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Interview mit Markus Kaiser
Journalismus der Zukunft

Auf den Medientagen in München haben wir "Change in der Medien- und Kommunikationsbrache" vorgestellt. Der Leitfaden erklärt, wie sich private und öffentliche Medien auf den digitalen Wandel und veränderte Gewohnheiten und Erwartungen des Publikums einstellen können. Wir haben einen der Autoren, den Change-Manager, Prof. Markus Kaiser, für Sie interviewt.

HSS: Sehr geehrter Prof. Kaiser: Wie informiert man sich heute?

Prof. Markus Kaiser: Die Wege werden da immer unterschiedlicher. Wenn ich meine Studierenden an der TH Nürnberg frage, geht bei Erstsemestern keine einzige Hand mehr bei der Tageszeitung nach oben. Die meisten besitzen überhaupt keinen Fernseher mehr. Viele sagen: Sie informieren sich über den Stream, also soziale Netzwerke wie Instagram. Bei Menschen über 70 Jahre spielt eine regionale Tageszeitung dagegen immer noch eine entscheidende Rolle, genauso wie klassisches lineares Fernsehen. Die Inhalte der traditionellen Medien werden aber weiterhin genutzt, aber neben YouTube, Weblogs, Instagram-Posts von Influencern und bei den ganz Jungen inzwischen dem sozialen Netzwerk TikTok, das rasant wächst. Die Ausspielkanäle ändern sich für klassische Medienunternehmen damit, wozu es aber durchaus gehört, auch die Inhalte anzupassen. Der Bayerische Rundfunk zum Beispiel hat sehr viel experimentiert: Mit der „News-WG“ hat er ein Nachrichtenformat auf Instagram erfolgreich etabliert, sozusagen die moderne „Tagesschau“ für Jugendliche. Oder bei „Ich, Eisner“ hat er für Kurt Eisner einen WhatsApp-Account eröffnet. Wer als Medienhaus solche Wege geht, kann auch in Zukunft erfolgreich sein. Nur wer sich ändert, wird bestehen bleiben.

Gefahren bei der Mediennutzung sehe ich natürlich in den oftmals beschriebenen Filterblasen und dass es damit immer schwieriger wird, einen Diskurs in der gesamten Gesellschaft zu führen. Für Medienunternehmen besteht die Gefahr natürlich darin, auf das falsche Pferd zu setzen oder zu spät einen relevanten Kanal zu entdecken. Die Digitalisierung steckt erst am Anfang. Es wird wichtig sein, an Medieninnovationen ständig dranzubleiben.

Markus Kaiser, geboren 1978 in Nürnberg, ist Professor für digitalen Journalismus, Medieninnovationen und Change-Prozesse in der Kommunikationsbranche an der Technischen Hochschule Nürnberg, Berater für Social Media sowie Change Management und Lehrbeauftragter an verschiedenen Universitäten. Zuvor war er Leiter des MedienNetzwerk und MedienCampus Bayern, Pressesprecher einer Behörde und Redakteur bei der Nürnberger Zeitung. Von ihm erschienen sind unter anderem die Bücher „Innovation in den Medien“, „Recherchieren“, „Transforming Media“ und „Chatbots im Journalismus und in der Public Relations“. www.markus-kaiser.org

Markus Kaiser, geboren 1978 in Nürnberg, ist Professor für digitalen Journalismus, Medieninnovationen und Change-Prozesse in der Kommunikationsbranche an der Technischen Hochschule Nürnberg, Berater für Social Media sowie Change Management und Lehrbeauftragter an verschiedenen Universitäten. Zuvor war er Leiter des MedienNetzwerk und MedienCampus Bayern, Pressesprecher einer Behörde und Redakteur bei der Nürnberger Zeitung. Von ihm erschienen sind unter anderem die Bücher „Innovation in den Medien“, „Recherchieren“, „Transforming Media“ und „Chatbots im Journalismus und in der Public Relations“. www.markus-kaiser.org

Patrick Hübner

HSS: Was unterscheidet einen Blogger von einem Journalisten?

Darüber wurde sehr lange und ausführlich diskutiert. Anfangs sah man den Unterschied im Ausspielweg und der Software. So einfach kann man es sich aber nicht mehr machen, vor allem, weil auch sehr viele Journalisten bloggen und klassische Websites Blog-Software nutzen. Mir gefällt folgende Unterscheidung besonders gut: Wer sich an journalistische Standards hält (also vor allem an den Pressekodex und in der Recherche auch das Mehr-Quellen-Prinzip und die Gegenseite anzuhören berücksichtigt), ist ein Journalist. Hier spielt der Ausspielkanal dann keine Rolle mehr, egal also ob er einen Fernsehbeitrag macht, für eine Print-Zeitung schreibt, fürs Radio arbeitet, bloggt oder Nachrichten im Social Web macht. Diese Definition steht in jedem Fall mit Artikel 5 des Grundgesetzes, der die Pressefreiheit garantiert, im Einklang. Schließlich gehört zur Pressefreiheit auch, dass es keine Zugangsbeschränkungen geben darf, als Journalist zu arbeiten und zum Beispiel einen Verlag zu gründen. Und wer nicht nach journalistischen Standards bloggt, ist auch nicht als Journalist zu bezeichnen. Natürlich ist mir klar, dass manchmal die Trennlinie nicht ganz so einfach zu ziehen ist und dass es in der Praxis (zum Beispiel bei der Akkreditierung von Medienvertretern für Veranstaltungen, Parteitage etc.) nicht einfach zu handhaben ist.

Die Aufgabe von Journalisten hat sich generell vom Gatekeeper mehr zum Gatewatcher verschoben. Wenn ein Journalist früher bestimmte Informationen nicht publiziert hatte, sind sie völlig unter den Tisch gefallen. Dies hat Politiker auf Bundesebene genauso geärgert wie den kleinen Sportverein mit seiner Randsportart. Heute hat es jeder selbst in der Hand, Informationen ins Netz zu stellen. Macht er dies pfiffig, kann auch ein Hinterbänkler Resonanz bekommen. Aufgabe der Journalisten ist es, diese explodierte Menge an vermeintlichen Nachrichten zu sortieren, einzuordnen, zu verifizieren und dem User zu sagen, was denn wirklich wichtig ist. Dies nennt man Gatewatching.

HSS: Wie überwinden wir die Echokammer?

Diese Frage kann man auf mehreren Ebenen beantworten: Der User kann sehr viel dafür tun. Aber die meisten, die in Echokammern sind, also nur Meinungen und Informationen aus dem ihnen genehmen politischen Spektrum erhalten, wollen diese ja gar nicht überwinden. Es ist viel angenehmer, sich tagtäglich mit seiner eigenen Meinung bestätigt zu sehen als Gegenmeinungen und Gegenargumente zu hören. Für die anderen gilt: Man hat heute so leicht und ungehindert Zugang zu so vielen journalistischen Quellen wie nie zuvor. Ich selbst nutze Newsletter verschiedenster Zeitungen, habe zwei E-Paper abonniert, surfe auf den Websites verschiedenster, inzwischen auch internationaler Tageszeitungen und schaue über die Mediathek viel öfter Bayerischen Rundfunk und ARTE als im analogen Zeitalter. Und via Facebook bekomme ich dann noch Nachrichten verschiedenster Medien in meiner Timeline. Man muss es nur wollen.

Medienunternehmen können natürlich auch viel tun. Voraussetzung ist aber, dass diejenigen, die in der Echokammer feststecken, diese Medien auch nutzen. Ein Beispiel: In Nachrichten-Apps können User heute sehr stark personalisieren, welche Ressorts sie interessieren, aus welchen Regionen sie bevorzugt Nachrichten erhalten möchten. Dies führt auf der einen Seite zu einer Einschränkung. Auf der anderen Seite kann ein intelligenter Algorithmus Nachrichten auch aus anderen Ressorts in den eigenen Newsstream bringen, wenn er eine gewisse Bedeutungsschwelle überschritten hat. Nachrichtenagenturen – wie die dpa – arbeiten zum Beispiel mit solchen Priorisierungen der Meldungen. Konkret: Wenn sich jemand nicht für Fußball interessiert, sieht er auch nie Fußballmeldungen. Er bekommt aber mit, wenn es einen großen Bestechungsskandal gibt, der neue Deutsche Meister feststeht oder wie Deutschland bei der WM abschneidet. Dies ist sogar ein Vorteil gegenüber dem Print-Zeitalter: Hier haben viele gesagt, dass sie zum Beispiel der Sportteil nicht interessiert und haben diesen gleich ganz weggeworfen.

Google, Facebook & Co. als Techologieunternehmen wird man mit diesem Ansatz leider nicht gewinnen können. Schließlich geht es ihnen, anders als traditionellen Medienunternehmen, nicht um die Information der User, sondern darum, Geld zu verdienen. Aspekte wie die „Chronistenpflicht eines Journalisten“, also, dass der Vollständigkeit halber über etwas berichtet werden muss, das gar nicht so viele interessiert, sind für Facebook natürlich kein Thema. Wenn man hier eine Änderung wünscht, funktioniert dies nur über Regulierung – was dann aber wieder dazu führt, dass andere schreien, man zensiere. Auf dieser Ebene ist es ein schwieriges Thema.

HSS: Gibt es hier eine politische Verantwortung? Was halten Sie von der diskutierten Ausweitung des Mediengesetzes auf Youtuber/Blogger, etc.

Ein sehr schwieriges Thema. Wie sich die Medienlandschaft derzeit verändert, so schnell kommt man mit gesetzlichen Regelungen gar nicht nach. Und jeder YouTuber, jeder Blogger, jeder Schüler mit seinem eigenen TikTok-Kanal kann gar nicht zum Beispiel eine Lizenz bei der jeweiligen Landesmedienanstalt beantragen, wie dies vom „Drachenlord“ in einem kleinen fränkischen Örtchen oder dem professionellen Rocket Beans TV gefordert wurde. Die derzeitigen Voraussetzungen für die Beantragung einer Sendelizenz sind für zum Beispiel YouTube und die Gaming-Live-Plattform twitch, dass live, also linear gesendet wird. Zweitens müssen mehr als 500 Zuschauer gleichzeitig einschalten können. Dabei geht es nicht darum, ob auch 500 Menschen tatsächlich gleichzeitig zuschauen, sondern ob so viele überhaupt technisch erreicht werden können. Das ist im Fall von Livestreams in der Regel der Fall, da die Server von Plattformen wie twitch oder Facebook keine Begrenzung zulassen. Drittens findet durch die Kommentierung eine so genannte redaktionell-journalistische Gestaltung statt. Außerdem sind die Streams regelmäßig; sie haben also ein bestimmtes Sendeschema. Man muss natürlich aufpassen, dass die Bürokratie nicht zu hoch wird, gerade wenn sich jemand mit seinem eigenen YouTube-Channel ausprobieren will.

Was natürlich immens wichtig ist: Die gesetzlichen Regelungen wie beispielsweise das Urheberrecht, das Persönlichkeitsrecht, das Telemediengesetz gelten ja auch für YouTuber und Blogger. Hier müssen Verletzungen konsequent verfolgt werden. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Auch Schmähkritik sollte konsequent verfolgt werden!

HSS: Wie sehen Sie die Zukunft des „klassischen“ Journalismus? Was bedeutet das überhaupt?

Der klassische Journalismus wird sich wieder auf das konzentrieren, wofür es ihn überhaupt braucht: Recherche, Recherche, Recherche, also erst einmal alle möglichen Seiten zu einem Thema anhören, sich selbst als Journalist informieren, um dann einen fundierten Beitrag erstellen zu können – egal für welches Medium. Fakten checken, Skandale aufdecken und vor allem alle relevanten Seiten zu hören und hier nicht Gegenmeinungen auszublenden – das wird wichtiger denn je. Nur dadurch kann sich klassischer Journalismus abheben von Katzen-Bildern, Fake News und einseitigen PR-Produktbeschreibungen. Das bedeutet aber auch, dass vielleicht etwas weniger Output sogar mehr sein kann. Wie in manchen Lokalzeitungen üblich, gehört es dann sicher nicht mehr zur Aufgabe, von jeder örtlichen kleinen Versammlung den Bericht eines Versammlungsleiters unredigiert abzudrucken. Generell gilt: Bei einem Veränderungsprozess ist immer auch das schmerzhafte Weglassen von bisherigen Tätigkeiten eine wichtige Sache.

HSS: Haben kleinere, lokale Medien noch eine Nische oder übernimmt auch hier die digitale Konkurrenz?

In der Regel kommt die digitale Konkurrenz ja aus dem eigenen Haus bei der Lokalberichterstattung. Das heißt, die digitale Konkurrenz der Nürnberger Nachrichten und Nürnberger Zeitung ist das hauseigene nordbayern.de. In den meisten weiteren Regionen Bayerns sieht dies nicht anders aus. Einzig die Fränkische Landeszeitung in Ansbach verweigert sich nach wie vor einer redaktionell gestalteten Website im Internet. Blogs wie der „Bürgerblick“ in Passau oder die „Tegernseer Stimme“ rund um den Tegernsee findet man noch sehr selten, vor allem, weil die Finanzierung für lokale Blogs nicht gerade einfach ist. Problematisch wird dies schon eher, wenn man die Ebene Google und Facebook betrachtet, deren beider Konzerne inzwischen drei Viertel des Umsatzes im deutschen Werbemarkt ausmachen. Hier gilt es für traditionelle Verlage, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Wobei diese Geschäftsmodelle nicht nur digitale sein müssen, auch mit Veranstaltungen als eine Art weiterer Ausspielkanal für regionale Diskussionsrunden wird inzwischen ja viel und erfolgreich experimentiert.

HSS: Internet vs. Buchdruck: Hält hier das Riepl‘sche Gesetz?

Das Riepl’sche Gesetz, benannt nach Wolfgang Riepl, dem früheren Chefredakteur der „Nürnberger Zeitung“, besagt ja, dass kein neues Medium ein altes Medium verdrängt und das alte Medium sich dann wandelt und seine Chance in dem sucht, wo es stärker ist. Mit dem Internet haben wir ein Medium, in dem alle anderen Medien aufzugehen scheinen. Deshalb wird diskutiert, ob dieses Riepl’sche Gesetz auch im digitalen Zeitalter noch Gültigkeit hat. Ich denke ja. Tageszeitungen werden sterben, vor allem, weil auch der Druck in der Nacht mit Zuschlägen und der eigene Vertrieb neben der Postzustellung viel zu teuer werden, um rentabel zu sein. Mein Kollege Prof. Klaus Meier von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt hat sogar schon einmal versucht zu berechnen, wann die letzte Tageszeitung in den 2030er Jahren erscheinen wird. Das heißt aber nicht, dass Print tot sein wird. Print muss sich auf die Haptik konzentrieren, eine exzellente Papierqualität, eine besonders gute Druckqualität. Und sicher werden diese Produkte dann eher wöchentlich, monatlich oder gar jährlich erscheinen statt täglich. Bücher haben noch einen weiteren Vorteil: Man will sie ja bewusst ins Regel stellen, für sich und für Gäste. Am Strand liest man auch lieber analog als digital. Print wird aus den genannten Gründen nicht untergehen, aber sicher auch nicht mehr als eine Nische besetzen.  

HSS: Sie haben in Zusammenarbeit mit Experten der Hanns-Seidel-Stiftung das Buch „Change in der Medien- und Kommunikationsbranche“ herausgegeben. Können sie kurz den Inhalt umreißen?

Ich habe mich sehr viele Jahre mit Medieninnovationen wie Social Media, Virtual Reality, Chatbots, Datenjournalismus sowie Multimedia-Storys beschäftigt und dabei immer wieder gefragt, warum tun sich Medienunternehmen bei der Umsetzung so schwer. Dann habe ich vor knapp zwei Jahren damit begonnen, mich mit klassischem Change Management zu beschäftigen. Und hierin sehe ich eine Begründung, aber auch einen Schlüssel für die Veränderung in der Medien- und Kommunikationsbranche. Den Menschen mitzunehmen, haben zu viele Medienunternehmen, aber auch Verwaltungen und andere Branchen in den vergangenen Jahren vergessen. Hinzu kommt, dass es in der Kommunikationsbranche sehr viele Spezifika gibt: Ein Aspekt ist zum Beispiel der hohe Anteil an kreativen Tätigkeiten. Einfach autoritär jemandem zu sagen, was er tun soll, funktioniert hier nicht. Neue Strukturen, wie zum Beispiel Newsrooms, sind komplexer einzuführen als einfach nur ein neues Software-Programm. Und dann verändern sich ja auch noch die Berufsbilder immer rasanter: Wer hätte denn vor ein paar Jahren gedacht, dass Audience Development, also sich mit dem User zu beschäftigen, eine solche Bedeutung erlangen würde? Außerdem kommen auf Führungskräfte völlig neue Herausforderungen zu. Aktuelle Trends wie New Work und agile Arbeitsweisen dürfen Unternehmen nicht ignorieren, um weiterhin die besten Nachwuchskräfte zu bekommen. Damit regionale Medien diese Veränderungen möglichst gut umsetzen können, haben wir das Buch als Leitfaden herausgebracht. Unser Ziel ist es, damit möglichst vielen zu helfen und Anstöße zu geben.

Mit diesem Buch, das ja bewusst kostenfrei bezogen werden kann, haben wir versucht, das Thema Veränderung in der Medien- und Kommunikationsbranche möglichst breit zu behandeln: Von Umstrukturierungen in der Redaktion, neuen Berufsbildern sowie technologischen Innovationen über Krisenkommunikation und ethischen Aspekten bis hin zur Neuorientierung im Marketing, dem so genannten werteorientierten Marketing. Zielgruppe sind in erster Linie regionale Medienunternehmen sowie auch der Bereich Unternehmenskommunikation von Mittelständlern. Um hier die Brücke zu schlagen, haben wir am Ende der meisten Kapitel auch Interviews mit Vertretern regionaler Medienhäuser eingebunden, zum Beispiel Michael Husarek und Barbara Zinecker von den Nürnberger Nachrichten, Manfred Sauerer von der Mittelbayerischen Zeitung und Mario Geisenhanslüke von der VRM in Mainz.

HSS: Herr Prof. Kaiser, vielen Dank für das Gespräch.

Onlineredaktion/Internet
Maximilian Witte
Redakteur
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