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Interview - Christen im Irak
Ihr seid nicht allein!

Das friedliche Zusammenleben von Christen und Muslimen im Nordirak hat der Aufstieg des "Kalifats" des IS jäh beendet. Heute kehren viele in ihre Städte und Dörfer zurück, die weitgehend zerstört und teilweise immer noch mit versteckten Sprengfallen gespickt sind. Trotz aller Schwierigkeiten: das christliche Leben beginnt hier von neuem.

Lächelnder Mann mit sportlichem Kurzhaarschnitt

"Deutschland genießt große Sympathie für seine Aktivitäten im Irak. [...] Die aktive Unterstützung des Wiederaufbaus von Infrastruktur ist an vielen Orten deutlich sichtbar. Immer wieder haben sich Menschen bei mir für dieses deutsche Engagement bedankt." (David Müller)

David Müller; wertepolitik.de

Der heutige Nordirak und insbesondere die dortige Ninive-Ebene ist eine der Wiegen des Christentums. Über Jahrhunderte hinweg lebten Christen, Muslime und andere religiöse Minderheiten in weitgehend friedlicher Nachbarschaft. Dies änderte sich ab 2014 mit der Ausrufung eines "Kalifats" durch die Terrormilizen des sogenannten Islamischen Staats in den von ihnen eroberten Gebieten Syriens und Iraks radikal. Ihre beispiellosen Gräueltaten an Christen und Jesiden führten zu einem Exodus aus der Region. Erst mit dem weitgehenden Sieg irakischer und internationaler Truppen über die islamistischen Extremisten konnte die Lage im vergangenen Jahr stabilisiert werden. In die Gegend um die christliche Stadt Telskuf in der Ninive-Ebene kehren jetzt langsam die ersten Menschen zurück, Kirchen werden wieder genutzt und neue Häuser gebaut. Das christliche Leben beginnt dort nach dem Rückzug des Islamischen Staates von Neuem. David Müller von der christlichen "ojcos-stiftung" ist gerade von einer Reise in den Nordirak zurückgekommen, bei der er sich ein Bild machen konnte, wie es den Christen und Jesiden geht. Wir haben ihn dazu interviewt.

David Müller ist Mitglied der Grundsatzkommission des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU sowie Politischer Fürsprecher für Religionsfreiheit im Irak der gemeinnützigen „ojcos-stiftung“, die seit 2004 weltweit Projekte und Aktionen unterstützt, die dazu beitragen, dass Not gelindert und Hilfe - vor allem zur Selbsthilfe - direkt bei denen ankommt, die sie am meisten benötigen. Im Irak engagiert sie sich seit 2017.

Ein zerstörtes Wohnhaus an einer Straße in Telskuf. Leere Fensterhöhlen, die Innenwände tragen die Struktur, die äußeren Wände fehlen.

Zerstörungen in Telskuf (Tesqopa), nördlich von Mossul. Als 2014 der IS auf die Stadt vorrückte mussten die Bewohner fliehen. Unter ihnen waren auch fast 12.000 Christen. Langsam kehren einige der Bewohner zurück.

ojcos-stiftung

HSS: Herr Müller, Sie sind gerade von einer Reise in den Nordirak zurückgekommen. Wo genau waren Sie unterwegs und warum sind Sie dorthin gefahren?

David Müller: Ich war in der Gegend von Dohuk, Erbil und der Ninive-Ebene unterwegs. Als Politischer Fürsprecher für Religionsfreiheit im Irak der „ojcos-stiftung“ bin ich regelmäßig vor Ort, um mir ein aktuelles Bild über die Lage der verfolgten Christen und religiösen Minderheit dort zu machen.


HSS: Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation insbesondere der Christen, aber auch der Jesiden vor Ort?

Die Lage in der Ninive-Ebene, in der sich die meisten christlichen beziehungsweise jesidischen Dörfer befinden, ist sehr hoffnungslos. Viele Häuser sind zerstört oder wurden durch Sprengfallen unbewohnbar gemacht. Die erlebten Traumata sind unbeschreiblich und muslimische Milizen erzeugen große Angst unter der Bevölkerung. Außerdem gibt es nur wenige Arbeitsmöglichkeiten, und in den meisten Familien lebt ein Teil der Verwandtschaft bereits im Ausland.

Ein Mann steht auf einem staubigen Hügel in der Wüste. Im Hintergrund die grauen, weißen Siluetten der Zeltstadt.

Viele Jesiden sind ab 2014 in Camp Khanki, nördlich von Mossul, untergekommen, nachdem der IS die nordirakische Provinz "Ninive" überrannt hatte.

ojcos-stiftung

Welche Auswirkungen hatten politische Ereignisse wie zum Beispiel das Unabhängigkeits-Referendum in Irakisch-Kurdistan oder die irakischen Parlamentswahlen auf die Situation der Menschen?

Das Misstrauen der Menschen gegenüber ihren Politikern sitzt tief. Während der profitable Ölexport nach wie vor die Haupteinnahmequelle des Landes ist, erleben dessen Bürger offensichtliche Korruption, eine instabile und unzureichende Energieversorgung, schleppenden Wiederaufbau, die unberechenbare Verbindung zum Iran und die Spannungen zwischen dem kurdischen Parlament und der irakischen Zentralregierung.


Wie beurteilen die Menschen dort, wie beurteilen Sie selbst das offizielle deutsche Engagement in der Vergangenheit und gegenwärtig?

Deutschland genießt große Sympathie für seine Aktivitäten im Irak. Die Bewaffnung der kurdischen Peschmerga zur Verteidigung der Dörfer mit religiösen Minderheiten hat Unzähligen das Leben gerettet. Die aktive Unterstützung des Wiederaufbaus von Infrastruktur ist an vielen Orten deutlich sichtbar. Immer wieder haben sich Menschen bei mir für dieses deutsche Engagement bedankt. Bei aller Komplexität der Situation sehe ich persönlich das Engagement der deutschen Regierung auf dem richtigen Weg.

Ein Kloster drückt sich an die steilen Hänge eines staubigen Berges.

Das christliche Kloster Mor-Mattai ist eines der ältesten der Welt. Hier lagern uralte christliche Manuskripte. Das Kloster ist das Herz eines der drei Syrisch-orthodoxen "Bistümer" (Erzeparchien) im Irak.

HSS

HSS: Wovor fürchten sich die Christen im Nordirak, nun, da der IS vertrieben wurde?

Die Angst ist generell sehr groß, Opfer von innermuslimischen Auseinandersetzungen zu werden. Der schiitische Iran übt einen großen Einfluss aus, Saudi-Arabien unterstützt die Sunniten und die Türkei bekämpft im Norden immer wieder die Kurden. Da gerät man als Christ leicht zwischen die Räder. Auch wenn der IS formell besiegt ist, so ist doch dessen Denken in vielen Regionen noch weit verbreitet. Die aktuellen Unruhen im Süden Iraks zeigen, wie schnell die Situation eskalieren kann. Konkret fürchten die Christen das erneute Erstarken von muslimischen Extremisten, die ganz schnell wieder zum Kampf aufrufen könnten. Dann würde sich alles wiederholen.

HSS: Welchen konkreten Beitrag könnte Deutschland über das Bestehende hinaus leisten, den Menschen vor Ort eine Zukunftsperspektive zu geben?

Nahezu alle Christen und Jesiden, denen wir begegnet sind, baten nachdrücklich darum, dass Deutschland weiterhin wachsam die irakische sowie die irakisch-kurdische Regierung begleitet und noch deutlicher Religionsfreiheit einfordert. Die reine Präsenz von deutschen Organisationen, Unternehmen oder politischen Vertretungen stärkt bereits die Sicherheit in der Region. Sie macht einerseits deutlich: „Ihr seid nicht allein“, zeigt aber auch: „Wir haben ein Auge auf die Aktivitäten in der Region.“ Könnte nicht beispielsweise eine Stadt wie München eine Städtefreundschaft zu einem christlichen Dorf in der Ninive-Ebene ins Leben rufen? Außerdem braucht es endlich eine innerirakische Diskussion über Ursachen und zukünftige Vermeidung des IS-Terrorismus. Dabei spielen auch die aktuellen Lehrpläne eine wichtige Rolle: Die Zeit der Hochkulturen Mesopotamiens, in der auch die christlichen Kirchen ihre Wurzeln haben, wird heute komplett ignoriert. Die Geschichte Iraks beginnt in den Schulbüchern erst mit dem Auftreten des Islams lange später.

Straßenschild in der Wüste. Nach Mossul rechts, 31 KM. Nach Aqra, links, 52 Km.

In den Kurdengebieten im Nordirak. Die Stadt Aqra (Akrê) liegt an der Verbindungsstraße zwischen Mossul und der iranischen Grenze.

HSS

HSS: Eine grundsätzliche Frage zum Schluss: Wie beurteilen Sie das Engagement von CDU/CSU für das Menschenrecht Religionsfreiheit im Allgemeinen und die bedrängten Christen im Besonderen?

Ich bin immer wieder beeindruckt wie nachdrücklich sich die CDU/CSU für das Thema „Religionsfreiheit“ und „Christenverfolgung“ einsetzt. Aufgrund ihrer Forderung gibt es erstmals einen Beauftragten für Religionsfreiheit in der deutschen Bundesregierung. Der Kongress der CDU/CSU-Bundestragfraktion „Einsatz für die Religionsfreiheit - Eine Zukunft für Christen und Jesiden im Nordirak“ im Mai 2018 setzte ebenfalls ein deutliches Zeichen. Vielen Dank dafür! 

HSS: Herr Müller, vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führe Dr. Philipp W. Hildmann.