Print logo

Humanitäre und wirtschaftliche Schäden durch Dürre
Indiens Durst

Das Wasser in Indiens Dämmen steht auf einem Rekordtief, öffentliche Einrichtungen in manchen Städten müssen schließen. Doch Gegenmaßnahmen packen das Problem nicht an der Wurzel.

Wieder ist es Sommer in Indien, wieder verspätet sich der Monsun und wieder befindet sich das Land am Rande einer humanitären Katastrophe. Zu Beginn des Monats Juli sollten drei Viertel Indiens von Regenwolken bedeckt sein. Doch gerade einmal 20 Prozent der Fläche hat der Monsun erreicht. Der Rest des Landes erleidet eine Dürreperiode, der abermals schlimme Hitzewellen vorangegangen sind. Die Zahl der Toten lässt sich schwer einschätzen, zumal mit einer wachsenden Zahl indirekter Opfer zu rechnen ist, so etwa, wenn sich Bauern wegen des drohenden Ruins durch zu erwartende Ernteausfälle das Leben nehmen.

Zwei Frauen mit Krügen voller Wasser auf einer staubigen Straße

Im Juli sollten drei Viertel Indiens von Regenwolken bedeckt sein. Doch gerade einmal 20 Prozent der Fläche hat der Monsun erreicht. Der Rest des Landes erleidet eine Dürreperiode.

©HSS

Der Monsun verspätet sich dieses Jahr so sehr wie seit zwölf Jahren nicht mehr.  Dabei ist man in Indien Dürren gewohnt – die gibt es in den Monaten vor dem Monsun schon immer. Nur ein Bruchteil der Flüsse Indiens führt ganzjährig Wasser und die Wasserspiegel in Reservoirs, Wassertanks und Teichen gehen zwischen Oktober und Juni zurück. Nun aber sind die Bestände im ganzen Land auf neue Rekord-Tiefststände gesunken; in über 120 von 964 Reservoirs sind die Bestände bei unter einem Prozent, viele Brunnen sind in diesem Jahr zum ersten Mal vollständig ausgetrocknet.

Universitäten und Restaurants müssen schließen

In der Küstenstadt Chennai, der Hauptstadt des Bundesstaats Tamil Nadu im Süden des Landes, mussten wegen der Trinkwasserknappheit erstmals Restaurants und Wohnheime vorübergehend schließen. Auch an einigen Universitäten wurde der akademische Betrieb eingestellt. Zunächst wies die Regierung von Tamil Nadu sämtliche Berichte dieser Art zurück und lehnte Hilfen anderer Bundesstaaten ab, lenkte schließlich aber doch ein und gestand schlechte Vorbereitungen ein. Dass die globale Erwärmung zu den immer katastrophaleren Dürren und zunehmend unvorhersehbaren Monsunregen beiträgt, daran zweifelt in Indien niemand mehr.

Vor Trockenheit tief aufgerissene Erde

Schon im nächsten Jahr könnten 21 indische Großstädte ihre Wasserreserven aufgebraucht haben.

©HSS

Die Umweltzerstörung rächt sich

Dass sich daran in absehbarer Zeit nichts ändern wird, ist einer Vielzahl von Faktoren geschuldet. Fehlender Niederschlag ist nach den meteorologischen Daten keiner davon. Trotz monatelanger Regenpausen hat Indien durchschnittlich mehr Niederschlag pro Quadratmeter im Jahr als Europa. Da sich die jährliche Regenmenge jedoch in wenigen Monaten über das Land ergießt, geht ein Großteil davon verloren. Bodenversiegelung, Entwaldung und damit einhergehende Erosion tragen ihr Übriges dazu bei, dass Wasser sich nicht im Boden hält, sondern immer häufiger Überschwemmungen verursacht. Erst im vergangenen Jahr erlebte der Bundesstaat Kerala eine besonders starke Dürre und hatte im anschließenden Monsun mit massiven Überschwemmungen zu kämpfen und hunderte Tote zu beklagen.

Neuesten Schätzungen zufolge gehen etwa 40 Prozent des Wassers durch marode Infrastruktur verloren. Regenauffanganlagen sichern derzeit lediglich 8 Prozent des jährlichen Niederschlags. Die fehlende Effizienz ist dabei einer Kombination aus politischer Zurückhaltung und fehlendem Bewusstsein bei den Nutzern zuzuschreiben. Gerade für Indiens Bauern – die größte Berufs- und meist umworbene Wählergruppe – gilt der politische Konsens, dass sie ausreichend Wasser erhalten sollen.

Handpumpe auf einem Dorfplatz. Etwas Wasser um die Stelle, wo sie aus dem Boden kommt.

Ohne Regulierung kann derjenige, der sich tiefere Brunnen leisten kann, länger Wasser als seine Nachbarn fördern.

©HSS

Mit Bohrbrunnen von mehreren hundert Metern Tiefe und kostenlos zur Verfügung gestelltem Strom wird das Grundwasser schneller aus dem Boden gepumpt als es sich erneuern kann. Dies ist möglich, da Grundwasser (im Vergleich zu anderen Ressourcen) in Indien Privatsache des Grundbesitzers ist. Ohne Regulierung kann derjenige, der sich tiefere Brunnen leisten kann, länger Wasser als seine Nachbarn fördern. Auf diese Weise werden in Indien 60 Prozent des landwirtschaftlichen Bewässerungsbedarfs und 85 Prozent des Haushaltsbedarfs gedeckt. Damit ist die Menge an genutztem Grundwasser größer als die der Vereinigten Staaten und Chinas zusammen.

Das kostenlose Wasser verleitet auch viele zu wasserintensiven Anbaumethoden und Produkten. Das Ergebnis: Hirse und Weizen wurden durch Reis verdrängt.

Fehlende Regulierung zeigt sich auch am Beispiel der für das Wirtschaftswachstum so bedeutenden Industrie: Grenzwerte von Schadstoffen in den Abwässern werden regelmäßig überschritten. In vielen Fällen findet keinerlei Klärung statt und das Industrie-Abwasser fließt ungefiltert in die Flüsse oder Seen. Obwohl hierauf empfindliche Strafen stehen, werden die meisten Vergehen nicht entdeckt.

Das Flusswasser fällt in den Zuständigkeitsbereich der Bundesstaaten. Hier ergibt sich das Problem des Teilens mit Nachbarbundesstaaten. In Zeiten der Trockenheit kommt es regelmäßig zu politischen Auseinandersetzungen. Zwischen Tamil Nadu und Karnataka führte dies im Jahr 2017 sogar zu gewaltsamen Ausschreitungen. Die Konflikte müssen meist auf Bundesebene gerichtlich geklärt werden.

Luxusgut Wasser

Um die Wasserversorgung während der Dürre sicherzustellen, transportieren Tanklastwagen Wasser in alle Winkel des Landes. Zunehmend ist dies auch in Städten erforderlich – in immer mehr Fällen sogar bereits das ganze Jahr über. Wie der Regierungs-Think Tanks NITI Aayog verlauten ließ, werden im nächsten Jahr 21 indische Großstädte ihre Wasserreserven aufgebraucht haben. Im Fall von Bangalore, der Hauptstadt des bayerischen Partnerstaates Karnataka, muss das Wasser aus über 100 Kilometern herantransportiert werden. Dass hierbei die vermögenden Gebiete innerhalb der Städte bevorzugt werden, ist ein offenes Geheimnis. Dies begünstigt die Entstehung einer Wasser-Mafia, die mit eigenen Tanklastwagen Wasser illegal beschafft und verteilt. Eine Strafverfolgung geschieht nur halbherzig, da die Mafia zumindest irgendwie die Wasserversorgung aufrechterhält.

Dies widerspricht jedoch nach einem Urteil des Obersten Gerichtshof dem Recht auf Leben. Demnach müsse Wasser ein kostenlos erhältliches Gut sein. Für diejenigen, die sich Trinkwasser nicht mehr leisten können oder deren Brunnen kein Grundwasser mehr erreichen, steht die Existenz auf dem Spiel. Dieses Jahr hat es besonders die Viehbauern getroffen, die ihren Tieren nicht ausreichend Trinkwasser zur Verfügung stellen konnten und zum Teil ihre Existenzgrundlage verloren, vor allem in Rajasthan.

Es ist absehbar , dass sich die Situation durch die wachsende Bevölkerung  eher noch verschlimmern dürfte. Dabei wird der Durst der indischen Millionenstädte weiter zunehmen und den ländlichen Gebieten sprichwörtlich das Wasser abgraben. Dies wird die Landflucht verstärken und den Kreislauf intensivieren.

Bislang versucht die Regierung, die Problematik vorrangig mit Finanzspritzen zu behandeln. Sechs Milliarden Euros an Krediten werden Bauern allein Rajasthan erlassen, die Zentralregierung bereitet derzeit die doppelte Höhe vor. Den Schäden von Dürre und Überflutungen wird mit zusätzlichen Entschädigungen entgegengewirkt. Von einschneidenden politischen Reformen, die zu weniger Verbrauch und effizienterer Verwendung führen könnten, sehen alle Parteien bislang ab. Zu groß ist die Angst vor Stimmenverlusten bei den nächsten Wahlen durch die zahlreichen Bauern. Mit zunehmend aufgebrauchten Reserven und schwindendem Grundwasser bei steigendem Bedarf stellt sich die Frage, wie lange sich Wasserausfälle mit finanziellen Erleichterungen begleichen lassen.

Dabei wurde vom neuen Wasser-Ministerium sogar versprochen, bis 2024 sämtliche indischen Haushalte an die öffentliche Wasserversorgung anzuschließen (Stand 2018: 18 Prozent). Experten bezweifeln, dass dieses mit 1,3 Mrd. Euros veranschlagte Ziel erreicht werden kann – zumal ein Wasseranschluss nicht garantiert, dass dieser auch tatsächlich regelmäßig Wasser mit sich führt. Zudem ist die hohe Belastung des Leitungswassers ein Problem und mitverantwortlich dafür, dass Durchfallerkrankungen eine der häufigsten Todesursachen Indiens ist.

Info:

Die Hanns-Seidel-Stiftung Indien unterstützt seit 2012 ländliche Maßnahmen zu Wasserkonservierung. Mit lokalen Partnerorganisationen wurden verschiedene Praktiken in zwei Bundesstaaten erprobt und vermittelt, die lokales Wasser-Management nachhaltig verbessern und eine Landflucht verhindern. Seit 2019 führt die Stiftung eine Studie zu integriertem Wassermanagement in Karnataka durch, um bis 2021 ein wissenschaftliches Bild von Verfügbarkeit, Qualität und Nutzung von Flusswasser zu erstellen.

Zaghafte Reaktion der Politik – und eine Mahnung

Die wiederkehrenden Katastrophen haben die Politik noch nicht zu dazu gebracht, wirksame Maßnahmen zu ergreifen. Es werden jedoch zunehmend Ansätze diskutiert, die bereits in ländlichen Gebieten von Nichtregierungsorganisationen erprobt worden sind. So gab die Regierung von Neu Delhi bekannt, dass sie Regenauffanganlagen verpflichtend machen wolle – wenn auch nur für Regierungsgebäude. Nahezu zeitgleich kündigte die Zentralregierung ein ähnliches Projekt an, in dem in 255 Distrikten Sammlungs- und Einsparungs-Projekte für Wasser eingeführt oder unterstützt würden. In seiner monatlichen Radioansprache an das Volk machte Premierminister Narendra Modi erstmals Wasser zum Thema und appellierte an alle, „jeden Tropfen zu sparen“. Er rief dabei auch dazu auf, mit Nichtregierungsorganisationen zusammenzuarbeiten und auf traditionelle Wasserspar-Methoden zurückzugreifen.

Modis Mahnung unterstreicht den Ernst der Lage. Seinen Worten muss die Regierung schlagkräftige Maßnahmen folgen lassen, die nicht nur eindrucksvoll klingen, sondern auch Wirkung zeigen. Dafür sind jedoch radikale Programme und Kooperation mit Industrie und Nichtregierungsorganisationen notwendig. Sollten sich Zentral- und Bundesstaatsregierungen nicht trauen, die Nutzung des Grundwassers radikal zu beschränken und Abwässer zu kontrollieren, werden die Ausmaße der nächsten Dürren unumkehrbare Folgen, wie dauerhafte Trockenheit weiterer Landstriche und gesteigerte Migration, haben. Bei voraussichtlich bis 2060 weiter ansteigenden Bevölkerungszahlen kann sich das Land einen Aufschub von Wasserreformen nicht leisten.