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Urgesteine – Neubürger - Asylsuchende
Heimat- und Zufluchtsort Oberpfalz

Autor: Thomas Klotz

Flucht und Vertreibung und die damit in Zusammenhang stehenden Fragen bestimmen nach wie vor ganz wesentlich die Berichterstattung und das öffentliche Interesse. Doch was bedeutet es, fremd zu sein? Was bedeutet Heimat? Was stiftet Identität?

Ursula Männle

Ursula Männle

Bei den Antworten auf diese Fragen kommen der Kunst und der Kultur große Bedeutungen zu. So kann etwa das Kulturgut „Literatur“ Identität stiftend sein. Die Literatur gibt Zeugnis, von der Zeit, in der sie entstanden ist und spiegelt auch die Lebensart wider. Zudem bildet die Literatur eine Trias mit Kunst und Musik und ist dadurch in der Lage, unterschiedliche Kulturen zu verbinden.

Dies ist auch der Grund dafür, dass die Landkreise Neumarkt, Regensburg und Schwandorf die Literaturtage begehen, deren Zweck es ist, die regionale Kunst und Kultur zu stärken und bekannt zu machen. Die Themen Flucht, Vertreibung, Fremdsein und Heimat bestimmen im Großen und Ganzen die heuer stattfindenden „4. Literaturtage im Oberpfälzer Jura“. Die Veranstaltungsreihe wurde 2006 vom Markt Beratzhausen ins Leben gerufen. Die Hanns-Seidel-Stiftung unterstützte in Kooperation mit der KunstLiteraTour – Kulturredaktion für Ostbayern – diese Initiative mit einer Podiumsdiskussion zum Thema: „Heimat- und Zufluchtsort Oberpfalz: Urgesteine – Neubürger – Asylsuchende“.

Ursula Männle

Ursula Männle

Ziel der Veranstaltung war, sich mit den Erwartungen und Ängsten, den Anregungen und Anfeindungen, die im Kontakt zwischen der einheimischen Bevölkerung und neu zugezogenen Asylbewerbern entstehen können, auseinander zu setzen. Beleuchtet wurden dabei die gegenwärtige Stimmungslage, die Auswirkungen auf das Alltags- und Kulturleben in der Oberpfalz und – beim Blick in die Geschichte – der Vergleich der aktuellen Situation mit der Flüchtlingswelle nach dem Zweiten Weltkrieg und der Ansiedlung der Russlanddeutschen.

Die Vorsitzende der Hanns-Seidel-Stiftung e.V., Prof. Ursula Männle, zitierte nach ihrer allgemeinen Stellungnahme zur Flüchtlingskrise den Altbürgermeister und Chronisten Hans Schuster, der in der Stadtchronik von Hemau zur Situation der Nachkriegszeit vermerkt, dass „die größte Herausforderung, die Unterbringung der zugeteilten Flüchtlingstrecks (...) nur unter größten Anstrengungen und der Einsicht der einheimischen Bevölkerung in der Stadt und Land gemeinsam gelöst werden (konnte)“. Sie führte aus, dass es damals schwierig gewesen sei, die Lage zu beherrschen und dass dies auch heute so sei. In der momentanen Situation könne es keine schnelle Lösung geben. Der Prozess der Integration werde nur durch Fördern und Fordern gelingen, wozu man einen langen Atem brauche. Die Hanns-Seidel-Stiftung unterstütze mit ihren Projekten im In- und Ausland diesen Prozess.

Albert Schmid

Albert Schmid

Dort hingehen zu wollen, wo es sich besser leben lässt, sei nachvollziehbar, betonte Dr. Albert Schmid, Vorsitzender des Landeskomitees der Katholiken in seinem Vortrag „Grundfragen der Migration und der Integration“. Aus Migration ergebe sich die Integration für die, die legitimer Weise hier leben. Allerdings sei rechtzeitige Entwicklungshilfe die beste Antwort auf Massenflucht. Entwicklung müsse im Weltmaßstab begriffen werden. Die große Herausforderung liege darin, die gesamte Gesellschaft auf den richtigen Weg in den Integrationsprozess zu führen und zu bedenken, dass „Entwicklung“ das neue Wort für „Frieden“ sei.

Tobias Appl, Herbert Tischhöfer, Lioba Abbenante, Beate Arwanitaki-Mirbeth, Jakob Schels, Willibald Hogger, Kurt Unger

Tobias Appl, Herbert Tischhöfer, Lioba Abbenante, Beate Arwanitaki-Mirbeth, Jakob Schels, Willibald Hogger, Kurt Unger

Die anschließende Podiumsdiskussion mit Politikern, Kulturschaffenden, Sicherheitskräften, Neubürgern, Asylsuchenden und ehrenamtlich Engagierten brachte Aufschluss über die aktuelle Flüchtlingssituation und den Umgang mit Flüchtlingen in Hemau und Umgebung:

  • Der historische Blick auf die Oberpfalz, der an Zuzug, Vertreibung, Auswanderung und Ansiedlung alles bekannt ist, solle die momentane Flüchtlingskrise relativieren helfen. 
  • Viele Vertriebene, Russlanddeutsche und Flüchtlinge hätten dort eine neue Heimat gefunden. Ab 1991 seien in einem Übergangswohnheim 3400 Aussiedler untergebracht worden, von denen über 880 blieben. Alle seien mittlerweile bestens integriert. 
  • Sowohl die Stadt Hemau als auch Privatinitiativen seien bei der gegenwärtigen Unterbringung von Asylbewerbern stark engagiert.
  • Seit 2014 gebe es den „Runden Tisch Asyl“, bei dem sich Stadtverwaltung, Stadtratsfraktionen, Kirchen, Schulen, Kindergärten, Kinderheim, Nachbarschaftshilfe und die Polizei engagierten.
  • Oberpfalzweit war es vom Juli 2015 bis September 2015 zu 42 „Großaufgriffen“ mit 1074 geschleusten Menschen gekommen. Seit einem Jahr werde monatlich im Schnitt eine Großschleusung registriert.
  • Ende Juli 2016 zähle man in der Oberpfalz 737 Objekte (Erstaufnahme Einrichtungen, Notunterkünfte, dezentrale Flüchtlingsunterkünfte sowie Unterkünfte für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge), in denen 10333 Flüchtlinge und Asylbewerber untergebracht seien. 
  • Spürbare und sichtbare Steigerung der Kriminalitätsdelikte gebe es keine. Einsatzanlässe der Polizei vorwiegend in den Unterkünften seien Streitereien und Köperverletzungen unter den Bewohnern, Ruhestörungen, Randalierer, vermisste (meist) unbegleitete Minderjährige, Diebstähle und Sachbeschädigungen. Es habe sich gezeigt, dass dezentrale Unterkünfte mit geringen Belegungszahlen ein friedliches Zusammenleben untereinander sowie auch mit den deutschen Nachbarn fördern würden.
  • Zur Integration gehöre auch, dass man die Landessprache lerne, die hier geltenden Gesetze einhalte, und sich auch mit der Landeskultur auseinandersetze. Allerdings dürfe Integration nicht mit der Aufgabe der eigenen Identität gleichgesetzt werden.
  • Nur durch den Zusammenhalt und eine gemeinsame Zielrichtung innerhalb der Gesellschaft werde eine Integration möglich sein. Alle Gemeinden müssten ihren Beitrag zur Integration leisten. Allerdings dürfe die Solidarität der aktiv mitarbeitenden Gemeinden nicht überstrapaziert werden.
  • Bei aller Nüchternheit und Professionalität, mit der man die Vielschichtigkeit der Thematik angehe, darf man nicht vergessen, dass wir von Menschen und von Schicksalen sprechen. 
  • Die momentane Berichterstattung der Presse trage eher zu einer Polarisierung in der Flüchtlingsdebatte bei. Es werde viel zu wenig über positive Beispiele berichtet, das Negative, „Stimmungsmachende“ überwiege bei weitem.

Fazit der Podiumsdiskussion:

Wichtig ist, dass sich die Menschen vor Ort nicht von Vorurteilen, Ängsten und Panikmache leiten lassen. Wie auch am Beispiel Hemau zu sehen ist, kann man von Flüchtlingsströmen auf vielfältige Art und Weise profitieren. Zentrale Aufgabe ist es, den „Neuankömmlingen“ nicht nur einen Wohnort, sondern eine neue Heimat zu geben. Auf dem Weg dahin ist jeder gefordert, offen aufeinander zuzugehen: Urgesteine, Neubürger und Asylsuchende.

Hier finden Sie die PDF Zusammenfassung des Vortrags von Albert Schmid.