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Deutsch-Russische Wirtschaftsbeziehungen
Keineswegs Permafrost

Hochrangige deutsche Delegierte bezogen in Moskau vor Vertretern der Wirtschaft und der Politik Russlands Stellung. Die wichtigsten Themen: Die Bedeutung des Mittelstandes für den bilateralen Handel, „Nord Stream“ und die Zukunft der Energiepolitik sowie Voraussetzungen für das Ende der westlichen Sanktionspolitik. Im Rahmen des Dialogprogramms wurde außerdem das Verbindungsbüro Moskau der Hanns-Seidel-Stiftung dem neuen Leiter Jan Dresel übergeben.

Vom 12. bis 14. April führte die Hanns-Seidel-Stiftung ein wirtschaftspolitisches Dialogprogramm in Moskau durch, an dem auch eine deutsche Delegation mit Bundesminister a.D. Dr. Peter Ramsauer MdB teilnahm.

HSS-Vorsitzende Männle lobt Durchführung des Dialogs in Moskau: "Gelegenheit zu einem wegweisenden Erfahrungsaustausch intensiv genutzt"

HSS-Vorsitzende Männle lobt Durchführung des Dialogs in Moskau: "Gelegenheit zu einem wegweisenden Erfahrungsaustausch intensiv genutzt"

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Gesprächsfaden nicht abreißen lassen

Im Rahmen einer Abendveranstaltung verabschiedete die Stiftungsvorsitzende Staatsministerin a.D. Prof. Ursula Männle den langjährigen Leiter der Moskauer Verbindungsstelle Dr. Markus Ehm, der in dem derzeit schwierigen politischen Umfeld die Aufrechterhaltung und Pflege der politischen Gesprächskanäle gewährleistet hatte, und stellte seinen Nachfolger Jan Dresel vor: „Unser neuer Mann in Moskau hat es sich zum Ziel gesetzt, die gute Arbeit seiner Vorgänger fortzusetzen und dabei besonderes Augenmerk auf Veranstaltungen in den russischen Regionen zu legen“, so Männle. In ihrer anschließenden Begrüßungsrede hob Männle hervor, dass es aus Sicht der Hanns-Seidel-Stiftung gerade wegen der Ukrainekrise, Wirtschaftssanktionen und anderer strittiger Themen besonders wichtig sei, den Gesprächsfaden zwischen Deutschland und Russland nicht abreißen zu lassen. Sie lobte die Organisation des am selben Tag durchgeführten deutsch-russischen Seminars über Grundlagen und Bedeutung des Mittelstands in einer modernen Volkswirtschaft. Die teilnehmenden russischen Mittelständler und Wirtschaftsexperten hätten die Gelegenheit zu einem wegweisenden Erfahrungsaustausch intensiv genutzt.

Peter Ramsauers Fokus in Moskau: Der Mittelstand, Nord Stream 2 und die Zukunft der Wirtschaftssanktionen gegen Russland.

Peter Ramsauers Fokus in Moskau: Der Mittelstand, Nord Stream 2 und die Zukunft der Wirtschaftssanktionen gegen Russland.

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Eine Chance, die man nicht versäumen darf

Als Hauptredner der Abendveranstaltung ging Bundesminister a.D. Dr. Peter Ramsauer, Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Energie des Deutschen Bundestages, auf die wichtigsten Herausforderungen ein, vor denen die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen derzeit stehen. Konkret sprach er über die Rolle des Mittelstands in beiden Ländern, energiepolitische Fragen unter besonderer Berücksichtigung der geplanten Pipeline Nord Stream 2 sowie die Themenbereiche Sanktionspolitik und Protektionismus. Um der Bedeutung der Mittelständler gerecht zu werden, sei zunächst eine Begriffsklärung von „Mittelstand“ notwendig. Entscheidend sei, dass es sich um Familienunternehmen handle, bei denen sich eine spezifische und unverwechselbare Unternehmenskultur herausgebildet habe. Etwa 95 Prozent der in Russland tätigen deutschen Unternehmen fielen unter diesen Mittelstandsbegriff, während man umgekehrt hauptsächlich an Großunternehmen denke, wenn es um russische Investoren in Deutschland gehe. Wenn sich nun in absehbarer Zeit russische Mittelständler in größerer Zahl in den westlichen Ländern engagieren wollten, so sei dies für Deutschland aus wirtschaftsgeographischer Sicht eine besondere Herausforderung und zugleich eine Chance, die man nicht versäumen dürfe.

In Russland sieht man die deutsche Energiewende noch mit Skepsis. Ein Grund: fehlende Stromtrassen

In Russland sieht man die deutsche Energiewende noch mit Skepsis. Ein Grund: fehlende Stromtrassen

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„Rohstoffpolitik ist Beschaffungspolitik“

In diesem Zusammenhang würdigte Dr. Ramsauer auch die große Bedeutung der Energiepolitik für die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen. Unter der Prämisse „Rohstoffpolitik ist Beschaffungspolitik“ wies er darauf hin, dass die Gasversorgung durch Pipelines auf Jahrhunderte hinweg gesichert sei. Selbst während des kalten Krieges seien die sowjetischen Gaslieferungen nach Deutschland „mit Verläßlichkeit und Treue“ aufrechterhalten worden. Die Bundesregierung stehe „zu hundert Prozent“ hinter der geplanten Pipeline Nord Stream 2, um die Versorgungssicherheit zu garantieren.  Zum Thema Energiepolitik äußerte sich auch Prof. Leonid Grigoriew, Inhaber des Lehrstuhls für Weltwirtschaft an der Moskauer Hochschule für Wirtschaft (Higher School of Economics), in seinem Vortrag. Russland betrachte den Übergang zur Nutzung alternativer Energiequellen in Deutschland „mit Sympathie“. Gleichzeitig habe man aber mit Skepsis wahrgenommen, dass dafür noch nicht alle Voraussetzungen geschaffen seien, insbesondere weil die Frage der Hochspannungs-Übertragungsnetze noch ungeklärt sei. Russland sieht Prof. Grigoriew derzeit in einer schweren und tiefgreifenden wirtschaftlichen Krise, und alle finanziellen Reserven, die vor 2008 aufgrund von Rohstoffgewinnen aufgebaut werden konnten, seien inzwischen aufgebraucht. Man müsse jetzt abwarten, welche Maßnahmen der Arbeitsgruppenvorsitzende des Wirtschaftsrates beim russischen Präsidenten und ehemalige Finanzminister Alexej Kudrin vorschlage, um das Land aus dieser Krise zu führen.

Oleg Morosow zur Frage der Sanktionen gegen Russland: „Vielleicht sollte man auf das verzichten, was uns trennt“.

Oleg Morosow zur Frage der Sanktionen gegen Russland: „Vielleicht sollte man auf das verzichten, was uns trennt“.

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Ramsauer: „Wirtschaftssanktionen bringen am Ende nichts“

Die westlichen Sanktionen gegenüber Russland kommentierte Peter Ramsauer unter dem Vorbehalt, dass es sich dabei um seine persönliche Meinung handle: „Wirtschaftssanktionen bringen am Ende nichts“, so Ramsauer. Man müsse alles Mögliche daran setzen, dass die Sanktionen so schnell wie möglich abgebaut werden könnten. Dabei gebe es in der Bundesregierung zwei Denkrichtungen: Ein Teil der Regierung - unter anderem die Bundeskanzlerin - bestehe darauf, dass eine vollständige Umsetzung des Minsker Abkommens (Minsk II) zur Aufhebung der Sanktionen notwendig sei, während andere einen Abbau der Sanktionen „Zug um Zug“ für möglich hielten, sofern einzelne entscheidende Bedingungen des Minsker Abkommens erfüllt würden. Er selbst vertrete letztere Auffassung, sagte Ramsauer. Der derzeitige Protektionismus in Russland, der sich in Form von Importsubstitution und Lokalisierung äußere, sei die Reaktion der russischen Seite auf die Sanktionen. Derzeit würden innerhalb der russischen Wirtschaft Wertschöpfungsketten entwickelt, und Deutschland müsse aufpassen, dabei nicht außen vor zu bleiben.

INFO: Importsubstitution und Lokalisierung

Importsubstitution bedeutet, dass der Importanteil am inländischen Gesamtangebot einer Volkswirtschaft gesenkt werden soll. Durch Einfuhrrestriktionen wie Zölle oder Importkontingente sowie Maßnahmen zur Förderung lokaler Wirtschaftszweige sollen möglichst nachhaltige und positive Effekte für die inländische Produktion erzielt werden. Kurzfristige Wohlfahrtseinbußen werden zu Gunsten des erstrebten wirtschaftlichen Strukturwandels in Kauf genommen.

Unter Lokalisierung versteht man das Gegenteil von Globalisierung, also die Intensivierung der regionalen und lokalen Integration der Produktion einer Volkswirtschaft zur Stärkung heimischer Wirtschaftszweige.

Keineswegs Permafrost

Ramsauer sagte: „Wir müssen als deutsche Wirtschaft alles daran setzen, dass wir auch dabei sind“. Senator Dr. Oleg Morosow, Mitglied des Ausschusses für internationale Beziehungen des Föderationsrates der Russischen Föderation, bezeichnete die deutsch-russischen Beziehungen zwar auf einigen Gebieten als nach wie vor gut, so zum Beispiel im kulturellen Bereich. Insgesamt betrachtet seien sie aber derzeit „so schlecht wie noch nie“ seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges - eine Ansicht, die gewiss auch in Russland nicht von allen Experten geteilt wird. Die Sanktionspolitik, so Dr. Morosow, erweitere lediglich die Kluft zwischen Deutschland und Russland. Morosow: „Vielleicht sollte man auf das verzichten, was uns trennt.“ Trotz allem sei er optimistisch, was die weitere Entwicklung der deutsch-russischen Beziehungen betreffe, denn das Potenzial für eine positive Wende sei durchaus vorhanden. Auf die Frage eines Zuhörers, wann „Tauwetter“ in den deutsch-russischen Beziehungen anbrechen werde, antwortete Ramsauer, er empfinde die jetzige Phase des bilateralen Verhältnisses „keineswegs als Permafrost“. Diese Grundhaltung war in allen Gesprächen dieses Dialogprogramms spürbar.

Unsere Delegierten

Die deutsche Delegation bestand neben Prof. Männle und Dr. Ramsauer aus den Abgeordneten des Bayerischen Landtags Dr. Gerhard Hopp und Petra Guttenberger, Dr. Johann Schachtner vom Wirtschaftsbeirat Bayern, Georg Schmidt vom bayerischen Wirtschaftsministerium sowie Bernd-Joachim Pantze von der Messe München.

Jan Dresel, Regionalprojekt Frieden und Demokratie in Osteuropa
Jan Dresel
Projektleiter
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