Schicksal als Jüdin während der Zeit der NS-Diktatur zur Sprache.

Kindheit, Jugend, Heirat

Grete Weil wird am 18. Juli 1906 in Egern als Margarethe Elisabeth Dispeker geboren. Ihr Vater Siegfried Dispeker ist ein angesehener, assimiliert-jüdischer, liberal eingestellter Münchner Rechtsanwalt. Ihre Kindheit und Jugend verbringt sie in München und am Tegernsee, wächst mit Kunst, Literatur und Theater auf.

In den 1920er Jahren wächst der Antisemitismus in Deutschland. Während des Hitlerputsches 1923 fliehen die Dispekers erstmals einige Tage nach Grainau zu Verwandten. Noch aber denken sie nicht an Emigration. 1929 macht Grete ihr Abitur; in Frankfurt beginnt sie ein Studium der Germanistik, das sie nach Berlin, Paris und 1932 zurück nach München führt. In jenem Jahr heiratet sie ihren langjährigen Freund und Cousin Edgar Weil, Dramaturg an den Münchner Kammerspielen. Als er nach der Machtübernahme der Nazis als Jude entlassen wird und zwei Wochen ins Gefängnis kommt, beschließt das Paar zu emigrieren. Edgar Weil zieht bereits 1934 nach Amsterdam, während Grete Weil in München eine Ausbildung als Fotografin beginnt, um eine Existenzgrundlage für ihr Leben im Exil zu haben.

Emigration

Im Dezember 1935 emigriert auch Grete Weil in die Niederlande. Zusammen mit dem aus Frankfurt geflüchteten Grafiker Herbert Meyer Ricard mietet das Paar ein Haus in einem Vorort von Amsterdam. Von 1936 bis 1941 ist Grete Weil Inhaberin des jüdischen Fotostudios Edith Schlesinger. Moderne Kunstfotos in Amsterdam, das sie von der Jüdin Edith Schlesinger übernimmt, die 1936 nach New York emigriert. Viele deutsche Emigranten lassen sich von ihr fotografieren, darunter der Maler Max Beckmann, der Dirigent Bruno Walther und der Schriftsteller Franz Werfel.

(CC BY-SA 3.0); Edgar Weil, ca. 1938, Monacensia Literaturarchiv, Munich (Münchner Stadtbibliothek), wikimedia commons, https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Weil_edgar.png

In der Falle

Ab dem Jahr 1940 wird das holländische Exil durch die deutsche Besetzung der Niederlande zur Falle. Grete und Edgar Weil versuchen erfolglos über den Hafen Ijmuiden nach England zu fliehen. Am 11. Juni 1941 wird Edgar Weil von der Gestapo verhaftet und nach Österreich ins KZ Mauthausen deportiert, wo er im September 1941 ermordet wird. Ein Jahr später beginnt die systematische Deportation aller niederländischen Juden in die Vernichtungslager im Osten. Grete Weil tritt in Kontakt zu Widerstandsgruppen, fertigt Fotos für die Fälschung von Personalausweisen an. Nach der Deportation von Edgar Weil 1941 arbeitet sie aus strategischen Gründen, um ihre Mutter und sich zu schützen, notgedrungen in der Vertretung der jüdischen Bevölkerung Amsterdams, dem „Joodse Raad“ als Fotografin im Theatergebäude der „Hollandsche Schouwburg“. Als Mitglied des „Jüdischen Rates“ ist Grete Weil bis zu dessen Auflösung im September 1943 (Abschluss der Massendeportation und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in den Niederlanden) vor einer persönlichen Deportation geschützt. Als diese 1943 unmittelbar bevorsteht, taucht sie in letzter Minute für 17 Monate bei dem Grafiker Herbert Meyer Ricard unter. Im Versteck in seiner Wohnung hilft sie ihm, Tonfiguren für seine Spielzeugfirma herzustellen, die zur Finanzierung des Lebensunterhaltes in Amsterdamer Kaufhäusern verkauft werden.

Im Widerstand

1943 gründen Grete Weil, Herbert Meyer Ricard, dessen Freundin Vera Haymann und der aus Berlin geflüchtete Ulrich Rehorst die deutsch-niederländische Widerstandsgruppe „Hollandgruppe Freies Deutschland“. Bald umfasst die Gruppe 180 Mitglieder aus verschiedenen politischen und konfessionellen Lagern; alle Mitglieder sind Gegner des Faschismus und sozialistisch orientiert, viele von ihnen Juden, so dass man hier tatsächlich von einem jüdischen Widerstand in Amsterdam sprechen kann. Die Arbeit der „Hollandgruppe“ setzt im Herbst 1943 mit der Herausgabe von Flugblättern ein. 1944 und 1945 gibt die Gruppe verschiedenste Publikationen heraus, in denen Arbeitsweise und Ziele beschrieben werden. Sie agiert auch mit einer Marionettenbühne, führt von 1943 bis 1945 Theaterstücke in der Wohnung von Meyer Ricard auf, in denen sie die Verbrechen der Nationalsozialisten auf die Bühne bringt. Als erstes Theaterstück wird Weihnachten 1943 die von Grete Weil geschriebene Weihnachtslegende 1943 aufgeführt, die 1945 in Amsterdam veröffentlicht wird. In ihr verarbeitet Weil erstmals ihre Erfahrungen im Amsterdamer Exil und im Untergrund.

Die Befreiung durch die Alliierten erlebt Grete Weil am 4. Mai 1944 in der Prinsengracht bei einer Freundin in Amsterdam. Auch ihre Mutter und ihr Bruder haben den Holocaust überlebt. Als Staatenlose darf sie vorerst nicht nach Deutschland zurückkehren. 1947 wird sie in Amsterdam als Widerstandskämpferin anerkannt und kehrt zurück nach Deutschland.

Jüdisches Museum München; Monacensia Literaturarchiv, Munich (Münchner Stadtbibliothek), (CC-PD-Mark); https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Dispeker_grete_tegernsee_valley_c1932.jpg?uselang=de

Später literarischer Ruhm

Sie lässt sich zunächst in Darmstadt nieder, wo Walter Jokisch, ihr späterer zweiter Ehemann, als Opernregisseur arbeitet. Grete Weils Ziel ist es, in ihrer Heimat „gegen das Vergessen anzuschreiben“. In ihrer Erzählung Ans Ende der Welt, die von der Deportation zweier holländisch-jüdischer Familien handelt, hatte sie zum ersten Mal von der Verfolgung der niederländischen Juden berichtet. 1949 erscheint diese Erzählung zuerst im Ostberliner Verlag Volk und Welt, in Westdeutschland erst 1962.

Nach Arbeiten als Librettistin (Boulevard Solitude, Musik Hans Werner Henze, UA 1952) schreibt Grete Weil den Roman Antigone, verfasst aber auch Theater-Rezensionen, Essays und Übersetzungen englischsprachiger Autoren. 1963 stellt sie den Roman Tramhalte Beethovenstraat fertig, in dem sie die Kriegs- und Nachkriegserfahrungen von Deutschen, jüdischen Deutschen und Niederländern in Amsterdam, aber auch in München schildert.

74 Jahre ist Grete Weil, als ihr literarischer Durchbruch mit ihrem Roman „Meine Schwester Antigone“ erfolgt. In ihm setzte sie sich erneut mit der Zeit des besetzten Amsterdams und der dortigen Verfolgung der Juden durch die Nationalsozialisten auseinander. 1980 kam er erstmals in einem Schweizer Verlag heraus. Erst in hohem Alter gelang es Grete Weil, mit ihren größtenteils autobiographisch geprägten Erzählungen und Romanen internationale Anerkennung als einzigartige Gegenwartsautorin zu erlangen. Ihr Werk wurde mit zahlreichen Preisen (unter anderem dem Tukan-Preis der Stadt München und dem Bayerischen Verdienstorden) ausgezeichnet.

Grete Weil starb am 14. Mai 1999 in Grünwald bei München. Ihr Grab befindet sich auf dem Gemeindefriedhof von Rottach-Egern am Tegernsee, das sie bis an ihre Lebensende als ihre Heimat betrachtete. 

Autorin: Dr. Ingvild Richardsen forscht seit 2005 zu Frauenbewegungen, feministischen Themen, Erinnerungskultur, Jewish Heritage, NS-Zeit und modernen Kunstbewegungen. 2020 erhielt sie vom Zonta Club Fünf-Seen-Land für ihre Forschungen, Publikationen, Filme und Ausstellungen den Medienpreis 2020 und von der Meiji University Tokyo den Mobility Research 2020.

Exner, Lisbeth: Land meiner Mörder, Land meiner Sprache. Die Schriftstellerin Grete Weil. München: A1 Verlag 1998

Tworek, Elisabeth: Trügerische Idylle. Schriftsteller und Künstler am Tegernsee 1900–1945.  München 2016.

Ingvild Richardsen: Grete Weil in Rottach-Egern. Literaturportal Bayern. München 2021; Grete Weil in München. Literaturportal Bayern. München 2021; Grete Weil in Amsterdam. Literaturportal Bayern. München 2021.

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Bildung, Hochschulen, Kultur
Thomas Klotz
Leiter