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Kurz erklärt
Gewissensfrage? Was ist denn das?

Autor: Susanne Hornberger

Die Abstimmung im Bundestag über das Thema „Ehe für alle“ wurde von Kanzlerin Angela Merkel zur „Gewissensfrage“ erklärt. Was das bedeutet, erklären wir hier kurz:

Heute hat im Bundestag eine Mehrheit für die  „Ehe für alle“ gestimmt.

Heute hat im Bundestag eine Mehrheit für die „Ehe für alle“ gestimmt.

Kaz; CC0; Pixabay

Grundsatz des freien Mandats

Ganz grundsätzlich üben die Bundestagsabgeordneten ein freies Mandat aus – das bedeutet, dass sie „Vertreter des ganzen Volkes“ und „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ sind. So steht es in Art. 38 Abs. 1 S. 2 unseres Grundgesetzes. Noch näher ausgeführt wird dies in der Geschäftsordnung des Bundestages, § 13: Bei „Reden, Handlungen, Abstimmungen und Wahlen folgt jedes Mitglied des Bundestages seiner Überzeugung und seinem Gewissen“. Das bedeutet, dass alle Bundestagsabgeordneten nach ihrer persönlichen Überzeugung abstimmen dürfen. Und zwar so, wie sie der Meinung sind, dass dem Staat und dem Volk durch ihre Entscheidung am besten gedient ist. Sie müssen theoretisch keine Anweisungen ihrer Parteien befolgen.

Wenn eine Abstimmung zur „Gewissensfrage“ erklärt wird, ist die Fraktionsdisziplin aufgehoben.

Wenn eine Abstimmung zur „Gewissensfrage“ erklärt wird, ist die Fraktionsdisziplin aufgehoben.

mwewering; CC0; pixabay

Die Fraktionsdisziplin

Allerdings gibt es im parlamentarischen Betrieb eine davon abweichende Praxis. Es herrscht nämlich ein faktischer – nicht formeller – Fraktionszwang oder „Fraktionsdisziplin“.  Das heißt, dass Abgeordnete, die sich wiederholt gegen die Parteilinie stellen und anders wählen als vorgegeben, mit parteiinternen Problemen zu rechnen haben. Zum Beispiel könnten sie bei der nächsten Wahl Schwierigkeiten bekommen, einen der begehrten Listenplätze zu ergattern, also von ihrer Partei nicht mehr für den Bundestag aufgestellt zu werden oder sie werden bei der Vergabe besonders interessanter Aufgaben und Posten übergangen. Die Fraktionsdisziplin dient der Spitze der jeweiligen Bundestagsfraktionen dazu, dass die Parteilinie abgesichert und von allen Mitgliedern vertreten wird, also bei Abstimmungen im Sinne der vorher festgelegten Linie einheitlich gewählt wird. So wird gewährleistet, dass die Fraktionen geschlossen abstimmen und mit einer Stimme sprechen. Meistens unterwerfen sich die Abgeordneten freiwillig der Mehrheitsmeinung und damit der Disziplin.

Ohne Fraktionszwang müssen die Abgeordneten nur auf ihr eigenes Gewissen hören.

Ohne Fraktionszwang müssen die Abgeordneten nur auf ihr eigenes Gewissen hören.

fsHH/PIXABAY

Gewissensentscheidung

Wenn also eine Abstimmung zur „Gewissensfrage“ erklärt wird, ist der Fraktionszwang bzw. die Fraktionsdisziplin für die Abstimmung über diese Frage aufgehoben. Damit können die Abgeordneten völlig unabhängig von der jeweiligen Parteilinie abstimmen. Regelmäßig erfolgt dieses Vorgehen bei heiklen, ethischen Fragen, wie beispielsweise bei der Frage von Abtreibungen oder eben jetzt bei Abstimmung über die Ehe für alle.

Leiterin Onlineredaktion/Internet

Susanne Hornberger