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Corona in Südafrika
Herausforderungen und Folgen

Autor: Hanns Bühler

Südafrika reagierte frühzeitig auf die Pandemie und ergriff weitreichende Maßnahmen. Doch viele Menschen leben in informellen Siedlungen und Townships auf engstem Raum zusammen. Für sie ist der Shutdown des öffentlichen Lebens besonders schwierig. Welche Folgen hat Covid-19 für die Wirtschaft, Gesellschaft und Einkommen?

  • Ausgangssperre und Abstandsgebot
  • Einschränkung von Freiheitsrechten
  • Krisenmanagement
  • Wirtschaft
  • Gesundheit
  • Prioritäten nach der Krise
  • Zusammenarbeit ist gefragt

Seit dem 27. März 2020 gilt eine 21-tägige umfangreiche Ausgangssperre (Statement by President Cyril Ramaphosa on Escalation of Measures to Combat COVID-19 Epidemic) im Land am Kap. Der sog. „Shutdown“ geht mit umfangreichen Maßnahmen einher, die das öffentliche Leben zum Erliegen bringen. Dazu zählt, dass das Verlassen der Wohnung nur noch aus wichtigem Grund erlaubt ist (medizinische Betreuung, Einkaufen von Nahrungsmitteln und anderer überlebenswichtiger Güter, Abholung von Sozialhilfegeldern). Spazierengehen oder Sport an der frischen Luft ist verboten, auch das Treffen von Freunden oder Kollegen.

Außerdem wurde das Militär (South African National Defence Force, SANDF) zur Unterstützung der Polizei (South African Police Service, SAPS) in die urbanen Zentren, die Townships und in die informellen Siedlungen abgeordnet. Der kommerzielle Flugverkehr wurde eingestellt und alle Unternehmen sind geschlossen. Deutsche Touristen, die in Südafrika gestrandet sind, werden in aufwändigen Rückholaktionen des Auswärtigen Amts nach München und Frankfurt ausgeflogen. Die Kindergärten, Schulen und Universitäten sind bereits seit dem 18. März geschlossen.  

Präsident Cyril Ramaphosa gab den Südafrikanern 48 Stunden Zeit, um sich auf die Ausganssperre vorzubereiten.

In vielen informellen Siedlungen und Townships tun sich Menschen schwer, die Ausgangssperre zu beachten und soziale Distanz einzuhalten

In vielen informellen Siedlungen und Townships tun sich Menschen schwer, die Ausgangssperre zu beachten und soziale Distanz einzuhalten

HSS/Südafrika

Die Ausgangssperre

Die WHO erklärte in ihrem Briefing am 30. März, dass jedes Land der eigenen Situation angemessene Lösungen finden müsse. In keinem Land der Erde ist die Ungleichheit zwischen Arm und Reich größer als in Südafrika. Während die Ausganssperre für die Mittel- und Oberschicht mit Entbehrungen durchzuhalten sein wird, ist eine Separierung von Menschen in den Townships und informellen Siedlungen schlicht unmöglich.

Die Hütten sind so eng aneinandergebaut, dass Abstandhalten und die nötigen Hygienemaßnahmen im Alltag nicht durchgesetzt werden können. Oft wohnen mehrere Menschen in einem Zimmer. Zudem ist die mangelnde Versorgung mit fließendem Wasser ein weiterer wichtiger Risikofaktor. Aktuelle Bilder aus den Townships Alexandria, Soweto nahe Johannesburg oder Khayelitsha, in direkter Umgebung zum Zentrum von Kapstadt, in denen Millionen Südafrikaner leben, zeigen, wie Kinder auf den Straßen spielen und die Menschen in langen Schlangen vor Läden versuchen, Nahrungsmittel zu kaufen. Viele Menschen treibt schlicht der Überlebenskampf auf die Straße. Somit ist in der ersten Woche der Ausganssperre zu beobachten, dass sich in den Townships viele Südafrikaner nicht an die Ausgangssperre halten, oftmals nicht richtig darüber informiert sind ebenso wie über die Gefahr des Corona-Virus -  und es daher nicht ernst nehmen – oder den Schutz vor Ansteckung.

Die Sicherheitskräfte (Militär und Polizei), gehen oftmals brutal und unverhältnismäßig gegen Verstöße gegen die Ausgangssperre vor. Bisher starben neun Menschen durch Polizeigewalt.

Tausende Südafrikaner und Migranten, die im informellen Sektor arbeiteten, haben bereits jetzt im Zuge der Ausgangssperre ihren Job verloren: Putzfrauen, Nannys, Serviceangestellte im Tourismusgewerbe, Kellner, Parkeinweiser, Händler. Über finanzielle Rücklagen irgendeiner Art verfügt in Südafrika ohnehin nur eine verschwindend geringe Minderheit der Bevölkerung.  Dies wird langfristig nachwirken, denn von den kleinen Unternehmen, die jetzt in einen Liquiditätsengpass geraten, werden voraussichtlich viele nach dem Shutdown nicht mehr auf die Beine kommen. 

Zur Information
Aktuelle Herausforderungen für Afrika

Viele afrikanische Regierungen haben beeindruckender Weise frühzeitig und zielorientiert mit umfangreichen Ausgangssperren reagiert. Schließung von Unternehmen, Kapitalabfluss, Abwertung der Währungen, Arbeitslosigkeit, Überlebenskampf sind die Folgen. Die Erreichung der Entwicklungsziele der Vereinten Nationen waren für viele afrikanische Länder anspruchsvoll, werden jetzt aber vor allem im Bereich der Armutsbekämpfung weit verfehlt werden. In Afrika werden die Menschen nicht nur an Covid-19 sterben. Bill Gates spricht von 10 Millionen Toten. Arme Menschen und benachteiligte Gruppen sind vom Virus doppelt betroffen: Das Risiko, sich mit dem Virus anzustecken, ist in den informellen Siedlungen und Townships ungleich höher, die gesundheitliche Versorgung umso schlechter. Gleichzeitig leiden die Menschen dort besonders unter den wirtschaftlichen Auswirkungen der Ausganssperre. Um überleben zu können, verletzen sie diese Beschränkung und nehmen eine Ansteckung in Kauf. Der Kontinent ist auf schnelle internationale Unterstützung angewiesen.

Noch könnte das Schlimmste verhindert werden. Es müsste bereits jetzt im gesundheits-, außen- und sicherheitspolitischem Eigeninteresse Deutschlands und Europas liegen, zu einer Eindämmung der Pandemie in Südafrika und Afrika einen schnellen, zielgerichteten und unbürokratischen Beitrag zu leisten. Sollten Ökonomien in Afrika kollabieren, könnten sich die sozialen Spannungen verschärfen, zu weiterer politischen Instabilität führen, Nährboden für terroristische Gruppierungen darstellen und zu noch größeren Migrationsströmen beitragen.

Mit dem Bereitstellen von dringend benötigten medizinischen Gütern und Krediten positionieren sich China und Russland bereits auf dem Kontinent. In Europa werden wir erst zur Normalität zurückkehren, wenn der Virus auch in Afrika besiegt ist. Und auch das moralische Grundgerüst des Westens wird daran gemessen werden, wie er Afrika in dieser schwierigen Zeit unterstützt.

Beschränkung von Freiheitsrechten

Die nötigen Eingriffe in die Freiheitsrechte, die sich durch die Verhängung der Ausganssperre ergeben, sind in Südafrika und in vielen anderen Ländern Afrikas extrem. Nur wenige Länder auf der Welt haben so frühzeitig und so umfassend reagiert wie Südafrika. Für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist dies ohne Zweifel eine Belastungsprobe. Es ist zu befürchten, dass afrikanische Autokraten, wie der simbabwische Präsident Emmerson Manangagwa durch die Ausrufung des Notstands, ihre Macht weiter zementieren und versuchen werden, demokratische Grundreche auch langfristig weiter auszuhebeln.

Dies gilt in keiner Weise im gleichen Ausmaß für die demokratische Regierung in Südafrika, doch auch hier bestehen durchaus Risiken. Zwar beweist sich Präsident Ramaphosa als führungsstarker Krisenmanager und hat dadurch Vertrauen gewonnen, doch war das Vertrauen zwischen dem Staat und den Bürgern in Südafrika bereits vor der Krise stark erschüttert. Umso wichtiger ist, dass die Machtfülle der Sicherheitsorgane, die sich aus dem Katastrophenfall ableiten oder die Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte, bspw. im Rahmen eines digitalen Tracking-Systems, das die Bekämpfung der Pandemie vereinfachen soll, zeitlich beschränkt werden. Ob technische Neuerungen, mit vielen Ressourcen angeschafft und implementiert, wieder so schnell abgeschafft werden, bleibt abzuwarten. Kritiker machen aufmerksam auf das strikte Verbot von der Verbreitung von Falschnachrichten, die im Zuge der Corona-Krise ein beängstigendes und gefährliches Ausmaß erreicht haben. Dieses könnte missbraucht werden, um die Pressefreiheit einzuschränken.

Das Aufmarschieren des Militärs ist für viele Südafrikaner – auch aufgrund der Apartheid – von besonderer Bedeutung und Sensitivität. Die Regierung zeigt damit, dass sie gewillt ist, die von ihr verhängte Ausgangssperre durchzusetzen. Die Zahl der dokumentierten Rechtsverletzungen von Polizei und Militär gegenüber Menschen, die sich nicht an die Ausganssperre halten, ist besorgniserregend. Diese müssen dringend transparent gemacht und mit Mitteln des Rechtsstaats geahndet werden. Es existieren Videos und Fotos von Polizisten, die Menschen mit Stöcken durch die Straßen jagen, mit Gummigeschossen (und wohl ohne vorausgegangene Kommunikation) auf Menschen schießen, die vor einem Supermarkt anstehen und sie mit unverhältnismäßiger Härte schlagen. Dies wird das Vertrauen in den Staat bei vielen Menschen weiter schädigen. Das Fehlverhalten der Sicherheitsorgane zeigt einmal mehr, dass es an professionell und gut ausgebildeten Polizei-Einheiten (geschlossenen Einheiten) fehlt, die befähigt sind, große Ansammlungen von Menschen gewaltfrei auflösen zu können. Das rigorose Vorgehen der Sicherheitsbehörden wird derzeit noch von der Mehrheit der Südafrikaner als nötig empfunden, um die Menschen vor der Ausbreitung des Virus zu schützen. Je länger der „Shutdown“ anhält, desto größer ist das Risiko für soziale Unruhen.

Südafrika besitzt eine der fortschrittlichsten Verfassungen weltweit. Es liegt in der Hand der Medien, Zivilgesellschaft und Parlamente, der Regierung keinen Freifahrtschein zu erteilen, sondern der demokratischen Kontrollfunktion umfänglich nachzukommen. Mit der Unterstützung wichtiger zivilgesellschaftlicher Organisationen leistet die HSS hierzu auf dem afrikanischen Kontinent einen Beitrag. Eine Entwicklung wie nach 9/11, in der Freiheitsrechte dem Terrorkampf zum Opfer gefallen sind, sollte unbedingt vermieden werden.

Das Krisenmanagement

Im Fokus steht derzeit auch die Nahrungsmittelversorgung. Es geht nicht nur darum, die Menschen mit dem nötigen Geld auszustatten, sondern vor allem um die Sicherstellung kommunaler Versorgungsketten, sodass die Menschen in den Townships und informellen Siedlungen an Lebensmittel gelangen können, ohne zu den Supermärkten fahren zu müssen und dort anzustehen. Dies ist vor dem Hintergrund des Risikos sozialer Unruhen von besonderer Bedeutung.

Verdeutlicht man sich die enormen Herausforderungen, denen sich die südafrikanische Regierung mit der Pandemie ausgesetzt sieht, dann muss das Krisenmanagement als exzellent beurteilt werden. Präsident Cyril Ramaphosa hat frühzeitig, klar und transparent reagiert. Es ist beeindruckend zu erleben, wie der Präsident sein Land bisher durch die Krise steuert. Täglich unterrichten die zuständigen Minister und die Medien vollumfänglich über die jeweiligen Schritte und Herausforderungen. Die Berichterstattung ist kritisch und frei. Die Regierung versucht, Verordnungen, die sich aus der Ausgangssperre ergeben, anzupassen, wenn dies nötig erscheint. Das Präsidialamt hat schnell erkannt, dass ein Nicht-Handeln wohl schlimmere Folgen haben würde als ein vorübergehender totaler „Shutdown“. Ramaphosa verwies bspw. auf die hohen Raten von HIV- und Tuberkulose-Erkrankungen, ebenso wie auf die vielen unterernährten Menschen (darunter auch viele Kinder), die von dem Virus besonders betroffen sein werden. 

Das südafrikanische Centre for Epidemiological Modelling and Analysis präsentiert eine Hochrechnung, die besagt, dass möglicherweise 87.900 bis 351.000 Menschen in Südafrika an Covid-19 sterben könnten.

Die wirtschaftliche Situation

Südafrika befand sich bereits vor der Pandemie in einer Rezession, die Arbeitslosigkeit beträgt über 30 %, bei jungen Erwachsenen über 50%. Dem Land fehlt der finanzpolitische Spielraum, um die wirtschaftlichen Folgen auch nur ansatzweise aufzufangen. Einmal mehr wirken sich die verlorenen Jahre unter Präsident Ramaphosas Vorgänger, Jacob Zuma, aus. Zumas Präsidentschaft war von Nepotismus, Korruption und einem Niedergang der südafrikanischen Wirtschaft geprägt. Covid-19 und der „Shutdown“ verschärfen damit die Krise umso mehr. Die Lebenssituation vieler Südafrikaner wird sich dramatisch verschlechtern. Wie sich dies auf die sozialen Spannungen, die Ungleichheit zwischen Arm und Reich, zwischen Weiß und Schwarz und die Gewaltkriminalität auswirken wird, bleibt noch abzuwarten. Jedoch machen sich viele Menschen große Sorgen.

Eine genaue Abschätzung der Folgen wird erst in den kommenden Wochen und Monaten möglich sein. Experten gehen in Südafrika von einem Einbruch des BIP- zwischen 1,8% und 7% aus (manche sprechen gar von bis zu 25 %), ebenso wie von einem Anstieg des Haushaltsdefizits in diesem Jahr von bis zu 10%. Die Regierung kündigte zwar umfangreiche Unterstützungsmaßnahmen für den privaten Sektor an, jedoch machen diese unseren Berechnungen nach nur 0,2% bis 0,4% des BIP aus und werden bei Weitem nicht ausreichen, um eine wirtschaftliche Depression für das Land zu verhindern.

Viele Hütten in den Townships und informellen Siedlungen verfügen über keine eigene Toilette wie in Khayelitsha, sondern nutzen Toilettenhäuschen. Mehr als  500.000 Menschen leben hier

Viele Hütten in den Townships und informellen Siedlungen verfügen über keine eigene Toilette wie in Khayelitsha, sondern nutzen Toilettenhäuschen. Mehr als 500.000 Menschen leben hier

HSS/Südafrika

Das Gesundheitssystem

Das südafrikanische öffentliche Gesundheitssystem, das bereits vor Covid-19 erhebliche Mängel aufwies, wird mit einer Lage wie in Italien oder Deutschland relativ schnell überfordert sein. Der Winter steht vor der Tür und damit auch die Erkältungswelle. Es fehlt an Infrastruktur, Betten und Quarantänestationen. In Südafrika gibt es ca. 5.000 Intensivbetten mit Ventilatoren. Auch das private Gesundheitssystem wird schnell an seine Grenzen stoßen, da es nur für eine kleine Zahl von Personen ausgelegt ist. Die Anzahl von möglichen Test-Kits ist sehr begrenzt und scheint bereits jetzt knapp zu werden. Die rapide Abwertung des Rands im Zuge der Krise trägt dazu bei, dass die Beschaffung von nötigem medizinischem Equipment besonders teuer für Südafrika ist.

Auf der anderen Seite hat Südafrika Erfahrung mit Epidemien und Krankheiten wie bspw. Ebola, Tuberkulose, HIV und anderen Infektionskrankheiten, die aus Ländern der Sub-Sahara eingeschleppt wurden. Es gibt sehr gute und praxiserfahrene Experten und Verfahren im Land. Gleichwohl wird das Gesundheitssystem aufgrund seiner mangelhaften Ausstattung schnell überfordert sein.

Die Länder Afrikas werden in ca. zwei Wochen den Höhepunkt des Corona- Virus erleben und benötigen dringend ein umfassendes Rettungspaket für die Wirtschaft. Der zuständige UN-Kommissar spricht von 100 Milliarden US-Dollar, die präventiv auf dem Kontinent benötigt würden – auch zur Stärkung der fragilen Gesundheitssysteme. Die Mittel könnten. u.a. über ein Aussetzen der Kreditzinsen und direkter Budgethilfe zur Anschaffung medizinischer Güter bereitgestellt werden. Dies würde den afrikanischen Ländern mehr Spielraum einräumen, um Maßnahmen zur sozialen Distanzierung umzusetzen, die sozialen Sicherungsnetze zu stärken und das Gesundheitssystem etwas besser vorzubereiten. Es ist zu erwarten, dass viele Länder Afrikas, auch Südafrika, auf den Internationalen Währungsfond (IWF) und die Weltbank zurückgreifen müssen. Beide Organisationen haben umfangreiche Hilfszahlungen zugesichert. Diese Unterstützung ist i.d.R. mit strikten Auflagen zur Umsetzung struktureller Reformen verbunden. Darin liegt eine Chance, aber auch ein großes Risiko. Denn die dringend benötigten Reformen (bspw. Reform der staatseigenen Betriebe, Reduzierung des aufgeblähten Personalkörpers im öffentlichen Sektor, etc.) würden kurzfristig zu noch mehr Arbeitslosigkeit und Armut führen. Ob dies sozial- und sicherheitspolitisch durchsetzbar sein wird, bleibt abzuwarten.

HSS und Partnerorganisationen
Durch das renommierte Institute for Security Studies (ISS), das die HSS bereits seit dessen Gründung Anfang der 90er Jahre unterstützt, versuchen wir tagesaktuelle Analysen und Folgeabschätzungen zu erstellen und teilen diese mit südafrikanischen und internationalen Entscheidungsträgern. Gleichzeitig findet eine direkte, aber auch kritische Beratung der südafrikanischen Regierung statt.

Gerade die Ausschreitungen der Sicherheitsorgane gegenüber der südafrikanischen Bevölkerung im Rahmen der Durchsetzung der Ausgangssperre bereiten uns dabei Sorge und diese muss gegenüber den entscheidenden Stellen in der Regierung kommuniziert werden. Viele unserer Partnerorganisationen nehmen eine Mittlerrolle zwischen Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft ein, um gemeinsame Strategien zur Bekämpfung der Krise zu entwickeln. Dazu zählt beispielsweise auch die Nelson-Mandela-Stiftung mit der wir den Fokus vor allem auf die von der Krise besonders betroffenen Kinder richten.

Im Rahmen der bestehenden Partnerschaft zwischen Bayern und den Provinzen Gauteng und Westkap versuchen wir auch die humanitären Anstrengungen, bspw. im Bereich der Nahrungsmittelsicherheit zu unterstützen.
Besonders wichtig erscheint mir, dass wir uns jetzt nicht nur auf die Krisenreaktion konzentrieren, sondern bereits heute an die Zeit nach Covid-19 denken. Aus diesem Grund führen wir unsere bildungspolitische Arbeit in Südafrika unter den neuen Umständen fort, organisieren beispielsweise Online-Seminare für Stadt- und Gemeinderäte, um diese mit den neuen Verordnungen vertraut zu machen und versuchen Handlungsoptionen für die Zeit nach der Krise mit unseren südafrikanischen Partnern zu entwickeln.

Mehr Zusammenarbeit

In Südafrika ist eine beeindruckend effektive Zusammenarbeit zwischen Privatsektor und öffentlichem Bereich zu beobachten. Gemeinsam werden Lösungsvorschläge erarbeitet, wie die Auswirkungen abgefedert werden könnten. Zwar hinkt diese organisierte Kooperation im zivilgesellschaftlichen Bereich noch hinterher, doch auch hier sind positive Entwicklungen zu konstatieren. Aus ihrer Erfahrung mit der HIV-Bekämpfung haben NGOs ein breites Netzwerk in Südafrika aufgebaut, das zur Bekämpfung der Pandemie – auch durch staatliche Stellen – noch stärker genutzt werden könnte. Sollte sich eine entsprechende Zusammenarbeit langfristig etablieren, der Staat in zivilgesellschaftlichen Organisationen einen Mehrwehrt auch für die Entwicklung des Landes sehen, dann hätte dies positive, demokratische Begleiterscheinungen. Durch diese Erfahrungen in der Zusammenarbeit könnte sich auch das Vertrauen in den Staat erhöhen.

Prioritäten nach der Krise

„Alles wird anders, nichts wird mehr sein, wie es war“ – so sehen international einige Philosophen und andere Kommentatoren die Zeit nach Corona. Tatsächlich mehren sich die Stimmen, die prophezeien, eine Rückkehr zur Normalität werde es nicht geben – oder bei weitem nicht so schnell, wie viele noch glauben möchten. Auch für Südafrika lässt sich schwer vorhersagen, wie das Land „nach Corona“ aussehen wird. Einig ist man sich mittlerweile darin, dass es zumindest Jahre dauern wird, bis die zu erwartenden schweren Schocks überwunden sind – inzwischen sprechen einige von bis zu einem Jahrzehnt bis das Land wieder den Status Quo erreicht haben soll.

Südafrika ist das einzige industrialisierte Land in Subsahara Afrika. Für viele internationale Unternehmen war es vor Covid-19 als Tor zum afrikanischen Kontinent. Mandelas Regenbogennation ist Mitglied der G20, politisches Schwergewicht innerhalb der Afrikanischen Union und Ziel von Flüchtlingen und Migranten aus der gesamten Region. Doch Reformstau, Engpässe bei der Elektrizität und interne Machtkämpfe innerhalb der Regierungspartei ANC (African National Congress) lähmen das Land seit Jahren und haben maßgeblich zu hoher Arbeitslosigkeit (30%), niedrigem Wirtschaftswachstum (0,8%) und steigender Kriminalität (58 Morde pro Tag) beigetragen. Der von vielen erhoffte Befreiungsschlag des Präsidenten Cyril Ramaphosa ist bisher ausgeblieben. Mit dem bisher führungsstarken Krisenmanagement, könnte sich die Position des Präsidenten innerhalb des ANCs stärken. Bislang standen viele der öffentlichen Bekundungen des Präsidenten und reformorientierter ANC- Kabinettsmitglieder, strukturelle Reformen umsetzen zu wollen, im Widerspruch zu bindenden ANC-Parteitagsbeschlüssen, deren Bekanntmachung in der jüngsten Vergangenheit zur Verschlechterung des Investitionsklimas beigetragen haben. Hierzu zählt beispielsweise die offizielle Zielsetzung der Regierungspartei, die bisher unabhängige Bundesbank im Rahmen der sogenannten „radikalen wirtschaftlichen Transformation“ verstaatlichen zu wollen oder Landenteignungen ohne Kompensation zu ermöglichen.  

Es wird abzuwarten sein, inwieweit die Konfliktlinien innerhalb des ANC auch nach der Covid-Krise vorhanden sein werden. Die Position des Präsidenten scheint gestärkt, die Opposition unterstützt den ihn bisher noch im Krisenmanagement. Die Konflikte innerhalb des ANC werden vermutlich wieder aufbrechen und die Opposition wird die Krise zu ihren Gunsten nutzen. Innerhalb der Regierungspartei bestehen die Spannungen vornehmlich zwischen den Anhängern des ehemaligen Präsidenten Jacob Zuma, die teilweise in Korruption und andere Straftaten verwickelt sind, und denjenigen ANC-Politikern, die für Reformen, Integrität und Rechtsstaatlichkeit stehen.

Gemeinsam mit den Traditionalisten innerhalb des ANC, die sich für die sozialistische Verteilungspolitik, Verstaatlichung und einen abgeschotteten Arbeitsmarkt stark machen, blockieren und verschleppen gerade diese die Reformvorhaben, die etwa von Finanzminister Tito Mboweni, einem engen Ramaphosa-Vertrauten, aktiv verfolgt werden. Hierzu zählen die Liberalisierung des Arbeitsmarktes, die Privatisierung oder Abwicklung von heruntergewirtschafteten Staatsunternehmen und die Involvierung des Privatsektors bei der Bereitstellung staatlicher Dienstleistungen.

Um die wirtschaftlichen Verwerfungen abzufedern, wird Südafrika auf Unterstützung des IWF und Weltbank zurückgreifen müssen. Finanzminister Tito Mbweni ist der Meinung , dass nun die Zeit für strukturelle Reformen gekommen sei. Somit werden es vor allem auch die internationalen Geldgeber sein, die Südafrikas zukünftige Entwicklung mitbestimmen werden. Darin liegt eine Chance und ein Risiko zugleich.

Die politischen Prioritäten der Regierung werden somit auch nach Covid-19 Bestand haben. Der Fokus wird auf der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Bekämpfung von Armut liegen müssen. Dazu wird das Land gezwungen sein, strukturelle Reformen umzusetzen. Dies birgt aber sozialen Sprengstoff. Es würde bedeuten, dass die aufgeblähten Personalkörper im öffentlichen Bereich und bei den staatlichen Unternehmen verkleinert und auf Effektivität und Zielorientierung getrimmt werden müssten. Damit würden mittelfristig noch mehr Menschen arbeitslos Es würde sozusagen erst einmal noch viel schlimmer werden, bevor es besser wird. Die zu erwartende Unzufriedenheit der Bevölkerung könnte fruchtbarer Boden für die populistischen Oppositionsparteien wie den linkradikalen Economic Freedom Fighters (EEF) sein. Auch der Fremdenhass gegenüber den vielen Migranten und Europäern könnte sich verstärken. Selbst in „Friedenszeiten“ wären solche Reformen schmerzhaft – in der gegenwärtigen Lage bedarf es daher innovativer Modelle einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik, die ein Mindestmaß an sozialer Absicherung ermöglichen.

Es gibt zahlreiche Initiativen der intersektoralen Kooperation zwischen Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Staat, um das Schlimmste noch zu verhindern. „Wir sitzen in einem Boot“, hört man vermehrt. Hier mag neues Verständnis füreinander und Vertrauen wachsen, und es könnten Netzwerke, Strukturen und Kapazitäten entstehen, die auch nach Corona nutzbar wären und dringend benötigt würden für einen „Wiederaufbau“. Der gesellschaftliche Zusammenhalt kann für Corona und die Zeit danach entscheidend sein, inwieweit es gelingt, die Krisen gemeinsam zu meistern und den Gefahren von sozialen Unruhen, Gewalt, autoritären Tendenzen und Populismus zu begegnen.

Afrika südlich der Sahara
Klaus Liepert
Leiter
Südafrika
Hanns Bühler
Projektleiter